Ein New Deal für Europa: Nach dem spektakulären Regierungswechsel in Griechenland ist die Aufregung in Europa groß - im Zentrum der Diskussionen stehen der neue griechische Finanzminister Yanis Varoufakis und die wirtschaftlichen Verhandlungen, die über die Zukunft Europas entscheiden werden. Doch was will Yanis Varoufakis wirklich? In diesem Debattenbuch analysieren er und seine Co-Autoren die Ursachen der Eurokrise und machen konkrete Vorschläge zu ihrer Lösung. Sie benennen vier eng zusammenhängende Faktoren: - Die Bankenkrise - Die Schuldenkrise - Die Investitionskrise - Die soziale Krise. Für jedes dieser Probleme schlagen die Autoren pragmatische Lösungen vor, die weder neue Institutionen erfordern noch gegen geltendes EU-Recht verstoßen - und zudem Geber- wie Nehmerländer erheblich entlasten würden. Sie fordern nichts weniger als einen New Deal für Europa.
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Vor allem Euphemismen entdeckt Konstantin Richter in diesem Büchlein, das der amtierende griechische Finanzminister Janis Varoufakis den Deutschen und allen Anhängern der Austeritätspolitik zu lesen gibt. Nach genauer Prüfung möchte Richter die Vorschläge des Autors zur Lösung der Eurokrise lieber nicht gutheißen. Restrukturierung von Problembanken, Anleihenausgabe durch die Europäische Zenralbank, ein "New Deal" der Investitionen, Lebensmittelprogramme zur Linderung der Not in Krisenländern - das sind einige der Vorschläge, die der Rezensent vielversprechend und ehrgeizig nennt, allzu ehrgeizig, weil zu wenig auf die Konsequenzen achtend, meint er. Richter sieht den deutschen Steuerzahler schon blechen. Und sucht Rat in Sachen Beendigung der Austeritätspolitik lieber bei Paul Krugmann und Martin Wolf.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.03.2015Gebt uns Geld
Giannis Varoufakis' Krisenvorschläge als Buch
Auf dem Höhepunkt seiner PR-Tätigkeit hat Griechenlands neuer Finanzminister Giannis Varoufakis 40 Interviews in 30 Tagen gegeben. Aber die Grundsatzdebatte ist von der kurzfristigen Geldnot überlagert worden, manchmal auch von einer Diskussion über einen Mittelfinger (der sich bis jetzt nicht als gefälscht herausgestellt hat). Offen blieb eine Frage: Hat Varoufakis - jenseits aller Rhetorik - ein Programm, das darüber hinausgeht, sich mehr Geld zu leihen und für die Rückzahlung darauf zu hoffen, dass die Wirtschaft wieder wächst?
Das kann jetzt jeder auf Deutsch nachlesen. Seit dem Jahr 2010 hat Varoufakis, damals noch Ökonomieprofessor, zusammen mit dem ehemaligen britischen Labour-Politiker Stuart Holland immer wieder an seinem eigenen Programm zur Lösung der Krise gearbeitet. Später kam noch der profilierten keynesianische Ökonom James Galbraith ins Team. Jetzt hat der Kunstmann-Verlag das Dokument mit einem aktuellen Vorwort als Taschenbüchlein herausgegeben.
Varoufakis und seine Kollegen sehen die Euro-Krise als ein Zusammentreffen von vier unterschiedlichen Krisen: erstens einer Bankenkrise, die von den Vereinigten Staaten ausging. Sie sei deshalb so schwer geworden, weil es nur eine Notenbank für viele Regierungen gibt - nach Ansicht der Autoren müssten Regierung und Notenbank einander im Normalfall unterstützen. Als zweites diagnostizieren die Ökonomen eine Schuldenkrise, die auch deshalb so untragbar geworden sei, weil die Schulden zwischen den einzelnen Staaten getrennt sind. Drittens haben die Investitionen in den Krisenstaaten nachgelassen. Das zieht - viertens - eine "soziale Krise" nach sich, in der viele Menschen arbeitslos werden, die Gesundheitsversorgung sich verschlechtert und der Hunger wächst.
Auf ihrer Suche nach einer Lösung erkennen Varoufakis und Co. vier Prinzipien Europas an, zumindest rhetorisch: Die Mitgliedstaaten stehen nicht für die Schulden der anderen gerade, auch die Europäische Zentralbank finanziert keine Staaten, es gibt keine gemeinsamen Anleihen (Eurobonds) - und an eine weitere Integration Europas ist erst zu denken, wenn die Krise gelöst ist.
Auch die Lösungen kommen in vier Punkten: Erstens sollen kippende Banken direkt künftig direkt vom europäischen Rettungsfonds gestützt werden. Der soll sich dadurch finanzieren, dass er Anteile an den geretteten Banken übernimmt. Varoufakis verspricht, das würde genug Geld bringen - doch er ignoriert, wie viel Wert die Bankenanteile in einer Krise verlieren. Auch die deutsche Bankenrettung war ein Verlustgeschäft. Zweitens sollen Staaten in einem komplizierten Verfahren Schulden bis zur Grenze des Maastricht-Vertrags direkt bei der EZB aufnehmen können.
Drittens sollen europäische Banken - auch die EZB - Kredite für Investitionsprogramme in den Staaten aufnehmen. Viertens werden die Zinsen aus dem Zahlungssystem "Target 2" für ein Sozialprogramm in den Eurostaaten verwendet. Grob zusammengefasst, wollen der Finanzminister und seine Mitautoren also die Probleme Griechenlands dadurch lösen, dass EZB und andere europäische Institutionen Kredite aufnehmen und das Geld an Griechenland durchreichen.
Doch sie erklären nicht, warum das dauerhaft Besserung bringen soll. Sie selbst beschreiben, wie die Krise in Griechenland auch anderen Eurostaaten Schwierigkeiten bereitet hat, obwohl die Schulden getrennt waren. Wären die Schulden vergemeinschaftet, wäre die Ansteckung noch leichter. Zu dieser Gefahr taucht aber kein Satz auf. Auch nicht erwähnt wird das Verhältnis von Notenbank zu Finanzministerien, die aus gutem Grund nicht die gegenseitige Unterstützung zum Auftrag haben, weil die Notenbank sich um die Stabilität des Geldes kümmern soll. Die Autoren beschreiben ausführlich, dass vor der Krise viel Geld nach Griechenland floss, ohne produktiv genutzt zu werden. Doch woran das liegt und wie man das für neues Geld ändern könnte - darüber denken sie nicht nach.
PATRICK BERNAU
Giannis Varoufakis, Stuart Holland, James Galbraith: Bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise. Kunstmann, München 2015, 63 Seiten, 5 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Giannis Varoufakis' Krisenvorschläge als Buch
Auf dem Höhepunkt seiner PR-Tätigkeit hat Griechenlands neuer Finanzminister Giannis Varoufakis 40 Interviews in 30 Tagen gegeben. Aber die Grundsatzdebatte ist von der kurzfristigen Geldnot überlagert worden, manchmal auch von einer Diskussion über einen Mittelfinger (der sich bis jetzt nicht als gefälscht herausgestellt hat). Offen blieb eine Frage: Hat Varoufakis - jenseits aller Rhetorik - ein Programm, das darüber hinausgeht, sich mehr Geld zu leihen und für die Rückzahlung darauf zu hoffen, dass die Wirtschaft wieder wächst?
Das kann jetzt jeder auf Deutsch nachlesen. Seit dem Jahr 2010 hat Varoufakis, damals noch Ökonomieprofessor, zusammen mit dem ehemaligen britischen Labour-Politiker Stuart Holland immer wieder an seinem eigenen Programm zur Lösung der Krise gearbeitet. Später kam noch der profilierten keynesianische Ökonom James Galbraith ins Team. Jetzt hat der Kunstmann-Verlag das Dokument mit einem aktuellen Vorwort als Taschenbüchlein herausgegeben.
Varoufakis und seine Kollegen sehen die Euro-Krise als ein Zusammentreffen von vier unterschiedlichen Krisen: erstens einer Bankenkrise, die von den Vereinigten Staaten ausging. Sie sei deshalb so schwer geworden, weil es nur eine Notenbank für viele Regierungen gibt - nach Ansicht der Autoren müssten Regierung und Notenbank einander im Normalfall unterstützen. Als zweites diagnostizieren die Ökonomen eine Schuldenkrise, die auch deshalb so untragbar geworden sei, weil die Schulden zwischen den einzelnen Staaten getrennt sind. Drittens haben die Investitionen in den Krisenstaaten nachgelassen. Das zieht - viertens - eine "soziale Krise" nach sich, in der viele Menschen arbeitslos werden, die Gesundheitsversorgung sich verschlechtert und der Hunger wächst.
Auf ihrer Suche nach einer Lösung erkennen Varoufakis und Co. vier Prinzipien Europas an, zumindest rhetorisch: Die Mitgliedstaaten stehen nicht für die Schulden der anderen gerade, auch die Europäische Zentralbank finanziert keine Staaten, es gibt keine gemeinsamen Anleihen (Eurobonds) - und an eine weitere Integration Europas ist erst zu denken, wenn die Krise gelöst ist.
Auch die Lösungen kommen in vier Punkten: Erstens sollen kippende Banken direkt künftig direkt vom europäischen Rettungsfonds gestützt werden. Der soll sich dadurch finanzieren, dass er Anteile an den geretteten Banken übernimmt. Varoufakis verspricht, das würde genug Geld bringen - doch er ignoriert, wie viel Wert die Bankenanteile in einer Krise verlieren. Auch die deutsche Bankenrettung war ein Verlustgeschäft. Zweitens sollen Staaten in einem komplizierten Verfahren Schulden bis zur Grenze des Maastricht-Vertrags direkt bei der EZB aufnehmen können.
Drittens sollen europäische Banken - auch die EZB - Kredite für Investitionsprogramme in den Staaten aufnehmen. Viertens werden die Zinsen aus dem Zahlungssystem "Target 2" für ein Sozialprogramm in den Eurostaaten verwendet. Grob zusammengefasst, wollen der Finanzminister und seine Mitautoren also die Probleme Griechenlands dadurch lösen, dass EZB und andere europäische Institutionen Kredite aufnehmen und das Geld an Griechenland durchreichen.
Doch sie erklären nicht, warum das dauerhaft Besserung bringen soll. Sie selbst beschreiben, wie die Krise in Griechenland auch anderen Eurostaaten Schwierigkeiten bereitet hat, obwohl die Schulden getrennt waren. Wären die Schulden vergemeinschaftet, wäre die Ansteckung noch leichter. Zu dieser Gefahr taucht aber kein Satz auf. Auch nicht erwähnt wird das Verhältnis von Notenbank zu Finanzministerien, die aus gutem Grund nicht die gegenseitige Unterstützung zum Auftrag haben, weil die Notenbank sich um die Stabilität des Geldes kümmern soll. Die Autoren beschreiben ausführlich, dass vor der Krise viel Geld nach Griechenland floss, ohne produktiv genutzt zu werden. Doch woran das liegt und wie man das für neues Geld ändern könnte - darüber denken sie nicht nach.
PATRICK BERNAU
Giannis Varoufakis, Stuart Holland, James Galbraith: Bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise. Kunstmann, München 2015, 63 Seiten, 5 Euro
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