Als der künftige Ministerpräsident, der jüdische Sozialist Léon Blum, 1935 seine Erinnerungen an die Dreyfusaffäre von 1898 niederschrieb, ahnte er, dass er über das Wetterleuchten einer Katastrophe schrieb, die Europa noch bevorstand. Dieses kleine Buch, spannend wie ein Thriller, enthält eine der seltenen intellektuellen Heldengeschichten. Die "Dreyfusards", ein Häufchen von Journalisten, Gelehrten und Politikern, waren nicht darauf gefasst, mit ihrer Kampagne zur Rehabilitierung des als deutscher Spion verurteilten Hauptmanns Dreyfus auf den geballten Widerstand von Militaristen, rechten Populisten und Antisemiten zu stoßen. Die Affäre führte Frankreich an den Rand eines Bürgerkriegs. Aus der Mitte des Orkans stammen diese Erinnerungen eines grossartigen Zeitzeugen.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2005Charakterprüfung
Ein elektrisierender Thriller in Staatsbürgerkunde: Léon Blum frischt die Affäre Dreyfus auf / Von Michael Jeismann
Nach dem Abenteuer des nahezu unverhohlenen, verfassungswidrigen Plebiszits, das der Kanzler Gerhard Schröder mit der Auflösung des Bundestags anstrebte, nach der starräugigen Zustimmung des Bundespräsidenten und des Bundesverfassungsgerichts hat die Öffentlichkeit schließlich noch ein dumpfes Gefühl der Manipulation - auch wenn sie davon überzeugt war, daß die Neuwahl notwendig und heilsam sei und sich deshalb willig an die Urnen begab. Da die große Mehrheit mit dem Verfahren einverstanden war, hat es die Republik scheinbar unberührt gelassen. Aber wie fragil erschienen doch mit einem Mal die Institutionen unserer Demokratie, wie mächtig die Stimmung des Augenblicks. Und wie groß war nicht zuletzt die Überraschung über das Ergebnis.
Da ist es ein Glück, das soeben ein Buch erscheint, das dem Leser einen lebendigen Eindruck der Prüfungen wahrer Demokraten vermitteln kann. Die 1935 erschienenen Erinnerungen Léons Blums an die Dreyfus-Affäre, an die Protagonisten des Kampfes und an die Achterbahn von Verzweiflung, Schmach und Zuversicht wirken eigentümlich nah, auch wenn alle Umstände einer gänzlich anderen Zeit angehören. Man kann diese Erinnerungen als fortdauernde Mahnung lesen, aber auch als Psychogramm eines kollektiven Widerstands, das seinesgleichen sucht. Das Buch liest sich wie ein Thriller in Staatsbürgerkunde und in der knappen Form, in der wunderbar lebendigen Sprache, in seiner Mischung aus erinnerter Jugendlichkeit und Altersweisheit und mitsamt seinen biographischen und Milieuskizzen - unter anderen Jean Jaurès, Clemenceau, Maurice Barrès - ist es die beste Einführung in diese erste große Demokratie-Prüfung.
Aus einem Historiengemälde, auf dem ferne und fremde Akteure zu betrachten sind, wird wieder eine lebendige Nahaufnahme. Das liegt sowohl an dem von Joachim Kalka exzellent eingeleiteten, kommentierten und übersetzten Band selbst - als auch an der Gegenwart, so wie sie ist. Das Glossar am Ende des Bandes ist im Kern die Skizze des Konflikts und zugleich eine Rollenanweisung wie im Theater.
Wie oft hat man ihn nachgemacht, wie oft ihn aus nichtigen Anlässen nachgeäfft bis zur Karikatur: Die Anklage, die der Schriftsteller Emile Zola dem französischen Militär, dem Parlament und Teilen der Gesellschaft im Jahr 1898 mit seinem Zeitungsartikel "J'accuse" entgegenschleuderte, bildete nicht nur einen Wendepunkt in der Affäre um den wegen Hochverrats verurteilten jüdischen Artilleriehauptmann Alfred Dreyfus. Emile Zola, Ende des neunzehnten Jahrhunderts auf dem Höhepunkt seines Ruhms, riskierte die Ruhe und Sicherheit seiner bürgerlichen Existenz und stach mit seiner Streitschrift mitten in ein übles Komplott, dessen Kern eine kaum verhohlene Kampfansage an die junge Republik war. Im Namen des Patriotismus, der Ordnung und nationalen Sicherheit deckten hohe Militärs einen gewissenlosen Hasardeur, um im Juden und Elsässer Dreyfus einen Schuldigen vorweisen zu können, der dem grassierenden Antisemitismus und dem Deutschenhaß weiter Teile der politischen Klasse und der Bevölkerung eine scheinbar schlagende Rechtfertigung bot.
In jedem Geschichtsbuch kann man lesen, wie die Dreyfus-Affäre die französische Gesellschaft bis in ihre Fundamente erschütterte, wie alte Freundschaften an ihr zerbrachen und neue sich knüpften. Die Dreyfus-Affäre gilt nicht zu Unrecht als die Geburt des Intellektuellen als öffentlicher Figur. Schriftsteller, Bibliothekare, Anwälte und Studenten wurden zu Helden in einem Drama, das zum demokratischen Lehrstück wurde. Gegen die Macht des Staatsapparats, gegen das Kartell der Nationalisten und der Schweiger war ein Sieg errungen worden, der emblematisch werden sollte. Je strahlender die Erinnerung, desto klarer wurden im nachhinein die Fronten, desto mehr stand der Sieg der guten Sache von vorneherein fest.
So liegt die Dreyfus-Affäre einbalsamiert im Sarkophag der Geschichte, wohlerhalten, aber leblos. Gewiß, ein Unschuldiger wurde verurteilt, und man hat so lange gekämpft, bis er wieder freikam und die wahren Schuldigen entlarvt waren. Die Nationalisten und Reaktionäre erlitten eine schwere Niederlage. Vive la République!
Aber hinter diesem Abziehbild der Affäre, das im Gedächtnis klebt, steckt eine Geschichte der Charakterprüfung und des Muts, eine Geschichte des Leidens und der Hoffnung und des Zweifels. Mit anderen Worten: Die Affäre wurde zum Schicksal, sie entschied darüber, wie man dachte und fühlte und wurde zum Erkennungszeichen, zum Codewort einer Epoche, mit dem der Zeitgenosse sich zu erkennen gab und der Nachgeborene Partei ergriff. Die Affäre, die sich immerhin von der Verurteilung Dreyfus' im Jahr 1894 bis zu seiner vollständigen Rehabilitierung 1906 hinzieht, hat alle, die sie durchlitten haben, verwandelt.
Léon Blum hat das Buch seinen verstorbenen Freunden gewidmet, geschrieben aber hat er es aus Besorgnis über den Faschismus in Europa. Als junger Jurist und Literat hatte er an dem Kampf um Dreyfus teilgenommen - und so sehr ihn die Ereignisse von damals erschütterten und prägten, so bewußt war er sich bei der Niederschrift der Tatsache, daß die junge Generation mit der ganzen Angelegenheit allenfalls nebulöse Assoziationen verband. Léon Blum war schließlich der Ministerpräsident der Volksfrontregierung, die grundlegende Sozialreformen einführte, unter ihnen den bezahlten Urlaub. Der Politiker, Jurist und Literat Blum verzichtete darauf, ein gelehrtes Buch zu schreiben, gerade weil er die Vergangenheit frisch aus dem Gedächtnis emporheben wollte.
Die Erinnerungen setzen ein mit der Bemerkung, daß der Hauptmann Dreyfus selbst nicht imstande gewesen wäre, die ihm widerfahrene Geschichte zu erzählen. Er war, so Blum, die Personifikation der willigen Unauffälligkeit beim Militär, und es ist zweifelhaft, ob er begriff, in welchen politischen Strudel er geraten war. Der junge Blum aber hatte zunächst gar keine Beziehung zu der Affäre, deren Aufsehen zu Beginn eher mäßig war. Dann aber änderte sich alles, als Lucien Herr, der intellektuell immens einflußreiche Bibliothekar der Ècole Normale Supérieur, im Sommer des Jahres 1897 lakonisch den jungen Juristen fragte, ob er wisse, daß Dreyfus unschuldig sei.
Dreyfus? Das war doch schon drei Jahre her, die Angelegenheit fast verschollen. In dieser Zeit aber hatte der Publizist Bernard Lazare nachweisen können, wie faul die Angelegenheit war. Mit Hilfe von Flugblättern, auf denen das berüchtigte borderau faksimiliert war - die Liste mit den inkriminierten Informationen, die angeblich in der Handschrift Dreyfus' verfaßt war -, kam heraus, daß die angeblichen Beweise für Dreyfus' Schuld gefälscht waren. Ein Bankier, der das Flugblatt gelesen hatte, erkannte darauf sofort die Handschrift eines ganz anderen, nämlich die Handschrift eines seiner Kunden: des Majors Esterhazy, einer singulär korrupten Figur. Und damit beginnt der Bildungsroman der französischen Republik in Form jener Krise, die für Blum in ihrer politischen Wirkung nur mit dem Weltkrieg vergleichbar war. Begierig liest man diesen grandiosen Erinnerungsbericht, der nicht zuletzt durch beunruhigende Einsichten in die politischer Psychologie besticht.
Léon Blum: "Beschwörung der Schatten". Die Affäre Dreyfus. Aus dem Französischen, mit einer Einleitung und mit Anmerkungen versehen von Joachim Kalka. Berenberg Verlag, Berlin 2005. 118 S., geb., 19,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein elektrisierender Thriller in Staatsbürgerkunde: Léon Blum frischt die Affäre Dreyfus auf / Von Michael Jeismann
Nach dem Abenteuer des nahezu unverhohlenen, verfassungswidrigen Plebiszits, das der Kanzler Gerhard Schröder mit der Auflösung des Bundestags anstrebte, nach der starräugigen Zustimmung des Bundespräsidenten und des Bundesverfassungsgerichts hat die Öffentlichkeit schließlich noch ein dumpfes Gefühl der Manipulation - auch wenn sie davon überzeugt war, daß die Neuwahl notwendig und heilsam sei und sich deshalb willig an die Urnen begab. Da die große Mehrheit mit dem Verfahren einverstanden war, hat es die Republik scheinbar unberührt gelassen. Aber wie fragil erschienen doch mit einem Mal die Institutionen unserer Demokratie, wie mächtig die Stimmung des Augenblicks. Und wie groß war nicht zuletzt die Überraschung über das Ergebnis.
Da ist es ein Glück, das soeben ein Buch erscheint, das dem Leser einen lebendigen Eindruck der Prüfungen wahrer Demokraten vermitteln kann. Die 1935 erschienenen Erinnerungen Léons Blums an die Dreyfus-Affäre, an die Protagonisten des Kampfes und an die Achterbahn von Verzweiflung, Schmach und Zuversicht wirken eigentümlich nah, auch wenn alle Umstände einer gänzlich anderen Zeit angehören. Man kann diese Erinnerungen als fortdauernde Mahnung lesen, aber auch als Psychogramm eines kollektiven Widerstands, das seinesgleichen sucht. Das Buch liest sich wie ein Thriller in Staatsbürgerkunde und in der knappen Form, in der wunderbar lebendigen Sprache, in seiner Mischung aus erinnerter Jugendlichkeit und Altersweisheit und mitsamt seinen biographischen und Milieuskizzen - unter anderen Jean Jaurès, Clemenceau, Maurice Barrès - ist es die beste Einführung in diese erste große Demokratie-Prüfung.
Aus einem Historiengemälde, auf dem ferne und fremde Akteure zu betrachten sind, wird wieder eine lebendige Nahaufnahme. Das liegt sowohl an dem von Joachim Kalka exzellent eingeleiteten, kommentierten und übersetzten Band selbst - als auch an der Gegenwart, so wie sie ist. Das Glossar am Ende des Bandes ist im Kern die Skizze des Konflikts und zugleich eine Rollenanweisung wie im Theater.
Wie oft hat man ihn nachgemacht, wie oft ihn aus nichtigen Anlässen nachgeäfft bis zur Karikatur: Die Anklage, die der Schriftsteller Emile Zola dem französischen Militär, dem Parlament und Teilen der Gesellschaft im Jahr 1898 mit seinem Zeitungsartikel "J'accuse" entgegenschleuderte, bildete nicht nur einen Wendepunkt in der Affäre um den wegen Hochverrats verurteilten jüdischen Artilleriehauptmann Alfred Dreyfus. Emile Zola, Ende des neunzehnten Jahrhunderts auf dem Höhepunkt seines Ruhms, riskierte die Ruhe und Sicherheit seiner bürgerlichen Existenz und stach mit seiner Streitschrift mitten in ein übles Komplott, dessen Kern eine kaum verhohlene Kampfansage an die junge Republik war. Im Namen des Patriotismus, der Ordnung und nationalen Sicherheit deckten hohe Militärs einen gewissenlosen Hasardeur, um im Juden und Elsässer Dreyfus einen Schuldigen vorweisen zu können, der dem grassierenden Antisemitismus und dem Deutschenhaß weiter Teile der politischen Klasse und der Bevölkerung eine scheinbar schlagende Rechtfertigung bot.
In jedem Geschichtsbuch kann man lesen, wie die Dreyfus-Affäre die französische Gesellschaft bis in ihre Fundamente erschütterte, wie alte Freundschaften an ihr zerbrachen und neue sich knüpften. Die Dreyfus-Affäre gilt nicht zu Unrecht als die Geburt des Intellektuellen als öffentlicher Figur. Schriftsteller, Bibliothekare, Anwälte und Studenten wurden zu Helden in einem Drama, das zum demokratischen Lehrstück wurde. Gegen die Macht des Staatsapparats, gegen das Kartell der Nationalisten und der Schweiger war ein Sieg errungen worden, der emblematisch werden sollte. Je strahlender die Erinnerung, desto klarer wurden im nachhinein die Fronten, desto mehr stand der Sieg der guten Sache von vorneherein fest.
So liegt die Dreyfus-Affäre einbalsamiert im Sarkophag der Geschichte, wohlerhalten, aber leblos. Gewiß, ein Unschuldiger wurde verurteilt, und man hat so lange gekämpft, bis er wieder freikam und die wahren Schuldigen entlarvt waren. Die Nationalisten und Reaktionäre erlitten eine schwere Niederlage. Vive la République!
Aber hinter diesem Abziehbild der Affäre, das im Gedächtnis klebt, steckt eine Geschichte der Charakterprüfung und des Muts, eine Geschichte des Leidens und der Hoffnung und des Zweifels. Mit anderen Worten: Die Affäre wurde zum Schicksal, sie entschied darüber, wie man dachte und fühlte und wurde zum Erkennungszeichen, zum Codewort einer Epoche, mit dem der Zeitgenosse sich zu erkennen gab und der Nachgeborene Partei ergriff. Die Affäre, die sich immerhin von der Verurteilung Dreyfus' im Jahr 1894 bis zu seiner vollständigen Rehabilitierung 1906 hinzieht, hat alle, die sie durchlitten haben, verwandelt.
Léon Blum hat das Buch seinen verstorbenen Freunden gewidmet, geschrieben aber hat er es aus Besorgnis über den Faschismus in Europa. Als junger Jurist und Literat hatte er an dem Kampf um Dreyfus teilgenommen - und so sehr ihn die Ereignisse von damals erschütterten und prägten, so bewußt war er sich bei der Niederschrift der Tatsache, daß die junge Generation mit der ganzen Angelegenheit allenfalls nebulöse Assoziationen verband. Léon Blum war schließlich der Ministerpräsident der Volksfrontregierung, die grundlegende Sozialreformen einführte, unter ihnen den bezahlten Urlaub. Der Politiker, Jurist und Literat Blum verzichtete darauf, ein gelehrtes Buch zu schreiben, gerade weil er die Vergangenheit frisch aus dem Gedächtnis emporheben wollte.
Die Erinnerungen setzen ein mit der Bemerkung, daß der Hauptmann Dreyfus selbst nicht imstande gewesen wäre, die ihm widerfahrene Geschichte zu erzählen. Er war, so Blum, die Personifikation der willigen Unauffälligkeit beim Militär, und es ist zweifelhaft, ob er begriff, in welchen politischen Strudel er geraten war. Der junge Blum aber hatte zunächst gar keine Beziehung zu der Affäre, deren Aufsehen zu Beginn eher mäßig war. Dann aber änderte sich alles, als Lucien Herr, der intellektuell immens einflußreiche Bibliothekar der Ècole Normale Supérieur, im Sommer des Jahres 1897 lakonisch den jungen Juristen fragte, ob er wisse, daß Dreyfus unschuldig sei.
Dreyfus? Das war doch schon drei Jahre her, die Angelegenheit fast verschollen. In dieser Zeit aber hatte der Publizist Bernard Lazare nachweisen können, wie faul die Angelegenheit war. Mit Hilfe von Flugblättern, auf denen das berüchtigte borderau faksimiliert war - die Liste mit den inkriminierten Informationen, die angeblich in der Handschrift Dreyfus' verfaßt war -, kam heraus, daß die angeblichen Beweise für Dreyfus' Schuld gefälscht waren. Ein Bankier, der das Flugblatt gelesen hatte, erkannte darauf sofort die Handschrift eines ganz anderen, nämlich die Handschrift eines seiner Kunden: des Majors Esterhazy, einer singulär korrupten Figur. Und damit beginnt der Bildungsroman der französischen Republik in Form jener Krise, die für Blum in ihrer politischen Wirkung nur mit dem Weltkrieg vergleichbar war. Begierig liest man diesen grandiosen Erinnerungsbericht, der nicht zuletzt durch beunruhigende Einsichten in die politischer Psychologie besticht.
Léon Blum: "Beschwörung der Schatten". Die Affäre Dreyfus. Aus dem Französischen, mit einer Einleitung und mit Anmerkungen versehen von Joachim Kalka. Berenberg Verlag, Berlin 2005. 118 S., geb., 19,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Wirklich "bemerkenswert" findet der Rezensent Daniel Haufler, was Leon Blum 1935 über die Dreyfus-Affäre schrieb, die er selbst miterlebt hatte und bei der er sich für die Rehabilitierung Dreyfus' engagierte. Hingerissen beschreibt der Rezensent, wie "elegant" und "eloquent" der Mitbegründer der sozialistischen Partei Frankreichs seine Beobachtungen und seine politischen Ansichten formuliert. Warum Blum die Affäre, wie sie damals schlicht genannt wurde, unbedingt ins Gedächtnis seiner Zeitgenossen rufen will, darauf findet der Rezensent eine Antwort im Text: "Die jungen Leute heute, selbst die Erwachsenen, sind wie Dreyfus selbst bei der Rückkehr von der Teufelsinsel - sie kennen die Affäre nicht, und vor allem begreifen sie sie nicht." Wie sich ein intellektueller Widerstand zusammenschloss, der sich schließlich gegen Nationalismus und Antisemitismus durchsetzen konnte, dem gilt Blums besondere Aufmerksamkeit, und so werden seine Aufzeichnungen zu einer Art Lehrstück, zur Inspiration für die Zeitgenossen. "Nach wie vor brisant" findet der Rezensent folgende Analyse der Dreyfus-Affäre: "Wenn ein demokratisches Land so tief gesunken ist, dass es ein Verfahren derart manipuliert - dann es kann nur eine starke Zivilgesellschaft retten." Lobende Worte gehen auch an Joachim Kalkas "hervorragende" Übersetzung und seine zum Leseverständnis "unverzichtbaren Anmerkungen".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH