Die Geschichte, die die englische Autorin Antonia Byatt erzählt, beginnt im Jahr 1987 und führt zurück in die viktorianische Zeit. Es geht um ein Bündel Liebesbriefe, gefunden im Sterbezimmer einer bekannten Dichterin, Briefe, die kompromittieren und einige Personen in Verlegenheit bringen könnten. "Ein Buch wie 'Besessen' ist eine Seltenheit in seiner Mischung aus Kriminalstory und Liebesgeschichte - atmosphärisch dicht und kunstvoll dargeboten..." (The New York Review of Books.)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.02.2002Ist der Ruf erst angenommen, lebt sich's völlig unbeklommen
Der Campusroman und was statt dessen lesenswert ist: Eine kommentierte Bibliographie zur Debatte um die deutsche Universität / Von Rainer Maria Kiesow
Mitunter ist selbst an Universitäten physische Abwesenheit besser als Geistesgegenwart. "Die beiden Schläge trafen Lohmann völlig unerwartet auf beide Ohren. Glas und Vase zersprangen, und vor allem das linke, stark in Mitleidenschaft gezogene Ohrläppchen entließ einen rötlichen Schwall Flüssigkeit, die sofort den noch erhobenen, rechten Arm von Schmitt einfärbte." So geht es zu, wenn sich zwei Ordinarien für Germanistische Linguistik an der Universität München nicht leiden mögen. Professor Schmitt hielt die Sottisen seines Kollegen Lohmann nicht mehr aus - und schlug zu. Dann verschwand er. Ein paar Tage später taucht er wieder auf, in Paris, wo er einen Lehrstuhl am Collège de France angetragen bekommt. Lohmann, der sich so sehr um diesen Karrierehöhepunkt bemüht hatte, geht leer aus. In der Zwischenzeit wird ein französischer Gastprofessor tot aufgefunden, die Studenten, Assistenten, Mitarbeiter, Professoren der germanistischen Fakultät saufen, huren, stehlen und praktizieren bizarre magische Kulte.
Ein bißchen Chomsky, ein Hauch Whorfscher Relativismus, eine Messerspitze Krim-Gotisch, nicht zuwenig Patholinguistik und die unvermeidlichen Merseburger Zaubersprüche, Bier, Sex und Gewalt - das alles aufkochen lassen und schon ist "Eine akademische Erzählung aus dem universitären Alltag" mit dem Obertitel "Lohmanns Ohren" (Dettelbach 1999) fertig. Natürlich geht es so an keiner deutschen Universität zu. Mitnichten handele es sich um das Vorhalten eines Spiegels, betont der Autor, Matthias Karlson, in seinem Vorwort. Die Geschichte sei vielmehr ein Märchen, das "in keinster Weise ,politically correct' ist". In der Tat, die Masse an abstrusen Verhaltensweisen der geschilderten akademischen Gesellschaft kommt der Wirklichkeit nicht nahe. Doch auf die Spiegel-Qualität kommt es auch nicht an, sondern auf die Qualität des Märchens. Und da gibt es keine Zweifel. Es ist das schlechteste Märchen seit langem. Ein dialogischer Wortschwall, dessen Merkmal die banale, weil rein quantitative Übertreibung menschlicher Basisaktivitäten ist.
Bereits vor über dreihundert Jahren hatte Everhardus Guernerus Happelius den Universitätsangehörigen dieses Menschentum als Spiegel vorgehalten. Happelius war ein Modeschriftsteller, nach abgebrochenem Studium der Medizin, Mathematik und Jurisprudenz. Die Welt der Reichen, Schönen und Blaublütigen faszinierte ihn. Romane aus der galanten Welt waren die Folge. Innere Bedeutungslosigkeit, Haltlosigkeit und Weitschweifigkeit sahen Kritiker in Happelius' literarischen Ergüssen regieren. Einer der Titel dieser Werke: "Der Academische Roman, Worinnen Das Studenten-Leben fürgebildet wird; Zusamt allem / was auf den Universitäten passiret / wie diese bestellet werden / wie die Professiones und Facultäten eingetheilet sind, was deß Rectoris Magnifici, Decani, Professoren / Studenten / Pedellen / &c. Amt und Privilegia, wie und welcherley Gradus man conferiret / wie viel Universitäten / hohe und andere berühmte Schulen und Collegia jetzo in ganz Europa; Wann der Pennalismus abgeschaffet; Was für Excessen die Studenten offt begehen was die Bacchanten für Leute / und was man von dem Academischen Leben zu wissen verlangen mag. Das Gute zur Lehre / das Böse aber zur Warnung der Ehrliebenden Jugend / in einer schönen Liebes-Geschichte fürgestellet."
Eine echte academic novel aus deutschen Landen, der erste veritable Universitätsroman, aus dem Jahre 1690. Heute ist Happelius vergessen und Karlson ein würdiger Nachfolger in mediocritatem. Die Universität ist eine jener seltsamen Wirklichkeiten, die seit langem Schriftsteller zu Beschreibungen, zu sogenannten literarischen Spiegelungen inspiriert haben. Vom Mittelalter an bis zu Oxford und Cambridge - seit dem siebzehnten Jahrhundert ertönen Klagen über die Universität. Die Wissenschaftler sind "trübsinnig und finster, streng, traurig, trocken, düster". Und die Professoren? "Eure größten Gelehrten sind doch in der Regel nichts anderes als einfältige, windelweiche Gesellen in ihrem äußeren Gebaren, abgeschmackt und lächerlich in den Augen der anderen, und ganz und gar unerfahren im weltlichen Geschäft." So Robert Burton in seiner "Anatomy of Melancholy, What it is" aus dem Jahre 1621. Bis ins neunzehnte Jahrhundert änderte sich anscheinend nicht viel. Studentische Vergnügungen, nutzlose Studien, verschrobene Professoren, niedriges wissenschaftliches Niveau: Auf dem Kontinent reagierte man mancherorts mit Reformuniversitäten, auf der Insel und in der Neuen Welt entstand ein neues literarisches Genre, der Universitätsroman. Einer der ganz wenigen Bibliographen des Genres zählt für den Zeitraum von 1828 bis 1979 in einer Bibliographie zur american college novel 425 Titel auf. Bezieht man die bislang völlig jenseits des Forscherinteresses liegenden französischen, deutschen oder gar italienischen und kanadischen Universitäts- und Wissenschaftsromane mit ein, dürfte es mehr als ein halbes Tausend akademischer Geschichten in Romanform geben.
Eine Geschichte des Universitätsromans könnte damit beginnen, wie im neunzehnten Jahrhundert zunächst in England die komische campus novel, dann, in England und Amerika, der akademische Bildungsroman aufkam, und damit fortfahren, wie später in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts der Umschwung von der Scholaren- zur Professorenperspektive stattfand; paradoxerweise im Zuge der schleichenden Demokratisierung der Universität. Sie könnte damit schließen, wie später die Studenten die Macht übernahmen, als es um Gang, Sitz, Lehre und Liebe ging, und wie schließlich der Betrieb der Universität und die Art und Weise der Gewinnung von wissenschaftlicher Erkenntnis die Autoren umtrieben.
Wäre es sinnvoll, eine solche Geschichte als die von Annäherungen an die akademische Wirklichkeit zu schreiben? Kriminalromane werden in der Sekundärliteratur nicht zum Campusgenre gezählt. Als Fiktion par excellence fehlt dem professionellen Forschungsleser der Spiegel, die Abbildung der Situation an der Universität. Und doch sind viele der lieferbaren Romane aus dem Universitätsmilieu Krimis. Der Campus spielt in diesen und anderen Kriminalgeschichten keine hervorragende Rolle. Die Universität ist eher der Ort des Geschehens als eine Institution, die in ihrer sozialen und politischen Struktur literarisch reflektiert wird. Akademische Spiegelungen fehlen - mit Ausnahme gelegentlicher Seitenhiebe auf Professorenmarotten, schlechte Verwaltung, mißgünstige Sekretärinnen und ungenießbares Mensaessen.
Auch in Deutschland gibt es seit einiger Zeit Krimis aus dem Universitätsmilieu. Doch welch ein Unterschied zu den modernen Meistern der anglo-amerikanischen Suspense-Unterhaltungsliteratur! Vier Bücher sind derzeit auf dem Markt. Heiner Trudt hat mit "Bockenheimer Bouillabaisse. Ein Uni-Krimi" eine fades Süppchen angesetzt, in dem ein kulinarisch interessierter Kommissar den Mord an einer auch im Auftrag der Industrie forschenden Frankfurter Physikprofessorin aufklärt. Nach kurzen 150 Seiten ist der Fall gelöst. Bemerkenswert an dem Krimi ist nur das Anagramm: Heiner Trudt gleich Hundertdrei. 103 Studenten an der Frankfurter Universität, am Institut für deutsche Sprache und Literatur II, haben im Rahmen eines Seminars, das dem Schreiben eines Kriminalromans gewidmet war, simultan die vorliegende Story geschrieben. Dies ist wahrhaft eine Leistung - wenn der Leser nur von der Publikation des schlichten Ergebnisses verschont geblieben wäre.
Thea Dorn wurde mit ihrem Romandebüt "Berliner Aufklärung" nicht nur in dieser, sondern auch in der "Bild"-Zeitung gelobt: "Sehr grausam. Sehr witzig. Sehr klug". Das erste stimmt, über das zweite läßt sich nicht streiten, das dritte möchte so scheinen. Eine prätentiöse Geschichte, die so beginnt: "Teil 1. Ein fragmentiertes Selbst. Es war kein schöner Mord. Aber ein echter. Die Möglichkeit, daß sich Professor Doktor Rudolf Schreiner selbst in vierundfünfzig Teile zerlegt, in Gefrierbeutel verpackt und gleichmäßig auf die vierundfünfzig Postfächer des Philosophischen Instituts an der Universität Berlin verteilt hatte, konnte ausgeschlossen werden." In der Tat. Aristoteles, Nietzsche, Wagner, feministische Theorie, Kommunitarismus, philosophische Praxis, Lebenshilfe - das Buch ist gewissermaßen mit halbgelahrten Motiven gut ausgestattet, eingerichtet von einer akademischen Philosophin als Autorin.
Das dritte deutsche Campus-Krimi-Ereignis war 1998 in der "rororo thriller"-Reihe unter dem Titel "Amoklauf im Audimax. Die blutigsten Unis. Die gemeinsten Professoren. Die bösesten Studenten" erschienen. Vierzehn Kurzgeschichten sind hier versammelt. "Dietrich Schwanitz u. a." steht auf dem Umschlag und dem Titelblatt als Autorenhinweis. Nicht das Alphabet oder die Qualität zählt, sondern Prominenz. Die anderen Verfasser haben Stories nach dem Motto des Vorspanns geliefert: "Bildung kann das Leben kosten". So ist es: "Es geht in den schwarzen Stories nicht mehr darum, das Humboldtsche Bildungsideal, sondern die nackte Haut auf dem Campus zu retten." Schwanitz steuert "Die nackte Wahrheit" bei, deren nackte Wahrheit darin besteht, daß sie eine stark eingedampfte, etwas orientalischer parfümierte Version des zwei Monate zuvor erschienenen Romans "Der Zirkel" ist. Der vierte deutsche Uni-Krimi schließlich ist ein historischer und spielt im Heidelberg des vierzehnten Jahrhunderts. Der Jurist ("Lehrstuhl für Römisches Recht") Jovan Palac kommt neu an die Universität und löst gleich einen Mord. Leider hat nicht Umberto Eco diese Geschichte erzählt, sondern Helga Glaesener in "Die Rechenkünstlerin". Die Morde an Deutschlands Unis sind auch hier ebenso phantastisch wie die an den amerikanischen, englischen und israelischen Hochschulen, aber der Campus dient hier nicht einmal als Milieu, sondern nur als Kulisse.
Sind Campusromane also Literatur? Entsteht Literatur erst dort, wo die beschriebene Welt unbekannt ist? Waren nicht selbst die berühmten Literaten des Realismus und Naturalismus dem Kosmos, den sie beschrieben, vollständig entrückt? Einem Kosmos - seien es Webstuben, Bergwerke oder die Pariser Hallen -, den sie mit der Darstellung überhaupt erst schufen. Wissenschaftler stehen auf dem Boden der Tatsachen. Deshalb ist es für Wissenschaftler - Historiker wie Physiker, Soziologen wie Biologen, Anglisten wie Germanisten - so schwierig, den poetischen Blick anzunehmen. Die campus novels, deren Autoren meist Wissenschaftler sind, bezeugen dies auf dem Feld der Poesie, einer Poesie, die sich nicht entfaltet, sondern im besten Fall zum amüsanten schriftstellernden Bericht verkümmert.
Aber auch von seiten seines Gegenstandes, der Universität, leidet der Campusroman. Im Kern verrottet, wird die Alma mater nur mehr verwaltet. Der Gang durch die Institutionen endete in der Administration. Frauenbeauftragte, studentische Mitbestimmung, Massenabfertigung, Gremien, kurz: Demokratisierung und Bürokratisierung hielten Einzug. In den Medien wurde das Thema "Bildungspolitik" populär. Interviews, Hintergrundberichte, Reportagen, Dossiers zur "Krise der Universität" jagten einander. Dietrich Schwanitz, als Professor für englische Literatur an der Universität Hamburg ein Insider der Verhältnisse, erkannte die Zugkraft des Themas. Ein bißchen Sex und ein wenig gerade aus Amerika importierte Correctness beigemischt - schon war "Der Campus" fertig. Die Kritik jubelte über das "witzige", "glänzend geschriebene", "rotzfreche" "akademische Höllenspektakel". Die Melange stimmte einfach: eine angeblich vergewaltigte Studentin, ein lüsterner Professor, politische Intrigen, feministische Attacken, Gesinnungsterrorismus und Sensationsgier an der Universität. Und doch gilt gerade bei Schwanitz: nichts Neues unter der Sonne. "Der Campus" erlaubt dem Leser die Einblicke, die ihm jede Reportage ebenso gewährt. Nicht einmal Student oder Professor muß jemand sein, um die Geschehnisse nachvollziehen zu können. Jeder Angestellte im Büro hat die von Schwanitz im Modus eins zu eins erzählten Stories schon erlebt oder von ihnen gehört. Schwanitz' Campus ist die normale, schlimm-gewöhnliche Welt der Büros, in denen der Abteilungsleiter gegen den Direktor, der Direktor mit der Sekretärin, die Sekretärin mit wem auch immer. Aber Büroschriftsteller klingt unendlich viel schlichter als Campusschriftsteller. Diese sublime Selbstfeierung wird in "Der Zirkel" noch gesteigert, ohne allerdings das Niveau des Surrealen zu erreichen. Nun geht es um Verbrechen, Spionage, Liebe, Tod, fingierte Doktorarbeiten und ein Netzwerk, einen Zirkel von zwanzigtausend Wissenschaftlern, die von der Stasi angeheuert worden sind.
Natürlich ist Schwanitz ironisch, natürlich amüsiert er sich über die Allüren der universitären Szene. In der Tat: Der Campusroman holt den Campus auf die Erde zurück. Die professoralen Wissenschaftler sind auch nur Menschen. Zwar haben sie einige Privilegien, letztlich reisen, flirten, trinken, betrügen, intrigieren sie aber wie alle anderen auch. Und doch feiert die Ironie das Ironisierte. Distanz stellt sich nicht ein. Der Leser ist immer ganz nah dran. Die große Entlarvung entlarvt sich selbst, als großes Fest des Dekuvrierten, als Fest des alltäglichen Lebens, eines Lebens, das man in den Soaps im Fernsehen, bei den Nachbarn oder bei sich selbst beobachten kann. Das Leben ist das Leben. Der Campus gerät zur Staffage gewöhnlicher Begierden, denen ein wenig Exotik eingeflößt wird. Posten- und Fleischeslust in fröhlicher Eintracht. Aber ist das Leben Literatur?
Dietrich Schwanitz hat inzwischen Nachahmer gefunden. Dorothee Nolte pickte sich zwei Hauptbegriffe heraus und formte daraus einen Buchtitel: "Die Intrige. Ein Campus-Roman". Eine ziemlich abwegige Geschichte um eine erfolgreiche Autorin, die sich dem Thema der Intrige verschrieben hat, und um Studenten aus einem Seminar über die Intrige. Spannung kommt nicht auf bei der Aufdeckung der dunklen Vergangenheit der berühmten Schriftstellerin, und auf den Campus wartet der Leser bis zur letzten Seite vergebens. Eine Tromperie. Eckhard Bodenstein hingegen täuscht seine Leser keinen Augenblick. Der Titel sagt alles. "Das Ernie-Prinzip. Ein Campus-Roman". Wahrscheinlich handelt es sich nach "Lohmanns Ohren" um den zweitschlechtesten Campusroman, der jemals geschrieben wurde. Das Ernie-Prinzip: faule Professoren, die sich allenfalls zwei Tage in der Woche an ihrer Provinzuniversität aufhalten und ansonsten das Leben genießen.
Sind Campusromane Spiegel? Spiegeln sie die universitäre Situation je nach Zeit und Ort? Sie treten mit dem Anspruch auf, etwas über die akademische Welt auszusagen. David Lodge, Carl Djerassi, Dietrich Schwanitz wollen dekuvrieren, der Realität entsprechen - und verfehlen genau deshalb die Literatur. Die universitäre Schriftstellerei versucht zu vermitteln, zwischen der Schrift, dem Leser und der Institution. Die Campusromane sind sachbezogen, aufklärerisch-dekuvrierend und dadurch nichtssagend. Was sie sagen, kann man besser in der Zeitung lesen oder, wenn man auf eine atmosphärische Beschreibung von Studienbedingungen gespannt ist, in Boris Pasternaks "Geleitbrief" von 1931, der wunderbare Passagen zu seinem Studium in Marburg bei Hermann Cohen enthält, in Henry Benraths "Die Mutter der Weisheit" von 1933, dem "Roman eines Jahres" in einer deutschen Universitätsstadt vor dem Ersten Weltkrieg und einer gescheiterten Promotion, oder auch auf einigen treffenden Seiten in "Borges gibt es nicht" von Gerhard Köpf, wo ein Professor für Lusitanistik Tausende Seiten Schwanitz, Lodge & Co. vergessen läßt.
Wer mehr will, nämlich gute fabulae, hat keine große Auswahl. Und er muß die nationalen Grenzen überschreiten. Vielleicht ein guter Anfang, um sich der Hoffnungen, die eine Einrichtung wie die Universität, mit dem Versprechen des Zugangs zur höheren Bildung, zum Reich der Kenntnisse, zum Olymp der Ideen, hervorrief, zu erinnern, wäre Thomas Hardys "Jude the Obscure". Oder "Pnin" (1957), der sonderbare Professor Vladimir Nabokovs, der mit einer köstlichen Episode eines vertauschten Vortragsmanuskripts beginnt. Es sollte nicht der einzige Verlust bleiben. Aber auch Martin Walsers Gastdozenturgeschichte in Kalifornien, "Brandung", ein sprachmächtiges Buch, die Geschichte eines Ausbruchs.
Antonia S. Byatt gehört auch zu dieser kleinen Schar von Poeten, die der Universität und der Wissenschaft keine Spiegel vorhalten. In "Possession", "Besessen", ist es ein junger Forscher, der auf ein verborgenes Manuskript stößt, das zu einer lange zurückliegenden Liebesgeschichte ins neunzehnte Jahrhundert und zu einer bevorstehenden Liebesgeschichte im zwanzigsten Jahrhundert führt; ein schwieriges, anstrengendes Buch über Entdeckungen. Oder Pascal Mercier - das Pseudonym für einen Schweizer Linguistikdozenten - mit "Perlmanns Schweigen". Der Sprachwissenschaftler Perlmann organisiert ein Seminar mit hochkarätigen Kollegen an der ligurischen Küste. Schon seit einiger Zeit ist er ein "Mann ohne Meinungen". Selbstzweifel plagen ihn, und schließlich begeht er sogar fast einen Mord. Auch hier wird eine einfühlsame Geschichte über die condition humaine des Wissenschaftlers erzählt, eine Geschichte über Zweifel und Verzweiflung.
Dabei muß es nicht immer eine erfundene Geschichte sein. Ted Anton hat ein spannendes und lehrreiches Porträt über den Nachfolger des berühmten Religionsphilosophen Mircea Eliade geschrieben. Auch Ioan Culianu war Rumäne, studierte im Regime Ceausescus, emigrierte, machte Karriere in Italien, Holland und Chicago, bis er 1991 ermordet wurde. Bis heute ist der Mord nicht aufgeklärt. "Der Mord an Professor Culianu" ist eine brillante Wissenschaftlerbiographie. Und schließlich darf Stanislaw Lem nicht fehlen bei den Geschichten aus Academia. "Der futurologische Kongreß" gestattet einen Blick in die Zukunft mit ebenso komischen wie treffenden Beobachtungen der Gegenwart.
Bleibt "Alle Seelen" von Javier Marías. Es ist die Geschichte des Aufenthaltes eines Spanischlektors in diesem "unveränderlichen und ungastlichen und in Sirup konservierten Ort", in Oxford. Wer nur ein einziges Campusbuch lesen möchte, sollte dieses zur Hand nehmen. Die Worte und Sätze, mit denen Marías den Pförtner, High Table, Frauen, Kollegen, den Bahnhof beschreibt, lassen den Leser nicht mehr los. Hier zeigt sich die Macht der Literatur. "Bisweilen erweist sich das wahre Wissen als bedeutungslos, und dann kann man es erfinden."
Der Autor ist Jurist und arbeitet am Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Campusroman und was statt dessen lesenswert ist: Eine kommentierte Bibliographie zur Debatte um die deutsche Universität / Von Rainer Maria Kiesow
Mitunter ist selbst an Universitäten physische Abwesenheit besser als Geistesgegenwart. "Die beiden Schläge trafen Lohmann völlig unerwartet auf beide Ohren. Glas und Vase zersprangen, und vor allem das linke, stark in Mitleidenschaft gezogene Ohrläppchen entließ einen rötlichen Schwall Flüssigkeit, die sofort den noch erhobenen, rechten Arm von Schmitt einfärbte." So geht es zu, wenn sich zwei Ordinarien für Germanistische Linguistik an der Universität München nicht leiden mögen. Professor Schmitt hielt die Sottisen seines Kollegen Lohmann nicht mehr aus - und schlug zu. Dann verschwand er. Ein paar Tage später taucht er wieder auf, in Paris, wo er einen Lehrstuhl am Collège de France angetragen bekommt. Lohmann, der sich so sehr um diesen Karrierehöhepunkt bemüht hatte, geht leer aus. In der Zwischenzeit wird ein französischer Gastprofessor tot aufgefunden, die Studenten, Assistenten, Mitarbeiter, Professoren der germanistischen Fakultät saufen, huren, stehlen und praktizieren bizarre magische Kulte.
Ein bißchen Chomsky, ein Hauch Whorfscher Relativismus, eine Messerspitze Krim-Gotisch, nicht zuwenig Patholinguistik und die unvermeidlichen Merseburger Zaubersprüche, Bier, Sex und Gewalt - das alles aufkochen lassen und schon ist "Eine akademische Erzählung aus dem universitären Alltag" mit dem Obertitel "Lohmanns Ohren" (Dettelbach 1999) fertig. Natürlich geht es so an keiner deutschen Universität zu. Mitnichten handele es sich um das Vorhalten eines Spiegels, betont der Autor, Matthias Karlson, in seinem Vorwort. Die Geschichte sei vielmehr ein Märchen, das "in keinster Weise ,politically correct' ist". In der Tat, die Masse an abstrusen Verhaltensweisen der geschilderten akademischen Gesellschaft kommt der Wirklichkeit nicht nahe. Doch auf die Spiegel-Qualität kommt es auch nicht an, sondern auf die Qualität des Märchens. Und da gibt es keine Zweifel. Es ist das schlechteste Märchen seit langem. Ein dialogischer Wortschwall, dessen Merkmal die banale, weil rein quantitative Übertreibung menschlicher Basisaktivitäten ist.
Bereits vor über dreihundert Jahren hatte Everhardus Guernerus Happelius den Universitätsangehörigen dieses Menschentum als Spiegel vorgehalten. Happelius war ein Modeschriftsteller, nach abgebrochenem Studium der Medizin, Mathematik und Jurisprudenz. Die Welt der Reichen, Schönen und Blaublütigen faszinierte ihn. Romane aus der galanten Welt waren die Folge. Innere Bedeutungslosigkeit, Haltlosigkeit und Weitschweifigkeit sahen Kritiker in Happelius' literarischen Ergüssen regieren. Einer der Titel dieser Werke: "Der Academische Roman, Worinnen Das Studenten-Leben fürgebildet wird; Zusamt allem / was auf den Universitäten passiret / wie diese bestellet werden / wie die Professiones und Facultäten eingetheilet sind, was deß Rectoris Magnifici, Decani, Professoren / Studenten / Pedellen / &c. Amt und Privilegia, wie und welcherley Gradus man conferiret / wie viel Universitäten / hohe und andere berühmte Schulen und Collegia jetzo in ganz Europa; Wann der Pennalismus abgeschaffet; Was für Excessen die Studenten offt begehen was die Bacchanten für Leute / und was man von dem Academischen Leben zu wissen verlangen mag. Das Gute zur Lehre / das Böse aber zur Warnung der Ehrliebenden Jugend / in einer schönen Liebes-Geschichte fürgestellet."
Eine echte academic novel aus deutschen Landen, der erste veritable Universitätsroman, aus dem Jahre 1690. Heute ist Happelius vergessen und Karlson ein würdiger Nachfolger in mediocritatem. Die Universität ist eine jener seltsamen Wirklichkeiten, die seit langem Schriftsteller zu Beschreibungen, zu sogenannten literarischen Spiegelungen inspiriert haben. Vom Mittelalter an bis zu Oxford und Cambridge - seit dem siebzehnten Jahrhundert ertönen Klagen über die Universität. Die Wissenschaftler sind "trübsinnig und finster, streng, traurig, trocken, düster". Und die Professoren? "Eure größten Gelehrten sind doch in der Regel nichts anderes als einfältige, windelweiche Gesellen in ihrem äußeren Gebaren, abgeschmackt und lächerlich in den Augen der anderen, und ganz und gar unerfahren im weltlichen Geschäft." So Robert Burton in seiner "Anatomy of Melancholy, What it is" aus dem Jahre 1621. Bis ins neunzehnte Jahrhundert änderte sich anscheinend nicht viel. Studentische Vergnügungen, nutzlose Studien, verschrobene Professoren, niedriges wissenschaftliches Niveau: Auf dem Kontinent reagierte man mancherorts mit Reformuniversitäten, auf der Insel und in der Neuen Welt entstand ein neues literarisches Genre, der Universitätsroman. Einer der ganz wenigen Bibliographen des Genres zählt für den Zeitraum von 1828 bis 1979 in einer Bibliographie zur american college novel 425 Titel auf. Bezieht man die bislang völlig jenseits des Forscherinteresses liegenden französischen, deutschen oder gar italienischen und kanadischen Universitäts- und Wissenschaftsromane mit ein, dürfte es mehr als ein halbes Tausend akademischer Geschichten in Romanform geben.
Eine Geschichte des Universitätsromans könnte damit beginnen, wie im neunzehnten Jahrhundert zunächst in England die komische campus novel, dann, in England und Amerika, der akademische Bildungsroman aufkam, und damit fortfahren, wie später in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts der Umschwung von der Scholaren- zur Professorenperspektive stattfand; paradoxerweise im Zuge der schleichenden Demokratisierung der Universität. Sie könnte damit schließen, wie später die Studenten die Macht übernahmen, als es um Gang, Sitz, Lehre und Liebe ging, und wie schließlich der Betrieb der Universität und die Art und Weise der Gewinnung von wissenschaftlicher Erkenntnis die Autoren umtrieben.
Wäre es sinnvoll, eine solche Geschichte als die von Annäherungen an die akademische Wirklichkeit zu schreiben? Kriminalromane werden in der Sekundärliteratur nicht zum Campusgenre gezählt. Als Fiktion par excellence fehlt dem professionellen Forschungsleser der Spiegel, die Abbildung der Situation an der Universität. Und doch sind viele der lieferbaren Romane aus dem Universitätsmilieu Krimis. Der Campus spielt in diesen und anderen Kriminalgeschichten keine hervorragende Rolle. Die Universität ist eher der Ort des Geschehens als eine Institution, die in ihrer sozialen und politischen Struktur literarisch reflektiert wird. Akademische Spiegelungen fehlen - mit Ausnahme gelegentlicher Seitenhiebe auf Professorenmarotten, schlechte Verwaltung, mißgünstige Sekretärinnen und ungenießbares Mensaessen.
Auch in Deutschland gibt es seit einiger Zeit Krimis aus dem Universitätsmilieu. Doch welch ein Unterschied zu den modernen Meistern der anglo-amerikanischen Suspense-Unterhaltungsliteratur! Vier Bücher sind derzeit auf dem Markt. Heiner Trudt hat mit "Bockenheimer Bouillabaisse. Ein Uni-Krimi" eine fades Süppchen angesetzt, in dem ein kulinarisch interessierter Kommissar den Mord an einer auch im Auftrag der Industrie forschenden Frankfurter Physikprofessorin aufklärt. Nach kurzen 150 Seiten ist der Fall gelöst. Bemerkenswert an dem Krimi ist nur das Anagramm: Heiner Trudt gleich Hundertdrei. 103 Studenten an der Frankfurter Universität, am Institut für deutsche Sprache und Literatur II, haben im Rahmen eines Seminars, das dem Schreiben eines Kriminalromans gewidmet war, simultan die vorliegende Story geschrieben. Dies ist wahrhaft eine Leistung - wenn der Leser nur von der Publikation des schlichten Ergebnisses verschont geblieben wäre.
Thea Dorn wurde mit ihrem Romandebüt "Berliner Aufklärung" nicht nur in dieser, sondern auch in der "Bild"-Zeitung gelobt: "Sehr grausam. Sehr witzig. Sehr klug". Das erste stimmt, über das zweite läßt sich nicht streiten, das dritte möchte so scheinen. Eine prätentiöse Geschichte, die so beginnt: "Teil 1. Ein fragmentiertes Selbst. Es war kein schöner Mord. Aber ein echter. Die Möglichkeit, daß sich Professor Doktor Rudolf Schreiner selbst in vierundfünfzig Teile zerlegt, in Gefrierbeutel verpackt und gleichmäßig auf die vierundfünfzig Postfächer des Philosophischen Instituts an der Universität Berlin verteilt hatte, konnte ausgeschlossen werden." In der Tat. Aristoteles, Nietzsche, Wagner, feministische Theorie, Kommunitarismus, philosophische Praxis, Lebenshilfe - das Buch ist gewissermaßen mit halbgelahrten Motiven gut ausgestattet, eingerichtet von einer akademischen Philosophin als Autorin.
Das dritte deutsche Campus-Krimi-Ereignis war 1998 in der "rororo thriller"-Reihe unter dem Titel "Amoklauf im Audimax. Die blutigsten Unis. Die gemeinsten Professoren. Die bösesten Studenten" erschienen. Vierzehn Kurzgeschichten sind hier versammelt. "Dietrich Schwanitz u. a." steht auf dem Umschlag und dem Titelblatt als Autorenhinweis. Nicht das Alphabet oder die Qualität zählt, sondern Prominenz. Die anderen Verfasser haben Stories nach dem Motto des Vorspanns geliefert: "Bildung kann das Leben kosten". So ist es: "Es geht in den schwarzen Stories nicht mehr darum, das Humboldtsche Bildungsideal, sondern die nackte Haut auf dem Campus zu retten." Schwanitz steuert "Die nackte Wahrheit" bei, deren nackte Wahrheit darin besteht, daß sie eine stark eingedampfte, etwas orientalischer parfümierte Version des zwei Monate zuvor erschienenen Romans "Der Zirkel" ist. Der vierte deutsche Uni-Krimi schließlich ist ein historischer und spielt im Heidelberg des vierzehnten Jahrhunderts. Der Jurist ("Lehrstuhl für Römisches Recht") Jovan Palac kommt neu an die Universität und löst gleich einen Mord. Leider hat nicht Umberto Eco diese Geschichte erzählt, sondern Helga Glaesener in "Die Rechenkünstlerin". Die Morde an Deutschlands Unis sind auch hier ebenso phantastisch wie die an den amerikanischen, englischen und israelischen Hochschulen, aber der Campus dient hier nicht einmal als Milieu, sondern nur als Kulisse.
Sind Campusromane also Literatur? Entsteht Literatur erst dort, wo die beschriebene Welt unbekannt ist? Waren nicht selbst die berühmten Literaten des Realismus und Naturalismus dem Kosmos, den sie beschrieben, vollständig entrückt? Einem Kosmos - seien es Webstuben, Bergwerke oder die Pariser Hallen -, den sie mit der Darstellung überhaupt erst schufen. Wissenschaftler stehen auf dem Boden der Tatsachen. Deshalb ist es für Wissenschaftler - Historiker wie Physiker, Soziologen wie Biologen, Anglisten wie Germanisten - so schwierig, den poetischen Blick anzunehmen. Die campus novels, deren Autoren meist Wissenschaftler sind, bezeugen dies auf dem Feld der Poesie, einer Poesie, die sich nicht entfaltet, sondern im besten Fall zum amüsanten schriftstellernden Bericht verkümmert.
Aber auch von seiten seines Gegenstandes, der Universität, leidet der Campusroman. Im Kern verrottet, wird die Alma mater nur mehr verwaltet. Der Gang durch die Institutionen endete in der Administration. Frauenbeauftragte, studentische Mitbestimmung, Massenabfertigung, Gremien, kurz: Demokratisierung und Bürokratisierung hielten Einzug. In den Medien wurde das Thema "Bildungspolitik" populär. Interviews, Hintergrundberichte, Reportagen, Dossiers zur "Krise der Universität" jagten einander. Dietrich Schwanitz, als Professor für englische Literatur an der Universität Hamburg ein Insider der Verhältnisse, erkannte die Zugkraft des Themas. Ein bißchen Sex und ein wenig gerade aus Amerika importierte Correctness beigemischt - schon war "Der Campus" fertig. Die Kritik jubelte über das "witzige", "glänzend geschriebene", "rotzfreche" "akademische Höllenspektakel". Die Melange stimmte einfach: eine angeblich vergewaltigte Studentin, ein lüsterner Professor, politische Intrigen, feministische Attacken, Gesinnungsterrorismus und Sensationsgier an der Universität. Und doch gilt gerade bei Schwanitz: nichts Neues unter der Sonne. "Der Campus" erlaubt dem Leser die Einblicke, die ihm jede Reportage ebenso gewährt. Nicht einmal Student oder Professor muß jemand sein, um die Geschehnisse nachvollziehen zu können. Jeder Angestellte im Büro hat die von Schwanitz im Modus eins zu eins erzählten Stories schon erlebt oder von ihnen gehört. Schwanitz' Campus ist die normale, schlimm-gewöhnliche Welt der Büros, in denen der Abteilungsleiter gegen den Direktor, der Direktor mit der Sekretärin, die Sekretärin mit wem auch immer. Aber Büroschriftsteller klingt unendlich viel schlichter als Campusschriftsteller. Diese sublime Selbstfeierung wird in "Der Zirkel" noch gesteigert, ohne allerdings das Niveau des Surrealen zu erreichen. Nun geht es um Verbrechen, Spionage, Liebe, Tod, fingierte Doktorarbeiten und ein Netzwerk, einen Zirkel von zwanzigtausend Wissenschaftlern, die von der Stasi angeheuert worden sind.
Natürlich ist Schwanitz ironisch, natürlich amüsiert er sich über die Allüren der universitären Szene. In der Tat: Der Campusroman holt den Campus auf die Erde zurück. Die professoralen Wissenschaftler sind auch nur Menschen. Zwar haben sie einige Privilegien, letztlich reisen, flirten, trinken, betrügen, intrigieren sie aber wie alle anderen auch. Und doch feiert die Ironie das Ironisierte. Distanz stellt sich nicht ein. Der Leser ist immer ganz nah dran. Die große Entlarvung entlarvt sich selbst, als großes Fest des Dekuvrierten, als Fest des alltäglichen Lebens, eines Lebens, das man in den Soaps im Fernsehen, bei den Nachbarn oder bei sich selbst beobachten kann. Das Leben ist das Leben. Der Campus gerät zur Staffage gewöhnlicher Begierden, denen ein wenig Exotik eingeflößt wird. Posten- und Fleischeslust in fröhlicher Eintracht. Aber ist das Leben Literatur?
Dietrich Schwanitz hat inzwischen Nachahmer gefunden. Dorothee Nolte pickte sich zwei Hauptbegriffe heraus und formte daraus einen Buchtitel: "Die Intrige. Ein Campus-Roman". Eine ziemlich abwegige Geschichte um eine erfolgreiche Autorin, die sich dem Thema der Intrige verschrieben hat, und um Studenten aus einem Seminar über die Intrige. Spannung kommt nicht auf bei der Aufdeckung der dunklen Vergangenheit der berühmten Schriftstellerin, und auf den Campus wartet der Leser bis zur letzten Seite vergebens. Eine Tromperie. Eckhard Bodenstein hingegen täuscht seine Leser keinen Augenblick. Der Titel sagt alles. "Das Ernie-Prinzip. Ein Campus-Roman". Wahrscheinlich handelt es sich nach "Lohmanns Ohren" um den zweitschlechtesten Campusroman, der jemals geschrieben wurde. Das Ernie-Prinzip: faule Professoren, die sich allenfalls zwei Tage in der Woche an ihrer Provinzuniversität aufhalten und ansonsten das Leben genießen.
Sind Campusromane Spiegel? Spiegeln sie die universitäre Situation je nach Zeit und Ort? Sie treten mit dem Anspruch auf, etwas über die akademische Welt auszusagen. David Lodge, Carl Djerassi, Dietrich Schwanitz wollen dekuvrieren, der Realität entsprechen - und verfehlen genau deshalb die Literatur. Die universitäre Schriftstellerei versucht zu vermitteln, zwischen der Schrift, dem Leser und der Institution. Die Campusromane sind sachbezogen, aufklärerisch-dekuvrierend und dadurch nichtssagend. Was sie sagen, kann man besser in der Zeitung lesen oder, wenn man auf eine atmosphärische Beschreibung von Studienbedingungen gespannt ist, in Boris Pasternaks "Geleitbrief" von 1931, der wunderbare Passagen zu seinem Studium in Marburg bei Hermann Cohen enthält, in Henry Benraths "Die Mutter der Weisheit" von 1933, dem "Roman eines Jahres" in einer deutschen Universitätsstadt vor dem Ersten Weltkrieg und einer gescheiterten Promotion, oder auch auf einigen treffenden Seiten in "Borges gibt es nicht" von Gerhard Köpf, wo ein Professor für Lusitanistik Tausende Seiten Schwanitz, Lodge & Co. vergessen läßt.
Wer mehr will, nämlich gute fabulae, hat keine große Auswahl. Und er muß die nationalen Grenzen überschreiten. Vielleicht ein guter Anfang, um sich der Hoffnungen, die eine Einrichtung wie die Universität, mit dem Versprechen des Zugangs zur höheren Bildung, zum Reich der Kenntnisse, zum Olymp der Ideen, hervorrief, zu erinnern, wäre Thomas Hardys "Jude the Obscure". Oder "Pnin" (1957), der sonderbare Professor Vladimir Nabokovs, der mit einer köstlichen Episode eines vertauschten Vortragsmanuskripts beginnt. Es sollte nicht der einzige Verlust bleiben. Aber auch Martin Walsers Gastdozenturgeschichte in Kalifornien, "Brandung", ein sprachmächtiges Buch, die Geschichte eines Ausbruchs.
Antonia S. Byatt gehört auch zu dieser kleinen Schar von Poeten, die der Universität und der Wissenschaft keine Spiegel vorhalten. In "Possession", "Besessen", ist es ein junger Forscher, der auf ein verborgenes Manuskript stößt, das zu einer lange zurückliegenden Liebesgeschichte ins neunzehnte Jahrhundert und zu einer bevorstehenden Liebesgeschichte im zwanzigsten Jahrhundert führt; ein schwieriges, anstrengendes Buch über Entdeckungen. Oder Pascal Mercier - das Pseudonym für einen Schweizer Linguistikdozenten - mit "Perlmanns Schweigen". Der Sprachwissenschaftler Perlmann organisiert ein Seminar mit hochkarätigen Kollegen an der ligurischen Küste. Schon seit einiger Zeit ist er ein "Mann ohne Meinungen". Selbstzweifel plagen ihn, und schließlich begeht er sogar fast einen Mord. Auch hier wird eine einfühlsame Geschichte über die condition humaine des Wissenschaftlers erzählt, eine Geschichte über Zweifel und Verzweiflung.
Dabei muß es nicht immer eine erfundene Geschichte sein. Ted Anton hat ein spannendes und lehrreiches Porträt über den Nachfolger des berühmten Religionsphilosophen Mircea Eliade geschrieben. Auch Ioan Culianu war Rumäne, studierte im Regime Ceausescus, emigrierte, machte Karriere in Italien, Holland und Chicago, bis er 1991 ermordet wurde. Bis heute ist der Mord nicht aufgeklärt. "Der Mord an Professor Culianu" ist eine brillante Wissenschaftlerbiographie. Und schließlich darf Stanislaw Lem nicht fehlen bei den Geschichten aus Academia. "Der futurologische Kongreß" gestattet einen Blick in die Zukunft mit ebenso komischen wie treffenden Beobachtungen der Gegenwart.
Bleibt "Alle Seelen" von Javier Marías. Es ist die Geschichte des Aufenthaltes eines Spanischlektors in diesem "unveränderlichen und ungastlichen und in Sirup konservierten Ort", in Oxford. Wer nur ein einziges Campusbuch lesen möchte, sollte dieses zur Hand nehmen. Die Worte und Sätze, mit denen Marías den Pförtner, High Table, Frauen, Kollegen, den Bahnhof beschreibt, lassen den Leser nicht mehr los. Hier zeigt sich die Macht der Literatur. "Bisweilen erweist sich das wahre Wissen als bedeutungslos, und dann kann man es erfinden."
Der Autor ist Jurist und arbeitet am Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main.
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