Der Kulturjournalist Daniel Mandelkern steckt in einer Zwickmühle: seine Frau Elisabeth ist auch seine Chefin bei der Wochenzeitung, für die beide arbeiten. Und weil sich ihre Ehe gerade in der Krise befindet, schickt sie ihn an den Luganer See, damit er ein Porträt des mysteriösen Kinderbuchautors Dirk Svensson verfasst. Mandelkern ahnt dabei nicht, dass er in eine rätselhafte und tödliche Dreiecksgeschichte hineingezogen werden wird, die ihn nach New York, Brasilien und auf die Nachtseite der modernen Welt führt. Eine hochspannende Reise, von Thomas Pletzinger mit großer sprachlicher Finesse, atmosphärischer Dichte und ungeheurer Rasanz in Szene gesetzt.
»Ein vielschichtiger, rasant erzählter und intelligent aufgebauter Roman... sehr lesenswert!« NDR
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2008Mit dem Marsmädchen in Astroland
Dein Name sei Mandelkern: Thomas Pletzingers Debüt / Von Richard Kämmerlings
Man könnte Romane einmal zu Versuchszwecken in zwei Gruppen aufteilen - nach dem Kriterium, ob die Figuren dort mit Vor- oder mit Nachnamen bezeichnet werden. Nachnamen, so eine Arbeitshypothese, klingen, im Deutschen jedenfalls, cooler, moderner, natürlich professioneller und weniger aufdringlich. Jede Tyrannei der Intimität wird durch sie ferngehalten; die Nennung oder gar Anrede mit dem bloßen Nachnamen gehört zum Habitus einer Verhaltenslehre der Kälte und ist zugleich Ausdruck einer problematisch gewordenen Identität: "Ich bin nicht Stiller" - wer kennt denn überhaupt den Vornamen von Max Frischs berühmtem Nicht-Subjekt?
"Du solltest mal wieder etwas Gelungenes schreiben, Mandelkern!", sagt die Ehefrau, die Mandelkern Elisabeth nennt, während eines langen, zermürbenden, nächtlichen Streits. Und dann, beim Versöhnungssex, "halt still, Mandelkern", ein weiterer Befehl, der leichter zu befolgen ist: "Elisabeth rief dann Daniel Daniel, sie rief Daniel mitten in mein Gesicht, sie meinte wohl tatsächlich mich."
Der freie Journalist Daniel Mandelkern und seine Frau (und Chefin) Elisabeth sind in einer Krise. In ihrer teuren Hamburger Altbauwohnung gibt es "ein leeres Zimmer, das wir Gästezimmer nennen". Elisabeth will ein Kind; er will erst einmal über alles reden, daher schickt sie ihn als seine Redaktionsleiterin übers Wochenende weg mit einem Sonderauftrag an den Luganer See: "Dirk Svensson: Gespräch & Porträt (Mandelkern)". 16 000 Zeichen also statt eines eindeutigen Signals, und Mandelkern überlegt verkatert auf der Flugzeugtoilette, "wann wir unsere Vornamen verloren haben. Wir haben doch einmal miteinander reden können, wir waren doch einmal gleich alt, wir haben doch einmal gewusst, wer wir sind (wir waren einmal: wir)."
Mandelkern, Anfang dreißig, ist Ethnologe, und Thomas Pletzinger lässt ihn gleich zu Beginn seines Debütromans eine fulminante "dichte Beschreibung" seiner eigenen Schieflage geben. Jedes Detail ist von Belang - die Rotweinsorte in der Nacht, das Gewicht des Fluggepäcks am Morgen und das Ritual der Sicherheitskontrolle: "Der Ring an meinem Finger hat keinen Alarm ausgelöst." Die Niederschrift dient zur Klärung; und auch das beabsichtigte Porträt wird zur Selbstvergewisserung. Denn der rätselhafte, zurückgezogen in der Schweiz lebende Svensson, Autor des Kinderbuch-Bestsellers "Die Geschichte von Leo und dem Nichtviel", spielt mit Mandelkern Verstecken, weicht allen Fragen aus und lädt ihn stattdessen in sein abgelegenes Haus am See ein. Aus dem Interview wird eine Home-Story, aus der Home-Story eine Lebensgeschichte, ein Roman eben.
Gemeinsam mit Mandelkern trifft eine junge schöne Finnin namens Tuuli mit ihrem kleinen Sohn in der schweizerischen Idylle ein. Ist es Svenssons Frau? Seine frühere Geliebte? Ist der Junge sein Sohn? Warum hat Svenssons alter, kranker Hund nur drei Beine? Und was hat das alles mit einem Kinderbuch über den Tod eines Freundes zu tun? Auf direktem Weg sind nicht einmal die elementarsten Dinge zu klären; so greift Mandelkern zur ethnologischen Methode der teilnehmenden Beobachtung: Er erklärt Tuuli zu seiner "Hauptinformantin" und verliebt sich in sie (sie duzt ihn sofort, er bleibt immer am "Sie" hängen).
Schließlich entdeckt Mandelkern ein Manuskript mit dem Titel "Astroland", einen autobiographischen Romanentwurf Svenssons, der die dramatische Geschichte einer Dreiecksbeziehung zwischen Svensson, Tuuli und dem - inzwischen gestorbenen - gemeinsamen Freund Felix erzählt. Die drei hatten sich als freiwillige Entwicklungshelfer in der brasilianischen Provinz kennengelernt und dann eine Weile, zur Zeit der Terroranschläge auf das World Trade Center, in New York gelebt. Hier wurde auch Tuulis Kind geboren. Während Mandelkern nur scheinbar spielerisch die Position des abwesenden Dritten einnimmt, wird er mit den Mitteln des Erzählens hineingezogen ins Lebensdrama Svenssons, in die Konstellation dreier umeinander kreisender und miteinander rivalisierender Menschen: ein Bermuda-Dreieck am Lago di Lugano.
Wie Pletzinger diese Geschichte nun erzählt, ist virtuos. Die eingefügten Auszüge aus "Astroland", schnell geschnitten, rauschhaft, radikal, bilden einen scharfen Kontrast zum Kammerspiel am ruhigen See. Während Mandelkern zweifelt und fragt, tastet und zögert, die Avancen Tuulis nur halbherzig erwidert, drückt Svensson in seinen Erinnerungen heftig auf das Gaspedal - ein Tempo- und Temperamentwechsel, der dem Roman sehr gut bekommt. Wie Svensson restalkoholsiert, mit blutverschmiertem Hemd und vor Eifersucht glühend durch das noch in Schockstarre verharrende New York irrt oder wie das Trio ins mörderische Chaos einer Wahlnacht in der brasilianischen Provinz gezogen wird - das sind erzählerische Bravourstücke, denen man mit angehaltenem Atem folgt. Auch an Svensson ist ein Ethnograph verlorengegangen; nicht umsonst verweist schon der Romantitel auf eine Art von Sepulkralkultur.
Eine Scharnierstelle der Geschichte ist ein grausiger (aber großartig geschilderter) Hahnenkampf, den das Trio in Brasilien erlebt und bei dem indirekt Felix und Svensson gegeneinander antreten. Männliche Rivalität ist ein Leitmotiv des Buches; auch Mandelkern wird von Svensson zum Duell gefordert, wenn auch nur beim Tischtennis, eine harmlose Reprise des fatalen Ringens um die Liebe Tuulis. Doch für Mandelkern wirkt die bis zum Schluss spannend bleibende Geschichte wie ein Katalysator für die überfällige Reaktion in eigener Sache.
Thomas Pletzinger erzählt direkt und schnörkellos, er hat eine zupackende und unverkrampfte Sprache für alles Körperliche und Sinnliche, gerade auch das Sexuelle, ohne dabei ins Posenhafte oder gar Prahlerische zu geraten. Zugleich legt der Roman ganz offen Fährten ins Intertexuelle: Uwe Johnsons "Jahrestage" oder Max Frischs "Montauk" werden als Folie der New-York-Passagen ebenso offen benannt wie die ethnologischen Klassiker von Malinowski bis Clifford Geertz, dessen Essay über "Balinesischen Hahnenkampf" ein Standardwerk ist.
"Dichte Beschreibung" ist in die Methode des Romans eingegangen: Es gibt keine nackten Fakten, keine unmittelbar der Abschilderung zugängliche Sphäre der Wirklichkeit, sondern stets nur Deutungen, in die der Erzähler selbst eingeschlossen ist. So ist Tuuli, das "Girl from Mars" aus dem mehrfach zu hörenden Song der Band Ash, für Mandelkern die exotische Möglichkeit eines anderen Lebens. Für sie gebe es nur Gegenwart und Zukunft, heißt es einmal und auch: "Erinnerung ist Sperrgepäck." Daher will Tuuli auch nicht wissen, wer der Vater ihres Kindes war, Felix oder Svensson, sondern nur, wer es werden könnte.
Am Schluss wird Mandelkern (unter anderem) klar, dass er seine abgebrochene Dissertation wiederaufnehmen wird: "Unsere Geschichten passen nicht auf eine Zeitungsseite. Ich bin die Zeitungsseiten leid, Elisabeth. Das Leben ist ein Wirbel und kein Strich." So lässt sich der Roman auch lesen als Reflexion über das Verhältnis von Journalismus und Literatur, über die komplexe Metamorphose von Wirklichkeit in Kunst. Svenssons Kinderbuch ist eine symbolische Verarbeitung eines gewaltigen Verlusts; die Buchillustrationen entstanden, analog dazu, als Gemälde nach einfachen Fotovorlagen.
Noch vertrackter wird das Buch, wenn man die Spur des Dreiecks und des dreibeinigen Hundes verfolgt: Mehrfach werden Svensson, Felix und Tuuli als "Borromäische Ringe" bezeichnet, eine verschlungene Struktur aus drei Kreisen, in denen Jacques Lacan seine Theorie des Realen, Symbolischen und Imaginären veranschaulicht hat. Das Reale, nach Lacan ein noch vorsprachlicher Schrecken oder Trauma, wäre das, was die Erzählung immer nur umkreist: das Kind, das Elisabeth einst bei der Geburt verlor, die Toten des 11. September, Felix' Tod, das verlorene Bein des Hundes. Das kann man, muss man aber nicht im Einzelnen aufdröseln. Thomas Pletzingers Roman ist auch so ein nahezu perfektes Debüt, intelligent, spannend, berührend, in einem Wort: Geistesgegenwartsliteratur.
Thomas Pletzinger: "Bestattung eines Hundes". Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008. 352 S., geb., 19,95 [Euro].
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Dein Name sei Mandelkern: Thomas Pletzingers Debüt / Von Richard Kämmerlings
Man könnte Romane einmal zu Versuchszwecken in zwei Gruppen aufteilen - nach dem Kriterium, ob die Figuren dort mit Vor- oder mit Nachnamen bezeichnet werden. Nachnamen, so eine Arbeitshypothese, klingen, im Deutschen jedenfalls, cooler, moderner, natürlich professioneller und weniger aufdringlich. Jede Tyrannei der Intimität wird durch sie ferngehalten; die Nennung oder gar Anrede mit dem bloßen Nachnamen gehört zum Habitus einer Verhaltenslehre der Kälte und ist zugleich Ausdruck einer problematisch gewordenen Identität: "Ich bin nicht Stiller" - wer kennt denn überhaupt den Vornamen von Max Frischs berühmtem Nicht-Subjekt?
"Du solltest mal wieder etwas Gelungenes schreiben, Mandelkern!", sagt die Ehefrau, die Mandelkern Elisabeth nennt, während eines langen, zermürbenden, nächtlichen Streits. Und dann, beim Versöhnungssex, "halt still, Mandelkern", ein weiterer Befehl, der leichter zu befolgen ist: "Elisabeth rief dann Daniel Daniel, sie rief Daniel mitten in mein Gesicht, sie meinte wohl tatsächlich mich."
Der freie Journalist Daniel Mandelkern und seine Frau (und Chefin) Elisabeth sind in einer Krise. In ihrer teuren Hamburger Altbauwohnung gibt es "ein leeres Zimmer, das wir Gästezimmer nennen". Elisabeth will ein Kind; er will erst einmal über alles reden, daher schickt sie ihn als seine Redaktionsleiterin übers Wochenende weg mit einem Sonderauftrag an den Luganer See: "Dirk Svensson: Gespräch & Porträt (Mandelkern)". 16 000 Zeichen also statt eines eindeutigen Signals, und Mandelkern überlegt verkatert auf der Flugzeugtoilette, "wann wir unsere Vornamen verloren haben. Wir haben doch einmal miteinander reden können, wir waren doch einmal gleich alt, wir haben doch einmal gewusst, wer wir sind (wir waren einmal: wir)."
Mandelkern, Anfang dreißig, ist Ethnologe, und Thomas Pletzinger lässt ihn gleich zu Beginn seines Debütromans eine fulminante "dichte Beschreibung" seiner eigenen Schieflage geben. Jedes Detail ist von Belang - die Rotweinsorte in der Nacht, das Gewicht des Fluggepäcks am Morgen und das Ritual der Sicherheitskontrolle: "Der Ring an meinem Finger hat keinen Alarm ausgelöst." Die Niederschrift dient zur Klärung; und auch das beabsichtigte Porträt wird zur Selbstvergewisserung. Denn der rätselhafte, zurückgezogen in der Schweiz lebende Svensson, Autor des Kinderbuch-Bestsellers "Die Geschichte von Leo und dem Nichtviel", spielt mit Mandelkern Verstecken, weicht allen Fragen aus und lädt ihn stattdessen in sein abgelegenes Haus am See ein. Aus dem Interview wird eine Home-Story, aus der Home-Story eine Lebensgeschichte, ein Roman eben.
Gemeinsam mit Mandelkern trifft eine junge schöne Finnin namens Tuuli mit ihrem kleinen Sohn in der schweizerischen Idylle ein. Ist es Svenssons Frau? Seine frühere Geliebte? Ist der Junge sein Sohn? Warum hat Svenssons alter, kranker Hund nur drei Beine? Und was hat das alles mit einem Kinderbuch über den Tod eines Freundes zu tun? Auf direktem Weg sind nicht einmal die elementarsten Dinge zu klären; so greift Mandelkern zur ethnologischen Methode der teilnehmenden Beobachtung: Er erklärt Tuuli zu seiner "Hauptinformantin" und verliebt sich in sie (sie duzt ihn sofort, er bleibt immer am "Sie" hängen).
Schließlich entdeckt Mandelkern ein Manuskript mit dem Titel "Astroland", einen autobiographischen Romanentwurf Svenssons, der die dramatische Geschichte einer Dreiecksbeziehung zwischen Svensson, Tuuli und dem - inzwischen gestorbenen - gemeinsamen Freund Felix erzählt. Die drei hatten sich als freiwillige Entwicklungshelfer in der brasilianischen Provinz kennengelernt und dann eine Weile, zur Zeit der Terroranschläge auf das World Trade Center, in New York gelebt. Hier wurde auch Tuulis Kind geboren. Während Mandelkern nur scheinbar spielerisch die Position des abwesenden Dritten einnimmt, wird er mit den Mitteln des Erzählens hineingezogen ins Lebensdrama Svenssons, in die Konstellation dreier umeinander kreisender und miteinander rivalisierender Menschen: ein Bermuda-Dreieck am Lago di Lugano.
Wie Pletzinger diese Geschichte nun erzählt, ist virtuos. Die eingefügten Auszüge aus "Astroland", schnell geschnitten, rauschhaft, radikal, bilden einen scharfen Kontrast zum Kammerspiel am ruhigen See. Während Mandelkern zweifelt und fragt, tastet und zögert, die Avancen Tuulis nur halbherzig erwidert, drückt Svensson in seinen Erinnerungen heftig auf das Gaspedal - ein Tempo- und Temperamentwechsel, der dem Roman sehr gut bekommt. Wie Svensson restalkoholsiert, mit blutverschmiertem Hemd und vor Eifersucht glühend durch das noch in Schockstarre verharrende New York irrt oder wie das Trio ins mörderische Chaos einer Wahlnacht in der brasilianischen Provinz gezogen wird - das sind erzählerische Bravourstücke, denen man mit angehaltenem Atem folgt. Auch an Svensson ist ein Ethnograph verlorengegangen; nicht umsonst verweist schon der Romantitel auf eine Art von Sepulkralkultur.
Eine Scharnierstelle der Geschichte ist ein grausiger (aber großartig geschilderter) Hahnenkampf, den das Trio in Brasilien erlebt und bei dem indirekt Felix und Svensson gegeneinander antreten. Männliche Rivalität ist ein Leitmotiv des Buches; auch Mandelkern wird von Svensson zum Duell gefordert, wenn auch nur beim Tischtennis, eine harmlose Reprise des fatalen Ringens um die Liebe Tuulis. Doch für Mandelkern wirkt die bis zum Schluss spannend bleibende Geschichte wie ein Katalysator für die überfällige Reaktion in eigener Sache.
Thomas Pletzinger erzählt direkt und schnörkellos, er hat eine zupackende und unverkrampfte Sprache für alles Körperliche und Sinnliche, gerade auch das Sexuelle, ohne dabei ins Posenhafte oder gar Prahlerische zu geraten. Zugleich legt der Roman ganz offen Fährten ins Intertexuelle: Uwe Johnsons "Jahrestage" oder Max Frischs "Montauk" werden als Folie der New-York-Passagen ebenso offen benannt wie die ethnologischen Klassiker von Malinowski bis Clifford Geertz, dessen Essay über "Balinesischen Hahnenkampf" ein Standardwerk ist.
"Dichte Beschreibung" ist in die Methode des Romans eingegangen: Es gibt keine nackten Fakten, keine unmittelbar der Abschilderung zugängliche Sphäre der Wirklichkeit, sondern stets nur Deutungen, in die der Erzähler selbst eingeschlossen ist. So ist Tuuli, das "Girl from Mars" aus dem mehrfach zu hörenden Song der Band Ash, für Mandelkern die exotische Möglichkeit eines anderen Lebens. Für sie gebe es nur Gegenwart und Zukunft, heißt es einmal und auch: "Erinnerung ist Sperrgepäck." Daher will Tuuli auch nicht wissen, wer der Vater ihres Kindes war, Felix oder Svensson, sondern nur, wer es werden könnte.
Am Schluss wird Mandelkern (unter anderem) klar, dass er seine abgebrochene Dissertation wiederaufnehmen wird: "Unsere Geschichten passen nicht auf eine Zeitungsseite. Ich bin die Zeitungsseiten leid, Elisabeth. Das Leben ist ein Wirbel und kein Strich." So lässt sich der Roman auch lesen als Reflexion über das Verhältnis von Journalismus und Literatur, über die komplexe Metamorphose von Wirklichkeit in Kunst. Svenssons Kinderbuch ist eine symbolische Verarbeitung eines gewaltigen Verlusts; die Buchillustrationen entstanden, analog dazu, als Gemälde nach einfachen Fotovorlagen.
Noch vertrackter wird das Buch, wenn man die Spur des Dreiecks und des dreibeinigen Hundes verfolgt: Mehrfach werden Svensson, Felix und Tuuli als "Borromäische Ringe" bezeichnet, eine verschlungene Struktur aus drei Kreisen, in denen Jacques Lacan seine Theorie des Realen, Symbolischen und Imaginären veranschaulicht hat. Das Reale, nach Lacan ein noch vorsprachlicher Schrecken oder Trauma, wäre das, was die Erzählung immer nur umkreist: das Kind, das Elisabeth einst bei der Geburt verlor, die Toten des 11. September, Felix' Tod, das verlorene Bein des Hundes. Das kann man, muss man aber nicht im Einzelnen aufdröseln. Thomas Pletzingers Roman ist auch so ein nahezu perfektes Debüt, intelligent, spannend, berührend, in einem Wort: Geistesgegenwartsliteratur.
Thomas Pletzinger: "Bestattung eines Hundes". Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008. 352 S., geb., 19,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Hätte Thomas Peltzinger es bei der Beziehungsgeschichte um den Journalisten Daniel Mandelkern und seiner Frau Elisabeth, die zu seiner Vorgesetzten wird, belassen, wäre Christoph Bartmann mit diesem Debütroman durchaus zufrieden gewesen. Leider strebt der Autor aber nach "mehr" und so setzt Elisabeth ihren Mann auf den Kinderbuchautor Svensson an, den ein dunkles Geheimnis umgibt, dessen Lüftung Bartmann allerdings keinen Deut interessiert. Es wird viel aus einem "geheimen Manuskript" des Kinderbuchautors zitiert, was als "Spiegelerzählung" zu einer Liebesgeschichte in seiner Vergangenheit zu lesen ist, so Bartmann weiter, der sich fragt, was denn durch diese "texttechnischen" Spielereien eigentlich an Mehrwert herauskommt. Irgendwie riecht ihm das bei aller Versiertheit, mit der Peltzinger sein Buch konstruiert, zu sehr nach "Schreibkurs" und er konstatiert bedauernd, dass der Autor sein Talent zu sehr unter "gängigem Fiktionsschmock" vergräbt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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