Um es gleich voranzustellen: Nein, in Deutschland kann niemand Beth Chattos Kiesgarten unverändert nachbauen. Selbst in England ginge das nur in der extrem trockenen und wintermilden Region in Essex, deren Boden besonders kies- und schotterhaltig ist. In ihrem Buch beschreibt Beth Chatto sehr
anschaulich, dass viele der Pflanzen, die bei ihr gedeihen, hochgradig spezialisiert sind und auch sie…mehrUm es gleich voranzustellen: Nein, in Deutschland kann niemand Beth Chattos Kiesgarten unverändert nachbauen. Selbst in England ginge das nur in der extrem trockenen und wintermilden Region in Essex, deren Boden besonders kies- und schotterhaltig ist. In ihrem Buch beschreibt Beth Chatto sehr anschaulich, dass viele der Pflanzen, die bei ihr gedeihen, hochgradig spezialisiert sind und auch sie immer wieder Überraschungen erlebt, positive wie negative. Ein Kiesgarten ist, wie jeder Garten, ein ewiges Experimentierfeld.
Und so geht es Beth Chatto auch nicht darum, eine Kopieranleitung zu liefern, sondern sie vermittelt die Herangehensweise, wie sie ihren Kiesgarten angelegt hat. Wie selektiert man für den Standort (möglicherweise) geeignete Pflanzenarten? Wie gestaltet man Beete und pflegt sie über die Jahre hinweg? Nach der kurzen, allgemeinen Einleitung geht es dann tatsächlich in den Garten, beginnend im Frühjahr und in weiteren Kapiteln dann durch die übrigen Jahreszeiten. Sie beschreibt die jeweils dominierenden Aspekte, Leit- und Begleitstauden, sowie deren Vorzüge und Nachteile. Der Leser benötigt ein gutes botanisches Grundwissen, denn meistens verwendet Beth Chatto nur die botanischen Namen, was z. T. auch daran liegt, dass sie häufig Wildformen oder deren Selektionen einsetzt, die oft keinen heimischen Namen besitzen. Auch in Deutschland sind Namen ausländischer Pflanzen meistens gärtnerisches Marketing und ändern sich mit den Moden. Ein systematischer botanischer Name bleibt immer eindeutig und gleich (oder wenn er sich ändert, kann man in Synonymlisten nachschauen).
Wer also über die nötigen botanischen Kenntnisse verfügt, der geht mit Beth Chatto durch ihre Beete und vor dem inneren Auge entstehen und vergehen mit jeder Jahreszeit neue Bilder. Sie hat einen ausgesprochen anschaulichen Stil, Pflanzenensembles und ihre Entwicklung zu beschreiben und integriert meist auch eigenes Erfahrungswissen über geeignete Standorte, Kombinationen oder Pflegemaßnahmen. Bei aller natürlicher „Wildheit“, die ihr Garten ausstrahlt, bleibt er dennoch ein Kunstprodukt, das der Pflege bedarf. Zahlreiche Abbildungen illustrieren den Text und rauben dem Leser gerne mal den Atem. Die Beete sind mit so unglaublich viel Geschmack und Fachkenntnis zusammengestellt, dass zumindest ich echte Minderwertigkeitskomplexe bekommen habe. Insbesondere Chattos untrügliches Gespür für perfekte Höhenstaffelung und die Verwendung abwechslungsreicher Blattstrukturen und -farben ist einfach nur bewundernswert. Ihre Schöpfung sieht das ganze Jahr über prachtvoll und doch sehr natürlich aus. Sie malt mit Pflanzen, wie ein Maler mit dem Pinsel.
„Beth Chattos Kiesgarten“ ist sehr inspirierend, steckt voller Erfahrungswissen und ungewöhnlicher Ideen, es ist eine Fundgrube selten verwendeter Pflanzenarten, die zwar hier nicht immer gedeihen, aber im Lauf der Zeit bekommt man ein Gespür dafür, wie Chatto ihre Pflanzen selektiert und kombiniert. Das Prinzip lässt sich nämlich auf jeden nur denkbaren Standort übertragen. Außer natürlich auf die traurigen Kieswüsten, die man heutzutage gerne als Vorgärten bezeichnet. Die haben mit Kiesgärten nichts zu tun. Aber wirklich gar nichts.