Drei Freunde und die dunkle Seite einer leuchtenden Stadt
Josef Frey, genannt Smokey, hat sein Leben als Mordermittler verbracht, doch seit fünf Jahren ist er raus. Morbus Bechterew, eine unheilbare Rückenkrankheit, zwingt ihn, den Blick auf den Boden zu richten, goldenen Münchener Boden. Mithilfe von Cannabis und endlosen Spaziergängen durch die Stadt will er seinen Schmerzen entkommen. Bis sein alter Freund Schani, der sich zuletzt als Immobilienhai einen unrühmlichen Namen gemacht hat, mit dem Gesicht nach unten in einer Baugrube liegt. Auf der Suche nach der Wahrheit über den Tod des Freundes muss Smokey weiter durch München laufen, denn er weiß: Die Antwort liegt irgendwo da draußen, in den Straßen seiner schönen und grausamen Stadt.
Josef Frey, genannt Smokey, hat sein Leben als Mordermittler verbracht, doch seit fünf Jahren ist er raus. Morbus Bechterew, eine unheilbare Rückenkrankheit, zwingt ihn, den Blick auf den Boden zu richten, goldenen Münchener Boden. Mithilfe von Cannabis und endlosen Spaziergängen durch die Stadt will er seinen Schmerzen entkommen. Bis sein alter Freund Schani, der sich zuletzt als Immobilienhai einen unrühmlichen Namen gemacht hat, mit dem Gesicht nach unten in einer Baugrube liegt. Auf der Suche nach der Wahrheit über den Tod des Freundes muss Smokey weiter durch München laufen, denn er weiß: Die Antwort liegt irgendwo da draußen, in den Straßen seiner schönen und grausamen Stadt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.10.2021Ja mei!
Tanja Webers Krimi „Betongold“
ist eine Münchner Milieustudie
München – Der Moni, der Schani und der Smokey sind seit der Jugend Freunde – mittlerweile betreibt einer eine Kneipe in Giesing, der andere ist Immobilienhai und der dritte Mordermittler im Ruhestand, geplagt von einem Morbus Bechterew, den er versöhnlich „den Russen auf seinem Rücken“ nennt. Die Hauptfiguren in Tanja Webers Krimi „Betongold“ sind tief im Münchner Stadtteil Giesing verwurzelt – und auch in einem Bairischen, das die Leserin sofort mitten ins Geschehen hineinzieht.
Eines Tages wird der Immobilien-Schani tot aufgefunden, und der Smokey kann das Thema nicht einfach ruhen lassen, sondern macht sich auf die Suche nach einem Täter. Seine Ermittlungen ziehen ihn hinein ins schmutzige Immobilien-Investment-Milieu, so unsympathisch wie thematisch naheliegend in der Stadt auf dem goldenen Boden. Dass die Handlung in München spielt, daran lässt Tanja Weber keinen Zweifel: Bauwerke und Viertel, die selbst Zugezogene direkt erkennen, sorgen für die angemessene Kulisse.
Und dann die Sprache: kein heftiger bairischer Dialekt, aber reichlich Artikel vor den Namen, jede Menge „ja mei’s“, dazu gescheite und depperte Buben, ein bissl Schmarrn und ein geradezu niedliches sich auf der Autobahn-Darennen. Der Protagonist Smokey, der wegen seiner Cannabis-Schmerztherapie so heißt, denkt mit düsterem, trockenem Humor in prägnant kurzen Sätzen und verarbeitet nicht nur den Verlust des Freundes, sondern gleich die eigene Vergangenheit.
Der Roman verspricht, die dunkle Seite der Großstadt zu zeigen, doch eigentlich ist der Smokey einer, der seine Stadt wirklich liebt. Heruntergedrückt haben ihn seine Arbeit und die viele Beschäftigung mit den Toten; er kann nicht mehr wirklich hinaufschauen wegen des Russen, eine auch für Depressionen typische Kopfhaltung. So kennt er besonders den Boden der Stadt gut. Tiefe Trauer empfindet man mit dem ehemaligen Kommissar, wenn er die Tiefpunkte seines Lebens Revue passieren lässt; Weber versteht sich gut darin, schmerzhafte Gefühle auszudrücken, ohne den schmalen Grat zum Kitsch zu überschreiten. Doch auch die schönen Zeiten gibt es – und sie werden wiederkehren. Auf der Suche nach einem Gefühl als Mordmotiv kommt nicht nur der Smokey der Wahrheit ziemlich nahe; auch als Leserin ahnt man, was passiert sein könnte. Bis dahin liest man eine ehrliche, urmünchnerische Milieustudie.
ROSANNA GROSSMANN
Tanja Weber: „Betongold“, Hoffmann und Campe, 240 Seiten, 20 Euro
LESENSWERT
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung des SZ-Archivs
Tanja Webers Krimi „Betongold“
ist eine Münchner Milieustudie
München – Der Moni, der Schani und der Smokey sind seit der Jugend Freunde – mittlerweile betreibt einer eine Kneipe in Giesing, der andere ist Immobilienhai und der dritte Mordermittler im Ruhestand, geplagt von einem Morbus Bechterew, den er versöhnlich „den Russen auf seinem Rücken“ nennt. Die Hauptfiguren in Tanja Webers Krimi „Betongold“ sind tief im Münchner Stadtteil Giesing verwurzelt – und auch in einem Bairischen, das die Leserin sofort mitten ins Geschehen hineinzieht.
Eines Tages wird der Immobilien-Schani tot aufgefunden, und der Smokey kann das Thema nicht einfach ruhen lassen, sondern macht sich auf die Suche nach einem Täter. Seine Ermittlungen ziehen ihn hinein ins schmutzige Immobilien-Investment-Milieu, so unsympathisch wie thematisch naheliegend in der Stadt auf dem goldenen Boden. Dass die Handlung in München spielt, daran lässt Tanja Weber keinen Zweifel: Bauwerke und Viertel, die selbst Zugezogene direkt erkennen, sorgen für die angemessene Kulisse.
Und dann die Sprache: kein heftiger bairischer Dialekt, aber reichlich Artikel vor den Namen, jede Menge „ja mei’s“, dazu gescheite und depperte Buben, ein bissl Schmarrn und ein geradezu niedliches sich auf der Autobahn-Darennen. Der Protagonist Smokey, der wegen seiner Cannabis-Schmerztherapie so heißt, denkt mit düsterem, trockenem Humor in prägnant kurzen Sätzen und verarbeitet nicht nur den Verlust des Freundes, sondern gleich die eigene Vergangenheit.
Der Roman verspricht, die dunkle Seite der Großstadt zu zeigen, doch eigentlich ist der Smokey einer, der seine Stadt wirklich liebt. Heruntergedrückt haben ihn seine Arbeit und die viele Beschäftigung mit den Toten; er kann nicht mehr wirklich hinaufschauen wegen des Russen, eine auch für Depressionen typische Kopfhaltung. So kennt er besonders den Boden der Stadt gut. Tiefe Trauer empfindet man mit dem ehemaligen Kommissar, wenn er die Tiefpunkte seines Lebens Revue passieren lässt; Weber versteht sich gut darin, schmerzhafte Gefühle auszudrücken, ohne den schmalen Grat zum Kitsch zu überschreiten. Doch auch die schönen Zeiten gibt es – und sie werden wiederkehren. Auf der Suche nach einem Gefühl als Mordmotiv kommt nicht nur der Smokey der Wahrheit ziemlich nahe; auch als Leserin ahnt man, was passiert sein könnte. Bis dahin liest man eine ehrliche, urmünchnerische Milieustudie.
ROSANNA GROSSMANN
Tanja Weber: „Betongold“, Hoffmann und Campe, 240 Seiten, 20 Euro
LESENSWERT
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Eine Dienstleistung des SZ-Archivs
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.11.2021Tod in der Vorortwelt
Krimis in Kürze: Tuomainen, McLean und Tanja Weber
Blurbs sind eine immer leicht inflationäre Währung. Aber wenn der finnische Regisseur Aki Kaurismäki über das Buch seines Landsmanns Antti Tuomainen sagt, es sei "einfach großartig", und wenn der Krimiautor Jan Costin Wagner zusammen mit seiner Frau Niina Katariina das Buch übersetzt hat, ist das Grund genug, das Urteil zu prüfen. "Der Kaninchen-Faktor" (Rowohlt, 352 S., br., 16,- Euro) ist zwar nicht so lakonisch wie ein Kaurismäki-Film, aber sein Humor ist eher von der schwärzeren Sorte.
Der Roman handelt vom Versicherungsmathematiker Henri, für den das Leben eine Gleichung mit zu vielen Unbekannten ist. Henri erbt von seinem verstorbenen Bruder ausgerechnet einen Abenteuerpark. Das klingt nach ein bisschen viel Konstruktion, lässt sich aber mit einem kuriosen Todesfall ziemlich gut an, bei dem das Ohr eines Riesenhasen im Park eine Schlüsselrolle spielt.
Der pedantische Henri entdeckt nicht nur hässliche finanzielle Unregelmäßigkeiten in der Buchführung des Parks, sondern im Laufe des Geschehens auch die Liebe zu einer Parkmitarbeiterin und Künstlerin mit etwas dubiosen Kontakten. Und er muss all seine mathematischen Fähigkeiten einsetzen, um mit den kriminellen Gläubigern des Bruders fertig zu werden. Das liest sich, versetzt mit etwas Schopenhauer und Finanzmarkttricks, sehr unterhaltsam, zumal auch der Riesenhase noch einmal zum Einsatz kommt.
"Cordie" (Polar, 377 S., br., 15,- Euro) von Felicity McLean ist nicht unbedingt ein klassischer Krimi, sondern eher Gespenster- und Coming-of-Age-Geschichte. Seine Qualität schmälert das nicht. Im Gegenteil. Tikka, die Icherzählerin, die ihre Eltern in der australischen Heimat besucht, lässt ein Ereignis aus ihrer Kindheit auch nach zwanzig Jahren nicht los: das Verschwinden dreier Schwestern aus der Vorortwelt. Eine wurde später tot aufgefunden, von den beiden anderen fehlt jede Spur.
Vor allem Cordie, die hübscheste der drei Töchter eines Predigers, glaubt Tikka immer wieder zu sehen, in der Stadt, im Bus - und dann löst das Bild sich wieder auf. Felicity McLean schreibt eine klare, anschauliche Prosa, sie spielt mit Motiven aus Joan Lindsays "Picknick am Valentinstag", und sie wechselt geschickt zwischen Rückblenden und Tikkas Gegenwart. So fällt Licht auf die Vorgeschichte des Verschwindens, es werden Fakten und Gründe erkennbar, ohne dass sich eine komplette Rekonstruktion ergäbe. Denn es geht auch nicht um Aufklärung eines Falls, sondern darum, dass Tikka sich am Ende befreit: "Nun erkannte ich es: Niemand wird es je wirklich wissen."
Alles andere als ein üblicher Krimiplot erwartet einen auch in Tanja Webers "Betongold" (Hoffmann und Campe, 240 S., geb., 20,- Euro), obwohl ein frühpensionierter Mordkommissar dabei ist. Es ist eher ein München-Roman, genauer gesagt: ein Obergiesing-Roman, weil sie da alle herkommen, sich seit der Kindheit kennen und immer noch dort wohnen: der Stani, der Smokey, der Moni. Dann liegt der Stani, ein Strizzi, tot in der Baugrube - ein Sturz, ein Mord? Smokey, der Ex-Kommissar, will es wissen. Er quält sich mit Morbus Bechterew, er nennt ihn "den Russen", der ihn zum gebückten Gang zwingt. Und sie nennen ihn "Smokey", weil er aus therapeutischen Gründen Cannabis raucht.
Man muss sich ein wenig daran gewöhnen, dass alle Vornamen mit dem bestimmten Artikel versehen werden, aber merkt schnell, dass es für Klang und Rhythmus von Webers Prosa genau das Richtige ist. Sie hat eine schöne, leicht melancholische Tonlage gefunden, die nah an der gesprochenen Sprache ist, ohne sich durch Mundart oder Slang anzubiedern. Und es ist erstaunlich, wie gut dieser Sound zur Gemütslage der Männer jenseits der sechzig passt.
"Hier fehlt etwas und da, aber es ist alles, wie es früher war, einfach nur weniger", heißt es einmal unübertroffen knapp über Smokey. Es gibt auch ein paar Rückblenden, aus denen klar wird, wie Stani zu Geld kam und sich verzockte oder Smokey von seiner Frau verlassen wurde. Es gibt am Ende auch einen Täter und einen, der sich opfert. Aber das ist gar nicht so wichtig, das muss halt sein. Wichtig ist die Stimmung, ist die Atmosphäre des Buches, die im letzten Satz auf den Punkt kommt, den man ruhig verraten kann: "Heim nach Giesing." PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Tuomainen, McLean und Tanja Weber
Blurbs sind eine immer leicht inflationäre Währung. Aber wenn der finnische Regisseur Aki Kaurismäki über das Buch seines Landsmanns Antti Tuomainen sagt, es sei "einfach großartig", und wenn der Krimiautor Jan Costin Wagner zusammen mit seiner Frau Niina Katariina das Buch übersetzt hat, ist das Grund genug, das Urteil zu prüfen. "Der Kaninchen-Faktor" (Rowohlt, 352 S., br., 16,- Euro) ist zwar nicht so lakonisch wie ein Kaurismäki-Film, aber sein Humor ist eher von der schwärzeren Sorte.
Der Roman handelt vom Versicherungsmathematiker Henri, für den das Leben eine Gleichung mit zu vielen Unbekannten ist. Henri erbt von seinem verstorbenen Bruder ausgerechnet einen Abenteuerpark. Das klingt nach ein bisschen viel Konstruktion, lässt sich aber mit einem kuriosen Todesfall ziemlich gut an, bei dem das Ohr eines Riesenhasen im Park eine Schlüsselrolle spielt.
Der pedantische Henri entdeckt nicht nur hässliche finanzielle Unregelmäßigkeiten in der Buchführung des Parks, sondern im Laufe des Geschehens auch die Liebe zu einer Parkmitarbeiterin und Künstlerin mit etwas dubiosen Kontakten. Und er muss all seine mathematischen Fähigkeiten einsetzen, um mit den kriminellen Gläubigern des Bruders fertig zu werden. Das liest sich, versetzt mit etwas Schopenhauer und Finanzmarkttricks, sehr unterhaltsam, zumal auch der Riesenhase noch einmal zum Einsatz kommt.
"Cordie" (Polar, 377 S., br., 15,- Euro) von Felicity McLean ist nicht unbedingt ein klassischer Krimi, sondern eher Gespenster- und Coming-of-Age-Geschichte. Seine Qualität schmälert das nicht. Im Gegenteil. Tikka, die Icherzählerin, die ihre Eltern in der australischen Heimat besucht, lässt ein Ereignis aus ihrer Kindheit auch nach zwanzig Jahren nicht los: das Verschwinden dreier Schwestern aus der Vorortwelt. Eine wurde später tot aufgefunden, von den beiden anderen fehlt jede Spur.
Vor allem Cordie, die hübscheste der drei Töchter eines Predigers, glaubt Tikka immer wieder zu sehen, in der Stadt, im Bus - und dann löst das Bild sich wieder auf. Felicity McLean schreibt eine klare, anschauliche Prosa, sie spielt mit Motiven aus Joan Lindsays "Picknick am Valentinstag", und sie wechselt geschickt zwischen Rückblenden und Tikkas Gegenwart. So fällt Licht auf die Vorgeschichte des Verschwindens, es werden Fakten und Gründe erkennbar, ohne dass sich eine komplette Rekonstruktion ergäbe. Denn es geht auch nicht um Aufklärung eines Falls, sondern darum, dass Tikka sich am Ende befreit: "Nun erkannte ich es: Niemand wird es je wirklich wissen."
Alles andere als ein üblicher Krimiplot erwartet einen auch in Tanja Webers "Betongold" (Hoffmann und Campe, 240 S., geb., 20,- Euro), obwohl ein frühpensionierter Mordkommissar dabei ist. Es ist eher ein München-Roman, genauer gesagt: ein Obergiesing-Roman, weil sie da alle herkommen, sich seit der Kindheit kennen und immer noch dort wohnen: der Stani, der Smokey, der Moni. Dann liegt der Stani, ein Strizzi, tot in der Baugrube - ein Sturz, ein Mord? Smokey, der Ex-Kommissar, will es wissen. Er quält sich mit Morbus Bechterew, er nennt ihn "den Russen", der ihn zum gebückten Gang zwingt. Und sie nennen ihn "Smokey", weil er aus therapeutischen Gründen Cannabis raucht.
Man muss sich ein wenig daran gewöhnen, dass alle Vornamen mit dem bestimmten Artikel versehen werden, aber merkt schnell, dass es für Klang und Rhythmus von Webers Prosa genau das Richtige ist. Sie hat eine schöne, leicht melancholische Tonlage gefunden, die nah an der gesprochenen Sprache ist, ohne sich durch Mundart oder Slang anzubiedern. Und es ist erstaunlich, wie gut dieser Sound zur Gemütslage der Männer jenseits der sechzig passt.
"Hier fehlt etwas und da, aber es ist alles, wie es früher war, einfach nur weniger", heißt es einmal unübertroffen knapp über Smokey. Es gibt auch ein paar Rückblenden, aus denen klar wird, wie Stani zu Geld kam und sich verzockte oder Smokey von seiner Frau verlassen wurde. Es gibt am Ende auch einen Täter und einen, der sich opfert. Aber das ist gar nicht so wichtig, das muss halt sein. Wichtig ist die Stimmung, ist die Atmosphäre des Buches, die im letzten Satz auf den Punkt kommt, den man ruhig verraten kann: "Heim nach Giesing." PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Weber versteht sich gut darin, schmerzhafte Gefühle auszudrücken, ohne den schmalen Grat zum Kitsch zu überschreiten.« Rosanna Großmann Süddeutsche Zeitung Bayern, 08.10.2021