"Ein wunderschöner, ein perfekter Text."
Klaus Kastberger, Jurymitglied des Bachmann-Preises
"Kraftlos ließ er sich auf die Matratze fallen und legte den Kopf auf das Kissen. Durch die weit geöffneten Fenster drang die warme, duftende Sommerluft und bewegte die Blätter über seinem Kopf. Erich schloss die Augen und lauschte für einige Sekunden dem leisen Knistern, das die Äste an der Tapete erzeugten. Der Stamm reichte bis zur Decke und sorgte dafür, dass die Krone sich fächerförmig ausbreitete.
Erich liebte den Geruch der Pflanzen, er erleichterte ihm den Schlaf. Seit die Nachbarin unter ihm gefragt hatte, ob auch er ein Problem mit feuchten Decken habe, war er noch vorsichtiger geworden. Niemand sollte ihm seinen Wald nehmen. Es war alles, was er noch hatte."
Erich ist über achtzig und verliert Stück für Stück seine Unabhängigkeit. Außerdem trauert er um die Liebe seines Lebens. Als junger Forscher hatte Erich eine Expedition in die Taiga unternommen. In jener Zeit hat er Schuld auf sich geladen, die bis heute nachwirkt und Erich vereinsamen lässt. Dann jedoch tritt Katharina in sein Leben. Sie ist von zu Hause ausgerissen, als ihr Vater die Familie verlassen hat.
Berührend und poetisch beschreibt Ada Dorian die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft, die um Schuld und Verrat, um Heimat und Entwurzelung kreist.
Klaus Kastberger, Jurymitglied des Bachmann-Preises
"Kraftlos ließ er sich auf die Matratze fallen und legte den Kopf auf das Kissen. Durch die weit geöffneten Fenster drang die warme, duftende Sommerluft und bewegte die Blätter über seinem Kopf. Erich schloss die Augen und lauschte für einige Sekunden dem leisen Knistern, das die Äste an der Tapete erzeugten. Der Stamm reichte bis zur Decke und sorgte dafür, dass die Krone sich fächerförmig ausbreitete.
Erich liebte den Geruch der Pflanzen, er erleichterte ihm den Schlaf. Seit die Nachbarin unter ihm gefragt hatte, ob auch er ein Problem mit feuchten Decken habe, war er noch vorsichtiger geworden. Niemand sollte ihm seinen Wald nehmen. Es war alles, was er noch hatte."
Erich ist über achtzig und verliert Stück für Stück seine Unabhängigkeit. Außerdem trauert er um die Liebe seines Lebens. Als junger Forscher hatte Erich eine Expedition in die Taiga unternommen. In jener Zeit hat er Schuld auf sich geladen, die bis heute nachwirkt und Erich vereinsamen lässt. Dann jedoch tritt Katharina in sein Leben. Sie ist von zu Hause ausgerissen, als ihr Vater die Familie verlassen hat.
Berührend und poetisch beschreibt Ada Dorian die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft, die um Schuld und Verrat, um Heimat und Entwurzelung kreist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.04.2017Was reizt die junge Frau am Greis?
Nicht ganz stilsicher: Ada Dorians Roman "Betrunkene Bäume"
"Ullstein fünf" heißt ein neuer Imprint des Berliner Traditionsverlags. Dabei bezieht sich "fünf" auf die fünf Söhne des Zeitungsverlegers Leopold Ullstein, die zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts den Ullstein Buchverlag gründeten. Autorennamen wie Irmgard Keun, Erich Maria Remarque oder Vicki Baum stehen für das damalige Haus Ullstein.
Die neue Reihe möchte an diese Tradition mit Büchern junger deutschsprachiger Autoren anknüpfen, die stark "im Heute verankert" und spannend erzählt sein sollen. Kein bescheidener Anspruch. Pro Halbjahr sollen vier Bücher erscheinen, fünf wären noch passender gewesen. Ada Dorian hat es in diese Buchreihe geschafft. Sie las in Klagenfurt, erhielt Förderungen und Aufenthaltsstipendien. Sie eröffnet das Programm mit ihrem Roman "Betrunkene Bäume".
Was kann es mit dem Titel auf sich haben? "Bäume, die mit ihren Wurzeln fest im sibirischen Permafrostboden verankert waren, geraten bei dem vom Klimawandel ausgelösten Tauwetter in Schräglage. Sie versuchen diese durch verdreht-schiefes Wachstum auszugleichen." Man kann das als Metapher auf Menschen anwenden, die ihren Halt verloren haben.
Ada Dorian erzählt ihren Roman aus drei Perspektiven. Eine gehört einem russischen Obdachlosen in Sibirien: Wolodja aus Srednekolymsk. Die zweite Erich, einem Naturforscher mit DDR-Vergangenheit, schon sehr alt. Und die dritte Katharina, einer noch sehr jungen Ausreißerin. Alle drei führt der Zufall zusammen.
Katharina fühlt sich von ihrer Mutter vernachlässigt. Die ist ständig auf Nachtschicht und ihr Vater auf Montage in Sibirien. Auch Erich hat eine Verbindung zur Taiga: Seine Frau stammt daher, ist aber vor zwanzig Jahren allein dorthin zurückgekehrt. Das Versprechen, ihr irgendwann zu folgen, hat Erich nicht eingehalten. Die Ausreißerin Katharina wird von einem Drogendealer nicht ganz ohne Hintergedanken in eine leerstehende Wohnung einquartiert. Dort schläft sie nicht auf der Matratze, sondern schlägt ihr Zelt im Wohnzimmer auf. Die Heringe verankert sie in den Lücken zwischen den Dielenbrettern. Erich ist Katharinas Nachbar auf der gleichen Etage. Seine Art zu wohnen ist noch skurriler. Er hat in seinem Schlafzimmer in großen Töpfen und sogar mit aufgeschütteter Erde einen Wald gepflanzt, der ihn an Sibirien erinnern soll. Als Katharina erfährt, dass Erich Russland-Experte ist, wird sie hellwach.
Zwischen den beiden Alleingelassenen entwickelt sich eine Bindung. Katharina wird zum Lichtblick in Erichs trostlosem Leben, und auch sie findet in ihm jemanden, der sich noch für sie interessiert und ihrer Existenz einen Sinn verleiht. Beide träumen davon, nach Sibirien zu reisen. Katharina und Erich sind demnach wohl auch mit der Metapher des Buchtitels in Verbindung zu bringen: zwei geschädigte Großstadtpflanzen, die ihren sicheren Halt verloren haben und diesen in exotischer Ferne wiederzufinden hoffen.
"Betrunkene Bäume" ist allerdings eine Lektüre mit Hindernissen. Es beginnt schon beim ersten Satz: "In der Ferne lagen die Berge wie unter einer weichen Bettdecke." Je nach ästhetischem Empfinden nimmt man einen solchen Vergleich irritiert oder verärgert zu Kenntnis. Weitere schiefe Vergleiche und stilistische Ausrutscher folgen. Wenn Erich in seinen alten Opel steigt, heißt es: "Der Commodore klang, wie sich sein Knie beim Treten des Gaspedals anfühlte." An anderer Stelle folgt ein Hund jemandem "mäandernd durch das Viertel". Die häufigen Perspektivwechsel können bisweilen verwirren, aber stärker noch tut dies die Mischung der Zeitebenen. Der alte Erich in Berlin und der jungen in Sibirien, vielleicht vierzig Jahre früher; Wolodja im GULag und als Fremdenführer Erichs Jahre danach - der Roman wird dominiert von Rückblenden und will sich nicht recht nach vorn entwickeln.
Im Allgemeinen interessieren sich Teenager wie Katharina nicht für Greise. Warum ist das hier anders? Vermutlich, weil der Plan dahinter steckt, zwei verlorene Seelen durch ähnliche Sehnsüchte aneinanderzubinden. Das wäre erfreulich, wirkt aber auch geschönt. Die Motive sind zu schwach, um einem Roman, der realitätsnah sein soll, wirkliche Relevanz zu verleihen.
Ada Dorian glänzt jedoch mit eindrucksvollen Sibirien-Passagen. Und sie zeigt zumindest in Wolodja eine Figur, die viel härter im Nehmen ist als der verweichlichte Deutsche. So bleibt der Lese-Eindruck zwiespältig. Wenn Ada Dorian einen etwas weniger vertrackten Plot fände, wäre sie sicher eine exzellente Erzählerin.
MELINA SAVVIDOU.
Ada Dorian: "Betrunkene Bäume". Roman.
Ullstein Verlag, Berlin 2017. 268 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nicht ganz stilsicher: Ada Dorians Roman "Betrunkene Bäume"
"Ullstein fünf" heißt ein neuer Imprint des Berliner Traditionsverlags. Dabei bezieht sich "fünf" auf die fünf Söhne des Zeitungsverlegers Leopold Ullstein, die zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts den Ullstein Buchverlag gründeten. Autorennamen wie Irmgard Keun, Erich Maria Remarque oder Vicki Baum stehen für das damalige Haus Ullstein.
Die neue Reihe möchte an diese Tradition mit Büchern junger deutschsprachiger Autoren anknüpfen, die stark "im Heute verankert" und spannend erzählt sein sollen. Kein bescheidener Anspruch. Pro Halbjahr sollen vier Bücher erscheinen, fünf wären noch passender gewesen. Ada Dorian hat es in diese Buchreihe geschafft. Sie las in Klagenfurt, erhielt Förderungen und Aufenthaltsstipendien. Sie eröffnet das Programm mit ihrem Roman "Betrunkene Bäume".
Was kann es mit dem Titel auf sich haben? "Bäume, die mit ihren Wurzeln fest im sibirischen Permafrostboden verankert waren, geraten bei dem vom Klimawandel ausgelösten Tauwetter in Schräglage. Sie versuchen diese durch verdreht-schiefes Wachstum auszugleichen." Man kann das als Metapher auf Menschen anwenden, die ihren Halt verloren haben.
Ada Dorian erzählt ihren Roman aus drei Perspektiven. Eine gehört einem russischen Obdachlosen in Sibirien: Wolodja aus Srednekolymsk. Die zweite Erich, einem Naturforscher mit DDR-Vergangenheit, schon sehr alt. Und die dritte Katharina, einer noch sehr jungen Ausreißerin. Alle drei führt der Zufall zusammen.
Katharina fühlt sich von ihrer Mutter vernachlässigt. Die ist ständig auf Nachtschicht und ihr Vater auf Montage in Sibirien. Auch Erich hat eine Verbindung zur Taiga: Seine Frau stammt daher, ist aber vor zwanzig Jahren allein dorthin zurückgekehrt. Das Versprechen, ihr irgendwann zu folgen, hat Erich nicht eingehalten. Die Ausreißerin Katharina wird von einem Drogendealer nicht ganz ohne Hintergedanken in eine leerstehende Wohnung einquartiert. Dort schläft sie nicht auf der Matratze, sondern schlägt ihr Zelt im Wohnzimmer auf. Die Heringe verankert sie in den Lücken zwischen den Dielenbrettern. Erich ist Katharinas Nachbar auf der gleichen Etage. Seine Art zu wohnen ist noch skurriler. Er hat in seinem Schlafzimmer in großen Töpfen und sogar mit aufgeschütteter Erde einen Wald gepflanzt, der ihn an Sibirien erinnern soll. Als Katharina erfährt, dass Erich Russland-Experte ist, wird sie hellwach.
Zwischen den beiden Alleingelassenen entwickelt sich eine Bindung. Katharina wird zum Lichtblick in Erichs trostlosem Leben, und auch sie findet in ihm jemanden, der sich noch für sie interessiert und ihrer Existenz einen Sinn verleiht. Beide träumen davon, nach Sibirien zu reisen. Katharina und Erich sind demnach wohl auch mit der Metapher des Buchtitels in Verbindung zu bringen: zwei geschädigte Großstadtpflanzen, die ihren sicheren Halt verloren haben und diesen in exotischer Ferne wiederzufinden hoffen.
"Betrunkene Bäume" ist allerdings eine Lektüre mit Hindernissen. Es beginnt schon beim ersten Satz: "In der Ferne lagen die Berge wie unter einer weichen Bettdecke." Je nach ästhetischem Empfinden nimmt man einen solchen Vergleich irritiert oder verärgert zu Kenntnis. Weitere schiefe Vergleiche und stilistische Ausrutscher folgen. Wenn Erich in seinen alten Opel steigt, heißt es: "Der Commodore klang, wie sich sein Knie beim Treten des Gaspedals anfühlte." An anderer Stelle folgt ein Hund jemandem "mäandernd durch das Viertel". Die häufigen Perspektivwechsel können bisweilen verwirren, aber stärker noch tut dies die Mischung der Zeitebenen. Der alte Erich in Berlin und der jungen in Sibirien, vielleicht vierzig Jahre früher; Wolodja im GULag und als Fremdenführer Erichs Jahre danach - der Roman wird dominiert von Rückblenden und will sich nicht recht nach vorn entwickeln.
Im Allgemeinen interessieren sich Teenager wie Katharina nicht für Greise. Warum ist das hier anders? Vermutlich, weil der Plan dahinter steckt, zwei verlorene Seelen durch ähnliche Sehnsüchte aneinanderzubinden. Das wäre erfreulich, wirkt aber auch geschönt. Die Motive sind zu schwach, um einem Roman, der realitätsnah sein soll, wirkliche Relevanz zu verleihen.
Ada Dorian glänzt jedoch mit eindrucksvollen Sibirien-Passagen. Und sie zeigt zumindest in Wolodja eine Figur, die viel härter im Nehmen ist als der verweichlichte Deutsche. So bleibt der Lese-Eindruck zwiespältig. Wenn Ada Dorian einen etwas weniger vertrackten Plot fände, wäre sie sicher eine exzellente Erzählerin.
MELINA SAVVIDOU.
Ada Dorian: "Betrunkene Bäume". Roman.
Ullstein Verlag, Berlin 2017. 268 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Poetisch, warmherzig, bewegend." Elle 20170307