Wie im Rausch geschriebene Gedichte. Während die domestizierte Natur sich zu wehren beginnt, wird die von ihren spirituellen Wurzeln abgeschnittene Menschheit ihrem stetig näherkommenden Verfall gewahr. Bilder finden sich ein: durch unsere Kulturlandschaft irrende Wölfe, zischende Schwerter in Kursosawa-Filmen, Schneeflocken, die in Blutlachen fallen, der versteigerte Revolver van Goghs.Rautenbergs Gedichte helfen beim Weiterleben, denn hinter dem Blick in den geschwärzten Spiegel steckt eine lebensintensivierende Idee: sich Lust aufs Leben zu machen. Gedichte sind dazu da, die Geheimnisse der kreativen Energie zu wahren und sich mit unzerstörbaren Kräften zu verbinden.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Christian Metz gerät ins Staunen mit Arne Rautenbergs Gedichten. Wie der Autor tagesaktuelles Material zum Ausgangspunkt nimmt für wortsensible Verdichtungen, die er auch visuell durchgestaltet, scheint Metz gelungen, da anregend. Das schwankt zwischen Konkreter Poesie und exakter Beobachtung und zeitigt "perlende Ernsthaftigkeit", erklärt Metz seine Begeisterung.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.06.2021Softeisweiche Wurzelschocks
Arne Rautenbergs witzige und virtuose Gedichte
Kleine Quizfrage zu Beginn: Wodurch zeichnen sich betrunkene Wälder aus? Sie sind dicht. So dicht, wie es sonst nur Gedichte sein können. Selbstverständlich würden wir unsere Leser von solchen Albernheit verschonen, wenn damit nicht aufs Genaueste die Poetik von Arne Rautenbergs bestaunenswertem Gedichtband "Betrunkene Wälder" beschrieben wäre. Was wie ein Kalauer daherkommt, baut Rautenberg sorgsam zu einem feinnuancierten Gedicht aus. Visuell, denn Rautenbergs Waldtext schwankt als kurvenreiches Textbild über die Doppelseite. Rhetorisch in der eben nicht exakten Wiederholung vom Buch- und Gedichttitel zum "betrunkne Wälder" im Text selbst, dem nach dem Vorbild von Kleists "Zerbrochnen Krug", ein Vokal abhandengekommen sein muss. Und grammatikalisch: bis eben hin zum schwer angesäuselten "krumm betrunkne / tanzend wälder / stämme saufen / on the rocks". So geht's, wenn man die Aufgabe des Schriftstellers - in Nachfolge der Konkreten Poesie - konsequent darin sieht, Schrift auf Papier oder in andere Räume zu stellen.
Wobei es für Rautenbergs Band charakteristisch ist, die Albernheit mit metaphorischer Treffsicherheit zu vereinen: Bäume, die auf felsigem Grund wachsen, tun nichts anderes, als "on the rocks saufen", bis sie dicht (verwachsen) sind. Und auch die Überblendung der Naturbetrachtung mit einer Barszene erweist sich als hellsichtig. Kam Elias Canetti doch zu dem Schluss: "In keinem modernen Lande der Welt ist das Waldgefühl so lebendig geblieben wie in Deutschland." Braucht es da überhaupt noch Rautenbergs Verse über "schmierge gelder" und "softeisweiche / wurzelschocks", um zu erkennen, dass es sich hier um ein durchaus zeitgemäßes Heimatgedicht handelt?
Da wir gerade schon die wichtigsten Eigenschaften von Rautenbergs Lyrik zusammentragen: Typisch ist, einmal gefügte Konstellation in mehrfacher Wiederholung aufscheinen zu lassen. Im Gedicht "biademe dich" nimmt Rautenberg sich der Selbstglorifizierung im trunken wirkenden Dickicht digitaler Inszenierung an: "betrunkene wälder oh bienenblitz / der glitch der gegenwart als witz". In scharfkantiger Diagonale schneidet die Textur von "wald in schrift" durch die Seite, um Versspäne zu hinterlassen: "es sau / fen / die tan / nen / es / äch / zen / die fich / ten". Aufgrund solcher Wiederholungen im Verlauf eines Bandes entsteht jene perlende Ernsthaftigkeit, diese wirbelnde Seriosität im Dienste poetischer Erkenntnis. Spätestens seit seinem 2018 erschienen "selbstporträt als nachtarbeiter" (sitze am schreibtisch / trinke bier bedien die tastatur / schaue auf die uhr / nulluhrnull im monitor) sieht man den Kieler Dichter vor sich, wie er heiter-gelassen die störungsfreie Nacht zum Arbeitstage macht. Um mit dem Morgenglanz Tastatur und geglücktes Gedicht zur Seite zu schieben.
Gottfried Benn imaginierte den Dichter als ein mit Flimmerhaaren bedecktes Antennenwesen, sensibel für feinste wortatmosphärische Strömungen, Wirbel und Verdichtungen. Rautenbergs Lyrik erzeugt den Eindruck, als gehöre ihr Verfasser zu jenen immerwachen Wortsensiblen. Durchstreift man das Blattwerk der "betrunkenen Wälder", so kommt der Impuls für Rautenbergs Gedichte besonders häufig von anekdotischen Merkwürdigkeiten und skurrilen Meldungen aus Zeitungen, Fernsehen, digitalen Kanälen. Das Gedicht "Berührungsaspekte" etwa bezieht sich auf Berichte über den Amerikaner Roy Sullivan, der im Laufe seines Lebens siebenmal von einem Blitzschlag getroffen wurde. Schon die Wahrscheinlichkeit, einmal zum Opfer eines Blitzes zu werden (und das zu überleben), ist extrem gering. Aber siebenfach? Oder die Verse "sie sind die letzten von uns / die nicht geworden waren was wir sind / auf ihrer insel" aus dem Gedicht "geisternetze": Sie beziehen sich auf die Nachrichten über den auf einem abgelegenen Archipel lebenden Stamm der Sentinelesen, die Eindringlingen skeptisch begegneten.
Rautenberg entfaltet aus dem belustigten oder auch irritierten Staunen über solche Beiträge seine Gedichte - so wie Fontane, Keller oder Kästner ihre Romane einst aus Zeitungsmeldungen entwickelten. Die Gedichte ihrerseits beharren auf ihrer direkten Beziehung zum unablässigen globalen Palaver: "ich muss am gespräch mitdichten", formuliert Rautenberg diese Forderung nach poetischer Relation. Sie gilt für seine Beziehungen zu Dichtern wie Thomas Kling und Barbara Köhler, zu Künstlern wie Jonathan Meese oder Thomas Palme sowie für die fortwährende Auseinandersetzung mit jüngeren Lyrikern wie Simone Kornappel oder Cia Rinne. Wach sein, die anderen ernst nehmen, über sich selbst auch lachen. Gedichte entwerfen als "torkelnde Horrorboxen", so versetzt Rautenberg seine Leser in Staunen.
CHRISTIAN METZ
Arne Rautenberg: "betrunkene wälder". Gedichte.
Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2021. 112 S., br., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Arne Rautenbergs witzige und virtuose Gedichte
Kleine Quizfrage zu Beginn: Wodurch zeichnen sich betrunkene Wälder aus? Sie sind dicht. So dicht, wie es sonst nur Gedichte sein können. Selbstverständlich würden wir unsere Leser von solchen Albernheit verschonen, wenn damit nicht aufs Genaueste die Poetik von Arne Rautenbergs bestaunenswertem Gedichtband "Betrunkene Wälder" beschrieben wäre. Was wie ein Kalauer daherkommt, baut Rautenberg sorgsam zu einem feinnuancierten Gedicht aus. Visuell, denn Rautenbergs Waldtext schwankt als kurvenreiches Textbild über die Doppelseite. Rhetorisch in der eben nicht exakten Wiederholung vom Buch- und Gedichttitel zum "betrunkne Wälder" im Text selbst, dem nach dem Vorbild von Kleists "Zerbrochnen Krug", ein Vokal abhandengekommen sein muss. Und grammatikalisch: bis eben hin zum schwer angesäuselten "krumm betrunkne / tanzend wälder / stämme saufen / on the rocks". So geht's, wenn man die Aufgabe des Schriftstellers - in Nachfolge der Konkreten Poesie - konsequent darin sieht, Schrift auf Papier oder in andere Räume zu stellen.
Wobei es für Rautenbergs Band charakteristisch ist, die Albernheit mit metaphorischer Treffsicherheit zu vereinen: Bäume, die auf felsigem Grund wachsen, tun nichts anderes, als "on the rocks saufen", bis sie dicht (verwachsen) sind. Und auch die Überblendung der Naturbetrachtung mit einer Barszene erweist sich als hellsichtig. Kam Elias Canetti doch zu dem Schluss: "In keinem modernen Lande der Welt ist das Waldgefühl so lebendig geblieben wie in Deutschland." Braucht es da überhaupt noch Rautenbergs Verse über "schmierge gelder" und "softeisweiche / wurzelschocks", um zu erkennen, dass es sich hier um ein durchaus zeitgemäßes Heimatgedicht handelt?
Da wir gerade schon die wichtigsten Eigenschaften von Rautenbergs Lyrik zusammentragen: Typisch ist, einmal gefügte Konstellation in mehrfacher Wiederholung aufscheinen zu lassen. Im Gedicht "biademe dich" nimmt Rautenberg sich der Selbstglorifizierung im trunken wirkenden Dickicht digitaler Inszenierung an: "betrunkene wälder oh bienenblitz / der glitch der gegenwart als witz". In scharfkantiger Diagonale schneidet die Textur von "wald in schrift" durch die Seite, um Versspäne zu hinterlassen: "es sau / fen / die tan / nen / es / äch / zen / die fich / ten". Aufgrund solcher Wiederholungen im Verlauf eines Bandes entsteht jene perlende Ernsthaftigkeit, diese wirbelnde Seriosität im Dienste poetischer Erkenntnis. Spätestens seit seinem 2018 erschienen "selbstporträt als nachtarbeiter" (sitze am schreibtisch / trinke bier bedien die tastatur / schaue auf die uhr / nulluhrnull im monitor) sieht man den Kieler Dichter vor sich, wie er heiter-gelassen die störungsfreie Nacht zum Arbeitstage macht. Um mit dem Morgenglanz Tastatur und geglücktes Gedicht zur Seite zu schieben.
Gottfried Benn imaginierte den Dichter als ein mit Flimmerhaaren bedecktes Antennenwesen, sensibel für feinste wortatmosphärische Strömungen, Wirbel und Verdichtungen. Rautenbergs Lyrik erzeugt den Eindruck, als gehöre ihr Verfasser zu jenen immerwachen Wortsensiblen. Durchstreift man das Blattwerk der "betrunkenen Wälder", so kommt der Impuls für Rautenbergs Gedichte besonders häufig von anekdotischen Merkwürdigkeiten und skurrilen Meldungen aus Zeitungen, Fernsehen, digitalen Kanälen. Das Gedicht "Berührungsaspekte" etwa bezieht sich auf Berichte über den Amerikaner Roy Sullivan, der im Laufe seines Lebens siebenmal von einem Blitzschlag getroffen wurde. Schon die Wahrscheinlichkeit, einmal zum Opfer eines Blitzes zu werden (und das zu überleben), ist extrem gering. Aber siebenfach? Oder die Verse "sie sind die letzten von uns / die nicht geworden waren was wir sind / auf ihrer insel" aus dem Gedicht "geisternetze": Sie beziehen sich auf die Nachrichten über den auf einem abgelegenen Archipel lebenden Stamm der Sentinelesen, die Eindringlingen skeptisch begegneten.
Rautenberg entfaltet aus dem belustigten oder auch irritierten Staunen über solche Beiträge seine Gedichte - so wie Fontane, Keller oder Kästner ihre Romane einst aus Zeitungsmeldungen entwickelten. Die Gedichte ihrerseits beharren auf ihrer direkten Beziehung zum unablässigen globalen Palaver: "ich muss am gespräch mitdichten", formuliert Rautenberg diese Forderung nach poetischer Relation. Sie gilt für seine Beziehungen zu Dichtern wie Thomas Kling und Barbara Köhler, zu Künstlern wie Jonathan Meese oder Thomas Palme sowie für die fortwährende Auseinandersetzung mit jüngeren Lyrikern wie Simone Kornappel oder Cia Rinne. Wach sein, die anderen ernst nehmen, über sich selbst auch lachen. Gedichte entwerfen als "torkelnde Horrorboxen", so versetzt Rautenberg seine Leser in Staunen.
CHRISTIAN METZ
Arne Rautenberg: "betrunkene wälder". Gedichte.
Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2021. 112 S., br., 20,- [Euro].
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»Diese Gedichte, ein 'glutkern der sprache', verbürgen große Wortlust und bereiten hohes Lesevergnügen.« Thomas Groß, Mannheimer Morgen »Es lohnt sich, diesen Dichter ans Fenster zurückzuholen und mit seinem 'Menschenauge' unseren gefährdeten Planeten neu anzuschauen.« Michael Braun, Die Rheinpfalz »Rautenbergs Gedichte stellen bei aller (gesellschafts-)kritischen Elaboriertheit auch ein Bekenntnis dar zur Suche nach einer gewissen Einfachheit, Klarheit und Gradlinigkeit.« Jürgen Brôcan, Signaturen-Magazin »Es gibt keine Möglichkeit auszuweichen. Diese Lyrik fesselt von der ersten bis zur letzten Verswirklichkeit und wird von sich reden machen.« Kerstin Fischer, Lyrikatelier Fischerhaus