Between Debt and the Devil challenges the belief that we need credit growth to fuel economic growth, and that rising debt is okay as long as inflation remains low. In fact, most credit is not needed for economic growth - but it drives real estate booms and busts and leads to financial crisis and depression. Turner explains why public policy needs to manage the growth and allocation of credit creation, and why debt needs to be taxed as a form of economic pollution. Banks need far more capital, real estate lending must be restricted, and we need to tackle inequality and mitigate the relentless rise of real estate prices. Turner also debunks the big myth about fiat money - the erroneous notion that printing money will lead to harmful inflation. To escape the mess created by past policy errors, we sometimes need to monetize government debt and finance fiscal deficits with central-bank money.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.02.2016Teufel oder Schulden?
Adair Turners Plädoyer für die rotierende Notenpresse
Adair Turner arbeitete als Manager, Unternehmensberater und, von 2008 bis 2013, als Vorsitzender der britischen Finanzmarktaufsicht. Turner ist Ökonom, Mitglied des House of Lords sowie ein gebildeter, rhetorisch begabter und eleganter Provokateur, der aufrührende Thesen in wohlklingendem Oxford-Englisch vorträgt. Sein großes Thema ist die Finanz- und Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre und die Frage ihrer Bewältigung. Es ist reizvoll, Turners Sichtweise mit jener traditioneller deutscher Ökonomen zu vergleichen - umso mehr, als Turner seine Sichtweise mehrfach vor deutschem Publikum vorgetragen hat.
Seine Analyse der Entstehung und des Verlaufs der Krise dürfte auch bei traditionellen deutschen Ökonomen, sofern sie mit Finanzmärkten vertraut sind, auf wenig Widerspruch stoßen, zumal sie sich auf Arbeiten renommierter Autoren stützt. Am Beginn der jüngsten Finanzmarktkrise steht ein langfristiger und erheblicher Aufbau der privaten Verschuldung in den Industrienationen, der in den Jahren nach der Jahrtausendwende mit einem Anteil von mehr als 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ein kritisches Niveau erreichte. In der deutschen Tradition liegt es zwar näher, vor allem die Staatsverschuldung als Übel zu betrachten, aber Arbeiten von Reinhart/Rogoff, Schularick/Taylor oder Brunnermeier/Schnabel belegen nachdrücklich, dass schwere Finanzkrisen in der Vergangenheit meist die Folge einer hohen privaten Verschuldung waren.
Anders als in manchen Lehrbüchern dient die Kreditvergabe der Banken in der Praxis weniger der Finanzierung produktiver Investitionen von Industrie oder Infrastruktur, sondern vor allem der Finanzierung des Konsums, des Erwerbs bestehenden Sachkapitals - oder, und hier liegt die Ursache vieler Krisen, der Finanzierung von Immobilien. Denn Bankkredit für Immobilien ist leicht erhältlich, aber gerade die von vielen Kreditnehmern begehrten Immobilien in urbanen Zentren sind knapp. Das setzt Preisspiralen in Gang.
Gebremst wurden die Banken in ihrer Kreditvergabe lange nicht. In den zwei Jahrzehnten vor der Finanzkrise wiesen die Industrienationen im Durchschnitt ein jährliches Wachstum des nominalen BIP von rund 4 Prozent auf, für das es eines jährlichen Wachstums der Privatverschuldung von 10 bis 15 Prozent bedurfte. Das war auf die Dauer nicht tragbar.
Dieser Befund Turners dürfte ebenso unstrittig sein wie seine These, dass zwar in manchen Industrienationen die Privatverschuldung seit 2008 etwas zurückgegangen ist, aber nicht die Gesamtverschuldung. Denn anstelle der Privaten sind die Staaten in Industrienationen und Schwellenländern in die Bresche gesprungen. Und auch wenn dies zunächst im Sinne der Stabilität des Finanzsystems und der Konjunktur vorteilhaft gewesen sein mag, so ist nun auch die Staatsverschuldung zu einem Problem geworden. Die nachlassende Wirkung herkömmlicher makroökonomischer Instrumente wie expansive Geld- und Finanzpolitik in einer Welt hoher Schulden konstatiert Turner im Einklang mit vielen deutschen Ökonomen. Konsensfähig erscheint auch die Ansicht, dass aggressive Wechselkurspolitik einzelnen Ländern vorübergehend helfen mag, aber nicht auf Dauer der Weltwirtschaft.
Doch nun trennen sich die Wege. Der traditionelle deutsche Ökonom wird als Remedur vor allem Strukturreformen auf der Angebotsseite empfehlen; manche, wie Hans-Werner Sinn, sehen daneben Handlungsbedarf bei sehr hoher Staatsverschuldung. Beiden Empfehlungen widerspricht Turner nicht, aber er hält sie für unzureichend. Denn so könne man nicht der zu hohen Privatverschuldung zu Leibe rücken, und zum anderen leide die Weltwirtschaft unter einem grundlegenden Mangel an gesamtwirtschaftlicher Nachfrage. Es ist gerade dieser Punkt, an dem Turner Ökonomen wie Larry Summers oder Carl Christian von Weizsäcker viel nähersteht als dem traditionellen deutschen Ökonomen, der von langfristigen Nachfrageproblemen nichts wissen mag.
Turner meint, die Industrienationen brauchten langfristig ein Wachstum des nominalen BIP von rund 4 Prozent im Jahr, aber dies sei angesichts der hohen Verschuldung durch traditionelle Angebots- und Nachfragepolitik nicht herstellbar. Daher übernimmt er die Rolle des Teufels in Goethes Faust II und befürwortet die Finanzierung zusätzlicher Staatsausgaben durch die Notenpresse, sprich, durch die Notenbank. Dies sei der einzige Weg, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage in einer Welt hoher Schulden garantiert zu erhöhen, schreibt der Brite.
Auf offensichtliche Einwände hat er sich vorbereitet. So bestreitet Turner naheliegende politökonomische Bedenken gegen seinen Vorschlag überhaupt nicht. Sehr viel zusätzliches Geld erzeugt doch eine hohe Inflation? Natürlich, antwortet Turner, aber man kann das Instrument pragmatisch einsetzen. Hochinflation sei zwar im Prinzip nicht auszuschließen, aber sie könne verhindert werden. Wie soll man darauf vertrauen, dass Politiker mit der Notenpresse verantwortungsvoll umgehen? Selbstverständlich kann dies eine Verlockung für Politiker sein, antwortet Turner. Missbrauch sei sehr wohl möglich. Aber indem man die Verantwortung für die Finanzierung unabhängigen Notenbanken überlasse, reduziere sich das Risiko des Missbrauchs. Vielleicht verschwendet der Staat das Geld? Kann sein, sagt Turner, aber auch viele privat finanzierte Immobilienprojekte erwiesen sich als wirtschaftlich unsinnig. Die Welt sei weder schwarz noch weiß.
Turner ist auf internationalem Parkett kein Exot. So trat er im vergangenen Herbst auf der renommierten jährlichen Forschungskonferenz des IWF auf. In der englischsprachigen Welt nimmt die Zahl der Ökonomen zu, die eine aktivere Rolle der Notenbank in der Ausgabenfinanzierung von Staaten oder Privatpersonen empfehlen. Und es ist wahr, dass die lange verneinte Frage nach der Möglichkeit eines langfristigen gesamtwirtschaftlichen Nachfragemangels seit einiger Zeit von prominenten Ökonomen wieder aufgeworfen wird. Nur: Auch Turners Provokation löst das Problem der zu hohen Privatverschuldung nicht.
GERALD BRAUNBERGER
Adair Turner: Between Debt and the Devil. Princeton University Press. Princeton 2015. 320 Seiten. 29,95 Dollar.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Adair Turners Plädoyer für die rotierende Notenpresse
Adair Turner arbeitete als Manager, Unternehmensberater und, von 2008 bis 2013, als Vorsitzender der britischen Finanzmarktaufsicht. Turner ist Ökonom, Mitglied des House of Lords sowie ein gebildeter, rhetorisch begabter und eleganter Provokateur, der aufrührende Thesen in wohlklingendem Oxford-Englisch vorträgt. Sein großes Thema ist die Finanz- und Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre und die Frage ihrer Bewältigung. Es ist reizvoll, Turners Sichtweise mit jener traditioneller deutscher Ökonomen zu vergleichen - umso mehr, als Turner seine Sichtweise mehrfach vor deutschem Publikum vorgetragen hat.
Seine Analyse der Entstehung und des Verlaufs der Krise dürfte auch bei traditionellen deutschen Ökonomen, sofern sie mit Finanzmärkten vertraut sind, auf wenig Widerspruch stoßen, zumal sie sich auf Arbeiten renommierter Autoren stützt. Am Beginn der jüngsten Finanzmarktkrise steht ein langfristiger und erheblicher Aufbau der privaten Verschuldung in den Industrienationen, der in den Jahren nach der Jahrtausendwende mit einem Anteil von mehr als 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ein kritisches Niveau erreichte. In der deutschen Tradition liegt es zwar näher, vor allem die Staatsverschuldung als Übel zu betrachten, aber Arbeiten von Reinhart/Rogoff, Schularick/Taylor oder Brunnermeier/Schnabel belegen nachdrücklich, dass schwere Finanzkrisen in der Vergangenheit meist die Folge einer hohen privaten Verschuldung waren.
Anders als in manchen Lehrbüchern dient die Kreditvergabe der Banken in der Praxis weniger der Finanzierung produktiver Investitionen von Industrie oder Infrastruktur, sondern vor allem der Finanzierung des Konsums, des Erwerbs bestehenden Sachkapitals - oder, und hier liegt die Ursache vieler Krisen, der Finanzierung von Immobilien. Denn Bankkredit für Immobilien ist leicht erhältlich, aber gerade die von vielen Kreditnehmern begehrten Immobilien in urbanen Zentren sind knapp. Das setzt Preisspiralen in Gang.
Gebremst wurden die Banken in ihrer Kreditvergabe lange nicht. In den zwei Jahrzehnten vor der Finanzkrise wiesen die Industrienationen im Durchschnitt ein jährliches Wachstum des nominalen BIP von rund 4 Prozent auf, für das es eines jährlichen Wachstums der Privatverschuldung von 10 bis 15 Prozent bedurfte. Das war auf die Dauer nicht tragbar.
Dieser Befund Turners dürfte ebenso unstrittig sein wie seine These, dass zwar in manchen Industrienationen die Privatverschuldung seit 2008 etwas zurückgegangen ist, aber nicht die Gesamtverschuldung. Denn anstelle der Privaten sind die Staaten in Industrienationen und Schwellenländern in die Bresche gesprungen. Und auch wenn dies zunächst im Sinne der Stabilität des Finanzsystems und der Konjunktur vorteilhaft gewesen sein mag, so ist nun auch die Staatsverschuldung zu einem Problem geworden. Die nachlassende Wirkung herkömmlicher makroökonomischer Instrumente wie expansive Geld- und Finanzpolitik in einer Welt hoher Schulden konstatiert Turner im Einklang mit vielen deutschen Ökonomen. Konsensfähig erscheint auch die Ansicht, dass aggressive Wechselkurspolitik einzelnen Ländern vorübergehend helfen mag, aber nicht auf Dauer der Weltwirtschaft.
Doch nun trennen sich die Wege. Der traditionelle deutsche Ökonom wird als Remedur vor allem Strukturreformen auf der Angebotsseite empfehlen; manche, wie Hans-Werner Sinn, sehen daneben Handlungsbedarf bei sehr hoher Staatsverschuldung. Beiden Empfehlungen widerspricht Turner nicht, aber er hält sie für unzureichend. Denn so könne man nicht der zu hohen Privatverschuldung zu Leibe rücken, und zum anderen leide die Weltwirtschaft unter einem grundlegenden Mangel an gesamtwirtschaftlicher Nachfrage. Es ist gerade dieser Punkt, an dem Turner Ökonomen wie Larry Summers oder Carl Christian von Weizsäcker viel nähersteht als dem traditionellen deutschen Ökonomen, der von langfristigen Nachfrageproblemen nichts wissen mag.
Turner meint, die Industrienationen brauchten langfristig ein Wachstum des nominalen BIP von rund 4 Prozent im Jahr, aber dies sei angesichts der hohen Verschuldung durch traditionelle Angebots- und Nachfragepolitik nicht herstellbar. Daher übernimmt er die Rolle des Teufels in Goethes Faust II und befürwortet die Finanzierung zusätzlicher Staatsausgaben durch die Notenpresse, sprich, durch die Notenbank. Dies sei der einzige Weg, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage in einer Welt hoher Schulden garantiert zu erhöhen, schreibt der Brite.
Auf offensichtliche Einwände hat er sich vorbereitet. So bestreitet Turner naheliegende politökonomische Bedenken gegen seinen Vorschlag überhaupt nicht. Sehr viel zusätzliches Geld erzeugt doch eine hohe Inflation? Natürlich, antwortet Turner, aber man kann das Instrument pragmatisch einsetzen. Hochinflation sei zwar im Prinzip nicht auszuschließen, aber sie könne verhindert werden. Wie soll man darauf vertrauen, dass Politiker mit der Notenpresse verantwortungsvoll umgehen? Selbstverständlich kann dies eine Verlockung für Politiker sein, antwortet Turner. Missbrauch sei sehr wohl möglich. Aber indem man die Verantwortung für die Finanzierung unabhängigen Notenbanken überlasse, reduziere sich das Risiko des Missbrauchs. Vielleicht verschwendet der Staat das Geld? Kann sein, sagt Turner, aber auch viele privat finanzierte Immobilienprojekte erwiesen sich als wirtschaftlich unsinnig. Die Welt sei weder schwarz noch weiß.
Turner ist auf internationalem Parkett kein Exot. So trat er im vergangenen Herbst auf der renommierten jährlichen Forschungskonferenz des IWF auf. In der englischsprachigen Welt nimmt die Zahl der Ökonomen zu, die eine aktivere Rolle der Notenbank in der Ausgabenfinanzierung von Staaten oder Privatpersonen empfehlen. Und es ist wahr, dass die lange verneinte Frage nach der Möglichkeit eines langfristigen gesamtwirtschaftlichen Nachfragemangels seit einiger Zeit von prominenten Ökonomen wieder aufgeworfen wird. Nur: Auch Turners Provokation löst das Problem der zu hohen Privatverschuldung nicht.
GERALD BRAUNBERGER
Adair Turner: Between Debt and the Devil. Princeton University Press. Princeton 2015. 320 Seiten. 29,95 Dollar.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Turner offers a convincing account of the debt-fuelled global economic cycle of the last 15 years or so. I found myself skimming over large sections and nodding in agreement."---Erik Britton, Management Today