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Vertrauter der IRA und Architekt des Friedensprozesses in Nordirland, Taktiker und Volkstribun, Abgeordneter und "Staatsfeind" - Gerry Adams' Name steht für den schwierigen Aufbruch eines zerrissenen Landes aus dem Bürgerkrieg zum Frieden. Lange Zeit aus den britischen Medien und der öffentlichen Diskussion um sein Land verbannt, gibt Gerry Adams in dieser Autobiographie erstmals Einblick in sein Leben.

Produktbeschreibung
Vertrauter der IRA und Architekt des Friedensprozesses in Nordirland, Taktiker und Volkstribun, Abgeordneter und "Staatsfeind" - Gerry Adams' Name steht für den schwierigen Aufbruch eines zerrissenen Landes aus dem Bürgerkrieg zum Frieden. Lange Zeit aus den britischen Medien und der öffentlichen Diskussion um sein Land verbannt, gibt Gerry Adams in dieser Autobiographie erstmals Einblick in sein Leben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.1996

Moralische Ausflucht
Eine irische Opfer-Mythologie von Gerry Adams

Gerry Adams: Bevor es Tag wird. Autobiographie. Aus dem Englischen von Jürgen Schneider. Verlag Volk & Welt, Berlin 1996. 416 Seiten, 45,- Mark.

Es ist aus der Mode gekommen, von einer Autobiographie Prägnanz und Wahrhaftigkeit zu erwarten, zumal wenn sie von einem Politiker stammt. Bei der Lebensbeschreibung, die der Sinn-Fein-Präsident Gerry Adams nun unter dem Titel "Bevor es Tag wird" vorlegt, beginnen die Fragen schon bei der Bezeichnung des Autors: Ist der ehemalige Abgeordnete des britischen Parlaments, der seinen Sitz getreu republikanischer Politik nie einnahm, ein Terrorist und Staatsfeind der britischen Regierung? Soll man ihn als Erzähler ansehen, dessen literarische Ambitionen 1992 sogar in einem Band mit Kurzgeschichten zutage traten? Könnte er nicht doch der Politiker sein, dem allein die Weiterführung des Friedensprozesses in Nordirland zuzutrauen ist?

In jedem Fall ist Adams ein geschickter Stratege. Und wie ernst es um den Friedensprozeß steht, erkennt man daran, daß er mit zunehmender Mühe zwischen der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) und deren politischem Arm Sinn Fein vermittelt und in den letzten acht Monaten oft seine Machtlosigkeit zu spüren bekam. Das Buch, das jetzt vor uns liegt, wurde vor einem Jahr auf der Frankfurter Buchmesse angekündigt. Es wäre schon damals falsch gewesen, die Bedeutung dieser Autobiographie an der politischen Tagesstimmung zwischen London, Dublin und Belfast zu messen, denn niemand durfte erwarten, brisante Neuigkeiten über Vorgespräche und geheime Verhandlungen zu erfahren. Genauso falsch ist es, sie ausschließlich als Propagandamittel zu brandmarken, wie es jüngst in der "Financial Times" geschah.

Eine gewisse Enttäuschung bereitet das rasch übersetzte Buch dennoch. Womit sie zusammenhängt, ließ der Eklat vor zehn Tagen in London ahnen, als Adams sein Werk im Londoner Unterhaus vorstellen wollte, die Labour-Partei sich jedoch in aller Deutlichkeit von dem Sinn-Fein-Präsidenten distanzierte. "Bevor es Tag wird" behandelt leider nur die Zeit von 1948 bis 1981, also von Adams' Geburt bis zu den Toten des Hungerstreiks der IRA, die der nationalistischen Bewegung weltweite Popularität verschafften. Diese Spanne ist interessant und so dramatisch, daß sie ein dickes Buch rechtfertigen würde, aber durch eine gewisse Sentimentalität des Stils entsteht der Eindruck, eine vielteilige Opfer-Mythologie solle für die politische Zukunft Irlands einstehen. Das ist zu wenig. Dergleichen sagt sich nicht leichtfertig. Möglicherweise verkörpert Adams' Buch wie kein anderes die verfahrene Situation zwischen Loyalisten und Republikanern, die seit den späten sechziger Jahren einige tausend Tote gefordert hat. Es hat zum Beispiel einen tiefen Sinn, daß die reine Beschreibung, das Aufzählen, Mitleiden und Gedenken das Beste an dieser Autobiographie sind. Zwar war bekannt, daß die britische Regierung einen törichten Fehler beging, als sie die Bedeutung der katholischen Bürgerrechtsbewegung in Nordirland verkannte und den sozialen Protest, dessen Berechtigung außer Frage steht, niederwalzen ließ. Doch Adams' Schilderung, so verklärt sie zuzeiten erscheint, erinnert an die schlichte Tatsache, daß es mitten im demokratischen Europa Menschen zweiter Klasse gab, für die keine Aussicht auf Besserung bestand.

Ebendiese Verbindung zwischen gesellschaftlicher Deklassierung und erwachendem Nationalgefühl läßt Adams' Weg in den republikanischen Aktivismus fast zwingend erscheinen: sein häufiges Untertauchen und verdecktes Agieren, die erste Gefängnisstrafe, die Prügel und Mißhandlungen durch britische Gefängniswärter, schließlich der Aufstieg zum Politiker, der sich über seine Vergangenheit im IRA-Bataillon in Belfast beharrlich ausschweigt. Nur läßt sich daraus für die Gegenwart immer weniger ableiten. Wenn der Dichter Seamus Heaney, ein katholischer Nordire wie Gerry Adams, von den "zwei Bewußtseinen" spricht, die für die Iren in Nord und Süd zur Selbstverständlichkeit werden müßten - ein kultureller Begriff der Nation, der durchaus zu einem politischen werden könnte -, dann ist solches Balancieren Adams' Sache gerade nicht.

Das Irritierendste an diesem Buch ist jedoch eine etwa fünfseitige, kursiv gesetzte Erzählung, in der Adams beschreibt, wie ein IRA-Kämpfer aus einem Hinterhalt einen britischen Soldaten erschießt. Auf die Frage englischer Journalisten, ob er selbst jemals abgedrückt habe, antwortete Adams mit Nein. Doch das Einsprengsel von Fiktion innerhalb eines Buches, das die Wirklichkeit abzubilden vorgibt, ist ein Zeichen von moralischer Ausflucht und Doppelbödigkeit. Es bedeutet: Bitte nicht ernst nehmen, es ist alles erfunden. Es bedeutet aber auch: So werden wir zum Töten gezwungen. Es überrascht deshalb nicht, wenn Adams im Epilog, der die Zeit von 1981 bis zum Juni 1996 streift, dort angekommen ist, wo auf lange Sicht wohl sein Platz sein wird: bei den literarischen Gattungen der Kampfschrift und der Parteitagsrede. PAUL INGENDAAY

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