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Die Figuren in Thomas Ballhausens Erzählungen flüchten - an namenlose Orte, in fremde Räume, in die Heimat anderer. Ihre Flucht ist zugleich immer auch eine Suche nach dem, wovor sie fliehen - eine Bewegung, in Wirklichkeit und in Gedanken, die zwangsläufig an ihren Anfang zurückführt. Unterwegs sind sie allein oder unter Freunden und bleiben doch stets ohne tatsächliche Gefährten. Ballhausen verwebt präzise Beobachtungen und Sprachbilder zu einer luziden Oberfläche, unter der zutiefst menschliche Leidenschaften und Sehnsüchte brodeln. Hier trifft die Liebe auf ihr Scheitern, die Stille auf…mehr

Produktbeschreibung
Die Figuren in Thomas Ballhausens Erzählungen flüchten - an namenlose Orte, in fremde Räume, in die Heimat anderer. Ihre Flucht ist zugleich immer auch eine Suche nach dem, wovor sie fliehen - eine Bewegung, in Wirklichkeit und in Gedanken, die zwangsläufig an ihren Anfang zurückführt. Unterwegs sind sie allein oder unter Freunden und bleiben doch stets ohne tatsächliche Gefährten. Ballhausen verwebt präzise Beobachtungen und Sprachbilder zu einer luziden Oberfläche, unter der zutiefst menschliche Leidenschaften und Sehnsüchte brodeln. Hier trifft die Liebe auf ihr Scheitern, die Stille auf ihre Widerworte, die Gegenwart auf ihre Vergangenheit.Und Ballhausen versteht es wie kein anderer, sich verschiedene Schreibweisen zunutze zu machen: Während er in die fließende Form der Erzählung die Auseinandersetzung mit Geschichte, Schuld und Gedächtnis einschreibt, bricht in seiner rhythmischen Prosa der lebendige Moment durch. Auf beiden Wegen kommt einem Thomas Ballhausen gefährlich nahe - er schreibt an jeden von uns.
Autorenporträt
Thomas Ballhausen, geboren 1975, lebt als Schriftsteller, Essayist und Kulturwissenschaftler in Wien. Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Filmarchiv Austria, Lehrbeauftragter an der Universität Wien, Gestaltung der Comic-Reihe Anger Diaries (zusammen mit Jörg Vogeltanz). Ausgezeichnet u.a. mit dem Reinhard-Priessnitz-Preis (2006) und dem Holfeld-Tunzer-Preis (2008). Zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt u.a.: Die Unversöhnten. Erzählung (Skarabæus, 2007).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.02.2011

Metaliteratur muss auf den Hund kommen

Wenn Erzähler vom Erzählen erzählen, muss das nicht notwendig narzisstisch sein. Was hat der Österreicher Thomas Ballhausen also falsch gemacht? Seine Prosa hat die Theorie nicht im Griff und den Plot nicht im Blick.

Für den jungen österreichischen Autor Thomas Ballhausen ist es beim Bachmannpreis, salopp gesagt, dumm gelaufen. Ohne etwas entgegnen zu können, musste er das Urteil der Jury mitanhören, welches einigermaßen vernichtend ausfiel: "Nebelwerferei" wurde seinem Text vorgeworfen, sprachliche Unklarheit und vor allem Verspieltheit. Dieser Text sei ferner, so der Kritiker Hubert Winkels, "seinem eigenen Wollen nicht gewachsen".

Was war da passiert? Ein Schriftsteller hatte eine zutiefst selbstreflexive, äußerst verweisreiche und offenbar verschlüsselte Erzählung vorgelesen - und war auf das Unverständnis vieler Kritiker gegenüber solcher Metaliteratur gestoßen, das sich immer wieder bemerkbar macht, seit man von einer Rückkehr des realistischen und unmittelbaren Erzählens spricht, die eine Phase des modernen oder postmodernen Experimentalismus abgelöst habe.

Das Ballhausensche Corpus Delicti von Klagenfurt ist nun in Buchform erschienen, flankiert von weiterer Reflexionsprosa - und eröffnet so die Möglichkeit, nochmals einiges zu überprüfen, von dem in der Jurydiskussion die Rede war. Ein Eindruck, der sich bestätigt: Auch nach wiederholtem Lesen ist nicht einfach zu sagen, worum es in "Cave Canem" eigentlich geht. "Hat jemand verstanden, warum man sich vor dem Hund hüten soll?", hatte deshalb die Klagenfurt-Jurorin Meike Feßmann gefragt. Ein Hund kommt im Text nicht vor; der Titel steht somit als diffuse Warnung dem Leser entgegen und soll vielleicht sagen: Hüte dich vor der falschen Interpretation!

Sagen lässt sich, dass der Erzähler des Textes ein Schriftsteller ist, wie an der Erwähnung eines "Verlegers" sowie eines "vollendeten Manuskripts" deutlich wird. Dieser Dichter-Erzähler äußert sich auf zwei Ebenen. Zunächst beschreibt er, auf einem Turm hoch über allem stehend, eine halb realistische, halb phantastische Landschaft, die voller Allegorien für das Schriftstellerdasein sowie für die Literaturgeschichte zu stecken scheint. In dieser Landschaft sind "Reste eines monumentalen Walls" und "verlassene Armeeposten" erkennbar; von vergangenen Bürgerkriegen ist die Rede, deren Verheerungen sichtbar sind. Von seinem Turm begibt sich der Erzähler dann hinunter in eine durchaus realistische Stadtszenerie, es ist die Silvesternacht, und er berichtet von den Erlebnissen dieser Nacht: Verschiedene Partys werden besucht, er trifft auf einen Freund mit dem seltsamen Namen Publius, auf seinen Verleger sowie auf eine kostümierte junge Frau, mit der er erst Tarotkarten legt und später intim wird.

In der Katerstimmung des Neujahrsmorgens zieht sich der Schriftsteller dann wieder auf den realen oder imaginären Turm zurück, wechselt von der Erlebnisebene wieder in die der Reflexion. Der Text ist somit eingerahmt von einer kontemplativen Szene, die durch ihr Gegenteil, ein Eintauchen ins pralle Leben, nur kurz unterbrochen wird. Überdeutlich wird das Motiv des Turms eingesetzt, der wohl ein Elfenbeinturm der Literatur ist.

Mit dieser Zwei-Ebenen-Erzählung stellt Ballhausen sich in die Tradition des im Kunstwerk selbst reflektierten Gedankenspiels, das seit "Don Quijote" aus der abendländischen Literatur nicht mehr wegzudenken ist. Der moderne Autor Arno Schmidt hat dafür eine eigene Theorie entwickelt: Eine objektive Ebene der Alltagsrealität des Schriftstellers wird darin unterschieden von der subjektiv-träumerischen Ebene seiner Gedankenspiele.

Was Ballhausens Erzählung womöglich zum Verhängnis wurde: Sie setzt nicht mit der objektiven, sondern mit der gedankenspielerischen Ebene ein und ist somit schwer zugänglich. In den weiteren Texten des Bandes, die zum Teil auch bewusstseinsdurchströmte Prosagedichte sind, macht er es dem Leser nicht unbedingt leichter. Das Risiko des poetologischen Erzählens wird insbesondere augenfällig an seinem Schluss-Stück "Ephemera. Oder: Wir basteln alle am Kontinuum". Darin wird die Maxime formuliert: "THEORIE ERZÄHLEN / so gut ich kann" - das genau ist die Gefahr, der es zu trotzen gilt. Ein Sample-Text, der am Seitenrand seine Einflüsse von Walter Benjamin bis zu Giorgio Agamben stolz aufzählt, ist von einer "Erzählung" dann tatsächlich weit entfernt. Hier gilt es, was natürlich auch immer geschmacksabhängig ist: eine Balance zwischen Fabel und Essay zu finden, eine Übung, in der sich die moderne Literatur ja auch seit langem auf hohem Drahtseil übt.

Von Rilkes nur noch in Hypothesen erzählendem "Malte Laurids Brigge" bis zu Peter Handkes Waldgänger-Träumern ist auch die jüngere Literatur reich an Beispielen für gelingende Drahtseilakte dieser Art, die nicht mehr nur die erzählerische "Dummheit begehen, festzuhalten, wie es war", wie Theodor W. Adorno es ausgedrückt hat, sondern die erzählte Welt als bloße Möglichkeit darstellen und den, der sie entwirft, nicht zu verstecken versuchen. Was dabei gewonnen wird, ist nichts weniger als ein der Zeit angemessener, gewissermaßen höherer Realismus. Trotzdem hat die Metaliteratur immer wieder mit dem Vorwurf der Spielerei und somit der Irrelevanz zu kämpfen, der sie fast schon wie ein Topos begleitet.

Der Schluss aus diesem Exempel nun darf nicht sein, solche Literatur an sich abzulehnen oder abzukanzeln und für das vermeintlich "richtige Erzählen" einzutreten. Zwischen den Extremen der "unmittelbaren Authentizitätsprosa" und der hoffnungslos "verspielten" Metafiktion liegt ein Universum der Nuancen, in dem jeder Leser nach Gusto beglückt werden kann. Man muss auch nicht die tatsächlich streckenweise langweiligen Romane Alain Robbe-Grillets zum Nonplusultra der Literatur erklären, um anzuerkennen, dass seine berühmte Warnung aus dem Jahr 1963 vor einem Rückfall in die einsinnig-illusionistische Literatur in den Argumenten für einen neuen Roman auch heute noch Brisanz hat.

Dass man auch spannend, authentisch und unmittelbar vom Erzählen erzählen kann, haben Autoren wie John Updike, Philip Roth oder J.M. Coetzee vielfach demonstriert, um nur einige sehr zugängliche Beispiele zu nennen. Dass es sogar massenwirksam möglich ist, sieht man an Daniel Kehlmann.

Wie man den Hund der dichterischen Selbstreflexivität gewinnbringend integriert, kann man bei Monika Maron nachlesen: in ihrer erzählenden Poetikvorlesung "Wie ich ein Buch nicht schreiben kann und es trotzdem versuche" nämlich, in der es unter anderem um das Tier in ihren Romanen "Endmoränen" und "Ach Glück" geht.

Oder man führt gleich den Höllenhund spazieren, wie es der Dichter Mirko Bonné jüngst in einem Buch mit poetologischen und dennoch erzählenden Texten unter dem Titel "Ausflug mit dem Zerberus" getan hat.

Es kann sie also geben, die sich selbst reflektierende und dennoch fesselnde Literatur. Durchaus möglich, dass sie auch dem teilweise vielversprechenden Thomas Ballhausen noch gelingen wird.

JAN WIELE

Thomas Ballhausen: "Bewegungsmelder". Prosa.

Haymon Verlag, Innsbruck / Wien 2010. 104 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ganz aufgeben möchte Jan Wiele den Autor dann doch nicht. Möglich, dass die für ihn durchaus vielversprechenden Momente in der Prosa von Thomas Ballhausen noch an Boden gewinnen, meint der Rezensent, dem der vorliegende Versuch nicht ganz geglückt scheint, Fabel und (poetologischen) Essay für den Leser gewinnbringend unter einen Hut zu bringen. Für den Leser ist das Buch kein Spaß, daran lässt Wiele kaum Zweifel und bestätigt damit die Urteile der Bachmannpreis-Jury zu einem der hier enthaltenen Texte. Womit Wiele aber eines sicher nicht sagen wollte: Dass nämlich spannende Varianten der von Ballhausen angepeilten Traditionslinie der Metaliteratur nicht denkbar sind. Beispiele dafür weiß Wiele genug.

© Perlentaucher Medien GmbH