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Als Ende 1945 bei Nag Hammadi in Oberägypten dreizehn Kodizes in koptischer Sprache mit einem Gesamtumfang von mehr als tausend Seiten entdeckte wurden, konnte niemand ahnen, daß es sich bei diesem Fund um die bisher größte Sammlung gnostischer Selbstzeugnisse handelte. Die Bibliothek von Nag Hammadi, die auf griechische Originale überwiegend aus dem zweiten und dritten Jahrhundert zurückgeht, wirft ein neues Licht auf die von der christlichen Kirche des zweiten Jahrhunderts in bitteren Kontroversen bekämpften Gnostiker. Diese sprechen in den vorliegenden, von der 'rechtgläubigen' Kirche…mehr

Produktbeschreibung
Als Ende 1945 bei Nag Hammadi in Oberägypten dreizehn Kodizes in koptischer Sprache mit einem Gesamtumfang von mehr als tausend Seiten entdeckte wurden, konnte niemand ahnen, daß es sich bei diesem Fund um die bisher größte Sammlung gnostischer Selbstzeugnisse handelte.
Die Bibliothek von Nag Hammadi, die auf griechische Originale überwiegend aus dem zweiten und dritten Jahrhundert zurückgeht, wirft ein neues Licht auf die von der christlichen Kirche des zweiten Jahrhunderts in bitteren Kontroversen bekämpften Gnostiker. Diese sprechen in den vorliegenden, von der 'rechtgläubigen' Kirche unterdrückten, Texten für sich selbst und bieten neue Einsichten in die religiöse Vielfalt des frühen Christentums.
Gerd Lüdemann und Martina Janßen legen mit diesem Buch eine deutsche Gesamtübersetzung des spktakulären Fundes von Nag Hammadi vor. Das Werk enthält eine Einleitung zu jeder der mehr als fünfzig Schriften der gnostischen Bibliothek, in der alle Gattungen des Neuen Testaments enthalten sind: Evangelien, Apostelgeschichten, Briefe, Offenbarungen. Eine reichhaltige Fundgrube, die einen unverstellten Blick auf das frühe Christentum ermöglicht.
Autorenporträt
Gerd Lüdemann, geb. 5. Juli 1946 in Visselhövede, Inhaber des Lehrstuhls für 'Geschichte und Literatur des frühen Christentums' an der Universität Göttingen. Zuvor bis 1999 Inhaber des Lehrstuhls für Neues Testament an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Göttingen. Ihm wurde als ausgewiesenem Neutestamentler die Bezeichnung seines Lehrstuhls als Lehrstuhl für Neues Testament vom Präsidenten der Universität Göttingen als Folge der Beanstandung seiner Lehre durch die Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen verboten, weil er sich in seinen Veröffentlichungen und in seiner wissenschaftlichen Arbeit kritisch mit Fragen des evangelischen Bekenntnisses auseinandergesetzt hat und die Ergebnisse seiner Forschungsarbeit den evangelischen Kirchen in Niedersachsen und der Leitung der Universität Göttingen nicht genehm sind.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.01.1998

Asketen erfreuen das Herz des Sparkassendirektors
Ketzerei ist ohne Hatz für die Katz: Gerd Lüdemann versteht die Gnostiker aus Nag Hammadi allzu gut

Einfach zauberhaft klingt es, wenn man die Wörter "gnostisch", "Gerd Lüdemann" und "Häretiker" in der Buchtitelei präsentieren kann. Der Ausdruck "Bibel der Häretiker" suggeriert eine neue "Verschlußsache", denn es heißt alsbald, hier kämen "als Ketzer Gebrandmarkte und aus dem kirchlichen und gesellschaftlichen Leben Ausgeschlossene" endlich selbst zu Wort. Dann darf man dreimal raten, wer sie bisher am Reden gehindert hat. Nein, entgegen dem Werbetext auf der Rückseite des Buches war es diesmal nicht "die Kirche", sondern der Sand Ägyptens, denn diese Texte wurden erst 1945 gefunden. Der Verkaufstitel "Bibel der Häretiker" ist dabei schlechthin irreführend. Wer liest schon das Vorwort, in dem der Titel seinem sachlichen Gehalt nach widerrufen wird, bevor er das Buch kauft? So aber muß man denken: Hier gab es eine geheime Gegenbibel zur christlichen, unterdrückte Schriften also, die - wie selbstverständlich alles Unterdrückte - die Wahrheit enthalten. Erst auf Seite elf liest man dann, es handele sich gar nicht um eine Bibel, sondern um eine Bibliothek. Das ist nun, weiß Gott, etwas recht Verschiedenes. Diese Texte sind noch nicht einmal alle gnostisch, wie am Thomas-Evangelium, das auch unter diesen Funden ist, leicht erkennbar ist: Hier haben wir teilweise älteres Jesusgut aus dem ersten Jahrhundert vor uns. Schließlich finden sich auch kreuznormale "Sentenzen" des Sextus und eine Seite aus Platos Staat.

Der Ausdruck "Häretiker" setzt voraus, es habe bezüglich der Kirchlichkeit der "Gnostiker" klare Fronten gegeben. Daß genau das nicht der Fall war, hat die Forschung seit den siebziger Jahren bewiesen. Wiederholt wird in den Anmerkungen jede nur mutmaßliche Anspielung ausgeschlachtet, aus der man eine Verfolgung herauslesen kann. Keine dieser wenigen Stellen ist eindeutig. Kirchenväter haben gegen gnostische Meinungen polemisiert, aber von einer auch nur in Ansätzen systematischen Verfolgung und sozialer, gar wirtschaftlicher Diskriminierung kann nicht die Rede sein. Die Gnostiker waren eine innerkirchliche theologische und intellektuelle Elite. Erst die Mandäer des dritten Jahrhunderts haben eine Gegenkirche gehabt. Daß man um die Wahrheit streiten mußte und daß die radikalen Gnostiker schließlich scheiterten, war wohl ebenso notwendig wie vorhersehbar - nicht zuletzt aufgrund ihrer negativen Wertung des Alten Testaments.

Wenn Gerd Lüdemann, dem die Landeskirche Hannovers die Prüfungserlaubnis entzog, seine eigene mutmaßliche Verfolgungssituation in der Lage der gnostischen Theologen wiedererkennt, ist das eher sein Problem. Wie die Gnostiker lebt er gesund und wohlversorgt und hält - wie die Gnostiker nach Irenäus von Lyon - zahlreiche Vorträge vor kirchlichem Publikum. Verfolgtsein gehört wohl unwiderruflich zum Image des interessanten Theologen. Im übrigen ist, wenn der Eindruck nicht täuscht, Lüdemann eher als Herausgeber und Inspirator einiger Anmerkungen zu denken, denn es handelt sich um ein anonymes Gemeinschaftswerk aus Göttingen, mitfinanziert von der dortigen Sparkasse. Ob die asketische Grundtendenz der gnostischen Lehrer zum Spenden reizte? Nur in diesem Punkt übrigens sind die Kirchenlehrer gegenüber ihren gnostischen Kollegen erkennbar unfair gewesen: Sie unterstellten Wollust und Hedonismus. Das Gegenteil war der Fall.

Die Absicht des Werkes ist so übel nicht: Ein Großteil der 1945 in Nag Hammadi in Oberägypten gefundenen Texte wird in zusammenhängender deutscher Übersetzung präsentiert. Daß das erst jetzt geschieht, also 52 Jahre nach dem Fund, wirft in der Tat ein beunruhigendes Licht auf die Situation der deutschen Forschung. Bisher waren die Texte seit 1977 in der englischen, von J. M. Robinson herausgegebenen Fassung einsehbar. Die koptischen Vorlagen sind in den Serienwerken "Nag Hammadi Studies" und "Nag Hammadi and Manichaean Studies" herausgegeben worden. Freilich kommt Lüdemann mit seiner Übersetzung einer traditionsreichen koptologischen Studiengruppe an der Berliner Humboldt-Universität zuvor. Dieser Kreis hatte seit den sechziger Jahren unermüdlich und mit großer Exaktheit kommentierte Übersetzungen und Einführungen zu einzelnen Traktaten in theologischen Zeitschriften veröffentlicht, vor allem in der "Theologischen Literaturzeitung", die zu Zeiten der DDR eines der wenigen Foren war, in denen man ideologiefrei publizieren durfte. Schade, daß dieses Unternehmen noch nicht abgeschlossen werden konnte. Im übrigen lohnt es sich, frühere Übersetzungen mit dem jetzt Gebotenen zu vergleichen. So liegt angeblich im Rheginusbrief, einem Traktat über die Auferstehung, die gnostische Auffassung einer "Rückkehr zu sich selbst" vor - was gut und modern therapeutisch klingt. Die Übersetzung selbst lautet schon etwas anders: "daß er sich selbst empfange, wie er zuerst gewesen ist". Die englische Übersetzung von 1977 bot: "daß er selbst empfange, was zuerst war", und in einer älteren deutschen Übersetzung heißt es ebenso, "sondern selbst wieder empfange das, was zuerst war". Fazit: Die Übersetzung aus Göttingen ist irreführende Kolportage, und zwar im Sinne modischen Psychologisierens.

In vielen Fußnoten setzt sich die moderne Lüdemann-Orthodoxie bereits durch: Wo im Text von Tod und Auferstehung gesprochen wird, nennt die sprachgeregelte Fußnote nur "die Kreuzigung". Und angeblich war Petrus schon im Neuen Testament tendenziell der einzige Zeuge der Passion - wie lange werden die weiblichen Leser mit dieser modernen Häresie Geduld zeigen? Und sind Licht und Heiliger Geist in gnostischen Auferstehungstexten wirklich Gegensatz zu Leiblichkeit? Entschieden zu weit geht die Auslegung, wenn für die Paulusapokalypse "Reinkarnation" angenommen wird, nur wenn eine Seele einen neuen jenseitigen Leib bekommt, was doch schon Paulus in 2, Korinther 5 sagt. Wo Sodom und Gomorrha im Unterschied zur Bibel positiv gewertet werden, spricht die Fußnote von Protestexegese - auch dieses schöne Wort hat ein gewisses Etwas, vor allem, wenn man bedenkt, daß durch solche Exegese vom Feuer und Schwefel über die beiden Städte kein Lot abgezogen wird.

Im übrigen werden zu den einzelnen Traktaten kurze Einführungen geboten, die inhaltlich wenig klären. Auch die in der Regel sehr sparsamen Fußnoten machen keinen Text verständlicher - denn auf diesem Gebiet liegt auch für den Fachtheologen, selbst für den Exegeten, das Hauptproblem. Durch den oft mangelhaften Erhaltungszustand wird das Problem der Entschlüsselung nicht gerade leichter. Auch als Fachkollege muß ich bekennen: Diese Aufzeichnungen kann mit Freude nur lesen, wer vor keiner Schwierigkeit zurückschreckt, wer als Einsiedler oder "Lebensmüder" die Herausforderung durch unverstehbare Texte als letzten Nervenkitzel benötigt - ein Test für Menschen, die ihre intellektuellen Grenzen kennenlernen möchten. Kurz gesagt: Diese Texte sind wie Wüste und Sand, wie trockene Luft und wenig Fleisch, eine Härteprobe für die Nerven. Hier sind Stuyvesant-Typen gefragt!

Welchem Zweck mögen diese Schriften gedient haben? Sofern die Verfasser wirklich Gnostiker waren, kann man sagen: Diese gelehrten Theologen, die der Kirche die ersten Bibelkommentare und die ersten systematischen Traktate schenkten oder schenken wollten, waren so etwas wie die Jesuiten des zweiten Jahrhunderts. Sie stellten mit Rücksicht auf die neuen Adressaten der kirchlichen Botschaft zum ersten Male eine konsequent heidenchristliche Theologie auf die Beine. In ihrem Mut gingen sie bis an die äußerste Grenze dessen, was man wagen konnte. Sie ließen sich radikal ein auf spätägyptische und hellenistische Mythologie, attackierten konservative Kirchenkreise und waren ihnen intellektuell weit überlegen. Daß ihr Versuch, Christentum ohne eine positive Wertung des Gottes Israels und der gesamten bestehenden Schöpfung, aber auch wohl ohne Mitleid mit Durchschnittschristen, zu denken, scheitern mußte, ändert nichts an ihrem Mut und an ihrer Fähigkeit, mit den Gebildeten (und Wohlhabenden) ihrer Zeit zu diskutieren. Auch wenn sie unterlagen, so waren sie doch von großem Format. So kann es gehen. KLAUS BERGER

"Bibel der Häretiker". Die gnostischen Schriften aus Nag Hammadi. Eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Gerd Lüdemann und Martina Janßen. Radius Verlag, Stuttgart 1997. 628 S., geb., 98,- DM.

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