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Die Geschichte der Philologie war immer auch eine Geschichte des Lesens heiliger Texte. Dass auch die Moderne nicht notwendig mit dieser Herkunft bricht, zeigen die vielfältigen Beziehungen zwischen Literatur, Philologie und Bibelexegese in der epistemologischen Schlüsselepoche um 1800. Wenn Novalis 1798 an Friedrich Schlegel schreibt, eine »Theorie der Bibel« würde eigentlich einer »Theorie der Schriftstellerei oder der Wordbildnerei überhaupt« entsprechen, so ruft das nicht nur einen traditionellen topos auf, sondern bezieht sich auch auf höchst aktuelle zeitgenössische Debatten. Denn die…mehr

Produktbeschreibung
Die Geschichte der Philologie war immer auch eine Geschichte des Lesens heiliger Texte. Dass auch die Moderne nicht notwendig mit dieser Herkunft bricht, zeigen die vielfältigen Beziehungen zwischen Literatur, Philologie und Bibelexegese in der epistemologischen Schlüsselepoche um 1800. Wenn Novalis 1798 an Friedrich Schlegel schreibt, eine »Theorie der Bibel« würde eigentlich einer »Theorie der Schriftstellerei oder der Wordbildnerei überhaupt« entsprechen, so ruft das nicht nur einen traditionellen topos auf, sondern bezieht sich auch auf höchst aktuelle zeitgenössische Debatten. Denn die sich im Laufe des 18. Jahrhunderts ausbildende historische und philologische Kritik der Bibel erlaubt es nicht nur, das Buch der Bücher neu zu lesen, sondern verändert auch das Verständnis des Lesens und der Literatur überhaupt. Immer wenn um 1800 über Semiotik und Übersetzungstheorie, Rhetorik und Philologie, Poetik und Hermeneutik verhandelt wird, geschieht das auch mit Seitenblick auf die Bibel und ihre Lesbarkeit. Weidners Studie untersucht die literarischen und kritischen Diskurse um und über die Bibel, die für die Geschichte der Literaturwissenschaft von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist.
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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung

Der irrwitzige Kampf
um die eine Wahrheit
Soll das Säkularisierung heißen? Daniel Weidner
sichtet den Markt von „Bibel und Literatur“ um 1800
Der Ratschlag Goethes an seinen Freund Herder für dessen auf den 20. Oktober 1776 festgesetzte Antrittspredigt in Weimar liest sich auf den ersten Blick recht simpel. „Und sinn dir eine Predigt aus zum Antritt plan und gut so wie du ex tempore“. Tatsächlich hatte Goethe ein immenses Interesse an und ein komplexes Verhältnis zu dem Genre der Predigt, wie nicht nur die „Wahlverwandtschaften“ oder die autobiographische Schrift „Sankt-Rochus-Fest zu Bingen“ von 1817 eindrucksvoll belegen. Er nutzte immer wieder die Predigt als etablierte Darstellungs- und Deutungsform der Bibel, um mit ihr nicht nur eingeübte rhetorische Figuren und deren Funktionen durcheinander zu wirbeln, sondern auch um zwischen den vermittelten Inhalten und deren Wirkungsabsichten scharfe Gegensätze zu inszenieren.
Auch im Judentum ist die Predigt ein guter Indikator, um das Neuartige der Bibellektüren um 1800 verstehen zu können. Wie Alexander Altmann nachwies, spielten in diesen Jahren christliche Elemente wie die „Erbauung“ oder das „Bewegen des Gemüts“ eine neue, zentrale Rolle. Mit guten Gründen fiel damals häufig das Wort vom „schleiermachern“, ein Hinweis auf einen der Stichwortgeber für eine neue Vorstellung von Religion – und somit von der Bibel.
Es wäre nun ein Leichtes, diese und ähnliche Prozesse mit Hilfe des Begriffs der Säkularisierung zu deuten. Demnach wurde die Bibel in ein Geschehen hineingezogen, in dem, je nach Temperament des Interpreten, Glaube und Religion verschwanden, sich in anderen Gestalten aktualisierten, sie ihre Renaissance erlebten oder eigentlich alles beim Alten blieb, nunmehr allerdings in komplizierteren und schwerer zu identifizierenden Formen. Doch obwohl das niemand bestreitet, was zudem in den meisten der weit über eintausend Monographien, Sammelbänden und Aufsätzen zu dem Zeitraum „um 1800“ gebetsmühlenartig bestätigt wird, dass nämlich seinerzeit Säkularisierungsprozesse stattfanden, so wenig taugt der Begriff noch als analytische Kategorie. Aktuelle Reanimationsversuche über Hans Blumenberg oder Niklas Luhmann verheißen jedenfalls zurzeit wenig Gutes.
Wer daran zweifelt, der sollte die neue Studie des Berliner Literatur- und Kulturwissenschaftlers Daniel Weidner lesen. Seine Überblicksdarstellung zum Thema „Bibel und Literatur um 1800“ ist so nüchtern und gegenüber Moden und anderen methodischen Heilsversprechen einschüchternd immun, dass man bei der Lektüre gelegentlich glaubt, den alten und meist guten Philologenstaub einzuatmen. Was also setzt Weidner den Großtheorien entgegen? Zunächst einmal in der Tat ein umfangreiches Tableau an untersuchten Gegenständen, um die die theorietrunkenen Kulturwissenschaften bisher einen riesigen Boden machten: Bibel-Edition, Fälschungserzählungen, die Bibel als bloße historische „Urkunde“ und die komplexen Fragen, die sich diverse Bibel-Übersetzer stellten, geben ihm Auskünfte über das umfangreiche Geschehen auf dem Markt namens „Bibel und Literatur“.
Weidner stößt in seinen Ausführungen allerdings beständig auf Ambivalenzen und Unentschiedenheiten, wo die Protagonisten so gerne Eindeutigkeiten herstellen wollten. Ob Karl Lachmann, Herder, William Warburton oder Hermann Samuel Reimarus: ihre radikalen Erneuerungs- und Umschreibversuche der Bibel sind ebenso im Unbestimmten steckengeblieben, wie die Unternehmen, die um jeden Preis glaubten, die Vernünftigkeit der Religion festgestellt zu haben. Da verwundert es nicht, wenn man Philologen, Philosophen und Theologen gegen Wände anrennen sieht, die Autoren wie Schiller oder Jean Paul längst kunstvoll eingerissen und an anderer Stelle, unter anderen Vorzeichen, wieder aufgerichtet hatten. Von Säkularisierung ist bei den zahllosen Umbuchungen weit und breit nichts zu sehen.
Was Daniel Weidners en gros und en détail aufzeigt, ist letztlich etwas völlig anderes. Im Zeitraum zwischen etwa 1770 und 1835, das Jahr, in dem David Friedrich Strauß’ „Das Leben Jesu“ erschien und alles veränderte, spielte sich ein geradezu irrwitziger Kampf um die Frage nach der einen Wahrheit ab. Auch wenn die vorliegende Darstellung einen souveränen und klugen Ordnungsvorschlag unterbreitet, der das Kampfgeschehen übersichtlich machen soll, so kann kein Zweifel daran bestehen, dass nach dem Abzug des Pulverdampfes das Verhältnis von Bibel und Literatur gründlich verändert war – ohne das klar wäre, wie es nunmehr genau zu beschreiben ist. Man könnte tatsächlich von einer Ablösung von „Wahrheit“ durch „Textkulturen“ (Weidner) sprechen. Die Erkenntnis mag nicht jedem neu vorkommen, aber im Wechselspiel von „Bibel und Literatur um 1800“ bekommt das Bekannte eine ganz neue Evidenz und Eindringlichkeit. Da nimmt man den eingeatmeten Staub gerne in Kauf. THOMAS MEYER
DANIEL WEIDNER: Bibel und Literatur um 1800. Wilhelm Fink Verlag, München 2011. 437 Seiten, 54 Euro.
Radikale Umschreibversuche
der Bibel blieben im
Unbestimmten stecken
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Dass die Auseinandersetzungen von Literaten mit der Bibel um 1800 bei aller Diversität der Resultate meist als Säkularisierungsprozesse gedeutet werden, ist für den Rezensenten Thomas Meyer ein alter Hut. Aber darauf wolle Daniel Weidners "Bibel und Literatur um 1800" gottlob nicht hinaus, meint der erleichterte Rezensent. Was Weidners Studie vor zahlreichen theorielastigen Behandlungen des Themas in erfrischender Weise auszeichne, sei paradoxerweise seine philologische Verstaubtheit. Denn zunächst einmal sichte Weidner eine große Menge Quellenmaterials (Bibeleditionen, Fälschungserzählungen, Übersetzungsdiskurse) und erweise sich dabei als erstaunlich resistent gegenüber kulturwissenschaftlichen "Moden und anderen methodischen Heilsversprechen". Im Ergebnis unterbreitet Weidner "einen klugen und souveränen Ordnungsvorschlag" für den um 1800 tobenden Kampf um Wahrheitsfragen, urteilt Meyer. Und auch wenn der Rezensent letztlich nicht viel Neues gelernt hat, entfaltet das Altbekannte für ihn nach der Lektüre Weidners doch "eine ganz neue Evidenz und Eindringlichkeit".

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