A half century ago, a shocking Washington Post headline claimed that the world began in five cataclysmic minutes rather than having existed for all time; a skeptical scientist dubbed the maverick theory the Big Bang. In this amazingly comprehensible history of the universe, Simon Singh decodes the mystery behind the Big Bang theory, lading us through the development of one of the most extraordinary, important, and awe-inspiring theories in science.
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"It's hard to imagine a grander, more thrilling story...fast-paced...hugely entertaining...Big Bang is, quite literally, cosmic." New York Times
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.12.2005Hubbles kosmische Bombe
Simon Singh erzählt, was es mit dem Urknall auf sich hat
Die Frage nach dem Ursprung des Kosmos hat auch nach Etablierung der Urknall-Theorie keine abschließende Antwort gefunden. Den komplizierten Streit um diese Theorie inszeniert Simon Singh in seinem neuen Buch "Big Bang" als ein unterhaltsames Lehrstück der Wissenschaftsgeschichte.
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Laut James Ussher, seit 1624 Erzbischof von Armagh im Norden Irlands, kann man das genauer sagen: Der Anfang läßt sich auf den 22. Oktober 4004 vor Christus um sechs Uhr nachmittags datieren. (Hier hat Ussher den Julianischen Kalender verwendet, den Großbritannien erst 1752 aufgab.) Das war an einem Samstag. Eine Woche später, am Freitag abend, war die Schöpfung vollendet. Im Jahrhundert nach Ussher entdeckte Isaak Newton das Gesetz, welches beschreibt, wie Äpfel vom Baum fallen und Planeten ihre Sonne umkreisen. In Newtons Welt gibt es keinen natürlichen Anfangspunkt. Seine Gleichungen schildern einen ewig gleichen Kosmos.
Im Grunde hat Ussher die Welt besser beschrieben als Newton. Die Mehrheit der Kosmologen glaubt inzwischen, daß das Universum erst vor fünfzehn Milliarden Jahren abrupt zu existieren begann. Am Anfang gab es eine hektische Phase, gefolgt von relativer Ruhe. Stück für Stück bildeten sich die Bestandteile heraus - vom Fixstern bis zu den Mangrovensümpfen. Doch das Ende ist nah. Nichts wird bleiben, wie es ist. Der Kältetod, den man uns vorhersagt, ist furchtbarer als das Jüngste Gericht der Erzbischöfe.
Der Untertitel des englischen Originals lautet unbescheiden "The Most Important Scientific Discovery of All Time and Why You Need to Know About it". Wer sich für naturwissenschaftliche Fragen interessiert, wird sich nicht langweilen. Singhs Rezept verzichtet auf viele unangenehme technische Einzelheiten. Teilaspekte erklärt er liebevoll. Zusätzlich lockert der Autor seine Darstellung mit Geschichten aus dem Leben der Protagonisten auf. Die Kosmologie steht im Mittelpunkt.
Am Anfang, vor rund zehn bis zwanzig Milliarden Jahren, war unser Kosmos nur eine winzige heiße Singularität. Diese begann sich explosionsartig auszudehnen. Marodierende Wasserstoffkerne schnappten sich ein Elektron oder verschmolzen erst zu Helium und gewissen anderen Elementen. Kleine Unregelmäßigkeiten in der Materieverteilung bewirkten die Entstehung von Sternen, die zu Galaxien verklumpten. Diese Explosion am Anfang war der Big Bang, der Urknall. Und eine der Galaxien ist unsere Milchstraße.
Um diese Beschreibung der Vergangenheit unserer Welt zu verstehen, muß man erst einmal die Gegenwart begriffen haben. Wobei Gegenwart vielleicht nicht der richtige Begriff ist. Wenn wir den Andromedanebel im Teleskop anschauen, dann war das Licht schon Millionen Jahre lang zu uns unterwegs. Dabei ist der Andromedanebel noch ein unmittelbarer Nachbar unserer eigenen Milchstraße. Je weiter wir ins All schauen, desto weiter schauen wir in die Vergangenheit. Was wir am Himmel sehen, ist nicht die Gegenwart, und das Bild wird leider mit zunehmender räumlicher und zeitlicher Entfernung immer unschärfer. Schon deshalb war einige Denkarbeit von besonders klugen Köpfen vonnöten, ehe alles einigermaßen erklärt war.
Der Verlag nennt das Buch einen "Wissenschaftskrimi". Ein fesselnder Krimi beschreibt nicht den direkten Weg von Slinkinskys Verbrechen bis zu seiner Verurteilung durch die zwölf Geschworenen. Er beschreibt indirekt, wie Chief Inspektor Mortimer Witherspoon die Einzelheiten der ruchlosen Tat herausgefunden hat. Analog schildert Singh nicht, wie unser Kosmos sich entwickelt hat, sondern wie unser Wissen über den Kosmos historisch entstanden ist. Dazu braucht er einen langen Atem, aber am Ende läuft es auf das gleiche hinaus. Solche Geschichten fangen immer bei den Griechen an. Manchmal sind die Griechen auch Ägypter oder Libyer.
Die alten Griechen wußten lange vor Kolumbus um die Kugelform unserer Erde. Ein Beweis dafür war zum Beispiel, daß die Schiffe am Horizont langsam nach unten verschwanden. Eratosthenes von Kyrene gelang es 225 vor Christus, den Umfang und damit den Durchmesser der Erdkugel zu bestimmen. Daraus bestimmten er und andere der Reihe nach folgende Größen: Durchmesser des Mondes, Entfernung des Mondes von der Erde, Entfernung der Sonne von der Erde, Durchmesser der Sonne. Im Grunde läßt sich das alles recht einsichtig erklären, und Singh tut das auch. Zum erstenmal in der Menschheitsgeschichte auf solche Ideen zu kommen, das ist eine große Leistung. Nachträglich betrachtet ist alles fast trivial. Da hier in einer logischen Kette eines am anderen hing, war der letzte Wert, der für den Sonnendurchmesser, der ungenaueste. Die beste Theorie ist nur ein Tand, wenn man keine genauen Messungen zur Verfügung hat.
Die Entwicklung besserer Meßinstrumente und besserer Theorien verlief parallel. Beides brauchte seine Zeit. Dank Kopernikus, Kepler, Galilei und Newton lernten wir, das Sonnensystem zu verstehen. Im Jahr 1838 konnte Friedrich Bessel mit einem Fehler von nur zehn Prozent die Entfernung zu dem Stern 61 Cygni messen. Das lieferte eine Schätzung für die Größe unserer Milchstraße. Erst von 1924 an war man davon überzeugt, daß es noch andere Galaxien gibt. Diese Entdeckung verdanken wir Edwin Hubble (1889 bis 1953), der die Distanz des Andromedanebels zu unserer Galaxis bestimmte. Hubble gelang noch ein zweiter Meisterstreich. Im Jahr 1929 fand er heraus, daß sich die meisten Galaxien von uns entfernen, und zwar mit einer Geschwindigkeit, die proportional zu ihrer Entfernung ist. Wie hat Hubble das gemacht? Man stelle sich eine tutende Dampflokomotive vor, die sich nähert und wieder entfernt. Der Ton der Pfeife wird erst höher (kleinere Wellenlänge), dann tiefer (größere Wellenlänge). Bei den Galaxien ist es ähnlich, nur muß man die Licht- statt der Schallwellen untersuchen. Bei diesem Phänomen der auseinanderfliegenden Galaxien ist unsere kleine unbedeutende Erde nicht auserwählt, wie man vielleicht glauben möchte. Jede Galaxie entfernt sich von jeder anderen. Unser subjektiver Eindruck ist dabei, daß sich jede speziell von uns entfernt.
Hubble folgte den Bahnen der Galaxien zurück in die Vergangenheit. Er stellte fest, daß sich die gesamte Materie im Universum vor 1,8 Milliarden Jahren an etwa der gleichen Stelle befunden haben mußte. Das war der erste Hinweis auf den Big Bang. Dieser Name wurde viel später von Fred Hoyle (1915 bis 2001, von 1972 an Sir Fred) geprägt. Die Zahl von 1,8 Milliarden mußte im Laufe der Zeit nach oben korrigiert werden, was aber nichts am Prinzip ändert. Einen weiteren Hinweis auf den Urknall lieferte Albert Einstein mit der Allgemeinen Relativitätstheorie von 1915. Seine Gleichungen besitzen eine Lösung, die ein expandierendes Universum beschreibt. Einstein wollte daran nicht glauben und kompensierte diesen Effekt mit der Einführung eines zusätzlichen Terms in den Formeln.
Auch viele andere Wissenschaftler mochten das Konzept des Urknalls nicht. Ein Grund dafür war wohl die Ähnlichkeit mit den Schöpfungsmythen vieler Religionen. Gerade in England erinnerte der Urknall vielleicht unangenehm an die genial-naiven Berechnungen des Erzbischofs Ussher, die man damals in der Einleitung mancher King-James-Bibel nachlesen konnte. Das wichtigste Konkurrenzmodell zum Big Bang stammte aus Cambridge. Fred Hoyle, Thomas Gold und Hermann Bondi propagierten das Steady-State-Modell. Auch bei diesem expandiert das Universum, aber zwischen den auseinanderstrebenden Galaxien entsteht immer wieder neue Materie. Ein einziges neues Atom pro Jahrhundert von der Größe des Empire State Buildings reicht aus, um das Materiedefizit durch die Expansion auszugleichen. Die Nadel im Heuhaufen ist im Vergleich dazu ein Brontosaurus. Das Steady-State-Universum ändert sich ständig, sieht aber dabei immer gleichartig aus.
Fred Hoyle war ein in der Wolle gefärbter Ikonoklast. Die Rolle des Advocatus Diaboli war ihm auf den Leib geschneidert. Seine wissenschaftlichen Hypothesen waren nicht immer erfolgreich, aber nie langweilig. In seiner Freizeit schrieb er Science-fiction-Romane. Die wichtigsten Vertreter der gegnerischen Big-Bang-Theorie waren George Gamow, Ralph Alpher und Robert Herman. Gamow war der Witzbold unter den dreien. Er schrieb keine Romane, aber Spottgedichte, von denen Singh einige zitiert. Die Debatte zwischen den Big-Bang- und den Steady-State-Anhängern begann 1946 und endete 1992 mit einem Sieg der Big-Bang-Fraktion, der auf genauen Messungen der kosmischen Hintergrundstrahlung beruhte. Diese Auseinandersetzung war eine Folge von Scharmützeln. Es gab diverse Aspekte, bei denen man untersuchte, welche der beiden Theorien sie besser erklärte. Beschränken wir uns auf ein Beispiel: die Häufigkeit der chemischen Elemente im Universum. Das Verhältnis von Wasserstoff zu Helium konnten Gamow und Alpher mit der Kernfusion in den ersten fünf Minuten nach dem Urknall erklären. Da war der Kosmos noch heiß wie eine gerade explodierende H-Bombe. Auch das Bor und das Lithium mögen so entstanden sein.
Aber nicht der Kohlenstoff! Es ist ausgeschlossen, daß er in der Glut des Urknalls zusammengekocht wurde. Das lassen die Formeln der Kernphysiker nicht zu. Wenn man aber erst einmal den Kohlenstoff erklärt hat, dann ist es mit den anderen Elementen nicht mehr so schwierig. Dieses Kohlenstoff-Problem löste 1953 ausgerechnet Fred Hoyle. Dabei dachte er an sein Steady-State-Modell, bei dem permanent Wasserstoff aus dem Nichts entsteht. Die Theorie paßt fast noch besser zum Big Bang. Hoyle entdeckte den Mechanismus der Entstehung der schweren Elemente: Diese reichern sich langsam in Sternen an. Die Sterne werden alt und explodieren. Der Sternenmüll wird von neuen Sternen inkorporiert. Auch diese Sterne werden alt und explodieren. Unsere Sonne ist vermutlich schon ein Stern der dritten Generation. Ohne diese rastlose Arbeit der Elementfabriken in den Sternen gäbe es keinen Kohlenstoff, also auch keine Druckerschwärze, kein Zeitungspapier und keine kohlenstoffbasierten Lebewesen, die die Zeitung lesen. Vielleicht hat Singh tatsächlich recht. Der Big Bang ist die wichtigste Entdeckung aller Zeiten, und wir sollten ihn verstehen. Doch die Geschichten vom Garten Eden, von der Schlange und von Kain und Abel, die Erzbischof Ussher studierte, waren viel befriedigender.
ERNST HORST
Simon Singh: "Big Bang". Der Ursprung des Kosmos und die Erfindung der modernen Naturwissenschaft. Aus dem Englischen von Klaus Fritz. Carl Hanser Verlag, München 2005. 541 S., Abb., Tabellen, geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Simon Singh erzählt, was es mit dem Urknall auf sich hat
Die Frage nach dem Ursprung des Kosmos hat auch nach Etablierung der Urknall-Theorie keine abschließende Antwort gefunden. Den komplizierten Streit um diese Theorie inszeniert Simon Singh in seinem neuen Buch "Big Bang" als ein unterhaltsames Lehrstück der Wissenschaftsgeschichte.
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Laut James Ussher, seit 1624 Erzbischof von Armagh im Norden Irlands, kann man das genauer sagen: Der Anfang läßt sich auf den 22. Oktober 4004 vor Christus um sechs Uhr nachmittags datieren. (Hier hat Ussher den Julianischen Kalender verwendet, den Großbritannien erst 1752 aufgab.) Das war an einem Samstag. Eine Woche später, am Freitag abend, war die Schöpfung vollendet. Im Jahrhundert nach Ussher entdeckte Isaak Newton das Gesetz, welches beschreibt, wie Äpfel vom Baum fallen und Planeten ihre Sonne umkreisen. In Newtons Welt gibt es keinen natürlichen Anfangspunkt. Seine Gleichungen schildern einen ewig gleichen Kosmos.
Im Grunde hat Ussher die Welt besser beschrieben als Newton. Die Mehrheit der Kosmologen glaubt inzwischen, daß das Universum erst vor fünfzehn Milliarden Jahren abrupt zu existieren begann. Am Anfang gab es eine hektische Phase, gefolgt von relativer Ruhe. Stück für Stück bildeten sich die Bestandteile heraus - vom Fixstern bis zu den Mangrovensümpfen. Doch das Ende ist nah. Nichts wird bleiben, wie es ist. Der Kältetod, den man uns vorhersagt, ist furchtbarer als das Jüngste Gericht der Erzbischöfe.
Der Untertitel des englischen Originals lautet unbescheiden "The Most Important Scientific Discovery of All Time and Why You Need to Know About it". Wer sich für naturwissenschaftliche Fragen interessiert, wird sich nicht langweilen. Singhs Rezept verzichtet auf viele unangenehme technische Einzelheiten. Teilaspekte erklärt er liebevoll. Zusätzlich lockert der Autor seine Darstellung mit Geschichten aus dem Leben der Protagonisten auf. Die Kosmologie steht im Mittelpunkt.
Am Anfang, vor rund zehn bis zwanzig Milliarden Jahren, war unser Kosmos nur eine winzige heiße Singularität. Diese begann sich explosionsartig auszudehnen. Marodierende Wasserstoffkerne schnappten sich ein Elektron oder verschmolzen erst zu Helium und gewissen anderen Elementen. Kleine Unregelmäßigkeiten in der Materieverteilung bewirkten die Entstehung von Sternen, die zu Galaxien verklumpten. Diese Explosion am Anfang war der Big Bang, der Urknall. Und eine der Galaxien ist unsere Milchstraße.
Um diese Beschreibung der Vergangenheit unserer Welt zu verstehen, muß man erst einmal die Gegenwart begriffen haben. Wobei Gegenwart vielleicht nicht der richtige Begriff ist. Wenn wir den Andromedanebel im Teleskop anschauen, dann war das Licht schon Millionen Jahre lang zu uns unterwegs. Dabei ist der Andromedanebel noch ein unmittelbarer Nachbar unserer eigenen Milchstraße. Je weiter wir ins All schauen, desto weiter schauen wir in die Vergangenheit. Was wir am Himmel sehen, ist nicht die Gegenwart, und das Bild wird leider mit zunehmender räumlicher und zeitlicher Entfernung immer unschärfer. Schon deshalb war einige Denkarbeit von besonders klugen Köpfen vonnöten, ehe alles einigermaßen erklärt war.
Der Verlag nennt das Buch einen "Wissenschaftskrimi". Ein fesselnder Krimi beschreibt nicht den direkten Weg von Slinkinskys Verbrechen bis zu seiner Verurteilung durch die zwölf Geschworenen. Er beschreibt indirekt, wie Chief Inspektor Mortimer Witherspoon die Einzelheiten der ruchlosen Tat herausgefunden hat. Analog schildert Singh nicht, wie unser Kosmos sich entwickelt hat, sondern wie unser Wissen über den Kosmos historisch entstanden ist. Dazu braucht er einen langen Atem, aber am Ende läuft es auf das gleiche hinaus. Solche Geschichten fangen immer bei den Griechen an. Manchmal sind die Griechen auch Ägypter oder Libyer.
Die alten Griechen wußten lange vor Kolumbus um die Kugelform unserer Erde. Ein Beweis dafür war zum Beispiel, daß die Schiffe am Horizont langsam nach unten verschwanden. Eratosthenes von Kyrene gelang es 225 vor Christus, den Umfang und damit den Durchmesser der Erdkugel zu bestimmen. Daraus bestimmten er und andere der Reihe nach folgende Größen: Durchmesser des Mondes, Entfernung des Mondes von der Erde, Entfernung der Sonne von der Erde, Durchmesser der Sonne. Im Grunde läßt sich das alles recht einsichtig erklären, und Singh tut das auch. Zum erstenmal in der Menschheitsgeschichte auf solche Ideen zu kommen, das ist eine große Leistung. Nachträglich betrachtet ist alles fast trivial. Da hier in einer logischen Kette eines am anderen hing, war der letzte Wert, der für den Sonnendurchmesser, der ungenaueste. Die beste Theorie ist nur ein Tand, wenn man keine genauen Messungen zur Verfügung hat.
Die Entwicklung besserer Meßinstrumente und besserer Theorien verlief parallel. Beides brauchte seine Zeit. Dank Kopernikus, Kepler, Galilei und Newton lernten wir, das Sonnensystem zu verstehen. Im Jahr 1838 konnte Friedrich Bessel mit einem Fehler von nur zehn Prozent die Entfernung zu dem Stern 61 Cygni messen. Das lieferte eine Schätzung für die Größe unserer Milchstraße. Erst von 1924 an war man davon überzeugt, daß es noch andere Galaxien gibt. Diese Entdeckung verdanken wir Edwin Hubble (1889 bis 1953), der die Distanz des Andromedanebels zu unserer Galaxis bestimmte. Hubble gelang noch ein zweiter Meisterstreich. Im Jahr 1929 fand er heraus, daß sich die meisten Galaxien von uns entfernen, und zwar mit einer Geschwindigkeit, die proportional zu ihrer Entfernung ist. Wie hat Hubble das gemacht? Man stelle sich eine tutende Dampflokomotive vor, die sich nähert und wieder entfernt. Der Ton der Pfeife wird erst höher (kleinere Wellenlänge), dann tiefer (größere Wellenlänge). Bei den Galaxien ist es ähnlich, nur muß man die Licht- statt der Schallwellen untersuchen. Bei diesem Phänomen der auseinanderfliegenden Galaxien ist unsere kleine unbedeutende Erde nicht auserwählt, wie man vielleicht glauben möchte. Jede Galaxie entfernt sich von jeder anderen. Unser subjektiver Eindruck ist dabei, daß sich jede speziell von uns entfernt.
Hubble folgte den Bahnen der Galaxien zurück in die Vergangenheit. Er stellte fest, daß sich die gesamte Materie im Universum vor 1,8 Milliarden Jahren an etwa der gleichen Stelle befunden haben mußte. Das war der erste Hinweis auf den Big Bang. Dieser Name wurde viel später von Fred Hoyle (1915 bis 2001, von 1972 an Sir Fred) geprägt. Die Zahl von 1,8 Milliarden mußte im Laufe der Zeit nach oben korrigiert werden, was aber nichts am Prinzip ändert. Einen weiteren Hinweis auf den Urknall lieferte Albert Einstein mit der Allgemeinen Relativitätstheorie von 1915. Seine Gleichungen besitzen eine Lösung, die ein expandierendes Universum beschreibt. Einstein wollte daran nicht glauben und kompensierte diesen Effekt mit der Einführung eines zusätzlichen Terms in den Formeln.
Auch viele andere Wissenschaftler mochten das Konzept des Urknalls nicht. Ein Grund dafür war wohl die Ähnlichkeit mit den Schöpfungsmythen vieler Religionen. Gerade in England erinnerte der Urknall vielleicht unangenehm an die genial-naiven Berechnungen des Erzbischofs Ussher, die man damals in der Einleitung mancher King-James-Bibel nachlesen konnte. Das wichtigste Konkurrenzmodell zum Big Bang stammte aus Cambridge. Fred Hoyle, Thomas Gold und Hermann Bondi propagierten das Steady-State-Modell. Auch bei diesem expandiert das Universum, aber zwischen den auseinanderstrebenden Galaxien entsteht immer wieder neue Materie. Ein einziges neues Atom pro Jahrhundert von der Größe des Empire State Buildings reicht aus, um das Materiedefizit durch die Expansion auszugleichen. Die Nadel im Heuhaufen ist im Vergleich dazu ein Brontosaurus. Das Steady-State-Universum ändert sich ständig, sieht aber dabei immer gleichartig aus.
Fred Hoyle war ein in der Wolle gefärbter Ikonoklast. Die Rolle des Advocatus Diaboli war ihm auf den Leib geschneidert. Seine wissenschaftlichen Hypothesen waren nicht immer erfolgreich, aber nie langweilig. In seiner Freizeit schrieb er Science-fiction-Romane. Die wichtigsten Vertreter der gegnerischen Big-Bang-Theorie waren George Gamow, Ralph Alpher und Robert Herman. Gamow war der Witzbold unter den dreien. Er schrieb keine Romane, aber Spottgedichte, von denen Singh einige zitiert. Die Debatte zwischen den Big-Bang- und den Steady-State-Anhängern begann 1946 und endete 1992 mit einem Sieg der Big-Bang-Fraktion, der auf genauen Messungen der kosmischen Hintergrundstrahlung beruhte. Diese Auseinandersetzung war eine Folge von Scharmützeln. Es gab diverse Aspekte, bei denen man untersuchte, welche der beiden Theorien sie besser erklärte. Beschränken wir uns auf ein Beispiel: die Häufigkeit der chemischen Elemente im Universum. Das Verhältnis von Wasserstoff zu Helium konnten Gamow und Alpher mit der Kernfusion in den ersten fünf Minuten nach dem Urknall erklären. Da war der Kosmos noch heiß wie eine gerade explodierende H-Bombe. Auch das Bor und das Lithium mögen so entstanden sein.
Aber nicht der Kohlenstoff! Es ist ausgeschlossen, daß er in der Glut des Urknalls zusammengekocht wurde. Das lassen die Formeln der Kernphysiker nicht zu. Wenn man aber erst einmal den Kohlenstoff erklärt hat, dann ist es mit den anderen Elementen nicht mehr so schwierig. Dieses Kohlenstoff-Problem löste 1953 ausgerechnet Fred Hoyle. Dabei dachte er an sein Steady-State-Modell, bei dem permanent Wasserstoff aus dem Nichts entsteht. Die Theorie paßt fast noch besser zum Big Bang. Hoyle entdeckte den Mechanismus der Entstehung der schweren Elemente: Diese reichern sich langsam in Sternen an. Die Sterne werden alt und explodieren. Der Sternenmüll wird von neuen Sternen inkorporiert. Auch diese Sterne werden alt und explodieren. Unsere Sonne ist vermutlich schon ein Stern der dritten Generation. Ohne diese rastlose Arbeit der Elementfabriken in den Sternen gäbe es keinen Kohlenstoff, also auch keine Druckerschwärze, kein Zeitungspapier und keine kohlenstoffbasierten Lebewesen, die die Zeitung lesen. Vielleicht hat Singh tatsächlich recht. Der Big Bang ist die wichtigste Entdeckung aller Zeiten, und wir sollten ihn verstehen. Doch die Geschichten vom Garten Eden, von der Schlange und von Kain und Abel, die Erzbischof Ussher studierte, waren viel befriedigender.
ERNST HORST
Simon Singh: "Big Bang". Der Ursprung des Kosmos und die Erfindung der modernen Naturwissenschaft. Aus dem Englischen von Klaus Fritz. Carl Hanser Verlag, München 2005. 541 S., Abb., Tabellen, geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.10.2005Die katzenlose Katze miaut
Simon Singh schreibt die Geschichte des Urknalls
Zwei widersprüchliche Gerüchte ranken sich um den Ruhm von Einsteins Relativitätstheorie: sie sei so ungeheuer schwierig, dass kein Mensch sie verstehen könne; und sie sei eigentlich ganz einfach. Wenn man Simon Singhs neues Buch „Big Bang. Der Ursprung des Kosmos und die Erfindung der modernen Naturwissenschaft” zur Hand nimmt, ist man natürlich gespannt, was er aus diesem problematischen Kernstück aller modernen Physik und Astronomie machen wird. Wird man es diesmal begreifen?
Aber er treibt es wie immer. Es geht los mit Alice, die in einem Zug, welcher mit achtzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit fährt, an einem Bahnsteig vorbeibraust, wo ihr Freund Bob steht, mit Skizze.... gut, bis hierher ist es klar. Dann erblickt man, nächster Schritt, die Zeichnung einer Gitterfläche, die von einer schweren Kugel in der Mitte eingebeult wird, während ein Pingpongball um den oberen Rand des so entstandenen Trichters herumrollt, und erfährt, dies sei eine Veranschaulichung der vierdimensionalen, gekrümmten Raumzeit. Was hat es mit diesem „gekrümmt” auf sich? Wer sich darunter nichts Rechtes vorstellen kann, muss sich sagen, dass es doch wohl an ihm selber liegt. Und plötzlich, gleichsam aus dem Hinterhalt, steht die Formel da. Man fühlt sich überrumpelt, als hätte man bei einem Zauberkunststück an der entscheidenden Stelle nicht aufgepasst. Man studiert die Passage noch einmal, noch ein drittes Mal - der Eindruck verfestigt sich: und man bleibt zurück mit einem Gefühl stiller Beschämung. Schließlich nimmt man die Formel schweigend entgegen, wie ein Abiturzeugnis, von dem man genau weiß, dass man es nur durch Mogelei gekriegt hat.
Das soll nicht heißen, dass es sich bei der Relativitätstheorie oder ihrer Darstellung bloß um einen Fall von des Kaisers neuen Kleidern handelt, von einem Schwindel also, der auf dem Weg der Einschüchterung verfährt; aber man sollte doch sehr genau auf das Paradox dieses Leicht-Schweren achten und die Art der Teilhabe, die es dem Laien einräumt. Sie vollzieht sich im Modus des Mysteriums. Damit ist keine Geheimnistuerei gemeint, als schirmte hier eine Clique ihr Herrschaftswissen ab. Vielmehr handelt es sich um ein offenbares Geheimnis wie bei der katholischen Liturgie, wenn der Priester vor aller Augen Brot und Wein in Fleisch und Blut Christi verwandelt.
Einstein selbst hat eine sehr erhellende Parodie dessen geliefert, was die Wissenschaft so an populären Erklärungen auf Lager hat; Singh zitiert sie als Kapitel-Motto: „Sehen Sie, drahtgebundene Telegrafie ist etwas wie eine sehr, sehr lange Katze. Sie ziehen in New York am Schwanz und hören es in Los Angeles miauen. Verstehen Sie? Und das Radio funktioniert genauso: Sie senden Ihre Signale von hier aus, und dort empfangen Sie sie. Der einzige Unterschied ist, dass da keine Katze ist.” Die katzenlose Katze, die miaut, umrahmt von einem Responsorium aus „Sehen Sie!” und „Verstehen Sie?”: Das bezeichnet ziemlich genau den gesellschaftlichen Ort der Relativitätstheorie und des Meisten, was nach ihr kam. Singhs Darstellung entrinnt dem nicht, und man kann es ihr nicht zum Vorwurf machen; aber sie gestattet sich - und dies darf man ihr nun doch vorhalten - keinen Gedanken daran, dass und warum es so sein muss.
„Erklärungen” sind nicht bloß die kargen Brosamen, die für den Laien vom Tisch des Weltsystems fallen; sie haben auch für dieses System selbst den großen Nachteil, dass sie, einmal gegeben, sofort zum neuen Faktum gerinnen, das seinerseits auf Erklärung drängt. Erklärungen tragen relationalen Charakter, sie können immer nur das Verhältnis zweier Dinge zueinander beleuchten; den Ursprung überhaupt, der ja einer sein muss, also niemals. Bertrand Russell hat das einmal am Weltbild des Hinduismus erläutert: Frage man einen frommen Hindu, worauf die Welt ruhe (eine typisch relationale Frage), so erhalte man die Auskunft: auf einem Elefanten. Und der Elefant? Auf einer riesigen Schildkröte. Und die Schildkröte? Auf einer ungeheuren zusammengeringelten Schlange. Und die Schlange? An diesem Punkt, so Russell, pflege der Hindu zu sagen: Wechseln wir doch das Thema.
Der monotheistische Hochgott, den die Naturwissenschaft beerbt, hatte vor allem die Eigenschaft, die unendlich regredierende Nachfrage abzuschneiden. Das Konzept Gottes ist, im Sinn Russells, ein einziger großer Themawechsel. Er ist der „unbewegte Beweger”, wie das bei Aristoteles heißt, oder der „Schöpfer von Himmel und Erde” in der Bibel. So war die Frage nach der Herkunft der Welt gelöst; die Frage nach der Herkunft Gottes aber galt als unstatthaft, als häretisch.
Ein erheblicher Teil von Singhs Buch erzählt vom Streit der zwei konkurrierenden Modelle, des „Steady-State”-Universums und des „Big Bang”. Die fraglichen Probleme wurden von denjenigen Wissenschaftlern, die für die Stetigkeit des Weltalls eintraten, nicht schlechter angepackt als von denen, die für den Urknall optierten. Aber wenn die Steady-State-Schule behauptete, es entstünden laufend in einem „kreativen Feld” hier und da neue „Baby”-Galaxien, dann verstanden sie nicht, welches tiefe theologische Bedürfnis sie ignoriert hatten. Die These vom Urknall behauptet ja eigentlich auch nichts anderes, als dass aus dem Nichts spontan ein Etwas hervorgeht, womit es immer seine explanatorischen Schwierigkeiten hat; aber sie bewehrt diesen akausalen Ursprung der Kausalität mit den Mächten des Prinzipiellen, sie verleiht ihm Attribute von schlechthin unhinterfragbarer Ehrwürdigkeit.
Das Urknall-Modell musste obsiegen, weil alle spürten: Besser ein Anfang mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Anfang. Der ausdehnungslose Punkt, in dem Raum, Zeit, Materie, Energie auf einmal explosionsartig aus dem Nichts ins Sein treten, nimmt die Stelle ein, die der Gott der Genesis innehatte. Nicht die Modalitäten seiner Schöpfung werden erläutert: er selbst wird ersetzt. Man versteht die Christen nicht recht, die über den Triumph der Big-Bang-Theorie frohlocken, als wäre ihr Glauben damit gerechtfertigt und bewiesen: zur überflüssigen Doublette wird er degradiert, von höchstens noch allegorischer Verwendbarkeit.
Der bettelnde Hund
Die Wissenschaft verlangt von ihren Modellen nicht zuletzt, dass sie „schön” seien, und das bedeutet: einfach. Wenn eine Formel eine Viertelseite in Anspruch nehme, sei sie garantiert faul, zitiert Singh warnend einen Wissenschaftler. Aber wie eigentlich begründet sich dieser Glaube, der seine Stellung vor und trotz aller Empirie behält, dass die Welt ausgemacht einfach wäre? Vielleicht besteht die Wahrheit der Welt ja gerade in ihrer Komplexität. Immer wieder entschlüpfen Singh Wendungen wie, die Wissenschaftler hätten einen bestimmten Beweis „unbedingt finden wollen”. Dabei geht es etwa um den Nachweis von Schwankungen innerhalb der kosmischen Hintergrundstrahlung, die sich indes beharrlich als homogen darstellt. Man sucht und sucht, mit wachsender Verzweiflung - und schließlich stößt man mit raffiniertesten Methoden tatsächlich auf Variationen, in der Größenordnung von einem Hunderttausendstel! Das wird von Singh als ein Krimi erzählt, der sein angemessenes Ende mit der Überführung des Täters nimmt, ohne dass ihn der mindeste Verdacht beschleicht, solches Finden könne von solchem Suchen vielleicht hervorgelockt sein. Diese Wissenschaft ist so objektiv wie ein Hund, der um ein Würstchen bettelt.
Auch der Aufgabe Gottes, den Menschen als Krone der Schöpfung zu beglaubigen, kommt das herrschende kosmologische Modell mit nur geringen Verrenkungen nach. Lange sah es ja so aus, als würde durch die immer schrankenlosere Erweiterung des Weltalls die Zentralstellung des Menschen gefährdet oder ausgehebelt. Dies ist, wie man bei Singh erfährt, durchaus nicht der Fall; es walte vielmehr im Kosmos das „anthropische Prinzip”, welches er so definiert: „Da Menschen existieren, müssen die Gesetze der Physik so geartet sein, dass es Leben geben kann. In seiner starken Variante behauptet es, dass das Universum so gestaltet wurde, dass die Entstehung von Leben möglich war.” Vom „so dass” zum „damit”, von der Folge zum Zweck ist es dann nur noch ein Katzensprung; die Überlegung, dass, wenn nicht wir, dann halt was anderes entstanden wäre, wird nicht einmal gestreift. Vor so viel naivem Größenwahn, der sich als Wissenschaft geriert, kann man nur staunen.
Simon Singh hat ein Buch geschrieben, das auf dankenswerte Weise umfassend ist und dem herrschenden Denken - oder vielmehr der herrschenden Besinnungslosigkeit -, was die zeitgenössische Stellung der Naturwissenschaften betrifft, exemplarischen Ausdruck verleiht. Es ist sozusagen vorbildlich normaldumm. Als Resumee liefert er: „Das Urknallmodell war bestätigt! Ende?” Das hält er zweifellos für eine rhetorische Frage. Und im Original lautet der Untertitel, noch großspuriger als im Deutschen: „The Most Important Scientific Discovery of All Time and Why You Need to Know About it”. Man muss nur noch die Bereitschaft mitbringen, sich über so viel geballte Selbstzufriedenheit gehörig zu ärgern, und man wird es mit Gewinn lesen.
BURKHARD MÜLLER
SIMON SINGH: Big Bang. Der Ursprung des Kosmos und die Erfindung der modernen Naturwissenschaft. Aus dem Englischen von Klaus Fritz. Hanser, München 2005. 541 S., 24,90 Euro.
Bloß kein Schrecken ohne Anfang.
Foto: Agentur Focus
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Simon Singh schreibt die Geschichte des Urknalls
Zwei widersprüchliche Gerüchte ranken sich um den Ruhm von Einsteins Relativitätstheorie: sie sei so ungeheuer schwierig, dass kein Mensch sie verstehen könne; und sie sei eigentlich ganz einfach. Wenn man Simon Singhs neues Buch „Big Bang. Der Ursprung des Kosmos und die Erfindung der modernen Naturwissenschaft” zur Hand nimmt, ist man natürlich gespannt, was er aus diesem problematischen Kernstück aller modernen Physik und Astronomie machen wird. Wird man es diesmal begreifen?
Aber er treibt es wie immer. Es geht los mit Alice, die in einem Zug, welcher mit achtzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit fährt, an einem Bahnsteig vorbeibraust, wo ihr Freund Bob steht, mit Skizze.... gut, bis hierher ist es klar. Dann erblickt man, nächster Schritt, die Zeichnung einer Gitterfläche, die von einer schweren Kugel in der Mitte eingebeult wird, während ein Pingpongball um den oberen Rand des so entstandenen Trichters herumrollt, und erfährt, dies sei eine Veranschaulichung der vierdimensionalen, gekrümmten Raumzeit. Was hat es mit diesem „gekrümmt” auf sich? Wer sich darunter nichts Rechtes vorstellen kann, muss sich sagen, dass es doch wohl an ihm selber liegt. Und plötzlich, gleichsam aus dem Hinterhalt, steht die Formel da. Man fühlt sich überrumpelt, als hätte man bei einem Zauberkunststück an der entscheidenden Stelle nicht aufgepasst. Man studiert die Passage noch einmal, noch ein drittes Mal - der Eindruck verfestigt sich: und man bleibt zurück mit einem Gefühl stiller Beschämung. Schließlich nimmt man die Formel schweigend entgegen, wie ein Abiturzeugnis, von dem man genau weiß, dass man es nur durch Mogelei gekriegt hat.
Das soll nicht heißen, dass es sich bei der Relativitätstheorie oder ihrer Darstellung bloß um einen Fall von des Kaisers neuen Kleidern handelt, von einem Schwindel also, der auf dem Weg der Einschüchterung verfährt; aber man sollte doch sehr genau auf das Paradox dieses Leicht-Schweren achten und die Art der Teilhabe, die es dem Laien einräumt. Sie vollzieht sich im Modus des Mysteriums. Damit ist keine Geheimnistuerei gemeint, als schirmte hier eine Clique ihr Herrschaftswissen ab. Vielmehr handelt es sich um ein offenbares Geheimnis wie bei der katholischen Liturgie, wenn der Priester vor aller Augen Brot und Wein in Fleisch und Blut Christi verwandelt.
Einstein selbst hat eine sehr erhellende Parodie dessen geliefert, was die Wissenschaft so an populären Erklärungen auf Lager hat; Singh zitiert sie als Kapitel-Motto: „Sehen Sie, drahtgebundene Telegrafie ist etwas wie eine sehr, sehr lange Katze. Sie ziehen in New York am Schwanz und hören es in Los Angeles miauen. Verstehen Sie? Und das Radio funktioniert genauso: Sie senden Ihre Signale von hier aus, und dort empfangen Sie sie. Der einzige Unterschied ist, dass da keine Katze ist.” Die katzenlose Katze, die miaut, umrahmt von einem Responsorium aus „Sehen Sie!” und „Verstehen Sie?”: Das bezeichnet ziemlich genau den gesellschaftlichen Ort der Relativitätstheorie und des Meisten, was nach ihr kam. Singhs Darstellung entrinnt dem nicht, und man kann es ihr nicht zum Vorwurf machen; aber sie gestattet sich - und dies darf man ihr nun doch vorhalten - keinen Gedanken daran, dass und warum es so sein muss.
„Erklärungen” sind nicht bloß die kargen Brosamen, die für den Laien vom Tisch des Weltsystems fallen; sie haben auch für dieses System selbst den großen Nachteil, dass sie, einmal gegeben, sofort zum neuen Faktum gerinnen, das seinerseits auf Erklärung drängt. Erklärungen tragen relationalen Charakter, sie können immer nur das Verhältnis zweier Dinge zueinander beleuchten; den Ursprung überhaupt, der ja einer sein muss, also niemals. Bertrand Russell hat das einmal am Weltbild des Hinduismus erläutert: Frage man einen frommen Hindu, worauf die Welt ruhe (eine typisch relationale Frage), so erhalte man die Auskunft: auf einem Elefanten. Und der Elefant? Auf einer riesigen Schildkröte. Und die Schildkröte? Auf einer ungeheuren zusammengeringelten Schlange. Und die Schlange? An diesem Punkt, so Russell, pflege der Hindu zu sagen: Wechseln wir doch das Thema.
Der monotheistische Hochgott, den die Naturwissenschaft beerbt, hatte vor allem die Eigenschaft, die unendlich regredierende Nachfrage abzuschneiden. Das Konzept Gottes ist, im Sinn Russells, ein einziger großer Themawechsel. Er ist der „unbewegte Beweger”, wie das bei Aristoteles heißt, oder der „Schöpfer von Himmel und Erde” in der Bibel. So war die Frage nach der Herkunft der Welt gelöst; die Frage nach der Herkunft Gottes aber galt als unstatthaft, als häretisch.
Ein erheblicher Teil von Singhs Buch erzählt vom Streit der zwei konkurrierenden Modelle, des „Steady-State”-Universums und des „Big Bang”. Die fraglichen Probleme wurden von denjenigen Wissenschaftlern, die für die Stetigkeit des Weltalls eintraten, nicht schlechter angepackt als von denen, die für den Urknall optierten. Aber wenn die Steady-State-Schule behauptete, es entstünden laufend in einem „kreativen Feld” hier und da neue „Baby”-Galaxien, dann verstanden sie nicht, welches tiefe theologische Bedürfnis sie ignoriert hatten. Die These vom Urknall behauptet ja eigentlich auch nichts anderes, als dass aus dem Nichts spontan ein Etwas hervorgeht, womit es immer seine explanatorischen Schwierigkeiten hat; aber sie bewehrt diesen akausalen Ursprung der Kausalität mit den Mächten des Prinzipiellen, sie verleiht ihm Attribute von schlechthin unhinterfragbarer Ehrwürdigkeit.
Das Urknall-Modell musste obsiegen, weil alle spürten: Besser ein Anfang mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Anfang. Der ausdehnungslose Punkt, in dem Raum, Zeit, Materie, Energie auf einmal explosionsartig aus dem Nichts ins Sein treten, nimmt die Stelle ein, die der Gott der Genesis innehatte. Nicht die Modalitäten seiner Schöpfung werden erläutert: er selbst wird ersetzt. Man versteht die Christen nicht recht, die über den Triumph der Big-Bang-Theorie frohlocken, als wäre ihr Glauben damit gerechtfertigt und bewiesen: zur überflüssigen Doublette wird er degradiert, von höchstens noch allegorischer Verwendbarkeit.
Der bettelnde Hund
Die Wissenschaft verlangt von ihren Modellen nicht zuletzt, dass sie „schön” seien, und das bedeutet: einfach. Wenn eine Formel eine Viertelseite in Anspruch nehme, sei sie garantiert faul, zitiert Singh warnend einen Wissenschaftler. Aber wie eigentlich begründet sich dieser Glaube, der seine Stellung vor und trotz aller Empirie behält, dass die Welt ausgemacht einfach wäre? Vielleicht besteht die Wahrheit der Welt ja gerade in ihrer Komplexität. Immer wieder entschlüpfen Singh Wendungen wie, die Wissenschaftler hätten einen bestimmten Beweis „unbedingt finden wollen”. Dabei geht es etwa um den Nachweis von Schwankungen innerhalb der kosmischen Hintergrundstrahlung, die sich indes beharrlich als homogen darstellt. Man sucht und sucht, mit wachsender Verzweiflung - und schließlich stößt man mit raffiniertesten Methoden tatsächlich auf Variationen, in der Größenordnung von einem Hunderttausendstel! Das wird von Singh als ein Krimi erzählt, der sein angemessenes Ende mit der Überführung des Täters nimmt, ohne dass ihn der mindeste Verdacht beschleicht, solches Finden könne von solchem Suchen vielleicht hervorgelockt sein. Diese Wissenschaft ist so objektiv wie ein Hund, der um ein Würstchen bettelt.
Auch der Aufgabe Gottes, den Menschen als Krone der Schöpfung zu beglaubigen, kommt das herrschende kosmologische Modell mit nur geringen Verrenkungen nach. Lange sah es ja so aus, als würde durch die immer schrankenlosere Erweiterung des Weltalls die Zentralstellung des Menschen gefährdet oder ausgehebelt. Dies ist, wie man bei Singh erfährt, durchaus nicht der Fall; es walte vielmehr im Kosmos das „anthropische Prinzip”, welches er so definiert: „Da Menschen existieren, müssen die Gesetze der Physik so geartet sein, dass es Leben geben kann. In seiner starken Variante behauptet es, dass das Universum so gestaltet wurde, dass die Entstehung von Leben möglich war.” Vom „so dass” zum „damit”, von der Folge zum Zweck ist es dann nur noch ein Katzensprung; die Überlegung, dass, wenn nicht wir, dann halt was anderes entstanden wäre, wird nicht einmal gestreift. Vor so viel naivem Größenwahn, der sich als Wissenschaft geriert, kann man nur staunen.
Simon Singh hat ein Buch geschrieben, das auf dankenswerte Weise umfassend ist und dem herrschenden Denken - oder vielmehr der herrschenden Besinnungslosigkeit -, was die zeitgenössische Stellung der Naturwissenschaften betrifft, exemplarischen Ausdruck verleiht. Es ist sozusagen vorbildlich normaldumm. Als Resumee liefert er: „Das Urknallmodell war bestätigt! Ende?” Das hält er zweifellos für eine rhetorische Frage. Und im Original lautet der Untertitel, noch großspuriger als im Deutschen: „The Most Important Scientific Discovery of All Time and Why You Need to Know About it”. Man muss nur noch die Bereitschaft mitbringen, sich über so viel geballte Selbstzufriedenheit gehörig zu ärgern, und man wird es mit Gewinn lesen.
BURKHARD MÜLLER
SIMON SINGH: Big Bang. Der Ursprung des Kosmos und die Erfindung der modernen Naturwissenschaft. Aus dem Englischen von Klaus Fritz. Hanser, München 2005. 541 S., 24,90 Euro.
Bloß kein Schrecken ohne Anfang.
Foto: Agentur Focus
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