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Dan Sinykin explores how changes in the publishing industry have affected fiction, literary form, and what it means to be an author.

Produktbeschreibung
Dan Sinykin explores how changes in the publishing industry have affected fiction, literary form, and what it means to be an author.
Autorenporträt
Dan Sinykin
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2023

Massenware
Was hat die Macht der Konzerne aus der Literatur gemacht?
Der Literaturwissenschaftler Dan Sinykin erzählt es
als saftige Soap Opera: „Big Fiction“
VON STEFFEN MARTUS
Cormac McCarthy war lange Zeit ein anspruchsvoller Autor ohne Verkaufserfolge, der den Kommerz stolz verachtete. Aus der Not machte er eine Tugend. Nach rund zwanzig Jahren und vier Romanen ging sein Lektor 1987 in Rente. Im Verlag wechselte zugleich die Führung. Jetzt bemühte sich McCarthy doch um eine Agentin. Sie überzeugte die neue Verlagsspitze, dass das nächste Buch ein Erfolg sein werde und der Autor, der bislang nie mehr als 2500 Exemplare von einem seiner Romane verkauft hatte, das Zeug zum Literaturstar habe. McCarthy verabschiedete sich vom dichten Stil seiner bisherigen Werke und begab sich ins Western-Milieu. Marion Esslinger schoss das ikonische Autorenfoto. Der legendäre Designer Chip Kidd erhielt den Auftrag für die Gestaltung eines möglichst attraktiven Schutzumschlags.
1992 kam „All the Pretty Horses“ heraus, wurde hunderttausendfach verkauft, gewann den National Book Award und wurde als Blockbuster verfilmt. Dan Sinykin, Englischdozent an der Emory University in Atlanta, Georgia, sieht darin ein idealtypisches Beispiel für jene Mittelmäßigkeit, die Konzernverlage seit den 1960er-Jahren dem literarischen Feld der USA durch ein System von Anreizen aufgezwungen haben: „Conglomeration made McCarthy middlebrow.“
Sinykin erzählt eine große Geschichte: „Früher“, nach dem Zweiten Weltkrieg, entstand Literatur in „Verlagshäusern“, die im Wesentlichen in New York oder Boston standen und dem Verlagsgründer oder dessen Erben gehörten. Die Wirtschaft florierte. Die Universitäten wuchsen. Büchermachen war schön, leicht und lukrativ. Mit einem guten Glas Whiskey in der einen und einer Zigarre in der anderen Hand besprachen Autoren und ihre Verleger im Salon, am Kamin oder Pool, wodurch ein gutes Buch noch besser würde, koste es, was es wolle. Das Ganze war familiär in einem eher konservativen Sinn. Man verhielt sich loyal.
Seit den 1960er-Jahren veränderte sich die Lage von Grund auf. Nun drängten Unternehmen wie der Zeitungskonzern Time Mirror ins Verlagsgeschäft, die in ihrem Bereich die Wachstumsgrenze erreicht hatten und weitere Expansionsmöglichkeiten suchten. Verlage wurden von „Konglomeraten“ geschluckt, die aus sehr unterschiedlichen Geschäftsbereichen von Elektronik und Medien bis Immobilien und Autos bestanden. Seitdem kursierte ein Gerücht: Wo früher Kunst und Kultur war, ist nun Kommerz. Die Figur des „Gentleman Publishers“ wurde in dieser Story von Managern verdrängt, das ästhetische Gespür für Qualität vom Geschäftssinn für Quantität.
Die Dimensionen des internationalen Geschäfts sind gewaltig. Bertelsmanns „Penguin Random House“ liegt mit einem Bündel von 365 Publikumsverlagen literarisch weltweit an der Spitze. 2020 beschäftigte die Verlagsgruppe rund 10 000 Mitarbeiter, brachte mehr als 15 000 Neuerscheinungen auf den Markt und machte 3,6 Milliarden Euro Umsatz – das war in etwa ein Fünftel von Bertelsmanns Gesamtgeschäft. Zu diesem Zeitpunkt versuchte der Konzern, sein Portfolio für mehr als zwei Milliarden Dollar durch die Übernahme der US-amerikanischen Verlagsgruppe Simon & Schuster (mit etwas mehr als 30 Verlagen) zu erweitern. Damit hätte Bertelsmann beinahe die Hälfte des US-amerikanischen Bestsellergeschäfts in seinen Händen gehabt. Der Deal scheiterte an einem aufsehenerregenden Kartellverfahren. Vor Kurzem ging Simon & Schuster für 1,62 Milliarden Dollar an einen Finanzinvestor, der mit Büchern bislang nichts am Hut hatte (SZ vom 12./13.8.2023).
Sinykins „Big Fiction“ war zu früh im Druck, sodass diese Pointe in seinem Buch fehlt. Er zeigt aber, dass der Eingriff von außen in die Welt der Literatur einer Entwicklung folgt, die mehr als ein halbes Jahrhundert zurückreicht: Die „Konglomerate“ haben – auch hierzulande – ihre Renditeerwartungen in den Buchmarkt hineingetragen und alle Akteure an die Optimierungsvisionen der McKinsey-Welt gewöhnt. Die Verleger und Lektoren hatten mehr mit Verwaltungs- und Managementaufgaben zu tun, sodass ihnen Zeit für die Autoren fehlte.
Damit schlug die Stunde der Literaturagenten, die nun die Autorenpflege übernahmen und zugleich die Ökonomisierung des literarischen Felds weiter vorantrieben: Je höher der Vorschuss, desto mehr muss sich der Verlag für ein Buch engagieren. Parallel wuchsen die Marketingabteilungen und veränderten das Koordinatensystem auch in den gehobenen Kulturzonen: Das Publikum darf vom Buch Entgegenkommen erwarten, nicht umgekehrt. Verkaufsschwäche galt nicht mehr als Indiz für künstlerisches Wagnis, sondern als No-Go.
Mit anderen Worten: Die literarische Infrastruktur hat sich verändert. Der Auf- und Ausbau der Buchhandelsketten, neue Formen des Großhandels oder auch die Computerisierung des Buchgeschäfts bildeten ein Bedingungsgefüge, das jeden in der Umgebung von „Konglomeraten“ zunehmend dazu bewegte, das Kalkül des Massenkonsums zu verinnerlichen – manche mehr, manche weniger; manche unterschwellig, manche sehr offensiv. Zugleich eröffneten sich Spielräume für Alternativen, um die es im zweiten Teil von Sinykins Studie geht: Der „unabhängige“, „nicht-kommerzielle“ Verlag wird als Gegenbild des Konzernverlags zum Objekt staatlicher Subventionen und mäzenatischer Förderung. Während der eine Teil der Verlagswelt bis heute überwiegend weiß und männlich ist, hat sich der andere die Förderung von Multikulturalität und Diversität auf die Fahnen geschrieben.
Der besondere Clou von Sinykins Studie liegt nun darin, dass er es nicht bei einer besonders instruktiven Buchmarktgeschichte der vergangenen Jahrzehnte belässt, sondern danach fragt, welche literarischen Auswirkungen die „Conglomeration“ gehabt hat. Was also macht es mit Romanen, wenn sie unter diesen Bedingungen entstehen? Die Charakteristik von Literatur in der Zone der „nicht-kommerziellen“ Verlage, für die Sinykin auf quantitative Verfahren der Digital Humanities zurückgreift, fällt relativ vage aus.
Dafür konzentriert er sich im Fall der Konzernverlage auf drei klare Entwicklungslinien, die seit den 1980er-Jahren das US-amerikanische Feld dominieren und die uns sehr bekannt vorkommen: Der Trend zur Autofiktion beschwört – erstens – noch einmal eine starke Autorfigur herauf, obwohl immer mehr Hände am Werk mitarbeiten, und bedient damit auf eine marktgängige Weise den Personality-Bedarf der Marketingabteilungen. Wie viel Kapitalismus steckt also in jenem expressiven Selbst, das im Zentrum der Autofiktionen steht, während es die kapitalistischen Strukturen kritisiert?
Das Leiden am Verlust von Handlungsfähigkeit artikuliert sich – zweitens – in Form von „Allegorien“ der „Conglomeration“: Von E.L. Doctorows „Ragtime“ über Toni Morrisons „Beloved“ oder Stephen Kings „Misery“ bis David Foster Wallaces „Infinite Jest“ zeigt Sinykin, wie die Romane unter der Hand die Strukturen des Literaturbetriebs anprangern. Selbst eine Romanfabrikantin wie Danielle Steel, die mehr als eine halbe Milliarde Bücher verkauft hat, hadert mit der Entromantisierung von Autorschaft. „Genrefizierung“ schließlich, der dritte Entwicklungsstrang, erfasst immer mehr Zonen des literarischen Felds. Konzernverlage reizen die Produktion von Liebesromanen, Krimis und Thrillern, Sci-Fi und Fantasy an, weil sich Erfolg damit selbst auf „Nobody-knows-Märkten“ noch relativ gut planen lässt. Das färbt auf alle Bereiche ab. Das Paralleluniversum der Self-Publishing- und Fan-Fiction-Plattformen hat diese Trends weiter verstärkt.
Sinykins anekdotenreiche, empirisch dichte und auf kluge Weise spekulative Studie über das Geschäft mit der „Big Fiction“ wirkt auf kleinem Raum, als habe man die hierzulande viel diskutierten Studien von Moritz Baßler zum „Midcult“ des „populären Realismus“ (SZ vom 30.11.2022) mit der großen literatursoziologischen Arbeit über das „Schreiben“ von Carolin Amlinger gekreuzt (SZ vom 18.11.2021). Seine Untersuchung zählt zu einer ganze Reihe von bedeutenden Beiträgen der US-amerikanischen Humanities, die in den vergangenen Jahren literatur-, buch-, medien- und sozialwissenschaftliche Perspektiven auf vorbildliche Weise verbunden haben – diese Form von Interdisziplinarität bringt die Geisteswissenschaften weiter.
Dabei lädt Sinykin auch dazu ein, nach den allegorischen Dimensionen seiner eigenen Arbeit zu fragen: Warum interessiert sich ein Literaturwissenschaftler besonders für Geschäfte und Strukturen, die die Kreativität zum Mainstream zwingen? Und warum widmet er sich bei allem Interesse an den Infrastrukturen dann doch so unterhaltsam den zufälligen Gefügen von Personen? In Sinykins Soap Opera des Literaturbetriebs geht es um Partys, Frühstücksgeschäfte und Projektemacher, um Liebschaften, Freundschaften und Feindschaften, spektakuläre Entlassungen, astronomisch hohe Vorschüsse, Profitgier und den Kampf auf verlorenem Posten. Man könnte fast meinen, der Geist der „Conglomeration“ spuke auch durch seine Studie. Liegt darin nicht nur die Gegenwart des Literaturbetriebs, sondern auch die Zukunft der Geisteswissenschaften in einer Welt, deren kulturelle Erwartungen weitgehend von „Konglomeraten“ definiert werden?
Allein Bertelsmann brachte
2020 mehr als 15000
Bücher auf den Markt
Das Paralleluniversum des
Self Publishing verstärkt die
Trends noch weiter
Lange war die Literatur ein persönliches, langsames, konservatives Geschäft, Autor und Verleger berieten im Rauchsalon über literarische Qualität – dann kamen die Konglomerate.
Foto: imago images/Westend61
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