Produktdetails
- Verlag: Visionary World
- ISBN-13: 9789628563739
- Artikelnr.: 21936645
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.06.2011Reisebuch
Masse
macht’s
Das Motorrad als
Kleinlaster: Fotografien
auf Vietnams Straßen
Tote Schweine, lebende Hühner, Spielzeug, Gemüse und Elektrogeräte – all das wird natürlich auch kreuz und quer durch Europa gekarrt. Aber man sieht davon nichts auf den hiesigen Straßen. Denn Lebensmittel und alle die anderen Konsumgüter werden in Lastwagen verstaut, deren Aufschrift man oft nicht einmal entnehmen kann, was da gerade – verborgen vor den Blicken der Passanten – durch die Lande transportiert wird.
In Südostasien, speziell in Vietnam, ist das anders. Zwar ist die Zahl der Autos dort im vergangenen Jahrzehnt rapide gestiegen. Dennoch ist es immer noch die Ausnahme, ein Auto, gar einen Lastwagen zu besitzen. Viele Vietnamesen hingegen haben ein Motorrad. Ihnen geht es dabei aber nicht um Freiheitsgefühle, um den vermeintlichen Wohlklang eines sonoren Motorengeknatters oder um schmeichlerische Berührungen durch den Fahrtwind. Oft nicht einmal ums reine Fortkommen. Die Motorräder sind in der Hauptsache Lastentaxis. „Bikes of Burden“ nennt der Fotograf Hans Kemp seinen Bildband, eine Ansammlung von Abbildungen teils grotesk beladener Motorräder, wobei burden nicht nur die Last meint, sondern auch die Bürde. Wer ein Zweirad besitzt, ist der Chauffeur und der Lieferant in seiner Familie.
Motorradtaxis heißen in Vietnam Xe Om – Xe bedeutet übersetzt eben Motorrad, Om heißt so viel wie festhalten oder umarmen. In der Tat sitzen häufig regelrechte Menschenknäuel auf den Motorrädern – drei, vier, manchmal sogar fünf Personen. Wobei auf Kemps Fotografien nichts zu erkennen ist davon, dass sich die Menschen ineinander verkrallen würden oder sonst eine besondere Vorkehrung träfen, um nicht in der nächsten Kurve herunterzufallen.
Sehr erfindungsreich sind indessen die Methoden, Tiere oder Dinge zu vertäuen. Die Gewohnheit, lebendigen Hühnern, Enten und Gänsen die Füße zusammen- und sie kopfüber an das Motorrad zu binden, mag man abscheulich finden. Der Grad der Tierquälerei dürfte allerdings kaum höher sein als bei vielen Schlachtviehtransporten in Europa – die sind lediglich nicht so offensichtlich. Seile, Gummibänder und Expander halten die Ware auf dem Gepäckträger, Körbe und Taschen hängen am Lenker, auf dem Tank werden Getränkeflaschen oder gar rohe Eier zwischen die Beine geklemmt. Und zum Lenken, Bremsen und Gasgeben reicht mitunter eine Hand, die zweite bleibt frei für eine weitere Tüte, einen zusätzlichen Sack.
Bei einigen Transporten stellt sich die Frage, wie die in der Regel zierlichen Fahrer das nötige Gegengewicht aufbringen, um zu vermeiden, dass ihr Gefährt angesichts der Beladung einfach hintüberkippt. Kurios sind demnach beinahe alle Aufnahmen, schon allein wegen der Menge dessen, was auf den Motorrädern transportiert wird. Manches wird man auch auf Vietnams Straßen nicht jeden Tag zu sehen bekommen, kälbergroße Fische zum Beispiel, die quer über dem Gepäckträger liegen, oder Traktorreifen. Einige Gespanne sind sehr ulkig: Etwa der übergewichtige Vietnamese, dessen Oberkörper in zwei Dutzend rosafarbener Hula-Hoop-Reifen steckt.
Hans Kemp ist für seine Aufnahmen ein Teil dieses Trubels geworden, man sieht das auf einem Selbstporträt: Kemp fotografiert als Sozius von einem Motorrad herunter einen anderen Beifahrer, der vor sich einen großen Spiegel hält. Auf der gegenüberliegenden Seite sind zwei Männer abgebildet, die goldfarbene Bilderrahmen befördern. Diese sind so groß, dass die beiden gewissermaßen Platz finden in den Rahmen, dass sie also das Bild ihrer selbst abgeben. Der Alltag, das Verkehrschaos, wird auf diese Weise zu einem Gemälde, wird zur Kunst. Daran ist Kemp gelegen: das Gewöhnliche als etwas Originelles zu zeigen. Und so treten seine Fotografien auch in einen Wettstreit miteinander – darüber, auf welcher nun das absurdeste Motiv zu sehen ist. STEFAN FISCHER
HANS KEMP: Bikes of Burden. Lastentaxis in Asien. Nomada Verlag, Reutlingen, in Kooperation mit dem Becker Joest Volk Verlag, Hilden 2011. 160 Seiten mit 140 Abbildungen, 17 Euros.
Autos, gar Lastwagen, sind in Vietnam nicht sehr verbreitet. Im lokalen Gewerbe geht es auch ohne – nichts, was man nicht auch auf einem Motorrad transportieren könnte. Fotos: Hans Kemp/Nomada
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Masse
macht’s
Das Motorrad als
Kleinlaster: Fotografien
auf Vietnams Straßen
Tote Schweine, lebende Hühner, Spielzeug, Gemüse und Elektrogeräte – all das wird natürlich auch kreuz und quer durch Europa gekarrt. Aber man sieht davon nichts auf den hiesigen Straßen. Denn Lebensmittel und alle die anderen Konsumgüter werden in Lastwagen verstaut, deren Aufschrift man oft nicht einmal entnehmen kann, was da gerade – verborgen vor den Blicken der Passanten – durch die Lande transportiert wird.
In Südostasien, speziell in Vietnam, ist das anders. Zwar ist die Zahl der Autos dort im vergangenen Jahrzehnt rapide gestiegen. Dennoch ist es immer noch die Ausnahme, ein Auto, gar einen Lastwagen zu besitzen. Viele Vietnamesen hingegen haben ein Motorrad. Ihnen geht es dabei aber nicht um Freiheitsgefühle, um den vermeintlichen Wohlklang eines sonoren Motorengeknatters oder um schmeichlerische Berührungen durch den Fahrtwind. Oft nicht einmal ums reine Fortkommen. Die Motorräder sind in der Hauptsache Lastentaxis. „Bikes of Burden“ nennt der Fotograf Hans Kemp seinen Bildband, eine Ansammlung von Abbildungen teils grotesk beladener Motorräder, wobei burden nicht nur die Last meint, sondern auch die Bürde. Wer ein Zweirad besitzt, ist der Chauffeur und der Lieferant in seiner Familie.
Motorradtaxis heißen in Vietnam Xe Om – Xe bedeutet übersetzt eben Motorrad, Om heißt so viel wie festhalten oder umarmen. In der Tat sitzen häufig regelrechte Menschenknäuel auf den Motorrädern – drei, vier, manchmal sogar fünf Personen. Wobei auf Kemps Fotografien nichts zu erkennen ist davon, dass sich die Menschen ineinander verkrallen würden oder sonst eine besondere Vorkehrung träfen, um nicht in der nächsten Kurve herunterzufallen.
Sehr erfindungsreich sind indessen die Methoden, Tiere oder Dinge zu vertäuen. Die Gewohnheit, lebendigen Hühnern, Enten und Gänsen die Füße zusammen- und sie kopfüber an das Motorrad zu binden, mag man abscheulich finden. Der Grad der Tierquälerei dürfte allerdings kaum höher sein als bei vielen Schlachtviehtransporten in Europa – die sind lediglich nicht so offensichtlich. Seile, Gummibänder und Expander halten die Ware auf dem Gepäckträger, Körbe und Taschen hängen am Lenker, auf dem Tank werden Getränkeflaschen oder gar rohe Eier zwischen die Beine geklemmt. Und zum Lenken, Bremsen und Gasgeben reicht mitunter eine Hand, die zweite bleibt frei für eine weitere Tüte, einen zusätzlichen Sack.
Bei einigen Transporten stellt sich die Frage, wie die in der Regel zierlichen Fahrer das nötige Gegengewicht aufbringen, um zu vermeiden, dass ihr Gefährt angesichts der Beladung einfach hintüberkippt. Kurios sind demnach beinahe alle Aufnahmen, schon allein wegen der Menge dessen, was auf den Motorrädern transportiert wird. Manches wird man auch auf Vietnams Straßen nicht jeden Tag zu sehen bekommen, kälbergroße Fische zum Beispiel, die quer über dem Gepäckträger liegen, oder Traktorreifen. Einige Gespanne sind sehr ulkig: Etwa der übergewichtige Vietnamese, dessen Oberkörper in zwei Dutzend rosafarbener Hula-Hoop-Reifen steckt.
Hans Kemp ist für seine Aufnahmen ein Teil dieses Trubels geworden, man sieht das auf einem Selbstporträt: Kemp fotografiert als Sozius von einem Motorrad herunter einen anderen Beifahrer, der vor sich einen großen Spiegel hält. Auf der gegenüberliegenden Seite sind zwei Männer abgebildet, die goldfarbene Bilderrahmen befördern. Diese sind so groß, dass die beiden gewissermaßen Platz finden in den Rahmen, dass sie also das Bild ihrer selbst abgeben. Der Alltag, das Verkehrschaos, wird auf diese Weise zu einem Gemälde, wird zur Kunst. Daran ist Kemp gelegen: das Gewöhnliche als etwas Originelles zu zeigen. Und so treten seine Fotografien auch in einen Wettstreit miteinander – darüber, auf welcher nun das absurdeste Motiv zu sehen ist. STEFAN FISCHER
HANS KEMP: Bikes of Burden. Lastentaxis in Asien. Nomada Verlag, Reutlingen, in Kooperation mit dem Becker Joest Volk Verlag, Hilden 2011. 160 Seiten mit 140 Abbildungen, 17 Euros.
Autos, gar Lastwagen, sind in Vietnam nicht sehr verbreitet. Im lokalen Gewerbe geht es auch ohne – nichts, was man nicht auch auf einem Motorrad transportieren könnte. Fotos: Hans Kemp/Nomada
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