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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2009

Schön ist's, auf dem Rücken von Denkern zu reiten
Lucien Braun sammelt die Bilder der Philosophie und hegt dabei systematische Absichten

Philosophie ist eine Sache abstrakten Denkens, des Argumentierens und Begründens. Weder gegenständliche noch abstrakte Bilder, weder Ölgemälde noch Radierungen können Argumente und Gründe darstellen. So wird der Leser also unter dem Titel "Bilder der Philosophie" zweihundert leere Seiten mit einem Nachwort erwarten müssen. Philosophische Gedanken entziehen sich jedem bildgebenden Verfahren, wie man es auch dreht und windet.

Und doch waren "Bilder der Philosophie" bis ins 18. Jahrhundert hinein in Europa ein allgemeines Kulturgut. Es war eine Kultur der Statuen und Büsten, der gemalten Anekdoten und Symbole, der Embleme und Allegorien, Systeme, Personifikationen und Tabellen: Sie alle zeigten, wie Bilder und Gedanken in einem künstlichen Zusammenspiel verständlich konspirieren.

Die Antike machte vermutlich keinen Versuch, bestimmte Gedanken zur Anschauung zu bringen, sondern stellte Marmorbildnisse von Philosophen auf, die die praktische Mahnung zur vernünftigen Lebensführung mit sich führten: Folge dem Vorbild der konzentrierten wesentlichen Lebensführung! Die Statuen begleiteten das Leben in den Städten und reicheren Häusern in Athen, Korinth und Rom, sie waren gegenwärtig in den Bibliotheken und animierten die Lektüre.

Im Mittelalter begann eine neue Kultur der Bilder, jetzt nicht nur der Philosophen, sondern auch der Philosophie. In Handschriften finden sich Allegorien der Tugenden und antike Philosophen neben Heiligen. Dieselben Motive wurden auch in Wandgemälden und Statuen in Kirchen und Klöstern verwendet. Von der Renaissance bis in das 17. Jahrhundert folgte die Blütezeit der philosophischen Bilder, fast ausschließlich mit Themen aus der Antike, von Raphaels "Schule von Athen" über Rubens' Philosophengemälde und die Bilder des Kynikers Diogenes bis zu den Werken Poussins und Rembrandts.

Im 18. Jahrhundert versiegt die kreative Kunst der Philosophie in Bildern. Manchmal begegnen Reminiszenzen, so das Ölgemälde Johann Gottlieb Fichtes von 1811 als erster Rektor der neuen Berliner Universität. Das Bild sollte in die Anthologie der Philosophenporträts aufgenommen werden. Es zeigt in seiner oberen Hälfte den Rector Magnificus in vornehmer Kleidung, in der unteren aber den dozierenden Philosophen. Er zählt an den Fingern seine Argumente ab, erstens, zweitens, drittens. Wir kennen die Gestik aus der antiken Stoa, Chrysipp wird so in einer Sitzstatue dargestellt, und Fichte hat sie sich aus Geistesverwandtschaft zu eigen gemacht: Er demonstriert vor dem Auditorium, wie man zu denken hat, so und nicht anders.

Später folgen Porträtfotos, doch ohne augenfällige Inszenierung eines bestimmten Habitus. Eine Fotografie in Brauns Buch zeigt den "kranken Nietzsche" im Jahr 1892. Heidegger wird auf einem Foto "um 1950" gezeigt, zu einer Zeit also, als sich französische Intellektuelle um die Gunst der Denkers des Seyns bemühten. Warum wählt Braun nicht ein Foto Heideggers von 1933? Es hätte als einziges Foto des Bandes bestürztes Nachdenken beim Betrachter ausgelöst. Aber der tiefsinnige Blick am Waldessaum und neben den Furchen, "die der Landmann langsamen Schrittes durch das Feld zieht", ist in der akademischen Philosophie anscheinend allemal attraktiver.

Ralf Konersmann hat Lucien Brauns monumentales zweibändiges Werk "Iconographie et Philosophie" aus dem Jahr 1996 mit Geschick auf zweihundert Seiten gekürzt. Wie in der ursprünglichen Ausgabe wird der Stoff in verschiedene systematische Kapitel geordnet. Das erste Kapitel, "Das ikonographische Feld", soll wohl eine allgemeine kategoriale Einordnung der philosophischen Bilder geben, für die dann im zweiten "Elemente der Exemplifizierung der verschiedenen Sektionen des ikonographischen Feldes" gegeben werden. Das dritte Kapitel heißt "Elemente eines Projekts", und das bedeutet: Wir stehen am Beginn eines Unternehmens, in dem alle Bilder der Philosophie beigebracht und inventarisiert werden sollen. Wir haben es also beim vorliegenden Buch mit den Prolegomena eines Megatumulus zu tun.

In diesem dritten Teil kehren viele bereits bekannte Bilder und terminologische Klärungen wieder, es werden Textauszüge aus der Spätantike gebracht, so von Martianus Capellas "De nuptiis" und Prudentius' "Psychomachia" und die Geschichte von Henry d'Andely "Der Lai des Aristoteles": Sie gipfelt darin, dass die fast nackte Maitresse Alexanders des Großen auf dem Rücken des Erzphilosophen reitet - eine typisch mittelalterliche Erfindung, um "den Philosophen" zu verunglimpfen.

Wenn dies die Elemente des Braunschen Projekts sind, dann ist zu befürchten, dass es aus allen Fugen gerät, besonders auch in der Abgrenzung der Philosophen von den zahllosen Heiligen. So spielt die heilige Katharina eine Rolle im Schlusskapitel über "Fragen der Terminologie". Aber nur bei Braun selbst und nicht bei Konersmann erfahren wir, was sie mit der Philosophie zu tun hat. Des Rätsels Lösung: Die heilige Katharina diskutierte mit fünfzig Philosophen, "und nachdem diese Katharina nicht aus der Ruhe bringen konnten, sondern sie ihnen standhielt, wurden sie ins Feuer geworfen und aufgebrannt". Dokumentiert laut Braun auf einem Flügelaltar aus dem Jahr 1462 von Wilhelm Löffelholz in Sankt Sebaldus in Nürnberg.

Lucien Braun hat sich ein Leben lang mit Paracelsus befasst, vielleicht kommt daher die Drangsalierung des spannenden Themas durch die Einteilungen. Aber die deutsche Fassung hat ein schlankeres Profil als die große Sammlung, die Braun konzipiert. Wer in der Teilübersetzung liest, wird belehrt und angeregt zu eigenen Entdeckungen unter den Bildern der Philosophie. Als Einführung in die Geschichte der Philosophie ist sie vorzüglich geeignet - um sich den Gedanken anzunähern, die kein Bild zur Darstellung bringt.

REINHARD BRANDT

Lucien Braun: "Bilder der Philosophie". Mit einem Vorwort von Ralf Konersmann. Aus dem Französischen von Claudia Brede-Konersmann. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2009. 200 S., Abb., geb., 39,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Reinhard Brandt nimmt die deutsche, von Herausgeber Ralf Konersmann gekonnt gekürzte Fassung von Lucien Brauns zweibändigem Monumentalwerk eher als anregende Philosophiegeschichte zur Hand, denn als systematische Katalogisierung, wie sie wohl vom Autor konzipiert ist. Natürlich kennt auch der Rezensent "Bilder der Philosophie" als "allgemeines Kulturgut" vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert. Wenn er sich allerdings die im Band enthaltenen Philosophenfotos anschaut, kann er darin eigentlich keinen philosophischen Gehalt erkennen. Und allemal wesentlich aufschlussreicher und zum "bestürzten Nachdenken" anregend hätte er es gefunden, wenn Braun beispielsweise für Heidegger nicht ein Foto aus den 50er Jahren am Waldrand in Denkerpose, sondern ein Bild aus dem Jahre 1933 gewählt hätte. Das an sich "spannende" Thema des Bandes leidet zudem in den Augen des geplagten Rezensenten durch die Braun'sche Einteilungs- und Systematisierungswut, die allerdings durch die Kürzung der deutschen Fassung entschärft wird, wie Brandt dankbar feststellt.

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