49,90 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Broschiertes Buch

Im August 1944 gelang zwei Häftlingen des Konzentrationslagers Auschwitz eine Serie fotografischer Aufnahmen der Exekutionen. Während einer der beiden Häftlinge die Wachmänner der SS im Auge behielt, machte ein Mitgefangener vier Aufnahmen, die das Gelände um das Krematorium V zeigen.Georges Didi-Huberman widmet sich in seinem neuen Buch der Paradoxie dieser Bilder: Dass sie so gut wie nichts zu sehen geben, aber gleichwohl unersetzliche Überreste sind.

Produktbeschreibung
Im August 1944 gelang zwei Häftlingen des Konzentrationslagers Auschwitz eine Serie fotografischer Aufnahmen der Exekutionen. Während einer der beiden Häftlinge die Wachmänner der SS im Auge behielt, machte ein Mitgefangener vier Aufnahmen, die das Gelände um das Krematorium V zeigen.Georges Didi-Huberman widmet sich in seinem neuen Buch der Paradoxie dieser Bilder: Dass sie so gut wie nichts zu sehen geben, aber gleichwohl unersetzliche Überreste sind.
Autorenporträt
Georges Didi-Hubermann, geboren 1953, ist Philosoph und Kunsthistoriker und lehrt an der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales (Paris). Er ist Träger des Hans-Reimer-Preises der Aby-Warburg-Stiftung (Hamburg). Er veröffentlichte zahlreiche Untersuchungen zur Geschichte und Theorie der Bilder.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.02.2008

Dein Herz sei Stein, dein Auge ein Apparat

Der fotografische Widerstandsakt ist ein Ereignis, in dem Auschwitz "vorstellbar" wird - so schreibt der französische Kunsthistoriker Georges Didi-Huberman in seinem Buch "Bilder trotz allem".

Als Element der Massenmedien regeln Fotografien unseren Zugang zur Welt. Sie werden im Alltag wie Fundstücke behandelt, der Wirklichkeit von der Kamera entrissen. Trotz Medienskepsis lassen wir uns von ihnen mit Wissen versorgen. Sie behaupten sich nach wie vor als "Schattenwurf des Realen" (André Bazin). Das hängt, wie die Wissenschaftshistoriker Lorraine Daston und Peter Gallison entdeckten, mit der Geschichte der "Objektivität" zusammen. Im neunzehnten Jahrhundert stand die Herausbildung eines modernen Konzepts von Objektivität in enger Verbindung mit der Entwicklung fotografischer Technologien. Ende des neunzehnten Jahrhunderts "umzingelte die mechanische Objektivität die gesamte Gestalt der Wissenschaft".

Im Sommer 1944 gelingt es einer Gruppe des polnischen Widerstands, einen Fotoapparat in das KZ Auschwitz einzuschmuggeln, so dass Alex, ein griechischer Jude aus einem Sonderkommando, das die Gaskammern "bedienen" musste, mit der Kamera vier Aufnahmen aus dem Krematorium V heraus schießen kann. Das Vertrauen in die Evidenz der Fotografie muss groß gewesen sein. Warum verließen sich die Widerstandskämpfer nicht auf die ungefährlichere, auf die stille Post der Erzählungen? Die Negative wurden von Helena Datón, einer Angestellten der SS-Kantine, herausgebracht. Am 4. September erreichten sie eine Widerstandsgruppe in Krakau und wurden vervielfältigt. Was bis Kriegsende mit ihnen geschah, bleibt dunkel. Immerhin hätten sie als Einblick in die Vernichtungsstätte vom Erdboden aus einen Gegenpol zu den Luftaufnahmen der amerikanischen Luftwaffe bilden können. Erst 1947 tauchen sie in Krakau im Rahmen eines Prozesses auf, in dem ihnen jedoch keine Beweiskraft zugebilligt wird. 1956 gehören sie zum Bildmaterial von Alain Resnais' "Nacht und Nebel"; 1960 sieht man sie, obzwar an den schwarzen Rändern beschnitten, in Schönberners Band "Der gelbe Stern". Sie blieben von der Aura des heiligen Entsetzens umgeben, ein Objekt der Wissenschaft wurden sie nicht.

Schließlich widmet im Jahr 2000 der französische Kunsthistoriker Georges Didi-Huberman im Katalog der Ausstellung "Mémoires des camps" den vier Fotografien einen ausführlichen Kommentar. Er macht aus Ikonen des Holocausts Objekte der Gewissheit. Sein Kommentar löst eine Kontroverse in "Les temps moderne" aus. Dass diese Fotos für Huberman Fragmente des Realen und Akte des Widerstands sind, ist für seine Gegner Anlass, ihn des "katholischen Fetischismus" zu beschuldigen. "Was Schoah betrifft", erklärt sein Kontrahent, der Psychoanalytiker Gérard Wajcman, in der Folge von Lanzman, "so wird jegliches Bild ausgeschlossen sein."

Didi-Huberman schließt sich dagegen Primo Levis Kritik an der "Inkommunikabilität" der Zeugnisse aus den Lagern an. Als Entgegnung entwickelt er in seinem Buch "Bilder trotz allem" eine "Phänomenologie des Bildes": Der fotografische Widerstandsakt ist ein Ereignis, in dem Auschwitz - gegen den Plan des NS-Regimes, jede Art Zeugenschaft zu liquidieren - "vorstellbar" wird. Gegen das Gebot der "Reinheit" eines Geschehens, das bilderlos bleiben soll, beharrt er auf dem Schmutz der "Vermischung sichtbarer und ungeordneter Dinge". Das Archivbild allein ist allerdings bedeutungslos, solange man "keine spekulative Verbindung imaginiert, die das, was man dort sieht, mit dem, was man aus anderer Quelle weiß, verbindet". Seine Provokation liegt im Beharren auf dem ontologischen Anspruch, dass Fotografien einen Berührungspunkt mit der Realität markieren.

Das ist ein Punkt der Evidenz, der schnell abgehandelt wäre. Es zählt gleichwohl zu meinem Unbehagen an der Kulturwissenschaft, dass die Kühnheit einer ontologischen Behauptung offenbar im Rahmen des Holocaust-Diskurses rückversichert werden muss. Warum hält man den "Einbruch des Realen" (eine der seltsamsten Formeln) nur in Extremsituationen wie dem traumatischen Schock oder dem Horror des Unheimlichen für denkbar? Eine fatale Seite des linguistic turn, das Augenmerk so ausschließlich auf die sprachliche Verfasstheit von Wissensordnungen zu richten, dass das "Reale" nur als dramatische Intervention von außen zugelassen wird. Auch dies eine Front, gegen die sich Didi-Huberman polemisch wendet. Die Auseinandersetzung mit der Eigenmächtigkeit von Symbolsystemen einerseits und mit dem Dogma der Bilderlosigkeit andererseits zwingt den Autor freilich zu einer sich ständig steigernden Komplexität der Vermittlung des Phänomens bis zu dem Punkt, an dem er sich vom Beweggrund seiner aufreizenden Bildontologie löst und in den Diskurs des "dialektischen Bildes" taumelt.

Auf seiner Spurensuche trifft Didi-Huberman auf ein Schriftzeugnis von Zalmen Gradowski. Es zählt zu einer der Merkwürdigkeiten der deutschen Erinnerungskultur, dass Zeugnisse der Sonderkommandos in ihr weitgehend fehlen. Gradowski wurde Zeuge, wie seine Eltern verbrannt wurden. Wie andere Dokumentaristen der Sonderkommandos, die nicht überlebten, schreibt er seine Erfahrungen auf Zettel, die er in der Hoffnung vergräbt, dass die Nachwelt sie als Zeugnisse lesen wird. Er notiert: Um den Vernichtungsbildern in der Vorstellung standhalten zu können, muss "dein Herz zu Stein werden, dein Auge zu einem Fotoapparat".

Zalmen Gradowski teilt auf seinen Zetteln der Öffentlichkeit - genauer: dem gemeinsamen Horizont der Sprache - seine Erfahrung mit. Sein Rückgriff auf das Motiv des steinernen Herzens und die Wandlung seiner Augen zu einem technischen Gerät zeigen, welches Vertrauen er am Punkt größter Ausweglosigkeit dem Medium mechanischer Objektivität entgegenbringt. Ohne jene Affekttaubheit, die seine Wahrnehmung schärfen soll, glaubt er, kein glaubhafter Zeuge für die Nachwelt sein zu können. Sein Ausdruck von der Wandlung des Auges in einen Fotoapparat birgt die Erkenntnis, dass das Phänomen, das er beobachtet, der eigenen Subjektivität entglitten ist.

In der Reduktion auf schwarzweiße Rechtecke enthüllt die Fotografie eine Dimension des Realen, die wie eine Ware kursieren kann und soll. Erst so, als im Foto veräußerlichte Realität, kann die Erfahrung in Weltwissen eingespeichert werden. Das ist ein starker Punkt in Didi-Hubermans Argumentation und setzt ihn in Gegensatz zur Medienskepsis: Die Distanz des "entfremdeten Bildes" ist nötig, wenn es der Übertragung von Wissen dienen soll. Das mag Zalmen Gradowski zu seiner stoischen Formulierung gebracht haben. Das mag Alex ermutigt haben, Fotos aus dem Inneren der Gaskammer heraus aufzunehmen.

Hatten die Gegner von Didi-Huberman proklamiert, Fotos seien "Bilder ohne Einbildungskraft", so beweist dieser, dass ihre magische Kraft der Vergegenwärtigung unser Wissen bereichert. Er rekonstruiert aus den toten Speicherflächen das "Ereignis" ihrer Herstellung. Das gelingt nicht mit "steinernem Herzen", geht nicht ohne Empathie, Animation und spekulative Schritte: Er zeichnet den vermutlichen Bewegungsablauf und die Zeitstrecke des Fotografen nach, erkennt in der schwarzen Rahmung der Fotos, auf der es nichts zu sehen gibt, die Markierung des Blickfelds durch die Wände der Gaskammer.

Das hätte der Schlusspunkt auf Seite 100 sein können: Die vier Fotografien haben zwar die Dinge und Ereignisse aus dem Fluss des Lebens herausgerissen und einem Apparateprogramm unterworfen, sie speichern aber einen "Fetzen" der Erfahrung der Wirklichkeit des Widerstandes. Doch die Angriffe treiben Didi-Huberman weiter. Die Auseinandersetzung mit seinem Gegner aus der Lacan-Schule, aus der er selber stammt, zwingt ihn dazu, das "Bild als Riss, das einen Schein des Realen auflodern lässt", zu definieren. So löst er sich von Roland Barthes' Annahme, dass an der Fotografie materielle Partikel der Realität haften. Die Eigendynamik des französischen Holocaust-Diskurses hat ihn davon entfernt. Dessen Pathos, obwohl in Peter Geimers Übersetzung klug abgekühlt, schlägt immer wieder durch. Nach 256 Seiten ist eine sinnliche Fläche entstanden, auf der die Fotos ihre Qualität als Spur eines Ereignisses Texten verdanken und die Texte nicht in Bilderlosigkeit versinken. Einbildungskraft verbindet sie. Das ist ihre Magie.

So überzeugend das Buch in dem Beharren auf der Evidenz der vier Fotografien ist, so wirft es doch eine Reihe kritischer Fragen auf: Inwiefern ist der Streit um das Buch in Frankreich durch den Israel-Palästina-Konflikt grundiert? Lässt sich das Verfahren der Animation des Ereignisses auch auf die Fotos übertragen, die die SS-Bewacher vom Lagerleben machten? Warum fehlt in seiner Spurensuche die Recherche nach dem Schicksal der Bilder vom September 1944 bis Ende des Krieges? Durch Weglassen des Scheiterns der Bilder als eingreifende Instanz in einer entscheidenden Phase - sie spielten in den strategischen Überlegungen der Alliierten offenbar keine Rolle - bekommt sein Buch selbst die pathetische Farbe eines finalen Widerstandsaktes.

"Die Photographie war einmal eine Ware der Wirklichkeit. Aber sie bildete auch früher nicht die Tatsache der Welt ab, sondern sie synchronisierte unseren Blick mit der Welt." (Hans Belting)

Es geht in Didi-Hubermans Buch um vier Fotografien von Schauplätzen des Mordens in Auschwitz. Sie wurden 1944 von jüdischen Mitgliedern eines Sonderkommandos aufgenommen, in Warschau von polnischen Widerstandskämpfern entwickelt und weitergesandt. Im Jahr 1944 hatten sie keine Chance, als "Waren der Wirklichkeit" zu zirkulieren. Die Aufnahmen, auf denen Leichenverbrennungen und Frauen auf dem Weg in die Gaskammer zu sehen sind, haben weder damals noch heute den Blick mit der Welt synchronisieren können. Als "Ikonen" des Holocausts bleiben sie mit der Aura heiligen Entsetzens umhüllt.

HELMUT LETHEN

Georges Didi-Huberman: "Bilder trotz allem". Aus dem Französischen von Peter Geimer. Wilhelm Fink Verlag, München 2007. 260 S., Abb., br., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Als "Dokument von seltener Eindringlichkeit" feiert Rezensent Horst Bredekamp dieses Buch des Pariser Kunsthistorikers, das sich mit der Geschichte von vier von Häftlingen illegal aufgenommenen Fotografien der Vernichtungsmaschinerie in Auschwitz befasst. Zum Politikum macht Bredekamp zufolge einerseits das in den Lagern verhängte Bilderverbot der Nazis, die auf diesem perfiden Weg der Nachwelt nur die eigene Darstellung überliefern. Andererseits verfolgt der Rezensent auch hochinteressiert Georges Didi-Hubermans Verteidigung der Publikation der Bilder im zweiten Teil des Buches, die gegen das von einigen Holocaust-Spezialisten vertretene Dogma der "von äußeren Bildern freien Erinnerung" Stellung bezieht. Was das Buch für den Rezensenten ebenfalls zum Ereignis macht, ist die ebenso "flüssige wie skrupulöse" Übersetzung von Peter Greimer, der Bredekamps Informationen zufolge ebenfalls ein "herausragender Fotohistoriker" ist.

© Perlentaucher Medien GmbH