Erinnerungen an die Ermordung der Juden durch die Nationalsozialisten sind mit Fotografien und Filmstreifen verbunden. Bis in die 1960er Jahre feierte Westdeutschland die abstrakte Kunst, rehabilitierte die "entartete" und Ostdeutschland förderte den Aufbau des Sozialistischen Realismus; auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs wurde Bildern zum Genozid an den Juden wenig Aufmerksamkeit gewidmet. In diesem Band werden 160 Arbeiten von 42 Künstlern kommentiert, die dennoch entstanden und in der Auseinandersetzung mit der Fotografie in die Erinnerungspolitik der Nachkriegszeit intervenierten.Dass diese Studie zu künstlerischen Reflektionen mit Pinsel, Stift und alltäglichen Überbleibseln über die Ermordung der Juden erst jetzt erscheint, mag dem Primat der Lichtbilder für die Erinnerung geschuldet sein, sie wirft aber auch die Frage nach der Qualität von Kunst vom Grundsatz her neu auf.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.02.2015Warum blieben die bildenden Künstler eine Antwort schuldig?
Deutsche Kunstgeschichte gegen den Strich gelesen: Kathrin Hoffmann-Curtius sichtet Bilder zum Judenmord von 1945 bis zum ersten Auschwitz-Prozess
Auf dieses Buch hat man lange gewartet. Kathrin Hoffmann-Curtius legt eine "kommentierte Sichtung" der "Bilder zum Judenmord" vor, die zwischen 1945 und 1965 vorzugsweise in Deutschland entstanden sind. Unsere Erinnerung stützt sich zuallererst auf den unabweisbaren Realismus der Fotodokumente und Filmsequenzen, welche die Alliierten bei der Befreiung der Konzentrationslager gemacht haben. Zum ersten Mal in der Geschichte ist hier ein Genozid fotodokumentarisch festgehalten. Der künstlerischen Fiktion allein würde man keinen Glauben schenken. Aber machen die Fotos bildnerische Auseinandersetzungen, Deutungen und Analysen und die Verarbeitungen durch die Phantasie überflüssig?
Beim Stichwort Kunst und Holocaust fallen uns spontan vor allem Beispiele aus der bis heute diskriminierten Kunst der DDR ein, die im Westen noch immer nicht oder nur ungern wahrgenommen wird. Eines der Verdienste dieses Buches ist, dieses Erbe ernst zu nehmen und in eindringlichen Exegesen zu erschließen. Dankbar erwähnt die Autorin, dass die Berliner Nationalgalerie aufgrund ihrer Ostbestände einige der bedeutendsten Werke seit 2012 wieder ins öffentliche Bewusstsein zurückgeholt hat.
Auf der westlichen Gegenseite stößt man noch einmal auf eine ungelöste und peinigende Frage der Nachkriegskunstgeschichte: Warum stellte sich die deutsche Westkunst nicht dem Thema, warum wich sie der Analyse und Verarbeitung aus und entschied sich mit dem Anschluss an den westlichen Avantgardismus für eine Transzendierung der Geschichte? War das Ziel des Internationalismus wichtiger als die Recherche und Gewissenserforschung im eigenen Haus? Diese Entscheidung wich diametral von der Reaktion der Künstler nach dem Ersten Weltkrieg ab. Nach 1918 führte der Weg aus der Utopie der frühen Moderne zurück zur Wahrnehmung einer unbarmherzigen Realität.
Nach 1945 schlug die Westkunst den umgekehrten Weg zurück zur Utopie ein. Der Schock und die Schuld rüttelten nicht zur Selbstbefragung, zur Geschichtsanalyse und zur Anklage auf. Die Phantasie kapitulierte, sie erklärte ihre Unzuständigkeit und trat ihre Verantwortung an Film und Foto ab. Die ausweichenden Künstler suchten nach Gegenwelten und nutzten dazu die Angebote der modernen Abstraktionen und ihrer universellen Bildsprachen. In zahllosen Statements von Künstlern und Theoretikern wurde unablässig erklärt, dass "Auschwitz" nicht darstellbar und überhaupt konkrete Schilderungen nicht Aufgabe autonomer Kunst seien. Sind das nicht Ausreden? Wäre nach 1945 nicht die erste Pflicht gewesen, das ästhetische Bewusstsein zu zermartern und für einen Ausdruck des Unausweichlichen und Unfassbaren zu konditionieren? Die bildenden Künstler blieben uns weitgehend schuldig, was Dichter, Schriftsteller, Musiker oder Filmkünstler leisteten.
Kathrin Hoffmann-Curtius' motivgeschichtliche Studie ist daher ein Trotz-Buch, das eine festgefahrene Kunstgeschichte gegen den Strich, gegen die Verweigerung und behauptete Unmöglichkeit der Darstellung bürstet. Sie fördert ein erstaunliches, heterogenes, qualitativ zweifellos schwankendes Material zutage: 156 Werke von 44 Künstlern, die sich explizit mit dem Judenmord befassen. Die Autorin lässt kunstgeschichtliche Schemata, die eingefleischten Schulbegriffe, Stilrichtungen und Qualitätskriterien beiseite. In diesem diffusen Panorama zahlloser Bildquellen könnte man leicht die Orientierung verlieren, hätte die Autorin nicht das Material durch die chronologische Abfolge und eine akribische Besprechung der einzelnen Werke, Bild für Bild und Künstler für Künstler, fest im Griff.
Neben namhaften treten hier vergessene oder auch kaum bekannte Künstler zutage, neben Betroffenen und Opfern, die mahnen und anklagen oder in der Kunst Linderung vom Horror suchen, Beobachter und Moralisten, die in der Zeit des Terrors aus nächster Nähe, aus dem Exil oder dann im Rückblick auf die Verbrechen reagiert haben. Pathos oder Beklommenheit haben mit den Umständen der Entstehung, mit den Bedingungen im Lager und in Verstecken, mit Angstpsychosen oder später mit moralischer Empörung zu tun.
Die "großen" Werke, die nicht im Mittelpunkt des Buchs stehen, entstanden aus der Distanz des Exils oder aus der Erinnerung. Hingewiesen sei auf Kokoschkas allegorische Balladen, auf Meidner und Chagall, der die Stationen der jüdischen Passion in Osteuropa von Amerika aus mit Bildern begleitete, an Picasso, der 1944/45 mit dem "Beinhaus" eine der eindringlichsten Parabeln auf den Massenmord schuf, oder den Slowenen Music, der in der Dachauer Lagerhaft Skizzen verfertigte, die er Jahrzehnte später zu großen Mementos verarbeitete.
Einzigartig ist das Epos über die Verfolgung und die Leiden von Juden und Sinti, das der Rheinländer Otto Pankok im Verborgenen im Dritten Reich schuf und in monumentalen Kohlezeichnungen festhielt. Diese bildmäßigen Blätter verdienen einen Ehrenplatz im Pantheon deutscher Kunst. Im Buch schließen daran die erschütternden, sakral gefassten Gedenk- und Mahnbilder von Horst Strempel und Hans Grundig an. Grundigs Frau Lea schuf nach ihrer Rückkehr aus dem Exil aufrüttelnde Zyklen. Das Buch ruft vergessene Illustrationsfolgen von Willy Geiger, Jerzy Zielezinski, Leo Haas, Fritz Ketz, Carl Lauterbach, Edgar Jené, Teo Otto, Gerd Baukhage oder Hermann Bruse in Erinnerung. Der erzählerische und illustrative Modus, das Pathos und die Metaphernsprache, die Allegorien und surrealen Übersteigerungen gehören dabei zu den genuinen Mitteln der Vergegenwärtigung oder Erinnerung der Schrecken.
Alle diese Verfahren widersprechen dem abgehobenen Kodex avantgardistischer Ästhetik. Rühren auch daher die Vermeidung und Umgehung des Themas durch die Avantgarde-Künstler?
Die Autorin ist nicht einseitig. Sie räumt ein, dass eine quasi inhaltliche Befragung und Ergründung der abstrakten Kunst noch aussteht. Bei Einzelgängern in West wie in Ost berühren die Verstörungen und Erschütterungen die Wurzeln ihrer Kunst, sie prägen ihre Handschrift und die Erregung ihres Stils. Hoffmann-Curtius wird bei Fautrier, Wols, bei Altenbourg und Carlfriedrich Claus, bei dem "Abstrakten" Buchheister, bei Ehmsen und dem Realisten Hubbuch fündig. Beim jungen Gerhard Richter in Dresden hat sie zarte Profilzeichnungen Anne Franks im Stil Cocteaus aufgespürt und die Fotos aus den Lagern registriert, die Richter in seinen "Bilderatlas" aufnahm. Bei den Foto-Vermalungen traute er sich aber nicht über Genremotive aus den Familienalben hinaus.
Auf die Eingangswand des neuen Bundestags wollte er ursprünglich drei Vermalungen drastischer KZ-Fotos als Memento plazieren, entschied sich dann aber für drei banale Farbfelder mit den Bundesfarben. Beuys holte in seine Aktionen, Installationen und makabren Objekt-Stillleben viel von den verdrängten Lagerwelten, von Tod und Verfall zurück. Doch die vielfach abstrusen, verkrampften und kaum angemessenen Versuche besiegeln letztlich eine Geschichte der Ratlosigkeit und Verlegenheit, ja des Scheiterns. Man kann die Annäherungsversuche respektieren, sollte sie aber nicht zu großen Taten verklären.
Herausragend sind einzelne, seltene Beiträge aus der DDR. Sie wurden langen Widerständen abgetrotzt und lassen sich nicht, wie gerne geübt, als verordnete Antifaschismus-Kampagnen beiseiteschieben. Anfangs stand das Thema im Osten unter stalinistischem Richtliniendiktat. Walter Ulbricht verlangte die Herausarbeitung sozialistischer Helden- und Märtyrergeschichten unter Zurückstellung der jüdischen Opfer. Der Holocaust sollte nicht den Wiederaufbau lähmen und die sozialistische Zukunft verdüstern. In der Aufklärungs- und Umerziehungspolitik der Westalliierten findet sich dazu eine Parallele. Auch die Amerikaner hielten die von ihnen initiierten Dokumentarfilme aus den Todeslagern lange zurück, um nicht den Überlebenswillen der Deutschen vollends zu brechen.
Mit der Zeit lösen sich ostdeutsche Künstler aus der politischen Umklammerung und erkunden das Thema aus eigener Sicht. Bei den aufwühlenden Massakerbildern Willi Sittes aus den fünfziger Jahren standen Picasso und Guttuso Pate: Auch sie sind ein Beispiel für die Wiedergewinnung des Internationalismus in der deutschen Kunst. Der bedeutendste Beitrag ist der auf zwölf Variationen angelegte Zyklus "Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze" Werner Tübkes, den Kathrin Hoffmann-Curtius einer besonders subtilen Kommentierung unterzieht. Mit wechselnden Bildformen und Stilmodi befragt Tübke den abgründigen Komplex. Hier zeigt sich, dass der Bildapparat der "Alten Meister" und syntaktische Kompositionen zur Analyse komplizierter Zusammenhänge geeigneter sind als die vielfach eindimensionalen Formen moderner Ästhetik.
EDUARD BEAUCAMP.
Kathrin Hoffmann-Curtius: "Bilder zum Judenmord". Eine kommentierte Sichtung der Malerei und Zeichenkunst in Deutschland von 1945 bis zum Auschwitz-Prozess.
Jonas Verlag, Marburg 2014. 272 S., Abb., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Deutsche Kunstgeschichte gegen den Strich gelesen: Kathrin Hoffmann-Curtius sichtet Bilder zum Judenmord von 1945 bis zum ersten Auschwitz-Prozess
Auf dieses Buch hat man lange gewartet. Kathrin Hoffmann-Curtius legt eine "kommentierte Sichtung" der "Bilder zum Judenmord" vor, die zwischen 1945 und 1965 vorzugsweise in Deutschland entstanden sind. Unsere Erinnerung stützt sich zuallererst auf den unabweisbaren Realismus der Fotodokumente und Filmsequenzen, welche die Alliierten bei der Befreiung der Konzentrationslager gemacht haben. Zum ersten Mal in der Geschichte ist hier ein Genozid fotodokumentarisch festgehalten. Der künstlerischen Fiktion allein würde man keinen Glauben schenken. Aber machen die Fotos bildnerische Auseinandersetzungen, Deutungen und Analysen und die Verarbeitungen durch die Phantasie überflüssig?
Beim Stichwort Kunst und Holocaust fallen uns spontan vor allem Beispiele aus der bis heute diskriminierten Kunst der DDR ein, die im Westen noch immer nicht oder nur ungern wahrgenommen wird. Eines der Verdienste dieses Buches ist, dieses Erbe ernst zu nehmen und in eindringlichen Exegesen zu erschließen. Dankbar erwähnt die Autorin, dass die Berliner Nationalgalerie aufgrund ihrer Ostbestände einige der bedeutendsten Werke seit 2012 wieder ins öffentliche Bewusstsein zurückgeholt hat.
Auf der westlichen Gegenseite stößt man noch einmal auf eine ungelöste und peinigende Frage der Nachkriegskunstgeschichte: Warum stellte sich die deutsche Westkunst nicht dem Thema, warum wich sie der Analyse und Verarbeitung aus und entschied sich mit dem Anschluss an den westlichen Avantgardismus für eine Transzendierung der Geschichte? War das Ziel des Internationalismus wichtiger als die Recherche und Gewissenserforschung im eigenen Haus? Diese Entscheidung wich diametral von der Reaktion der Künstler nach dem Ersten Weltkrieg ab. Nach 1918 führte der Weg aus der Utopie der frühen Moderne zurück zur Wahrnehmung einer unbarmherzigen Realität.
Nach 1945 schlug die Westkunst den umgekehrten Weg zurück zur Utopie ein. Der Schock und die Schuld rüttelten nicht zur Selbstbefragung, zur Geschichtsanalyse und zur Anklage auf. Die Phantasie kapitulierte, sie erklärte ihre Unzuständigkeit und trat ihre Verantwortung an Film und Foto ab. Die ausweichenden Künstler suchten nach Gegenwelten und nutzten dazu die Angebote der modernen Abstraktionen und ihrer universellen Bildsprachen. In zahllosen Statements von Künstlern und Theoretikern wurde unablässig erklärt, dass "Auschwitz" nicht darstellbar und überhaupt konkrete Schilderungen nicht Aufgabe autonomer Kunst seien. Sind das nicht Ausreden? Wäre nach 1945 nicht die erste Pflicht gewesen, das ästhetische Bewusstsein zu zermartern und für einen Ausdruck des Unausweichlichen und Unfassbaren zu konditionieren? Die bildenden Künstler blieben uns weitgehend schuldig, was Dichter, Schriftsteller, Musiker oder Filmkünstler leisteten.
Kathrin Hoffmann-Curtius' motivgeschichtliche Studie ist daher ein Trotz-Buch, das eine festgefahrene Kunstgeschichte gegen den Strich, gegen die Verweigerung und behauptete Unmöglichkeit der Darstellung bürstet. Sie fördert ein erstaunliches, heterogenes, qualitativ zweifellos schwankendes Material zutage: 156 Werke von 44 Künstlern, die sich explizit mit dem Judenmord befassen. Die Autorin lässt kunstgeschichtliche Schemata, die eingefleischten Schulbegriffe, Stilrichtungen und Qualitätskriterien beiseite. In diesem diffusen Panorama zahlloser Bildquellen könnte man leicht die Orientierung verlieren, hätte die Autorin nicht das Material durch die chronologische Abfolge und eine akribische Besprechung der einzelnen Werke, Bild für Bild und Künstler für Künstler, fest im Griff.
Neben namhaften treten hier vergessene oder auch kaum bekannte Künstler zutage, neben Betroffenen und Opfern, die mahnen und anklagen oder in der Kunst Linderung vom Horror suchen, Beobachter und Moralisten, die in der Zeit des Terrors aus nächster Nähe, aus dem Exil oder dann im Rückblick auf die Verbrechen reagiert haben. Pathos oder Beklommenheit haben mit den Umständen der Entstehung, mit den Bedingungen im Lager und in Verstecken, mit Angstpsychosen oder später mit moralischer Empörung zu tun.
Die "großen" Werke, die nicht im Mittelpunkt des Buchs stehen, entstanden aus der Distanz des Exils oder aus der Erinnerung. Hingewiesen sei auf Kokoschkas allegorische Balladen, auf Meidner und Chagall, der die Stationen der jüdischen Passion in Osteuropa von Amerika aus mit Bildern begleitete, an Picasso, der 1944/45 mit dem "Beinhaus" eine der eindringlichsten Parabeln auf den Massenmord schuf, oder den Slowenen Music, der in der Dachauer Lagerhaft Skizzen verfertigte, die er Jahrzehnte später zu großen Mementos verarbeitete.
Einzigartig ist das Epos über die Verfolgung und die Leiden von Juden und Sinti, das der Rheinländer Otto Pankok im Verborgenen im Dritten Reich schuf und in monumentalen Kohlezeichnungen festhielt. Diese bildmäßigen Blätter verdienen einen Ehrenplatz im Pantheon deutscher Kunst. Im Buch schließen daran die erschütternden, sakral gefassten Gedenk- und Mahnbilder von Horst Strempel und Hans Grundig an. Grundigs Frau Lea schuf nach ihrer Rückkehr aus dem Exil aufrüttelnde Zyklen. Das Buch ruft vergessene Illustrationsfolgen von Willy Geiger, Jerzy Zielezinski, Leo Haas, Fritz Ketz, Carl Lauterbach, Edgar Jené, Teo Otto, Gerd Baukhage oder Hermann Bruse in Erinnerung. Der erzählerische und illustrative Modus, das Pathos und die Metaphernsprache, die Allegorien und surrealen Übersteigerungen gehören dabei zu den genuinen Mitteln der Vergegenwärtigung oder Erinnerung der Schrecken.
Alle diese Verfahren widersprechen dem abgehobenen Kodex avantgardistischer Ästhetik. Rühren auch daher die Vermeidung und Umgehung des Themas durch die Avantgarde-Künstler?
Die Autorin ist nicht einseitig. Sie räumt ein, dass eine quasi inhaltliche Befragung und Ergründung der abstrakten Kunst noch aussteht. Bei Einzelgängern in West wie in Ost berühren die Verstörungen und Erschütterungen die Wurzeln ihrer Kunst, sie prägen ihre Handschrift und die Erregung ihres Stils. Hoffmann-Curtius wird bei Fautrier, Wols, bei Altenbourg und Carlfriedrich Claus, bei dem "Abstrakten" Buchheister, bei Ehmsen und dem Realisten Hubbuch fündig. Beim jungen Gerhard Richter in Dresden hat sie zarte Profilzeichnungen Anne Franks im Stil Cocteaus aufgespürt und die Fotos aus den Lagern registriert, die Richter in seinen "Bilderatlas" aufnahm. Bei den Foto-Vermalungen traute er sich aber nicht über Genremotive aus den Familienalben hinaus.
Auf die Eingangswand des neuen Bundestags wollte er ursprünglich drei Vermalungen drastischer KZ-Fotos als Memento plazieren, entschied sich dann aber für drei banale Farbfelder mit den Bundesfarben. Beuys holte in seine Aktionen, Installationen und makabren Objekt-Stillleben viel von den verdrängten Lagerwelten, von Tod und Verfall zurück. Doch die vielfach abstrusen, verkrampften und kaum angemessenen Versuche besiegeln letztlich eine Geschichte der Ratlosigkeit und Verlegenheit, ja des Scheiterns. Man kann die Annäherungsversuche respektieren, sollte sie aber nicht zu großen Taten verklären.
Herausragend sind einzelne, seltene Beiträge aus der DDR. Sie wurden langen Widerständen abgetrotzt und lassen sich nicht, wie gerne geübt, als verordnete Antifaschismus-Kampagnen beiseiteschieben. Anfangs stand das Thema im Osten unter stalinistischem Richtliniendiktat. Walter Ulbricht verlangte die Herausarbeitung sozialistischer Helden- und Märtyrergeschichten unter Zurückstellung der jüdischen Opfer. Der Holocaust sollte nicht den Wiederaufbau lähmen und die sozialistische Zukunft verdüstern. In der Aufklärungs- und Umerziehungspolitik der Westalliierten findet sich dazu eine Parallele. Auch die Amerikaner hielten die von ihnen initiierten Dokumentarfilme aus den Todeslagern lange zurück, um nicht den Überlebenswillen der Deutschen vollends zu brechen.
Mit der Zeit lösen sich ostdeutsche Künstler aus der politischen Umklammerung und erkunden das Thema aus eigener Sicht. Bei den aufwühlenden Massakerbildern Willi Sittes aus den fünfziger Jahren standen Picasso und Guttuso Pate: Auch sie sind ein Beispiel für die Wiedergewinnung des Internationalismus in der deutschen Kunst. Der bedeutendste Beitrag ist der auf zwölf Variationen angelegte Zyklus "Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze" Werner Tübkes, den Kathrin Hoffmann-Curtius einer besonders subtilen Kommentierung unterzieht. Mit wechselnden Bildformen und Stilmodi befragt Tübke den abgründigen Komplex. Hier zeigt sich, dass der Bildapparat der "Alten Meister" und syntaktische Kompositionen zur Analyse komplizierter Zusammenhänge geeigneter sind als die vielfach eindimensionalen Formen moderner Ästhetik.
EDUARD BEAUCAMP.
Kathrin Hoffmann-Curtius: "Bilder zum Judenmord". Eine kommentierte Sichtung der Malerei und Zeichenkunst in Deutschland von 1945 bis zum Auschwitz-Prozess.
Jonas Verlag, Marburg 2014. 272 S., Abb., geb., 25,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eduard Beaucamp musste lange warten auf so ein Buch. Die zwischen 1945 und 1965 entstandenen Bilder zum Holocaust, die Kathrin Hoffmann-Curtius hier sichtet und motivgeschichtlich untersucht, ergeben für den Rezensenten eine Kunstgeschichte gegen den Strich. Die Aussage, dass sich das Grauen von Auschwitz nicht künstlerisch fassen lässt, findet Beaucamp spätestens nach dieser Lektüre nicht mehr haltbar. Auch wenn das von der Autorin analysierte Material qualitativ sehr unterschiedlich ist, wie der Rezensent feststellt, die chronologisch geordneten und von Hoffmann-Curtius eben nicht mittels kunstgeschichtlichen Bewertungsmaßstäben betrachteten 156 Werke von 44 Künstlern bezeugen für den Rezensenten doch mitunter Verfahren jenseits avantgardistischer Ästhetik (etwa bei Otto Pankok oder Werner Tübke), die den Abgrund auszumessen imstande sind.
© Perlentaucher Medien GmbH
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