Produktdetails
  • Lebensbilder zur Geschichte der böhmischen Länder
  • Verlag: Oldenbourg
  • Seitenzahl: 302
  • Abmessung: 240mm
  • Gewicht: 485g
  • ISBN-13: 9783486564563
  • Artikelnr.: 08478152
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.02.2000

Memoiren am See
Johanna von Herzogenberg
hat ihr Leben Böhmen gewidmet
Als die Zehnjährige die Aufnahmeprüfung in das Realgymnasium in Aussig machte, antwortete sie auf die Frage, was sie einmal werden wolle: Schriftstellerin. So ganz, schreibt Johanna von Herzogenberg fast siebzig Jahre später, sei das Ziel ja nicht erreicht worden. Und ob sie es erreicht hat! Schon längst mit ihren Landschafts- und Kunstbüchern, vor allem ihrem seit 1966 in zahlreichen Auflagen lebendig gebliebenen Pragführer (bei Prestel), vielleicht aber im vollen Wortsinn doch erst jetzt mit ihren Erinnerungen. Die geborene Erzählerin entfaltet sich im Licht, in der Luft eines Buches, dessen Gegenstand – das eigene Leben – sie von der Pflicht zur wissenschaftlichen Systematik befreit und dem narrativen Temperament keine Zügel mehr anlegt.
Ein Jahrhundertleben. Über die Familie der Mutter, einer Prinzessin Rohan, mit den großen Adelsgeschlechtern Böhmens und Europas verwandt, wuchs Johanna Herzogenberg in dem an der Elbe gelegenen westböhmischen „Schlössl” Birnai bei Aussig auf. Man lebte standesgemäß, aber keineswegs auf großem Fuß; der Vater betrieb eine Gärtnerei. Der Einmarsch der deutschen Truppen im Herbst 1938 zerstörte das auch nach 1918 fortbestehende natürliche Zusammenleben von Deutschen und Tschechen. Wer weiß, schreibt die Chronistin, von der Vertreibung der Einheimischen, als unter den Nazis der Sudetengau entstand? In der Aussiger Schule gab es sieben verschiedene Bekenntnisse, ein Drittel ihrer Mitschüler waren Juden. Die selbstverständliche Toleranz gehörte zu den unverlierbaren Gütern, die nach Enteignung und Ausweisung den weiteren Lebensweg der dezidierten Katholikin begleiteten.
Noch in Prag hatte sie bei Erich Trunz promoviert; 1952 wurde sie die Geschäftsführerin des Adalbert-Stifter-Vereins in München und blieb dieser Tätigkeit Jahrzehnte hindurch treu. Sie war maßgeblich an der Gründung der Ostdeutschen Galerie in Regensburg beteiligt, organisierte das dreißig Jahre lang jeden Herbst stattfindende Regensburger Treffen von Künstlern, die aus den böhmischen Ländern stammten und führte Regie bei großen Ausstellungen, die sich auf Prag als ein historisches und kulturelles Zentrum Europas bezogen (Kaiser Karl IV. , der heilige Nepomuk).
Böhmen liegt, wie wir seit Shakespeare und Ingeborg Bachmann wissen, am Meer. Johanna Herzogenberg war seit den frühen Jahren der Bundesrepublik seine ebenso eindringliche wie unpathetische Prophetin. Sie trat für Weltoffenheit und Versöhnung ein, als die offiziellen politischen Zeichen auf Nationalismus und Revanchismus standen. Fesselnd berichtet sie von den Spannungen zwischen dem Adalbert-Stifter-Verein, der eine kulturelle Brücke zwischen Einheimischen und Vertriebenen, Deutschen und Tschechen bilden wollte, und der Sudetendeutschen Landsmannschaft, der die Bonner Förderungsmittel zuflossen. Gegen völkische Verbohrtheit und nationale Engstirnigkeit ist von vornherein gefeit, wer den Menschen als „homo viator” sieht. „Wallfahrt kennt keine Grenzen”, lautete das Thema einer Anfang der achtziger Jahre in München gezeigten Ausstellung, die Johanna von Herzogenbergs unverwechselbare Handschrift trug. Die große Wallfahrtsorte Jerusalem, Rom, Santiago de Compostela, Mariazell wurden zu Lebenszentren der Verfasserin, die im Januar 1991 im Benediktinerkloster Tabgha am See Genezareth, als wegen des Golfkriegs fast alle Deutschen das Land verlassen hatten, ihre Erinnerungen zu schreiben begann.
ALBERT VON SCHIRNDING
JOHANNA VON HERZOGENBERG: Bilderbogen. Aus meinem Leben. Lebensbilder zur Geschichte der böhmischen Länder. Band 7. R. Oldenbourg Verlag, München 1999. 302 Seiten, 48 Mark.
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