»Dem Autor gelingt eine bewunderswerte Balance zwischen Ernst und Ironie, Leichtigkeit und Melancholie.« 'Focus'
Hans P., in dessen Person der Autor selbst unschwer zu erkennen ist, zeichnet überaus feinfühlig und dabei ganz unsentimental die Geschichte seiner Liebe zu dem langjährigen, geliebten Lebenspartner und dessen Sterben an AIDS.
In inneren Dialogen hält Hans Zwiesprache mit dem durch den Tod unsichtbar gewordenen Freund und lässt die gemeinsamen Jahre Revue passieren. Die Kenntnis von der tödlichen Krankheit und ihrem Auftreten in Amerika zu Beginn der 80er Jahre beendete schlagartig das sorgenfreie Leben auch der europäischen homosexuellen jeunesse dorée.
Hans hatte in Paris seine Initiation im Kreis französischer Intellektueller erlebt, die ihr Leben und ihre Freiheit in vollen Zügen genossen, deren Bezugspunkte Versailles und Ludwig XIV. waren. Mit Volker Kinnius, dem Münchner Galeristen, verbringt er 23 Jahre, die erfüllt sind von der gemeinsamen Neigung zu den Künsten, zu Malerei, Musik, Theater und Literatur. Neben dieser Geschichte von Liebe und Tod, Kultur- und Lebenshunger zeichnet Hans Pleschinski ein faszinierendes Bild der Gesellschaft in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts in Deutschland.
Hans P., in dessen Person der Autor selbst unschwer zu erkennen ist, zeichnet überaus feinfühlig und dabei ganz unsentimental die Geschichte seiner Liebe zu dem langjährigen, geliebten Lebenspartner und dessen Sterben an AIDS.
In inneren Dialogen hält Hans Zwiesprache mit dem durch den Tod unsichtbar gewordenen Freund und lässt die gemeinsamen Jahre Revue passieren. Die Kenntnis von der tödlichen Krankheit und ihrem Auftreten in Amerika zu Beginn der 80er Jahre beendete schlagartig das sorgenfreie Leben auch der europäischen homosexuellen jeunesse dorée.
Hans hatte in Paris seine Initiation im Kreis französischer Intellektueller erlebt, die ihr Leben und ihre Freiheit in vollen Zügen genossen, deren Bezugspunkte Versailles und Ludwig XIV. waren. Mit Volker Kinnius, dem Münchner Galeristen, verbringt er 23 Jahre, die erfüllt sind von der gemeinsamen Neigung zu den Künsten, zu Malerei, Musik, Theater und Literatur. Neben dieser Geschichte von Liebe und Tod, Kultur- und Lebenshunger zeichnet Hans Pleschinski ein faszinierendes Bild der Gesellschaft in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts in Deutschland.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.03.2020MÜNCHEN ERLESEN
Abgründe und Höhenrausch
In Romanen aus allen Zeiten lassen sich sehr unterschiedliche Ansichten Münchens finden –
Hans Pleschinski beleuchtet in „Bildnis eines Unbekannten“ die Ära von Aids
VON ANTJE WEBER
Natürlich liest man Bücher heute anders. „Lange hatten sie an der Seine geglaubt, dem Virus mit Rotwein und Knoblauch Paroli bieten zu können“, lautet einer der ersten Sätze des Romans „Bildnis eines Unsichtbaren“ von Hans Pleschinski. Gefolgt von: „Die Ile-Saint-Louis, einst Hochburg unkonventioneller Lebensfreuden, war eine stille Insel geworden.“ Auch ein Satz über München hallt in diesen Tagen seltsam nach: Serge, der Freund des autobiografisch zu deutenden Ich-Erzählers, muss sich nachts auf der Brücke vor dem Landtag übergeben, „weil die Straßen menschenleer, sämtliche Lokale geschlossen waren, alles rundum verbarrikadiert wirkte“.
Nein, dies ist kein Roman über die Corona-Krise, von der konnte der Münchner Schriftsteller Hans Pleschinski im Jahr 2002 natürlich nichts wissen. Seine Figur Serge irrte auch nur deshalb draußen durch die stille Nacht, weil in den Achtzigerjahren wegen der frühen Sperrstunde alle Kneipen längst geschlossen hatten. Dennoch sollte nicht allzu zartbesaitet sein, wer in diesen Tagen den Roman „Bildnis eines Unsichtbaren“ wieder zur Hand nimmt. Vieles ist darin zu finden, was auch unsere Gesellschaft gerade umtreibt; deutlich liest man die Wucht der Panik angesichts eines unbekannten Virus heraus, das in den Achtzigerjahren die neue Krankheit Aids verursachte.
Doch dieser emotionale, heute immer noch intensiv wirkende Roman, der von Abgründen genauso handelt wie vom Höhenrausch, erzählt auch von Strategien, mit Ängsten umzugehen. Und so sei er zum Beginn einer Serie über München-Romane als sehr aufschlussreiche Wieder- oder Erstlektüre empfohlen: um über den gewaltigen Umbruch, die Krise auch unserer Gesellschaft nachzudenken – und sich für die Zeit des Lesens gedanklich quer durch die Stadt München und ihre Geschichte zu bewegen.
Denn Pleschinski beschwört in diesem Roman, der auch als ein langer Nachruf auf den Galeristen und langjährigen Lebensgefährten Volker Kinnius zu lesen ist, nicht nur verschiedene Phasen der eigenen Biografie. Er flaniert auch sozusagen durch die Geschichte Münchens, erzählt von der freien Bohème der Prinzregentenzeit vor dem Ersten Weltkrieg ebenso wie von den wilden Phasen einer hedonistischen Schwulenszene in den Siebziger- und Achtzigerjahren. Mit dem im Gärtnerplatzviertel lebenden und liebenden Ich-Erzähler wandert man durch den Hofgarten, vorbei an der Staatskanzlei, daneben „Klenzes klassizistische Fenstersequenzen der Residenz. Unweit davon der Männertreff am Odeonsplatz, der von Klaus Mann bis Walter Sedlmayr frequentiert worden war.“ Und noch ein paar Ecken weiter die Bar Schumann’s: „Auf dieser halben Quadratmeile Stadt war, wenn man nur wollte, viel los.“ Eine Hauptstadt der Gemütlichkeit findet der Ich-Erzähler hier jedenfalls nicht, eher eine rätselhafte Stadt der Leistung: „Alle verdienten Geld und taten wiederum auch nichts.“
Das Ende der Sorglosigkeit kann Pleschinski genau datieren: Es war der 6. Juni 1983, ein sonniger Montag, an dem er den Spiegel mit einer Titel-Reportage über Aids kaufte: „Ich las und begriff noch nicht. Zeile um Zeile drang Angst durch die Wände und unvorbereitet ins Innerste vor. Das Daseinsgefüge zerbrach innerhalb weniger Minuten. Was zuvor belebt hatte, die Liebe, tötete nun.“ Doch auch wenn die Epidemie in den folgenden Jahren tatsächlich unzählige Todesopfer forderte, bis wirkungsvolle Medikamente gefunden waren, spricht Pleschinski von einem „Wunder“: Das „Selbstverständnis und der Lebenswille“ der Homosexuellen war nicht zusammengebrochen, so schreibt er. Und: Obwohl sie als „Pestherd innerhalb der beständig gesunden Gesellschaft“ gegolten hätten, seien sie nicht angefeindet worden – im Gegenteil konnte man „das Gefühl haben, daß die Zivilisation und Mitgefühl siegten“.
Solche Sätze liest man doch wiederum sehr gerne. Überhaupt ist dieser Roman, vor allem in vielen federleichten Dialogen, streckenweise auch sehr heiter geraten, getreu dem Motto Pleschinskis: „Das Leben, nach Möglichkeit, ein Fest.“ Glück und Leid, das macht er deutlich, stehen eben immer dicht nebeneinander. Was man tun kann, wenn die Schwankungen zu stark ausfallen? „Arbeit vertrieb am zuverlässigsten die Sorgen“, heißt es einmal. Und der vielleicht wichtigste Satz: „Larmoyanz wurde nicht zugelassen.“
Hans Pleschinski: Bildnis eines Unsichtbaren. Roman, 2002 (dtv, 271 Seiten, 10,90 Euro)
Romane über eine Stadt
SZ-Serie · Folge 1
Eine „Stadt der Hoffnungen“ ist München in Hans Pleschinskis „Bildnis eines Unsichtbaren“, aber auch eine Stadt vieler Ängste: Der Roman erzählt davon, wie in den Achtzigerjahren ein unbekanntes Virus namens HIV die homosexuelle Szene heimsucht.
Foto: Peter Kneffel/dpa
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Abgründe und Höhenrausch
In Romanen aus allen Zeiten lassen sich sehr unterschiedliche Ansichten Münchens finden –
Hans Pleschinski beleuchtet in „Bildnis eines Unbekannten“ die Ära von Aids
VON ANTJE WEBER
Natürlich liest man Bücher heute anders. „Lange hatten sie an der Seine geglaubt, dem Virus mit Rotwein und Knoblauch Paroli bieten zu können“, lautet einer der ersten Sätze des Romans „Bildnis eines Unsichtbaren“ von Hans Pleschinski. Gefolgt von: „Die Ile-Saint-Louis, einst Hochburg unkonventioneller Lebensfreuden, war eine stille Insel geworden.“ Auch ein Satz über München hallt in diesen Tagen seltsam nach: Serge, der Freund des autobiografisch zu deutenden Ich-Erzählers, muss sich nachts auf der Brücke vor dem Landtag übergeben, „weil die Straßen menschenleer, sämtliche Lokale geschlossen waren, alles rundum verbarrikadiert wirkte“.
Nein, dies ist kein Roman über die Corona-Krise, von der konnte der Münchner Schriftsteller Hans Pleschinski im Jahr 2002 natürlich nichts wissen. Seine Figur Serge irrte auch nur deshalb draußen durch die stille Nacht, weil in den Achtzigerjahren wegen der frühen Sperrstunde alle Kneipen längst geschlossen hatten. Dennoch sollte nicht allzu zartbesaitet sein, wer in diesen Tagen den Roman „Bildnis eines Unsichtbaren“ wieder zur Hand nimmt. Vieles ist darin zu finden, was auch unsere Gesellschaft gerade umtreibt; deutlich liest man die Wucht der Panik angesichts eines unbekannten Virus heraus, das in den Achtzigerjahren die neue Krankheit Aids verursachte.
Doch dieser emotionale, heute immer noch intensiv wirkende Roman, der von Abgründen genauso handelt wie vom Höhenrausch, erzählt auch von Strategien, mit Ängsten umzugehen. Und so sei er zum Beginn einer Serie über München-Romane als sehr aufschlussreiche Wieder- oder Erstlektüre empfohlen: um über den gewaltigen Umbruch, die Krise auch unserer Gesellschaft nachzudenken – und sich für die Zeit des Lesens gedanklich quer durch die Stadt München und ihre Geschichte zu bewegen.
Denn Pleschinski beschwört in diesem Roman, der auch als ein langer Nachruf auf den Galeristen und langjährigen Lebensgefährten Volker Kinnius zu lesen ist, nicht nur verschiedene Phasen der eigenen Biografie. Er flaniert auch sozusagen durch die Geschichte Münchens, erzählt von der freien Bohème der Prinzregentenzeit vor dem Ersten Weltkrieg ebenso wie von den wilden Phasen einer hedonistischen Schwulenszene in den Siebziger- und Achtzigerjahren. Mit dem im Gärtnerplatzviertel lebenden und liebenden Ich-Erzähler wandert man durch den Hofgarten, vorbei an der Staatskanzlei, daneben „Klenzes klassizistische Fenstersequenzen der Residenz. Unweit davon der Männertreff am Odeonsplatz, der von Klaus Mann bis Walter Sedlmayr frequentiert worden war.“ Und noch ein paar Ecken weiter die Bar Schumann’s: „Auf dieser halben Quadratmeile Stadt war, wenn man nur wollte, viel los.“ Eine Hauptstadt der Gemütlichkeit findet der Ich-Erzähler hier jedenfalls nicht, eher eine rätselhafte Stadt der Leistung: „Alle verdienten Geld und taten wiederum auch nichts.“
Das Ende der Sorglosigkeit kann Pleschinski genau datieren: Es war der 6. Juni 1983, ein sonniger Montag, an dem er den Spiegel mit einer Titel-Reportage über Aids kaufte: „Ich las und begriff noch nicht. Zeile um Zeile drang Angst durch die Wände und unvorbereitet ins Innerste vor. Das Daseinsgefüge zerbrach innerhalb weniger Minuten. Was zuvor belebt hatte, die Liebe, tötete nun.“ Doch auch wenn die Epidemie in den folgenden Jahren tatsächlich unzählige Todesopfer forderte, bis wirkungsvolle Medikamente gefunden waren, spricht Pleschinski von einem „Wunder“: Das „Selbstverständnis und der Lebenswille“ der Homosexuellen war nicht zusammengebrochen, so schreibt er. Und: Obwohl sie als „Pestherd innerhalb der beständig gesunden Gesellschaft“ gegolten hätten, seien sie nicht angefeindet worden – im Gegenteil konnte man „das Gefühl haben, daß die Zivilisation und Mitgefühl siegten“.
Solche Sätze liest man doch wiederum sehr gerne. Überhaupt ist dieser Roman, vor allem in vielen federleichten Dialogen, streckenweise auch sehr heiter geraten, getreu dem Motto Pleschinskis: „Das Leben, nach Möglichkeit, ein Fest.“ Glück und Leid, das macht er deutlich, stehen eben immer dicht nebeneinander. Was man tun kann, wenn die Schwankungen zu stark ausfallen? „Arbeit vertrieb am zuverlässigsten die Sorgen“, heißt es einmal. Und der vielleicht wichtigste Satz: „Larmoyanz wurde nicht zugelassen.“
Hans Pleschinski: Bildnis eines Unsichtbaren. Roman, 2002 (dtv, 271 Seiten, 10,90 Euro)
Romane über eine Stadt
SZ-Serie · Folge 1
Eine „Stadt der Hoffnungen“ ist München in Hans Pleschinskis „Bildnis eines Unsichtbaren“, aber auch eine Stadt vieler Ängste: Der Roman erzählt davon, wie in den Achtzigerjahren ein unbekanntes Virus namens HIV die homosexuelle Szene heimsucht.
Foto: Peter Kneffel/dpa
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.01.2003Schatten auf der Rauhfasertapete
Hans Pleschinski sucht keine Anstellung, sondern Haltung
Die Magie des Kalenders, die an Jahrhundertwenden das Neue verspricht, trägt in der Literatur nicht lange. In ihr kehrt häufig gerade das wieder, was manche lieber vergessen würden. Die Differenzierungen der Mentalitätsgeschichte der alten Bundesrepublik werden daher erst jetzt, wo es den verlegenen Halbstaat nicht mehr geben soll, literarisch sichtbar.
In Hans Pleschinskis "Bildnis eines Unsichtbaren" geschieht das in einer flirrenden Perspektive, in deren Fluchtpunkten die Typik des Erlebens einer Sonderkultur erkennbar wird, die ihre Werte selten offen beschreibt. Als Susan Sontag 1964 das Sensorium der von Homosexuellen dominierten ästhetischen Kultur des "Camp" analysierte, grenzte das beinahe an Geheimnisverrat.
Der Ich-Erzähler beschreibt im Hauptstrang des Romans seine aufblickende Liebe zu Volker, der als Virtuose der ästhetischen Einfühlung erscheint: "Er verstand die Liebesraserei Kleopatras für Antonius und Caesar, das erschöpfte Aufatmen Franz Grillparzers, wenn er sich, nach dem Broterwerb im Aktenstaub einer Wiener Kanzlei abends wieder über die Sätze seiner Novelle ,Der arme Spielmann' beugte. Menschen wie Volker konnten das bange Triumphgefühl Ludwig Wittgensteins erahnen, als der Philosoph den ersten Satz seines ,Tractatus' niederschrieb." Solches Allverstehen auf dem Feld des Ästhetischen aber erscheint als Kehrseite einer Angst im Gesellschaftlichen, als Symptom einer gefährdeten Existenz, die sich in Volkers Neigung zu Verschwörungstheorien äußert.
Der Erzähler selbst gehört zu jenen in den fünfziger Jahren Geborenen, die sich zwischen Achtundsechzigern, Punks und Yuppies eine Nische im hedonistischen Dissidententum suchten. In Paris nach der Lektüre Rimbauds ins Leben und Lieben der schwulen Bohème eingeführt, wird ihm die Münchner Halb- und Nachtwelt zum Exil im bundesdeutschen Normal-Leben. Die Beschreibung der vergnügungssüchtigen Betriebsamkeit der "heimlichen Hauptstadt", der Körperkult, der Zwang zur kommunikativen Attraktivität in der Schlagfertigkeit, in Klatsch und Kulturtratsch gerät Pleschinski zu einer mit viel Lokalkolorit ausgemalten Liebeserklärung an München und zum Lob des inszenierten Lebens in der Tradition Oscar Wildes, den schon Susan Sontag als Ahnvater des "Camp" bezeichnet hatte.
Obwohl die Eitelkeiten und Peinlichkeiten dieses Milieus nicht verschwiegen werden, erscheint es doch auch als reale und solidarische Lebenswelt. Sie verkörpert im Gegensatz zur Normalgesellschaft ein Gemeinschaftsideal, das abweichende Lebensentwürfe nicht ausgrenzt. Der Einbruch des Virus muß so nicht nur als Katastrophe des Hedonismus, Bedrohung für die sinnlich gegründete schwule Selbstwahrnehmung, sondern auch als Bedrohung des Sozialen empfunden werden. Volker reagiert darauf mit dem Rückzug ins Geistige, der Erzähler dagegen versucht, auf der Szene zu bleiben.
In rührender Weise beschreibt Pleschinski, wie die Liebe zu Volker und auch die Gemeinschaft trotz der Verschiedenheit der Reaktionen die Bewährungsprobe besteht. Der hedonistische Heroismus zeigt sich angesichts der tödlichen Gefahr lebenskräftig. "Wir haben Zusammengehörigkeit, Verläßlichkeit geleistet." Wer glaubt, daß das Zeitalter der Liebe vorüber ist, muß Volker zufolge ein "armer Teufel" sein. Die Schwarzseher und Ängstlichen sollen, so will es der Ich-Erzähler und das ganze Buch, nicht "die wahren Interpreten des Lebens" sein. Die Liebe in der schwulen Bohème erweist sich als so wandlungsfähig, daß sie auf die Tugend der Fürsorge zurückkommen kann, ohne in reuiger Unterwürfigkeit dem Weltlichen zu entsagen. "Es wird eine beglückende Macht des Alltags gegeben haben, in dem Medikamente, Gespräche auf der Straße, Pläne, das Absinken, die Rückkehr von Kräften, Einschätzungen des Golfkriegs, die große Cézanne-Retrospektive in Tübingen miteinander verschmolzen."
Als der Ich-Erzähler erfährt, daß er entgegen seinen Symptomen und Ängsten nicht mit dem Virus infiziert ist, dankt er keinem Gott, sondern trinkt im Delikatessentempel für tausend Mark Champagner. Schon Susan Sontag hatte im "Camp" die "Liebe zur menschlichen Natur" in der Form des Genusses und der Aufgeschlossenheit entdeckt, die sich freilich vor allem als "theatralische Haltung" äußerte. Bei Pleschinski scheint sie praktische Nächstenliebe geworden zu sein.
"Deine Gedanken über deinen Jahrgang 1952 solltest du vielleicht etwas kräftiger mit Recherchen untermauern." Diese an einen sternedeuterischen jungen Freund gerichtete Aufforderung Volkers scheint auch Pleschinski beherzigt zu haben. Er verwendet verschiedene Materialien und Stilmittel der Authentischen vom Brief über das Zitat zum Gesprächsprotokoll. Merkwürdig heterogen wirken dabei die zeitgeschichtlichen Passagen im Stile einer so unbedarft wie lustlos kommentierten Chronik der Deutschen im zwanzigsten Jahrhundert. Von der Adenauer-Ära über Brandts Ostpolitik und dessen Sturz zu Kohl und der Wiedervereinigung fehlt kaum ein politisches Datum. Die Deutungen aber sind von edler Einfalt: "Die ,geistig-moralische Wende', die der Pfälzer angekündigt hatte, erwies sich als Dunst und Nonsens. Statt einer Einkehr bei Werten - wie Muße, Zuverlässigkeit, Bescheidung, die allerdings nie genannt wurden, um die Wähler nicht zu verschrecken - wurde dem Privatfernsehen Tür und Tor geöffnet."
Auch Volker weiß im fortgeschrittenen Krankheitszustand zur Verteidigung des Staates nur zu sagen, daß er den Strom liefert. Was die Kunst betrifft, ist den Figuren nicht einmal die Geschichte der Kreuzzüge zu entlegen, um Gegenstand des Erlebens zu werden, die bundesdeutsche Politik ist dagegen ein Schattenspiel an der Rauhfasertapete, auf das Leben hat sie keine Auswirkungen, nicht einmal schädliche. Aber gerade deshalb ist Pleschinskis Hymnus an Volker und die Erlebnisweise der Münchner Szene auch ein Dokument der deutschen Mentalitätsgeschichte. In den Wertformulierungen zeigt sich ein eigentümlicher Widerspruch von Vergnügungssucht und materieller Bedürfnislosigkeit, wie er als Signum des urbanen Lebens der Weimarer Republik erschien. Auch scheint in schlichterer Form der apolitische Antimodernismus tradiert zu werden, wie ihn der Kreis um Stefan George am reinsten kultivierte. Ihr Wertebewußtsein finden Meister Volker und seine Bewunderer mehr oder weniger spielerisch in Ludwig II. oder in der Madame de Pompadour wieder, in den Repräsentanten der Bundesrepublik jedenfalls bestimmt nicht.
Bezeichnenderweise ist es ein Aristokrat, der den Erzähler dazu bringt, statt einer Anstellung Haltung und seelische Gewißheit anzustreben. Im Grundmotiv des Entrinnens aber stellt Pleschinski eine Bewußtseinsentwicklung dar, die sich als gefühlter Mangel gesellschaftlichen Lebens derzeit in Deutschland weit über das geschilderte Milieu hinaus zu verbreiten scheint.
FRIEDMAR APEL
Hans Pleschinski: "Bildnis eines Unsichtbaren". Roman. Hanser Verlag, München 2002. 272 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hans Pleschinski sucht keine Anstellung, sondern Haltung
Die Magie des Kalenders, die an Jahrhundertwenden das Neue verspricht, trägt in der Literatur nicht lange. In ihr kehrt häufig gerade das wieder, was manche lieber vergessen würden. Die Differenzierungen der Mentalitätsgeschichte der alten Bundesrepublik werden daher erst jetzt, wo es den verlegenen Halbstaat nicht mehr geben soll, literarisch sichtbar.
In Hans Pleschinskis "Bildnis eines Unsichtbaren" geschieht das in einer flirrenden Perspektive, in deren Fluchtpunkten die Typik des Erlebens einer Sonderkultur erkennbar wird, die ihre Werte selten offen beschreibt. Als Susan Sontag 1964 das Sensorium der von Homosexuellen dominierten ästhetischen Kultur des "Camp" analysierte, grenzte das beinahe an Geheimnisverrat.
Der Ich-Erzähler beschreibt im Hauptstrang des Romans seine aufblickende Liebe zu Volker, der als Virtuose der ästhetischen Einfühlung erscheint: "Er verstand die Liebesraserei Kleopatras für Antonius und Caesar, das erschöpfte Aufatmen Franz Grillparzers, wenn er sich, nach dem Broterwerb im Aktenstaub einer Wiener Kanzlei abends wieder über die Sätze seiner Novelle ,Der arme Spielmann' beugte. Menschen wie Volker konnten das bange Triumphgefühl Ludwig Wittgensteins erahnen, als der Philosoph den ersten Satz seines ,Tractatus' niederschrieb." Solches Allverstehen auf dem Feld des Ästhetischen aber erscheint als Kehrseite einer Angst im Gesellschaftlichen, als Symptom einer gefährdeten Existenz, die sich in Volkers Neigung zu Verschwörungstheorien äußert.
Der Erzähler selbst gehört zu jenen in den fünfziger Jahren Geborenen, die sich zwischen Achtundsechzigern, Punks und Yuppies eine Nische im hedonistischen Dissidententum suchten. In Paris nach der Lektüre Rimbauds ins Leben und Lieben der schwulen Bohème eingeführt, wird ihm die Münchner Halb- und Nachtwelt zum Exil im bundesdeutschen Normal-Leben. Die Beschreibung der vergnügungssüchtigen Betriebsamkeit der "heimlichen Hauptstadt", der Körperkult, der Zwang zur kommunikativen Attraktivität in der Schlagfertigkeit, in Klatsch und Kulturtratsch gerät Pleschinski zu einer mit viel Lokalkolorit ausgemalten Liebeserklärung an München und zum Lob des inszenierten Lebens in der Tradition Oscar Wildes, den schon Susan Sontag als Ahnvater des "Camp" bezeichnet hatte.
Obwohl die Eitelkeiten und Peinlichkeiten dieses Milieus nicht verschwiegen werden, erscheint es doch auch als reale und solidarische Lebenswelt. Sie verkörpert im Gegensatz zur Normalgesellschaft ein Gemeinschaftsideal, das abweichende Lebensentwürfe nicht ausgrenzt. Der Einbruch des Virus muß so nicht nur als Katastrophe des Hedonismus, Bedrohung für die sinnlich gegründete schwule Selbstwahrnehmung, sondern auch als Bedrohung des Sozialen empfunden werden. Volker reagiert darauf mit dem Rückzug ins Geistige, der Erzähler dagegen versucht, auf der Szene zu bleiben.
In rührender Weise beschreibt Pleschinski, wie die Liebe zu Volker und auch die Gemeinschaft trotz der Verschiedenheit der Reaktionen die Bewährungsprobe besteht. Der hedonistische Heroismus zeigt sich angesichts der tödlichen Gefahr lebenskräftig. "Wir haben Zusammengehörigkeit, Verläßlichkeit geleistet." Wer glaubt, daß das Zeitalter der Liebe vorüber ist, muß Volker zufolge ein "armer Teufel" sein. Die Schwarzseher und Ängstlichen sollen, so will es der Ich-Erzähler und das ganze Buch, nicht "die wahren Interpreten des Lebens" sein. Die Liebe in der schwulen Bohème erweist sich als so wandlungsfähig, daß sie auf die Tugend der Fürsorge zurückkommen kann, ohne in reuiger Unterwürfigkeit dem Weltlichen zu entsagen. "Es wird eine beglückende Macht des Alltags gegeben haben, in dem Medikamente, Gespräche auf der Straße, Pläne, das Absinken, die Rückkehr von Kräften, Einschätzungen des Golfkriegs, die große Cézanne-Retrospektive in Tübingen miteinander verschmolzen."
Als der Ich-Erzähler erfährt, daß er entgegen seinen Symptomen und Ängsten nicht mit dem Virus infiziert ist, dankt er keinem Gott, sondern trinkt im Delikatessentempel für tausend Mark Champagner. Schon Susan Sontag hatte im "Camp" die "Liebe zur menschlichen Natur" in der Form des Genusses und der Aufgeschlossenheit entdeckt, die sich freilich vor allem als "theatralische Haltung" äußerte. Bei Pleschinski scheint sie praktische Nächstenliebe geworden zu sein.
"Deine Gedanken über deinen Jahrgang 1952 solltest du vielleicht etwas kräftiger mit Recherchen untermauern." Diese an einen sternedeuterischen jungen Freund gerichtete Aufforderung Volkers scheint auch Pleschinski beherzigt zu haben. Er verwendet verschiedene Materialien und Stilmittel der Authentischen vom Brief über das Zitat zum Gesprächsprotokoll. Merkwürdig heterogen wirken dabei die zeitgeschichtlichen Passagen im Stile einer so unbedarft wie lustlos kommentierten Chronik der Deutschen im zwanzigsten Jahrhundert. Von der Adenauer-Ära über Brandts Ostpolitik und dessen Sturz zu Kohl und der Wiedervereinigung fehlt kaum ein politisches Datum. Die Deutungen aber sind von edler Einfalt: "Die ,geistig-moralische Wende', die der Pfälzer angekündigt hatte, erwies sich als Dunst und Nonsens. Statt einer Einkehr bei Werten - wie Muße, Zuverlässigkeit, Bescheidung, die allerdings nie genannt wurden, um die Wähler nicht zu verschrecken - wurde dem Privatfernsehen Tür und Tor geöffnet."
Auch Volker weiß im fortgeschrittenen Krankheitszustand zur Verteidigung des Staates nur zu sagen, daß er den Strom liefert. Was die Kunst betrifft, ist den Figuren nicht einmal die Geschichte der Kreuzzüge zu entlegen, um Gegenstand des Erlebens zu werden, die bundesdeutsche Politik ist dagegen ein Schattenspiel an der Rauhfasertapete, auf das Leben hat sie keine Auswirkungen, nicht einmal schädliche. Aber gerade deshalb ist Pleschinskis Hymnus an Volker und die Erlebnisweise der Münchner Szene auch ein Dokument der deutschen Mentalitätsgeschichte. In den Wertformulierungen zeigt sich ein eigentümlicher Widerspruch von Vergnügungssucht und materieller Bedürfnislosigkeit, wie er als Signum des urbanen Lebens der Weimarer Republik erschien. Auch scheint in schlichterer Form der apolitische Antimodernismus tradiert zu werden, wie ihn der Kreis um Stefan George am reinsten kultivierte. Ihr Wertebewußtsein finden Meister Volker und seine Bewunderer mehr oder weniger spielerisch in Ludwig II. oder in der Madame de Pompadour wieder, in den Repräsentanten der Bundesrepublik jedenfalls bestimmt nicht.
Bezeichnenderweise ist es ein Aristokrat, der den Erzähler dazu bringt, statt einer Anstellung Haltung und seelische Gewißheit anzustreben. Im Grundmotiv des Entrinnens aber stellt Pleschinski eine Bewußtseinsentwicklung dar, die sich als gefühlter Mangel gesellschaftlichen Lebens derzeit in Deutschland weit über das geschilderte Milieu hinaus zu verbreiten scheint.
FRIEDMAR APEL
Hans Pleschinski: "Bildnis eines Unsichtbaren". Roman. Hanser Verlag, München 2002. 272 S., geb., 19,90 [Euro].
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