Daniel Arasse zeichnet in diesem dichten und verweisreichen Essay die Veränderungen nach, denen die Darstellung des Bösen in der Kunst unterliegt. Die Bilder der Teufel, Dämonen, Hexen und Höllenbewohner, die ursprünglich rein theologische Figuren waren und eine mnemonische Funktion erfüllten, entwickelten sich im Laufe der Jahrhunderte und der Epochen immer mehr zu Bildern des »Teufels mit menschlichem Antlitz«. Dieser radikalen Umformung im christlichen 15. und 16. Jahrhundert, ihren Gründen, Wegen und Abwegen geht Arasse nach. Er zieht dabei eine Linie über Cesare Lombrosos Verbrecherstudien hin zur polizeilichen Anthropometrie und verweist damit auf das Wiederauftauchen des Teufels in der modernen Sozialmoral.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Kia Vahland findet den nun ins Deutsche übersetzten und geringfügig redigierten Essay des 2003 verstorbenen französischen Kunsthistorikers Daniel Arasse unverminderte aktuell und aufschlussreich. Der Autor zeige darin, wie mit der Renaissance der Teufel immer menschlichere Züge annimmt (bis hin zu Michelangelos Satan mit den Zügen des von ihm gehassten Kardinal Biagio da Cesena) bis schließlich zu den Versuchen im 19. Jahrhundert, das Teuflische nicht mehr im religiösen, sondern im sozialen Feld, namentlich in Verbrecher- und Geisteskrankenphysiognomien zu finden. Der Essay des vor allem durch seine Leonardo-Monografie bekannten Autors zeichnet sich durch seinen Assoziationsreichtum aus, den die Rezensentin durch große Quellenkenntnis unterfüttert sieht und für seine Klugheit rühmt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.08.2012So geht es mit dem Teufel zu
Kunstvolle Kunstgeschichte auf den Spuren einer unwahrscheinlichen Gestalt: Daniel Arasse untersucht die Wandlung der Satansdarstellungen in der Renaissance
Dieses Buch über Kunstwerke ist ein Kunstwerk. Nicht nur, weil es von einem bedeutenden, in Deutschland aber wenig bekannten Kunsthistoriker stammt, von dem Franzosen Daniel Arasse (1944 bis 2003), der auf eine Weise zu schreiben versteht, dass man den Gegenstand ebenso gewürdigt sieht wie das eigene Stilempfinden. Nein, dieser in säkularisierten Zeiten scheinbar anlasslose Text über Teufelsdarstellungen in Mittelalter und Renaissance vollbringt auch dadurch ein Kunststück, dass er den Rückgriff auf vergangene Gesellschaften und Gefühle als Anverwandlung vollzieht, ohne je die Position eines Wissenschaftlers des späten zwanzigsten Jahrhunderts zu verlassen - im souveränen Gebieten über einen Quellen- und Anspielungsreichtum, das mit allen Wassern der Theorie gewaschen ist.
Man merkt besonders da - thematisch allerdings auch - die Schule von André Chastel, des Lehrers von Arasse, der diese Meisterschaft der Schilderung vorgeführt und vermittelt hat. Seine Rede vom "Traum der Malerei", der aus den Grotesken entstanden sei, ist unausgewiesenes Leitbild für Arasse. Nur erweitert er sie um die Nachtmahre. Der Teufel ist ein spätes Kind der Kunst, laut Arasse gezeugt von der mittelalterlichen Marginalienmalerei, den Ungeheuerdarstellungen der Antike und der Phantastik der asiatischen Bildwelt. Und als der Gottseibeiuns in die Jahre kam, erlebte er in der Renaissance eine "radikale Umformung": zum Teufel mit menschlichem Antlitz.
Arasse sagt es nicht, aber jeder, der sich mit Renaissancekunst beschäftigt, weiß es ja eh: Dieses Neuverständnis entspricht dem, was damals auch das Bildnisporträt durchläuft - eine Entwicklung zur psychologischen und biographischen Wahrheit, ohne dass dabei der Grundzug eines Idealporträts schon gänzlich aufgegeben worden wäre. Es mischen sich Anspruch und Wirklichkeit, und aus dieser Spannung entsteht die Anziehungskraft, den die Renaissancekunst unverändert ausübt. Im Deutschen ist es terminologisch leichter als in jeder anderen Sprache, die bildende Kraft von Bildern auszudrücken, und religiöse Kunst diente mehr als jede andere der Vermittlung von Bildung an des Lesens (der Bibel) Unkundige. Was besagt es also, dass in der Renaissance die abschreckende Darstellung des Teufels dessen Vermenschlichung wich?
Dass das althergebrachte Glaubensgerüst bröckelte, alte Wahrheiten in neuem Licht sich veränderten und ganz generell auch die Kunst das erlebte, was dem Christentum selbst kurz darauf bevorstand: eine Reformation. Je entsetzlicher der Teufel anzusehen war, desto sicherer war der Sieg über ihn - der Glaube garantierte ihn ja. Diese Gewissheit hatte bald keinen Bestand mehr, und je harmloser der Teufel nun daherkam, als desto gefährlicher musste er gelten.
Arasse verfolgt, wie das Menschliche im modernen Sinne erst durch die Beifügung des Teuflischen entsteht, und es läge nahe, die in der französischen Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts so wichtige Kategorie des inkludierten "Anderen" heranzuziehen. Arasse verzichtet darauf, aber natürlich schwingt sie mit, wenn es über den Teufel heißt: "Nicht nur macht ihn seine Ungeheuerlichkeit zu einer unwahrscheinlichen Gestalt, sondern das kulturelle Feld, dem er angehört, steht im Widerspruch zu jenem, das in der Bestimmung einer neuen Malweise sichtbar wird." Die Renaissancemaler beziehen das Teuflische ein, ohne es länger durch bloße Äußerlichkeiten zu denunzieren. Satan wird einer von uns.
Um das zu belegen, hat Arasse sich vor allem auf die Freskenmalerei in der Toskana und Umbrien gestützt und in Luca Signorelli den Maler des Übergangs identifiziert, dessen Teufelsfiguren und Grotesken er eine "Verwirrung" bescheinigt, weil sie einerseits alte Tribute, andererseits aber menschliche Erscheinungen aufweisen. Wiederum wenig später (kunsthistorisch gesehen) wird sich in Oberitalien die Karikatur als eigenständige Form etablieren. In Arasse' Bildbeispielen sieht man ihre Vorformen.
So ersteht aus diesem gerade mal etwas mehr als fünfzigseitigen Text aus dem Jahr 1989 eine ganze Welt der Stil- und Formbetrachtung, die weit in die Zukunft weist. Und zusätzlich zum Kunstwerk wird das Buch in seiner deutschen Fassung, die der unter dem Künstlernamen G.H.H. schreibende Übersetzer und Herausgeber besorgt hat. Er hat nämlich nicht nur den Text von Arasse ergänzt, wo dieser nur aus Sekundärwerken zitierte (G.H.H. macht sich die Mühe, die Originalquellen zu konsultieren), sondern den "Bildnissen des Teufels" auch noch einen schlanken Text von Georges Bataille beigegeben, "Masken", den Arasse einmal beiläufig zitiert. G.H.H. schreibt dazu: "Ich habe deshalb diesen Text dem von Arasse hinzugefügt, um dem Leser Gelegenheit zu geben, sich die ganze Unsachlichkeit des Verweises klarzumachen. Denn der Text von Bataille tut nichts zur Sache, aber er gibt den Rahmen an, wenigstens die Hälfte des Rahmens, innerhalb dessen Arasse sich bewegt." Die in "Bildnisse des Teufels" zitierte Formulierung lautet: "das fleischgewordene Chaos". Sie dient als Charakteristikum von Masken, und tatsächlich hat Arasse diese Bezeichnung nach eigenen Worten nur ihrer "Schönheit" wegen übernommen. Doch inhaltlicher Bezug ist auch da, denn Bataille fährt fort: "Sie [die Maske] ist vor mir gegenwärtig wie ein Wesen, das mir ähnelt, und dieses Wesen, das mich ansieht, hat in sich die Gestalt meines eigenen Todes aufgenommen."
Was könnte besser passen zu Arasse' Entschlüsselung der Vermenschlichung des Teufels? Die proklamierte "Unsachlichkeit" des Zitats ist also bestenfalls eine der Verkürzung, der Spurenverwischung - man könnte auch sagen: der Vermenschlichung der Wissenschaft. Daniel Arasse schreibt, wie man in der Renaissance gemalt hat.
ANDREAS PLATTHAUS
Daniel Arasse: "Bildnisse des Teufels". Mit einem Essay von Georges Bataille.
Aus dem Französischen und hrsg. von G.H.H. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2012. 134 S., Abb., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kunstvolle Kunstgeschichte auf den Spuren einer unwahrscheinlichen Gestalt: Daniel Arasse untersucht die Wandlung der Satansdarstellungen in der Renaissance
Dieses Buch über Kunstwerke ist ein Kunstwerk. Nicht nur, weil es von einem bedeutenden, in Deutschland aber wenig bekannten Kunsthistoriker stammt, von dem Franzosen Daniel Arasse (1944 bis 2003), der auf eine Weise zu schreiben versteht, dass man den Gegenstand ebenso gewürdigt sieht wie das eigene Stilempfinden. Nein, dieser in säkularisierten Zeiten scheinbar anlasslose Text über Teufelsdarstellungen in Mittelalter und Renaissance vollbringt auch dadurch ein Kunststück, dass er den Rückgriff auf vergangene Gesellschaften und Gefühle als Anverwandlung vollzieht, ohne je die Position eines Wissenschaftlers des späten zwanzigsten Jahrhunderts zu verlassen - im souveränen Gebieten über einen Quellen- und Anspielungsreichtum, das mit allen Wassern der Theorie gewaschen ist.
Man merkt besonders da - thematisch allerdings auch - die Schule von André Chastel, des Lehrers von Arasse, der diese Meisterschaft der Schilderung vorgeführt und vermittelt hat. Seine Rede vom "Traum der Malerei", der aus den Grotesken entstanden sei, ist unausgewiesenes Leitbild für Arasse. Nur erweitert er sie um die Nachtmahre. Der Teufel ist ein spätes Kind der Kunst, laut Arasse gezeugt von der mittelalterlichen Marginalienmalerei, den Ungeheuerdarstellungen der Antike und der Phantastik der asiatischen Bildwelt. Und als der Gottseibeiuns in die Jahre kam, erlebte er in der Renaissance eine "radikale Umformung": zum Teufel mit menschlichem Antlitz.
Arasse sagt es nicht, aber jeder, der sich mit Renaissancekunst beschäftigt, weiß es ja eh: Dieses Neuverständnis entspricht dem, was damals auch das Bildnisporträt durchläuft - eine Entwicklung zur psychologischen und biographischen Wahrheit, ohne dass dabei der Grundzug eines Idealporträts schon gänzlich aufgegeben worden wäre. Es mischen sich Anspruch und Wirklichkeit, und aus dieser Spannung entsteht die Anziehungskraft, den die Renaissancekunst unverändert ausübt. Im Deutschen ist es terminologisch leichter als in jeder anderen Sprache, die bildende Kraft von Bildern auszudrücken, und religiöse Kunst diente mehr als jede andere der Vermittlung von Bildung an des Lesens (der Bibel) Unkundige. Was besagt es also, dass in der Renaissance die abschreckende Darstellung des Teufels dessen Vermenschlichung wich?
Dass das althergebrachte Glaubensgerüst bröckelte, alte Wahrheiten in neuem Licht sich veränderten und ganz generell auch die Kunst das erlebte, was dem Christentum selbst kurz darauf bevorstand: eine Reformation. Je entsetzlicher der Teufel anzusehen war, desto sicherer war der Sieg über ihn - der Glaube garantierte ihn ja. Diese Gewissheit hatte bald keinen Bestand mehr, und je harmloser der Teufel nun daherkam, als desto gefährlicher musste er gelten.
Arasse verfolgt, wie das Menschliche im modernen Sinne erst durch die Beifügung des Teuflischen entsteht, und es läge nahe, die in der französischen Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts so wichtige Kategorie des inkludierten "Anderen" heranzuziehen. Arasse verzichtet darauf, aber natürlich schwingt sie mit, wenn es über den Teufel heißt: "Nicht nur macht ihn seine Ungeheuerlichkeit zu einer unwahrscheinlichen Gestalt, sondern das kulturelle Feld, dem er angehört, steht im Widerspruch zu jenem, das in der Bestimmung einer neuen Malweise sichtbar wird." Die Renaissancemaler beziehen das Teuflische ein, ohne es länger durch bloße Äußerlichkeiten zu denunzieren. Satan wird einer von uns.
Um das zu belegen, hat Arasse sich vor allem auf die Freskenmalerei in der Toskana und Umbrien gestützt und in Luca Signorelli den Maler des Übergangs identifiziert, dessen Teufelsfiguren und Grotesken er eine "Verwirrung" bescheinigt, weil sie einerseits alte Tribute, andererseits aber menschliche Erscheinungen aufweisen. Wiederum wenig später (kunsthistorisch gesehen) wird sich in Oberitalien die Karikatur als eigenständige Form etablieren. In Arasse' Bildbeispielen sieht man ihre Vorformen.
So ersteht aus diesem gerade mal etwas mehr als fünfzigseitigen Text aus dem Jahr 1989 eine ganze Welt der Stil- und Formbetrachtung, die weit in die Zukunft weist. Und zusätzlich zum Kunstwerk wird das Buch in seiner deutschen Fassung, die der unter dem Künstlernamen G.H.H. schreibende Übersetzer und Herausgeber besorgt hat. Er hat nämlich nicht nur den Text von Arasse ergänzt, wo dieser nur aus Sekundärwerken zitierte (G.H.H. macht sich die Mühe, die Originalquellen zu konsultieren), sondern den "Bildnissen des Teufels" auch noch einen schlanken Text von Georges Bataille beigegeben, "Masken", den Arasse einmal beiläufig zitiert. G.H.H. schreibt dazu: "Ich habe deshalb diesen Text dem von Arasse hinzugefügt, um dem Leser Gelegenheit zu geben, sich die ganze Unsachlichkeit des Verweises klarzumachen. Denn der Text von Bataille tut nichts zur Sache, aber er gibt den Rahmen an, wenigstens die Hälfte des Rahmens, innerhalb dessen Arasse sich bewegt." Die in "Bildnisse des Teufels" zitierte Formulierung lautet: "das fleischgewordene Chaos". Sie dient als Charakteristikum von Masken, und tatsächlich hat Arasse diese Bezeichnung nach eigenen Worten nur ihrer "Schönheit" wegen übernommen. Doch inhaltlicher Bezug ist auch da, denn Bataille fährt fort: "Sie [die Maske] ist vor mir gegenwärtig wie ein Wesen, das mir ähnelt, und dieses Wesen, das mich ansieht, hat in sich die Gestalt meines eigenen Todes aufgenommen."
Was könnte besser passen zu Arasse' Entschlüsselung der Vermenschlichung des Teufels? Die proklamierte "Unsachlichkeit" des Zitats ist also bestenfalls eine der Verkürzung, der Spurenverwischung - man könnte auch sagen: der Vermenschlichung der Wissenschaft. Daniel Arasse schreibt, wie man in der Renaissance gemalt hat.
ANDREAS PLATTHAUS
Daniel Arasse: "Bildnisse des Teufels". Mit einem Essay von Georges Bataille.
Aus dem Französischen und hrsg. von G.H.H. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2012. 134 S., Abb., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main