Das religiöse Bild wird in der frühen Neuzeit zum ästhetischen Medium und Modell einer Schwellenerfahrung zwischen Immanenz und Transzendenz.Die religiöse Verheißung himmlischer Heilserfüllung, die das ontologische und institutionelle Fundament des christlichen Glaubens bildet, basiert auf einer Unterscheidung von Diesseits und Jenseits. Doch zeugt sie zugleich vom unbezwinglichen Bedürfnis nach Vermittlungen und Überschreitungen, die diese Grenze wieder durchlässig machen. Solche Strategien der dialektischen Durchdringung von Transzendenz und Immanenz sind Prozesse der Liminalität. Sie erst konstituieren die Schwelle, die zwischen Diesseits und Jenseits besteht, und loten dabei das Verhältnis zwischen Absenz und Präsenz immer neu aus. Insbesondere die religiöse Kunst wird seit der frühen Neuzeit zum exponierten Schauplatz dieser Schwellenaushandlung. Wie sich zeigt, etabliert sich das christliche Bild im Werk von Tizian, Guido Reni, Bernini und zahlreichen anderen Künstlern als Erfahrungsmedium par excellence eines irdischen Vorgriffs auf das jenseitige Heil. Denn die religiöse Liminalität, auf die es bezogen ist, verschränkt sich mit jener liminalen Dimension, die ihm selbst intrinsisch ist - dies nicht nur motivisch oder ikonographisch, sondern als ästhetisches Konstituens seiner materiellen Faktur.