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Zwischen 2013 und 2019 verfolgten die in Wien und Vancouver lebenden Künstler_innen Sabine Bitter und Helmut Weber gemeinsam mit dem Frankfurter Stadtsoziologen Klaus Ronneberger die Standortverlagerung der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt vom Stadtteil Bockenheim in das Westend. Ihre künstlerische Recherche verschränkt die soziologische Analyse des Standortwechsels mit fotografischen Rückblicken insbesondere auf die Campusarchitekturen des deutschen Architekten Ferdinand Kramer aus den 1950er und 1960er Jahren. Eine umfangreiche Zusammenstellung von Bildern erinnert an die…mehr

Produktbeschreibung
Zwischen 2013 und 2019 verfolgten die in Wien und Vancouver lebenden Künstler_innen Sabine Bitter und Helmut Weber gemeinsam mit dem Frankfurter Stadtsoziologen Klaus Ronneberger die Standortverlagerung der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt vom Stadtteil Bockenheim in das Westend. Ihre künstlerische Recherche verschränkt die soziologische Analyse des Standortwechsels mit fotografischen Rückblicken insbesondere auf die Campusarchitekturen des deutschen Architekten Ferdinand Kramer aus den 1950er und 1960er Jahren. Eine umfangreiche Zusammenstellung von Bildern erinnert an die emanzipatorischen Potenziale dieser in Bockenheim verloren gegangenen Architekturen und "Räume des Wissens" der Universität. Gerade jetzt - angesichts ihrer Entzauberung durch die neoliberale unternehmerische Wende - fordern Bilder und Beiträge erneut ein Verständnis von Universität, das die einstigen Versprechen der Bildungsmoderne auf Emanzipation, Demokratisierung und "Bildung für alle" einlösen kann.Mit Texten von Ruth Horak, Klaus Ronneberger und Sabine Bitter & Helmut Weber.Die Reihe Bildungsmoderne/Educational Modernism erscheint in Kooperation mit Edition Camera Austria, Graz.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Die in Vancouver und Wien lebenden Künstler_innen Sabine Bitter und Helmut Weber arbeiten seit 1994 an Projekten zu Politiken der Repräsentation von Städten und Architekturen und darüber, wie diese zu Bildern gemacht werden. In ihrer rechercheorientierten Praxis verhandeln sie im Medium der Fotografie und in Rauminstallationen spezifische Momente und Logiken des globalen urbanen Wandels, wie sie in Stadt, Architektur und urbanem Alltag zum Ausdruck kommen. Dieser Fokus auf Architektur findet sich auch in den aktuellen Projekten wie "Bildungsmoderne/Educational Modernism" oder "Performing Spaces of Radical Pedagogies".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Als Ferdinand Kramer ein Stein vom Herzen fiel
FRANKFURT Erst Glaseingang, dann Lochfassade: Ein Buch befasst sich kritisch mit der Architektur der Goethe-Uni

Schon der Titel des schmalen Bandes macht klar, dass hier keine Glorifizierung der Frankfurter Hochschulbaukunst zu erwarten ist: "Bildungsmoderne entzaubern". Wenigstens fehlt dem Imperativ das Ausrufezeichen, und so gerät denn auch die Tonlage, in der sich Sabine Bitter, Helmut Weber und ihre Ko-Autoren mit der Architektur der Goethe-Uni auseinandersetzen, nicht allzu schrill.

Dass den Verfassern die längst klassisch gewordene Moderne des Nachkriegsbaumeisters Ferdinand Kramer in Bockenheim emotional näher liegt als der Masterplan von Ferdinand Heide für den Campus Westend, ist allerdings deutlich zu spüren. Wie ein hartnäckiger Ankläger taucht zudem in Verbindung mit den Neubauten, die sich Heides Plan gemäß in Größe, Farbe und Materialität am IG-Farben-Haus orientieren, regelmäßig das Adjektiv "neoliberal" auf - ein wirtschaftsgeschichtlich gesehen oft falsch gebrauchter Begriff, mit dem Linke inzwischen alles belegen, was ihnen zu marktorientiert und damit irgendwie verwerflich erscheint.

Bitter und Weber haben sich mit der Geschichte der Universität in einem Projekt auseinandergesetzt, das den Titel "Trophäen ihrer Exzellenz" trug. Die Fotos ihrer Installationen sowie diverse Innen- und Außenansichten der Uni-Standorte Bockenheim und Westend sind in dem Buch versammelt. Eine der von den beiden Künstlern inszenierten "Trophäen" ist der Fuß einer Figur vom alten Jügelhaus-Portal, das Ferdinand Kramer durch einen verglasten Eingang ersetzen ließ. Einem wütenden Kritiker dieses Umbaus ließ der Architekt den abgeschlagenen Fuß zukommen - mit den Worten: "Dem Empörten zum Trost! vom Barbar. Dieser Stein fiel mir vom Herzen am 17.3.53 17 Uhr nachmittags. Kramer."

Solche Leidenschaften haben die Bauten auf dem Westend-Campus in konservativen Kreisen nicht geweckt. Dafür arbeiten sich linke Studenten und Dozenten bis heute an ihrer Gestaltung ab, die auch dem Stadtsoziologen Klaus Ronneberger als einem der Buchautoren erkennbar missfällt. Die "Herrschaftssprache" des IG-Farben-Hauses - errichtet 1928 bis 1930 nach Plänen von Hans Poelzig - werde in den neuen Gebäuden "nicht gebrochen, sondern affirmativ fortgesetzt", schreibt er. Insgesamt stelle der Campus die "steingewordene Architektur einer Hochschulpolitik dar, die auf ,Exzellenz' und Marktkonformität setzt" und in der eine "Einflussnahme des Kapitals auf Forschung und Lehre...geradezu erwünscht" sei.

Nun muss man kein Marxist sein, um das Hörsaalgebäude, den Verwaltungssitz, das House of Finance sowie die Institutsbauten für Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaften unterschiedlich gelungen zu finden. Nicht ohne Berechtigung ist Ronnebergers Spott, wenn er bemerkt, die Schöpfungen der Architekturbüros Müller Reimann sowie Kleihues + Kleihues "deklinieren das Thema ,Berliner Lochfassade' durch", und das House of Finance gleiche "atmosphärisch einem Bankinstitut". Unbeantwortet bleibt in dieser Verbindung von Architektur- und Gesellschaftskritik die Frage, ob der Abschied vom Juridicum und vom AfE-Turm (dem mancher Altseminarbesetzer immer noch nachzutrauern scheint) für Professoren und Studenten womöglich doch einen gewissen Fortschritt darstellt. Man muss den neuen Campus nicht gleich als "schönsten Europas" feiern, aber dass sich hinter den Frankfurter Lochfassaden lichte, saubere und gut erreichbare Räume verbergen, weiß gewiss auch mancher Jungsoziologe zu schätzen.

Bauformen ließen sich nicht unmittelbar bestimmten sozialen Verhältnissen zuordnen, bemerkt Ronneberger: "Sie haben keinen ,Sinn' an sich, er wird ihnen vielmehr durch bestimmte Diskurse zugeschrieben." Vielleicht wirkt die ständige Zuschreibung des "Neoliberalismus" mit der Zeit auch auf Linke ermüdend, und sie sehen in den Neubauten nur noch mehr oder minder gelungene Architektur, in der sich kritische Forschung und Lehre trotz der "Einflussnahme des Kapitals" nach wie vor entfalten kann. Auch das wäre eine Art von Entzauberung.

SASCHA ZOSKE.

Sabine Bitter, Helmut Weber (Hg.): "Bildungsmoderne entzaubern. Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt", Adocs-Verlag/Edition Camera Austria, 172 Seiten, 25 Euro

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