Produktdetails
- Verlag: Ed. Flammarion Siren
- Erscheinungstermin: 21. März 2016
- Französisch
- Abmessung: 180mm x 112mm x 13mm
- Gewicht: 124g
- ISBN-13: 9782290121849
- ISBN-10: 2290121843
- Artikelnr.: 44055755
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2016Tausendundeine Unbeugsamkeit
Eine Frau wird gesteinigt und wehrt sich: Saphia Azzeddines heftiger Roman "Bilqiss"
Ob die Schriftsteller in Paris immer noch im "Café de Flore" am Boulevard Saint-Germain sitzen? Natürlich. Wenn man zum Beispiel den Philosophen Bernard-Henri Lévy suche, könne man ihn genau dort finden, und viele andere auch, die Networker unter den Schriftstellern, sagt Saphia Azzeddine. Die seien weiter im "Flore".
Sie selbst aber nicht. Sie habe kein Talent zum Networken und wolle das auch nicht. Sie versuche, für sich zu bleiben, was in der Enge des Pariser Literaturbetriebs, wo jeder jeden kenne, schwierig genug sei. Schlimmer sei es allerdings im Filmgeschäft, einfach weil es um viel mehr Geld gehe als bei Büchern und man den Leuten manchmal dabei zugucken könne, wie sie sich verkauften.
Wir sind in Berlin im Auto, auf dem Weg von Neukölln nach Charlottenburg, wo Azzeddine an diesem Abend im Hotel übernachtet. Während der Fahrt macht sie Handyfotos von der Weihnachtsbeleuchtung am Kurfürstendamm für ihren kleinen Sohn. Sie könne morgen früh gar nicht raus aus dem Hotel, ein Teil des Manuskripts ihres neuen Romans müsse bis mittags bei ihrem französischen Verlag sein, den Éditions Stock, und dann gehe es gleich weiter zur Lesung nach Hamburg. Sie arbeite, sagt sie, gerade an lauter Dingen gleichzeitig, am neuen Roman und, in den letzten Zügen, an einem Drehbuch, die Dreharbeiten würden im nächsten Jahr in Paris beginnen, sie selbst führe Regie. Ein Talent zum Multitasking scheint sie zu haben, denkt man, und ist sich nicht ganz sicher, ob das alles wirklich so ohne Networking geht - ob nun im "Café de Flore", jenseits des "Flore" oder um das "Flore" herum.
Saphia Azzeddine wurde 1979 in Marokko geboren, in Agadir, zog, als sie neun Jahre alt war, mit ihrer Familie nach Frankreich, studierte Soziologie, verbrachte, um Englisch zu lernen, ein Jahr in Houston, arbeitete als Diamantschleiferin in Genf und etablierte sich dann als Drehbuchautorin, Schriftstellerin und Regisseurin. Eine Weile lang war sie mit dem Komiker und Schauspieler Jamel Debbouze zusammen, das machte sie in Paris berühmt. Aber inzwischen ist das Jahre her. Sie verfilmte mit François Cluzet, dem Hauptdarsteller aus "Ziemlich beste Freunde", ihren zweiten Roman, "Mein Vater ist Putzfrau", der in der Pariser Banlieue spielt. Und sie schrieb weiter, erschrieb sich mit der für sie typischen Mischung aus bitterem Ernst und Satire, aus Zumutung und Humor eine völlig eigene Stimme, die ganz ohne Pathos und Umschweife daherkommt.
"Bilqiss", heißt ihr gerade auf Deutsch erschienenes Buch, benannt nach der Hauptfigur, einer jungen Witwe, die in einem Land, das nicht näher präzisiert wird, das Afghanistan sein könnte oder der Irak, Syrien oder Pakistan, gesteinigt werden soll, weil sie anstelle des Muezzin, der an jenem Morgen zu betrunken war, aufs Minarett gestiegen ist, um zum Morgengebet zu rufen. Dass sie Make-up besitzt, einen Lyrikband und ein unbeugsames Selbstbewusstsein, macht es nicht besser. Bilqiss will sich den Mund aber nicht verbieten lassen. Sie will auch keinen Anwalt, sondern besteht darauf, sich beim Prozess selbst zu verteidigen, was vor allem den Richter überfordert - tags im Gerichtssaal und nachts in ihrer Gefängniszelle, wo er sie bald regelmäßig besucht.
In Anlehnung an "Tausendundeine Nacht" erzählt Azzeddine die märchenhafte Geschichte einer um ihr Leben Erzählenden, ohne dabei auch nur annähernd wie "Tausendundeine Nacht" zu klingen, sondern spöttisch und knapp. Märchenhaft wirkt die Geschichte, weil sie nicht verortet ist, weil in ihr alles irreal überzogen wirkt. Doch dann wechselt Azzeddine das Register schon wieder, und alles klingt wie Realsatire: "Seit einiger Zeit hatten die Ordnungshüter nun tatsächlich auch noch das Recht, uns Frauen auf offener Straße anzuhalten, um zu verlangen, vor ihnen auf- und abzuhopsen, damit sie sich versichern konnten, dass wir keinen Büstenhalter trugen. Sie mussten als unsere Brüste unter der Tunika hüpfen sehen, bevor sie uns beruhigt einen Hieb mit dem Stock geben konnten, damit wir schleunigst davonliefen. Die meisten Männer trugen inzwischen einen Stock bei sich, oder ein Stöckchen für die einfühlsameren. Ganz so, als seien diese eine Verlängerung ihres Geschlechts, erhoben sie sie oder fummelten daran herum, je nachdem ob gerade eine Frau vorbeikam oder ob sie unter sich im Dorf herumschlenderten."
Und dann kommt noch eine dritte Person hinzu, eine amerikanisch-jüdische Journalistin, die gerade kein Thema hat und nachts so lange herumgoogelt, bis sie im Internet auf Bilqiss und ihren Prozess stößt, sofort fasziniert ist und beschließt, für das "New York Magazine" in jenes Land zu reisen, um die Angeklagte in ihrer Zelle zu besuchen. Saphia Azzeddine nutzt das Aufeinandertreffen der beiden Frauen für ein Täuschungsmanöver, das auch mit den Erwartungen der Leser spielt. Denn die Heldin des Romans, die erhobenen Hauptes für ihre Rechte als Frau eintritt, ist, anders, als es die Journalistin vermutet, vom muslimischen Glauben überhaupt nicht abgekommen und erkennt in der Frau aus dem Westen auch nicht ihre Heilsbringerin: "Die Idiotin. Allah vergib mir, dass ich mich über diese Amerikanerin lustig gemacht habe, aber die Gelegenheiten, ein wenig Spaß zu haben, sind so selten, dass ich es mir nicht verkneifen konnte. Du hättest sehen sollen, wie sie meine Worte aufgesogen hat, als ob sie sich einen Zaubertrank einverleiben würde, es war köstlich. Eine romantische Pute mit Anwandlungen einer Auslandsreporterin, das war zu verlockend."
Ihr Roman sei in Frankreich sehr gut aufgenommen worden, erzählt Saphia Azzeddine, sie habe sich darüber gefreut, aber sie mache sich auch nichts vor. Sie wisse, dass dies zuallererst daran gelegen habe, dass ihr Buch eine junge Muslimin zur Hauptfigur habe, die dann auch noch zur Steinigung verurteilt sei. Da könne man sich der Aufmerksamkeit der Medien natürlich sicher sein. Der Roman, an dem sie im Moment schreibe, habe ein ganz anderes Thema, er handele von einer Babysitterin in einer Pariser Familie. Da werde medial sicher nicht viel passieren. Egal.
Sie spricht tonlos und schnell, während sie das sagt. Es klingt abgeklärt, ein wenig bitter, unbeugsam und lustig. Es ist der Saphia-Azzeddine-Tonfall, den man aus ihren Romanen kennt. Auf die Frage, wie sie an der Sprache ihrer drei Figuren gearbeitet habe, sagt sie einfach nur schroff: "Gar nicht." Es sei ihr Ton, sie habe ihn hingeschrieben und trage im Übrigen etwas von diesen drei Figuren in sich. Sie lacht nicht. Man lacht allein. Ihr Ton ist umwerfend, gerade weil sie es so bitter ernst meint.
JULIA ENCKE
Saphia Azzeddine: "Bilqiss". Aus dem Französischen von Birgit Leib. Verlag Klaus Wagenbach, 178 Seiten, 20 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Frau wird gesteinigt und wehrt sich: Saphia Azzeddines heftiger Roman "Bilqiss"
Ob die Schriftsteller in Paris immer noch im "Café de Flore" am Boulevard Saint-Germain sitzen? Natürlich. Wenn man zum Beispiel den Philosophen Bernard-Henri Lévy suche, könne man ihn genau dort finden, und viele andere auch, die Networker unter den Schriftstellern, sagt Saphia Azzeddine. Die seien weiter im "Flore".
Sie selbst aber nicht. Sie habe kein Talent zum Networken und wolle das auch nicht. Sie versuche, für sich zu bleiben, was in der Enge des Pariser Literaturbetriebs, wo jeder jeden kenne, schwierig genug sei. Schlimmer sei es allerdings im Filmgeschäft, einfach weil es um viel mehr Geld gehe als bei Büchern und man den Leuten manchmal dabei zugucken könne, wie sie sich verkauften.
Wir sind in Berlin im Auto, auf dem Weg von Neukölln nach Charlottenburg, wo Azzeddine an diesem Abend im Hotel übernachtet. Während der Fahrt macht sie Handyfotos von der Weihnachtsbeleuchtung am Kurfürstendamm für ihren kleinen Sohn. Sie könne morgen früh gar nicht raus aus dem Hotel, ein Teil des Manuskripts ihres neuen Romans müsse bis mittags bei ihrem französischen Verlag sein, den Éditions Stock, und dann gehe es gleich weiter zur Lesung nach Hamburg. Sie arbeite, sagt sie, gerade an lauter Dingen gleichzeitig, am neuen Roman und, in den letzten Zügen, an einem Drehbuch, die Dreharbeiten würden im nächsten Jahr in Paris beginnen, sie selbst führe Regie. Ein Talent zum Multitasking scheint sie zu haben, denkt man, und ist sich nicht ganz sicher, ob das alles wirklich so ohne Networking geht - ob nun im "Café de Flore", jenseits des "Flore" oder um das "Flore" herum.
Saphia Azzeddine wurde 1979 in Marokko geboren, in Agadir, zog, als sie neun Jahre alt war, mit ihrer Familie nach Frankreich, studierte Soziologie, verbrachte, um Englisch zu lernen, ein Jahr in Houston, arbeitete als Diamantschleiferin in Genf und etablierte sich dann als Drehbuchautorin, Schriftstellerin und Regisseurin. Eine Weile lang war sie mit dem Komiker und Schauspieler Jamel Debbouze zusammen, das machte sie in Paris berühmt. Aber inzwischen ist das Jahre her. Sie verfilmte mit François Cluzet, dem Hauptdarsteller aus "Ziemlich beste Freunde", ihren zweiten Roman, "Mein Vater ist Putzfrau", der in der Pariser Banlieue spielt. Und sie schrieb weiter, erschrieb sich mit der für sie typischen Mischung aus bitterem Ernst und Satire, aus Zumutung und Humor eine völlig eigene Stimme, die ganz ohne Pathos und Umschweife daherkommt.
"Bilqiss", heißt ihr gerade auf Deutsch erschienenes Buch, benannt nach der Hauptfigur, einer jungen Witwe, die in einem Land, das nicht näher präzisiert wird, das Afghanistan sein könnte oder der Irak, Syrien oder Pakistan, gesteinigt werden soll, weil sie anstelle des Muezzin, der an jenem Morgen zu betrunken war, aufs Minarett gestiegen ist, um zum Morgengebet zu rufen. Dass sie Make-up besitzt, einen Lyrikband und ein unbeugsames Selbstbewusstsein, macht es nicht besser. Bilqiss will sich den Mund aber nicht verbieten lassen. Sie will auch keinen Anwalt, sondern besteht darauf, sich beim Prozess selbst zu verteidigen, was vor allem den Richter überfordert - tags im Gerichtssaal und nachts in ihrer Gefängniszelle, wo er sie bald regelmäßig besucht.
In Anlehnung an "Tausendundeine Nacht" erzählt Azzeddine die märchenhafte Geschichte einer um ihr Leben Erzählenden, ohne dabei auch nur annähernd wie "Tausendundeine Nacht" zu klingen, sondern spöttisch und knapp. Märchenhaft wirkt die Geschichte, weil sie nicht verortet ist, weil in ihr alles irreal überzogen wirkt. Doch dann wechselt Azzeddine das Register schon wieder, und alles klingt wie Realsatire: "Seit einiger Zeit hatten die Ordnungshüter nun tatsächlich auch noch das Recht, uns Frauen auf offener Straße anzuhalten, um zu verlangen, vor ihnen auf- und abzuhopsen, damit sie sich versichern konnten, dass wir keinen Büstenhalter trugen. Sie mussten als unsere Brüste unter der Tunika hüpfen sehen, bevor sie uns beruhigt einen Hieb mit dem Stock geben konnten, damit wir schleunigst davonliefen. Die meisten Männer trugen inzwischen einen Stock bei sich, oder ein Stöckchen für die einfühlsameren. Ganz so, als seien diese eine Verlängerung ihres Geschlechts, erhoben sie sie oder fummelten daran herum, je nachdem ob gerade eine Frau vorbeikam oder ob sie unter sich im Dorf herumschlenderten."
Und dann kommt noch eine dritte Person hinzu, eine amerikanisch-jüdische Journalistin, die gerade kein Thema hat und nachts so lange herumgoogelt, bis sie im Internet auf Bilqiss und ihren Prozess stößt, sofort fasziniert ist und beschließt, für das "New York Magazine" in jenes Land zu reisen, um die Angeklagte in ihrer Zelle zu besuchen. Saphia Azzeddine nutzt das Aufeinandertreffen der beiden Frauen für ein Täuschungsmanöver, das auch mit den Erwartungen der Leser spielt. Denn die Heldin des Romans, die erhobenen Hauptes für ihre Rechte als Frau eintritt, ist, anders, als es die Journalistin vermutet, vom muslimischen Glauben überhaupt nicht abgekommen und erkennt in der Frau aus dem Westen auch nicht ihre Heilsbringerin: "Die Idiotin. Allah vergib mir, dass ich mich über diese Amerikanerin lustig gemacht habe, aber die Gelegenheiten, ein wenig Spaß zu haben, sind so selten, dass ich es mir nicht verkneifen konnte. Du hättest sehen sollen, wie sie meine Worte aufgesogen hat, als ob sie sich einen Zaubertrank einverleiben würde, es war köstlich. Eine romantische Pute mit Anwandlungen einer Auslandsreporterin, das war zu verlockend."
Ihr Roman sei in Frankreich sehr gut aufgenommen worden, erzählt Saphia Azzeddine, sie habe sich darüber gefreut, aber sie mache sich auch nichts vor. Sie wisse, dass dies zuallererst daran gelegen habe, dass ihr Buch eine junge Muslimin zur Hauptfigur habe, die dann auch noch zur Steinigung verurteilt sei. Da könne man sich der Aufmerksamkeit der Medien natürlich sicher sein. Der Roman, an dem sie im Moment schreibe, habe ein ganz anderes Thema, er handele von einer Babysitterin in einer Pariser Familie. Da werde medial sicher nicht viel passieren. Egal.
Sie spricht tonlos und schnell, während sie das sagt. Es klingt abgeklärt, ein wenig bitter, unbeugsam und lustig. Es ist der Saphia-Azzeddine-Tonfall, den man aus ihren Romanen kennt. Auf die Frage, wie sie an der Sprache ihrer drei Figuren gearbeitet habe, sagt sie einfach nur schroff: "Gar nicht." Es sei ihr Ton, sie habe ihn hingeschrieben und trage im Übrigen etwas von diesen drei Figuren in sich. Sie lacht nicht. Man lacht allein. Ihr Ton ist umwerfend, gerade weil sie es so bitter ernst meint.
JULIA ENCKE
Saphia Azzeddine: "Bilqiss". Aus dem Französischen von Birgit Leib. Verlag Klaus Wagenbach, 178 Seiten, 20 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main