Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2015Hallo,
nicht küssen
Eine turbulente Familien-Freund-Feind-Hunde-
Geschichte aus Cornwall
VON HILDE ELISABETH MENZEL
Doch ja, auch hier wird gestorben, wie in den meisten anspruchsvollen Kinderbüchern der letzten Jahre. Hier ist es der Vater, der ganz plötzlich stirbt, als Binny, die Titelheldin, acht Jahre alt ist. Aber da uns die britische Autorin Hilary McKay diese Geschichte erzählt – hierzulande vor allem bekannt mit der Trilogie der Vier verrückten Schwestern –, geht es trotzdem nicht düster und traurig weiter. Ihre Figuren sind zu lebendig, originell und liebenswert und eignen sich nicht zu anhaltendem Leiden. „Nach vorne blicken. Auf diese Weise schaffte es die Familie Cornwallis, Clem, Binny, James und
ihre Mutter Polly, zu überleben.“ Denn mit dem Vater – den Binny vor allem wegen seiner Geschichten liebte, einem „riesigen Vorrat, den er mit jedem teilte, der zuhören wollte“–, verschwinden ihre gemütliche, aber hochverschuldete Buchhandlung und ihr großes Haus. Die Familie muss in eine kleine Wohnung in der Stadt ziehen.
Binnys Kinderwelt währte acht glückliche Jahre, eine sonnenbeschienene heile Welt; das letzte Jahr sogar mit Hund Max, einem schwarz-weißen Border-Collie-Welpen, den Binny von ihrem Vater zu ihrem achten Geburtstag bekommen hatte. Doch als Binny neun wurde, war nicht nur ihr Vater, sondern auch Max verschwunden. In der kleinen Stadtwohnung hatte er keinen Platz, und so wurde beschlossen, dass er bei Granny in ihrem kleinen Haus mit Garten am Stadtrand wohnen müsse. Womit Tante Violet, Grannys resolute Schwester, allerdings nicht einverstanden war –, und Binnys Hund einfach an eine „nette Familie“ verschenkte.
Binnys Hass auf diese alte Tante ist verständlich, und dass sie ihr den Tod wünscht, nachvollziehbar. Als Tante Violet dann aber tatsächlich kurze Zeit später stirbt, fühlt Binny sich schuldig, und ihre Träume werden zu Albträumen über Tante Violet. Immerhin hat diese der Familie ein kleines Haus am Meer in Cornwall vererbt, und damit beginnt für alle ein neues, besseres Leben und für Binny ihre intensive Feind-Freund-Geschichte mit Garrett, dem Jungen aus dem Nachbarhaus. „Binny wusste sofort, dass sie ihrem Feind gegenüberstand. Und der Junge wusste es auch. Die Erkenntnis war wie ein kurzes Aufleuchten zwischen ihnen.“
Zu Hilary McKays besonderen Begabungen gehört, dass sie jede einzelne Figur ihrer Geschichten mit besonderer Liebe und Sorgfalt zeichnet. Auch die Nebenfiguren sind bei ihr immer unverwechselbar und originell. Wie zum Beispiel Binnys kleiner, hinreißender Bruder James in seinem neongrünen und knallpinken Neoprenanzug, den er am Strand aus einem Mülleimer gefischt hat. Er begrüßt alle, einschließlich seine Mutter, mit „Hallo, nicht küssen!!“ und lebt in seiner ganz eigenen Welt voller realer und toter Tiere. Glühend beneidet er die alten Damen im Altersheim, in dem seine Mutter arbeitet, um ihre Hühner. Auf Binnys Vorschlag: „Kannst du nicht so tun, als ob das deine wären?“ antwortet er mit dem wundervollen Satz „Ich bin aber kein So-tun-als-ob-Bauer.“
Die zweite Hauptfigur neben Binny, der gleichaltrige Garrett dagegen, ist ein sehr eigener, nicht wirklich liebenswerter Charakter. Doch da er es ist, der Binny die Rückkehr ihres geliebten Hundes Max ermöglicht, verzeiht ihm der Leser sein ruppiges Verhalten. Dass seine ambivalente Beziehung zu Binny nicht tragisch endet, verdanken die beiden Kinder aber Binnys Vater, der zwei Jahre nach seinem Tod noch einmal eine Hauptrolle bekommt mit einer seiner Gute-Nacht-Geschichten, „die Leben retten kann“, und die Binny zum Glück rechtzeitig einfällt, als sich die beiden Kinder in eine lebensgefährliche Situation gebracht hatten. So bekommt die wunderschöne Familien-Freund-Feind-Hunde-Geschichte ein dramatisches, aber doch noch glückliches Ende. (ab 10 Jahre)
Hilary McKay: Binny. Aus dem Englischen von Birgit Salzmann. Aladin 2015. 256 Seiten, 12,90 Euro.
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nicht küssen
Eine turbulente Familien-Freund-Feind-Hunde-
Geschichte aus Cornwall
VON HILDE ELISABETH MENZEL
Doch ja, auch hier wird gestorben, wie in den meisten anspruchsvollen Kinderbüchern der letzten Jahre. Hier ist es der Vater, der ganz plötzlich stirbt, als Binny, die Titelheldin, acht Jahre alt ist. Aber da uns die britische Autorin Hilary McKay diese Geschichte erzählt – hierzulande vor allem bekannt mit der Trilogie der Vier verrückten Schwestern –, geht es trotzdem nicht düster und traurig weiter. Ihre Figuren sind zu lebendig, originell und liebenswert und eignen sich nicht zu anhaltendem Leiden. „Nach vorne blicken. Auf diese Weise schaffte es die Familie Cornwallis, Clem, Binny, James und
ihre Mutter Polly, zu überleben.“ Denn mit dem Vater – den Binny vor allem wegen seiner Geschichten liebte, einem „riesigen Vorrat, den er mit jedem teilte, der zuhören wollte“–, verschwinden ihre gemütliche, aber hochverschuldete Buchhandlung und ihr großes Haus. Die Familie muss in eine kleine Wohnung in der Stadt ziehen.
Binnys Kinderwelt währte acht glückliche Jahre, eine sonnenbeschienene heile Welt; das letzte Jahr sogar mit Hund Max, einem schwarz-weißen Border-Collie-Welpen, den Binny von ihrem Vater zu ihrem achten Geburtstag bekommen hatte. Doch als Binny neun wurde, war nicht nur ihr Vater, sondern auch Max verschwunden. In der kleinen Stadtwohnung hatte er keinen Platz, und so wurde beschlossen, dass er bei Granny in ihrem kleinen Haus mit Garten am Stadtrand wohnen müsse. Womit Tante Violet, Grannys resolute Schwester, allerdings nicht einverstanden war –, und Binnys Hund einfach an eine „nette Familie“ verschenkte.
Binnys Hass auf diese alte Tante ist verständlich, und dass sie ihr den Tod wünscht, nachvollziehbar. Als Tante Violet dann aber tatsächlich kurze Zeit später stirbt, fühlt Binny sich schuldig, und ihre Träume werden zu Albträumen über Tante Violet. Immerhin hat diese der Familie ein kleines Haus am Meer in Cornwall vererbt, und damit beginnt für alle ein neues, besseres Leben und für Binny ihre intensive Feind-Freund-Geschichte mit Garrett, dem Jungen aus dem Nachbarhaus. „Binny wusste sofort, dass sie ihrem Feind gegenüberstand. Und der Junge wusste es auch. Die Erkenntnis war wie ein kurzes Aufleuchten zwischen ihnen.“
Zu Hilary McKays besonderen Begabungen gehört, dass sie jede einzelne Figur ihrer Geschichten mit besonderer Liebe und Sorgfalt zeichnet. Auch die Nebenfiguren sind bei ihr immer unverwechselbar und originell. Wie zum Beispiel Binnys kleiner, hinreißender Bruder James in seinem neongrünen und knallpinken Neoprenanzug, den er am Strand aus einem Mülleimer gefischt hat. Er begrüßt alle, einschließlich seine Mutter, mit „Hallo, nicht küssen!!“ und lebt in seiner ganz eigenen Welt voller realer und toter Tiere. Glühend beneidet er die alten Damen im Altersheim, in dem seine Mutter arbeitet, um ihre Hühner. Auf Binnys Vorschlag: „Kannst du nicht so tun, als ob das deine wären?“ antwortet er mit dem wundervollen Satz „Ich bin aber kein So-tun-als-ob-Bauer.“
Die zweite Hauptfigur neben Binny, der gleichaltrige Garrett dagegen, ist ein sehr eigener, nicht wirklich liebenswerter Charakter. Doch da er es ist, der Binny die Rückkehr ihres geliebten Hundes Max ermöglicht, verzeiht ihm der Leser sein ruppiges Verhalten. Dass seine ambivalente Beziehung zu Binny nicht tragisch endet, verdanken die beiden Kinder aber Binnys Vater, der zwei Jahre nach seinem Tod noch einmal eine Hauptrolle bekommt mit einer seiner Gute-Nacht-Geschichten, „die Leben retten kann“, und die Binny zum Glück rechtzeitig einfällt, als sich die beiden Kinder in eine lebensgefährliche Situation gebracht hatten. So bekommt die wunderschöne Familien-Freund-Feind-Hunde-Geschichte ein dramatisches, aber doch noch glückliches Ende. (ab 10 Jahre)
Hilary McKay: Binny. Aus dem Englischen von Birgit Salzmann. Aladin 2015. 256 Seiten, 12,90 Euro.
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