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Das Bayerische Kochbuch (aktuell: 56. Auflage) hat die wechselvolle Geschichte des 20. Jahrhunderts miterlebt. Vor dem Ersten Weltkrieg erscheint es zum ersten Mal als schmaler Band unter dem Titel Kochbuch für Wirtschaftliche Frauenschulen auf dem Lande. Der damals fortschrittliche Schultyp setzt sich für die Bildung junger Frauen ein. Das erfolgreiche Lehrkochbuch wird gute 20 Jahre später unter dem Namen Bayerisches Kochbuch von Maria Hofmann neu bearbeitet und von ihr sieben Jahrzehnte betreut. Es tradiert nicht nur Rezepte, sondern spiegelt auch die Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts:…mehr

Produktbeschreibung
Das Bayerische Kochbuch (aktuell: 56. Auflage) hat die wechselvolle Geschichte des 20. Jahrhunderts miterlebt. Vor dem Ersten Weltkrieg erscheint es zum ersten Mal als schmaler Band unter dem Titel Kochbuch für Wirtschaftliche Frauenschulen auf dem Lande. Der damals fortschrittliche Schultyp setzt sich für die Bildung junger Frauen ein. Das erfolgreiche Lehrkochbuch wird gute 20 Jahre später unter dem Namen Bayerisches Kochbuch von Maria Hofmann neu bearbeitet und von ihr sieben Jahrzehnte betreut. Es tradiert nicht nur Rezepte, sondern spiegelt auch die Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts: politische Umbrüche, wirtschaftliche Veränderungen und gesellschaftliche Entwicklungen. Die Biografie eines Kochbuchs beschreibt die Geschichte eines "Klassikers, der die bayerische Küche populär machte" (Süddeutsche Zeitung, 24.10.2015), und beleuchtet die kulturhistorischen Spuren, die sich in seinen Auflagen erhalten haben. Auf unterhaltsame Weise macht die Kochbuchgeschichte Alltags- undKulturgeschichte lebendig.
Autorenporträt
Frisch, Regina
Regina Frisch, Dr. phil., arbeitete in Forschung und Lehre an den Universitäten Würzburg und Jyväskylä/Finnland. Sie ist freiberuflich tätig als Informationsdesignerin. Texte, Ausstellungen, Vorträge über Kochbuch- und Kulturgeschichte.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.11.2016

Küchengeheimnisse
Das Bayerische Kochbuch gibt es seit mehr als 100 Jahren und es bildet nicht nur 1794 Gerichte ab, sondern auch die Kulturgeschichte
des 20. Jahrhunderts. Es zeigt den Einfluss von Ernährungslehren genauso wie die politische Situation, wie nun eine Untersuchung belegt
VON HANS KRATZER
München – In seiner anrührenden Autobiografie „gehen lernen“ erzählt der Autor Harald Grill, wie sein Vater vor vielen Jahrzehnten den Plan fasste, ein Bücherregal zu kaufen. „Das rentiert sich doch nicht für uns“, hielt ihm die Mama entgegen. „Und da hatte sie schon recht“, schreibt Grill. „Wir hatten nämlich nicht besonders viele Bücher, die wir in so ein Regal stellen konnten. Das dickste hieß Bayerisches Kochbuch. Da steht drin, wie man Reiberdatschi macht und Pfannenkuchen und Leberknödelsuppe und Schweinsbraten.“
  Recht viel treffender kann man die Bedeutung des Bayerischen Kochbuchs nicht zusammenfassen. Harald Grill streift in dieser Szene eines der größten Phänomene auf dem Büchermarkt überhaupt. Das Bayerische Kochbuch gibt es seit mehr als 100 Jahren, seine Erfolgsgeschichte hält bis heute an. Nach wie vor werden jährlich 20 000 Exemplare verkauft, die Gesamtauflage liegt bei 1,6 Millionen. Kein Wunder, dass dieses Werk mittlerweile auch wissenschaftliches Interesse auf sich gezogen hat. Auch die Würzburger Sprachwissenschaftlerin Regina Frisch ist vom Kochbuch-Fieber gepackt worden, nachdem sie sich im Jahr 2009 ein Exemplar zulegt hatte. „Ich ahnte nicht, was ich damit lostreten sollte“, sagt sie. Die wechselvolle und nicht selten skurrile Geschichte des Bayerischen Kochbuchs ließ sie nicht mehr los. Nun hat sie ihre Ergebnisse in einem Buch zusammengefasst. Regina Frisch hat gleichsam eine Biografie des Bayerischen Kochbuchs verfasst, die auf eine faszinierende Weise auch die Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts abbildet.
  In einer Ausgabe von 1938 fand die Autorin beispielsweise eine Gliederung, die der heutigen weitgehend entsprach, das Vorwort aber war eindeutig vom Geist des Nationalsozialismus geprägt: „Die Frau steht am Herd an der Front.“ In der Tat: Das Bayerische Kochbuch hat vieles miterlebt, im Guten wie im Schlechten. In ihm verdichten sich die Zeitläufte wie in einem Brennglas: die Jahrzehnte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik, zwei Weltkriege, Wirtschaftskrise und Wirtschaftswunder . . .
  Peu à peu wertete Frisch alle 56 Auflagen aus, beginnend beim ersten, noch in Gelbleinen gebundenen Band, wobei sie auch stark benutzte Bände mit handgeschriebenen Einträgen heranzog. Nicht selten stieß sie beim Blättern auf Fundstücke, die jemand zwischen die Seiten gelegt hatte. Ein Kochbuch diente 1966 gar als Aufbewahrungsort für ein Telegramm: „Vater verstorben Beerdigung Dienstag 14 Uhr.“
  Ansonsten haben sich die Inhalte des Kochbuchs über die Zeiten hinweg nur wenig verändert, die Sprache aber schon. Sehr deutlich spiegeln sich darin Küchen- und Technikgeschichte, Sprache und Zeitgeist wider. So erstreckte sich im Ersten Weltkrieg der Patriotismus bis auf den Teller: 1910 servierte man zum Dessert noch Apfelsinengelee, 1916 wurde dann Apfelsinensulz gereicht. Kochrezeptnamen wurden einer Sprachsäuberung unterzogen. Gerichte mit französischen Namen wurden umbenannt. Die Sauce wurde zur Soße, aus Püree wurde Brei, das Apfelsoufflé von 1910 hieß nun Aufgezogene Apfelspeise, aus Boeuf à la mode wurde Brühfleisch – dabei waren die Rezepte völlig identisch.
  Diese Eingriffe setzten sich in der Nazizeit fort. Die Einleitung der 15. Ausgabe von 1933 forderte: „Im deutschen Haushalt sind nur deutsche Erzeugnisse zu verwenden . . ., statt ausländischer Gewürze heimische Küchenkräuter wie Selleriegrün, Liebstöckel, Kerbel . . .“ Meinungsstark treten von Anfang an Ernährungsreformer auf, die den Vegetarismus verfochten. Überhaupt ist der Einfluss zeitgemäßer Ernährungslehren eine Konstante in der Kochbuchgeschichte. Das belegen Rezepte wie der vegetarische Hindhede Salat (1927), Schrotbrot (1933) und die vielen Rohkostsalate Ende der 50er Jahre. Seit den 70er Jahren zeigen die Rezepte einen noch stärkeren Trend zur gesunden Ernährung. Nur selten wurden Rezepte entfernt. „Leider die Kutteln“, beklagt Regina Frisch, das geschah in den 60er Jahren.
  Von Anfang an gibt es im Kochbuch ein Kapitel Resteverwertung, diese zählt zum Credo des bayerischen Kochbuchs. Fleischmus oder Haschee, Zwiebelfleisch, Tiroler Gröstl, Rindfleisch mit Ei und Fleischstrudel nähren den Befund: Die gute Hausfrau weiß Reste zu verwerten, aber sie spricht nicht darüber. Deshalb finden sich in den Registern nur wenige Belege, in denen der Rest Bestandteil des Rezeptnamens ist wie bei „Käsereste als Brotbelag und Knödelresteverwertung“ (10/1927).
  Letztlich wurden nur auf Herz und Nieren erprobte Rezepte im Kochbuch aufgenommen, das mittlerweile 1749 Gerichte umfasst, kaum ein Kochbuch ist so umfangreich. Regina Frisch hat ihre Untersuchung in drei große Blöcke unterteilt. Zuerst analysiert sie das große Themenfeld Zutaten, danach die Zubereitung. Hier kann der Leser mit Gewinn die Entwicklung von Rezepten nachvollziehen, denn im Buch sind Varianten interessanter Rezepte wie Knochenbrühe, Krebssuppe, Schweinsbraten, Kalbskopf oder saure Leber in ihrer historischen Reihenfolge zu lesen. Der dritte große Block, das Anrichten, widmet sich der Designgeschichte und dem Funktionswandel des Kochbuchs mit seinem eigenwilligen Titel, den der Schriftkünstler Emil Preetorius (1883-1973) entworfen hat. Zuletzt listet Regina Frisch noch Rezepte auf, die eliminiert wurden, sei es der Ehestandskuchen (1910), Parmesanpudding (1931), gefüllte Semmeln (1913) und die Hirnschnitten (1992).
  Die Untersuchung macht deutlich, dass das Bayerische Kochbuch beileibe nicht nur bayerisch geprägt ist. Auch wenn 1998 die Bayerische Creme aufgenommen wurde. Die ist aber nicht bayerisch, sondern sie stammt aus der französischen Küche. Insgesamt, das bestätigt Frischs Buch, ist das Bayerische Kochbuch eine beeindruckende Dokumentation der süddeutschen Küche des 20. Jahrhunderts. Es wird selbst in Zeiten zunehmender Kochmüdigkeit noch lange unentbehrlich bleiben.  
Regina Frisch, Biografie eines Kochbuchs, Das Bayerische Kochbuch erzählt Kulturgeschichte, Verlag Friedrich Pustet, 256 Seiten, 26,95 Euro
Zwischen den Seiten finden sich
oft seltene Fundstücke
und handgeschriebene Notizen
Die Hirnschnitte steht nicht mehr
unter den Rezepten.
Gefüllte Semmeln auch nicht
Das Bayerische Kochbuch (oben, Ausgabe 1986) ist
ein Lehrbuch für die
Zubereitung von Klassikern wie der Dampfnudel.
Fotos: Imago, Maurus Verlag
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.01.2017

Wie Dotschen und Hirn aus der Küche verschwanden

Bodenständig, präzise und verlässlich: Das "Bayerische Kochbuch" ist ein Klassiker des Genres. Jetzt hat ihm Regina Frisch eine Biographie gewidmet - ein Gericht voller Überraschungen.

In Joseph Roths Abgesang auf die k. u. k. Monarchie, dem "Radetzkymarsch" (1932), steht in einer der für den Roman zentralen Tischszenen nicht von ungefähr ein Tafelspitz im Mittelpunkt. Dabei spiegelt sich der dräuende Untergang Kakaniens weniger - und allzu vordergründig - in dem schlampig tranchierten Stück Fleisch wider als vielmehr im Abspulen des starren Rituals, zu dem der sonntägliche Mittagstisch im Haus des verwitweten Bezirkshauptmanns Freiherr Franz von Trotta verkommen ist, in der Reduktion der Speisen auf deren Schauwert bei gleichzeitig sich auflösender Substanz.

Das "Bayerische Kochbuch" kann sich mit seiner altmodischen Anmutung - Fraktur-Titel-Schriftzug, kaum Abbildungen, nur wenige Fotos - und dem spröden, didaktischen Ton in einem Umfeld, das optisch ganz auf Opulenz und textlich auf ranschmeißerisch-redselig gestellt ist, behaupten. Nach wie vor werden jährlich gut 20 000 Exemplare verkauft, und mit der aktuellen 56. Auflage hat der inzwischen fast tausend Seiten starke weiß-blaue Klassiker eine Auflage von 1,6 Millionen Exemplaren erreicht. Was ihm seinen Platz in den Küchen sichert? - Er ist mit seinen präzisen Angaben verlässlich, hat sich über die Jahre im Küchenalltag bewährt und ist bis heute Lehrkochbuch im Hauswirtschaftsunterricht.

1749 Rezepte umfasst das Standardwerk mittlerweile, von "Aal blau" bis "Zwiebelsuppe". Es ist indessen weit mehr als eine Sammlung von Kochanweisungen. Es kommt vielmehr mit ausführlichen warenkundlichen Einlassungen und umfänglichen Kapiteln zu Ernährungslehre, Krankenkost, zur "Kunst des rechten Würzens", mit Diätvorschriften für allerlei Zivilisationskrankheiten und Nährwerttabellen wie ein Handbuch für rationelle kulinarische Haushaltsführung daher. Haushälterisch von den Rezepten bis zum Erscheinungsbild, verzichtet es bis heute auf Klimbim und Chichi - bodenständig im besten Sinn.

Ungleich schwerer als ihr Forschungsgegenstand tat sich Regina Frischs "Biografie" dieses Longsellers, deren Druck erst per Crowdfunding im Internet ermöglicht wurde. Das Diskursive hat im Umfeld des (zumindest optisch) unvermittelt Eingängigen eben keinen leichten Stand. Die Würzburger Sprachwissenschaftlerin zeichnet die Geschichte des "Bayerischen Kochbuchs" ab ovo nach, von dem 1910 erstmals erschienenen, von der Hauswirtschaftsschule im oberbayerischen Miesbach für Wanderkochkurse zusammengestellten jägergrünen Oktavbändchen des "Bayerischen Vereins für wirtschaftliche Frauenschulen auf dem Lande", dem ab der fünfzehnten, gründlich überarbeiteten und erheblich erweiterten Auflage (Ende 1933) die Hauswirtschaftslehrerin Maria Hofmann (1904 bis 1998) den nunmehrigen Titel und bis zur 54. Auflage (1992) auch die jeweilige Form gab.

In der diachronen Lektüre erweist sich ein vermeintlich "unschuldiges" Kochbuch als Medium, in dem nicht nur die wirtschaftlichen und technischen, sondern auch die gesellschaftlichen und politischen Zeitläufte sich widerspiegeln. So merzte etwa die 1916 erschienene dritte Auflage chauvinistisch-"sprachpflegerisch" in den Rezepten französische Ausdrücke aus: "Sauce" wurde zur Soße, "Püree" zu Brei, das Apfelsoufflé zur "Aufgezogenen Apfelspeise". In der 17. Auflage von 1938 reihte sich die Herausgeberin ein ins Glied, um "in vorderster Front" im "nationalen Kampf" um "Nahrungsfreiheit" ihre "freudige Einsatzbereitschaft" zu bekunden.

Hofmann hatte bereits 1933 das Kapitel "Zusammengekochte Gerichte" in "Eintopfgerichte" umbenannt und 1936 auch neue Rezepte für den von den Nationalsozialisten zur Stärkung der Volksgemeinschaft verordneten "Eintopfsonntag" geliefert. Diese kulinarische Gleichschaltung sollte als "Speisekarten-Manifestation der Weltgeschichte" physiognomische Wirkungen zeitigen, wie Anton Kuh 1936 in der "Neuen Weltbühne" ätzte: das säuerlich verhärmte Eintopfgesicht.

Hofmann steht mit ihrer Anbiederung keineswegs allein da. Viktorine von Leitmaier, die Herausgeberin der 78./79. Auflage der "Süddeutschen Küche", ab den 1880er Jahren das Standardwerk der Küche der habsburgischen Kronländer, beeilte sich mit einer Ergänzung zum auf "Frühjahr 1938" datierten Vorwort, die "Prato", wie das Werk nach seiner Schöpferin kurz genannt wird, welthistorisch zu verorten. Während des Drucks der neuen Auflage habe sich "Österreichs nationale Erhebung" ereignet, damit sei das Land wieder "heimgekehrt ins Deutsche Reich" und "wieder ,Süddeutschland' des Großdeutschen Reiches" geworden. Und damit erst sei Katharina Pratos Kochbuch "in Wirklichkeit wieder das geworden, was es dem Namen und Inhalt nach immer war: ,das Kochbuch der süddeutschen Küche'". Ein spezielles "Verzeichnis der Eintopfgerichte" enthielt die neue Auflage, ganz auf der Höhe der Zeit, ohnehin schon.

Frisch verfolgt akribisch Änderungen in den Kochvorschriften sowie Rezeptzu- und -abgänge und versucht sich über die jeweilige Ursache Klarheit zu verschaffen. Notzeiten, Phasen, da Nahrungsmittel zwangsbewirtschaftet waren, schlugen sich in abgespeckten Rezepten nieder. Und dass die "Dotschen", anderwärts Steckrüben genannt, ab der 27. Auflage (1958) fehlen, dürfte damit zu tun haben, dass sie allzu sehr an den Hunger der Nachkriegszeit gemahnten, an den in den Boomjahren niemand erinnert werden wollte.

Laufend überarbeitet, griff und greift das "Bayerische" theoretische - etwa die jeweils aktuellen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung für "Vollwertiges Essen und Trinken" - und praktische Neuerungen - technische Haushaltshilfen wie den Dampfdrucktopf (ab der 18. Auflage, 1947) oder die Mikrowelle (54. Auflage, 1992) - auf und entfernt Überholtes: etwa die gute alte energiesparende Kochkiste in der Wirtschaftswunderzeit, da die Zeichen auf Energiekonsum stehen.

"Nose to Tail Eating", die Verarbeitung aller essbaren Teile von Schlachttieren also, war für die Zielgruppe des Kochbuchs, "Landfrauen" nämlich, seit alters eine Selbstverständlichkeit und musste nicht erst, wie das Fergus Hendersons mit seinem 1999 veröffentlichten Buch selben Titels für die Sterneküche bewerkstelligte, "wiederentdeckt" werden. Nur Hirn-Rezepte verschwanden in der 55. Auflage (1998) zwischenzeitlich im Gefolge der BSE-Epidemie. Von Anfang an wird auch die Resteverwertung und generell ein sorgfältiger Umgang mit Lebensmitteln großgeschrieben - einer der Trends auf dem Kochbuchmarkt der letzten Jahre (Stichwort "Wastecooking").

Und schon lange bevor Anfang der 1930er Jahre zwei deutsche Kochbuch-Autorinnen um die Urheberschaft des Kochens nach Grundrezepten stritten, bot die "Hofmann" solche variablen Basisrezepte, deren Wie und Warum unter Anführung von Grund- und Verbesserungszutaten sowie der Regeln für die Vor- und Zubereitung erklärt wurden.

Das Regionale ist dem "Bayerischen" zwar optisch - in Weiß und Blau kommt es allerdings erst seit der 40. Auflage (1971) daher - und per Titel eingeschrieben, seppelhosig-provinziell war es allerdings von Anfang an nicht, und das ist bis heute, ganz entgegen den rustikalen Coversujets, so geblieben. Der kulinarische Horizont erstreckte sich über die Landesgrenzen hinaus, auch internationale Standardgerichte fanden nach und nach Eingang.

Auch Frisch richtet ihren Blick über den Tellerrand hinaus. Die Philologin verfolgt nicht allein Änderungen in Gliederung und Systematik des Kompendiums und damit die Wandlungen des kulinarischen Zeitgeists - der seine deutlichsten Spuren im Kapitel "Verschiedenes" hinterlässt, dessen Rezepte für die Jahre 1910, 1924, 1927, 1933, 1947, 1958 und 1971 sämtlich aufgelistet werden -, sie interessiert sich auch für die Küchensprache, den Gestus von Kochrezepten, für Typographie und Satz, bis hin zu den Vorsatzpapieren der jeweiligen Ausgaben und den Werbeeinschaltungen, die sich bis zur 16. Auflage (1936) im Buch finden.

Man mag sich an der Materialhuberei stoßen, man darf sich da und dort ein wenig mehr an Synthese und Synopse wünschen. Gleichwohl: Mit Regina Frischs historischen Sondierungen, die das Versprechen von der Kulinarik als "sozialem Totalphänomen" (Marcel Mauss) ansatzweise einlösen, ist man im dröhnenden, geschichtsvergessenen Einerlei des jeweiligen Kochbuch-Saisonausstoßes davor gefeit, sich Altbewährtes - um es im Jargon der schönen neuen Kulinarikwelt zu sagen - als großartige Neuigkeit unterjubeln zu lassen.

WALTER SCHÜBLER

Regina Frisch: "Biografie eines Kochbuchs". Das "Bayerische Kochbuch" erzählt Kulturgeschichte.

Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2016. 256 S., Abb., geb., 26,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Den Weg zum Klassiker wie das bereits seit 1910 immer wieder verändert erscheinende "Bayerische Kochbuch" wird Regina Frischs Geschichte eben jenes Werkes nicht einschlagen, vermutet Rezensent Walter Schübler. Und doch liest der Kritiker die Studie der Sprachwissenschaftlerin, die neben wirtschaftlichen und technischen Erweiterungen auch gesellschaftliche und politische Phänomene nachzeichnet, mit Gewinn: Während 1916 beispielsweise französische Ausdrücke wie Sauce oder Püree "chauvinistisch-sprachpflegerisch" gestrichen wurden, erweiterte die spätere Herausgeberin Maria Hoffmann das Buch im Jahre 1936 um neue Rezepte für den von den Nationalsozialisten verordneten "Eintopfsonntag", erfährt der Kritiker. Interessiert liest Schübler darüber hinaus nach, wie Frisch Rezepte, Küchensprache, Typografie und Werbeeinschaltungen analysiert. Nicht zuletzt lernt der Rezensent hier, dass vieles, was heute auf dem Kochbuchmarkt als Neuheit verkauft wird, etwa das "Nose to Tail eating", lange selbstverständlich war.

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