Auf der Flucht vor ihren kleinen Verbrechen und großen Lebenslügen landen der deutsch-jüdische Schriftsteller Soli Karubiner und sein bester Freund, der Millionärssohn Noah Forlani, in einem kleinen Ort in der Ukraine, aus dem ihre Familien einst von den Nazis verjagt wurden. Bis sie dort ankommen, erleben sie das größte Abenteuer ihres Lebens: wild und skurril, obszön und romantisch. Etwas wie diesen Entwicklungs-Liebes-Künstler-Familien-Wende-Spannungs-Heimat-Holocaust-Roman hat es noch nicht gegeben - denn dies ist der jüdischste, amerikanischste, komischste Roman der deutschen Gegenwart.
»Maxim Biller kann schreiben. Mein Gott, und wie! 'Biografie' ist der große deutsche, jüdische Roman, auf den wir gewartet haben: wütend, traurig, episch, melancholisch und sehr witzig.« Daniel Kehlmann
»Was für ein Buch! Ich bin voller Bewunderung für Maxim Billers Erzähltemperament. Das springt einen ja förmlich an. Ich gratuliere, ich kenne nichts Vergleichbares!«
Elfriede Jelinek
»Maxim Biller kann schreiben. Mein Gott, und wie! 'Biografie' ist der große deutsche, jüdische Roman, auf den wir gewartet haben: wütend, traurig, episch, melancholisch und sehr witzig.« Daniel Kehlmann
»Was für ein Buch! Ich bin voller Bewunderung für Maxim Billers Erzähltemperament. Das springt einen ja förmlich an. Ich gratuliere, ich kenne nichts Vergleichbares!«
Elfriede Jelinek
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.03.2016Blondinen benachteiligt
Zwei Jahre im Leben von zwei jüdischen Freunden - und das ganze Leben ihrer Familien gleich mit: Maxim Billers Romanfarce "Biografie" witzelt und kitzelt die Tragödie dahinter heraus. Doch dem Riesenbuch fehlt etwas Entscheidendes.
Irgendwann hockt Solomon Karubiner auf einem jüdischen Friedhof und denkt: "Bitte, bitte, lieber Gott, den es hoffentlich gibt, ich will gleich wieder die Augen aufmachen, es soll der 15. Dezember 2005 sein, ich bin zu Hause in Berlin und nichts ist passiert." Aber ob es nun Gott nicht gibt oder der sich einfach nicht erweichen lässt von diesem wehleidigen Bürschchen, das ihn da aus dem Heiligen Land anjammert: Es bleibt knapp zwei Jahre später, und einiges ist passiert. Wir sind ja auch schon auf Seite 795 eines insgesamt knapp neunhundertseitigen Romans, dessen eine Hauptfigur Karubiner ist, der auf den 794 Seiten zuvor einen Menschen hat umbringen wollen, zweimal beim Onanieren in der Öffentlichkeit fotografiert und dafür einmal angezeigt wurde, deshalb von Berlin nach Tel Aviv geflohen ist, seinen besten Freund Noah Forlani (die zweite Hauptfigur) im Sudan von Islamisten entführt glaubt, und generell mehr Probleme mit Vater, Mutter und älterer Schwester - schweigen wir von seinen Geliebten! - hat, als es auch eine weniger aufregende Zweijahresspanne verkraften dürfte. Man könnte mit dem Ton, der in diesem Roman vorherrscht, sagen: Solomon Karubiner ist im Arsch.
Wobei der Autor dieses Romans, Maxim Biller, dafür im Zweifel ein jiddisches Wort gefunden hätte: Tuches etwa. Oder eines der anderen, die das menschliche Hinterteil bezeichnen, dem in diesem Buch sehr viel sexuell bedingte Aufmerksamkeit geschenkt wird. Wir lernen auch zahlreiche Bezeichnungen für männliche und weibliche Geschlechtsteile kennen, denen in diesem Buch sehr viel . . ., na, Sie ahnen es schon. Aber wenn Sie nun denken, darauf könnte man den knapp neunhundertseitigen Roman reduzieren, dann liegen Sie falsch.
So falsch, wie Maxim Biller liegt, wenn er glaubt, er als Schriftsteller hätte die Kraftmeierpose nötig, mit der er seine Figuren zu armen Würstchen macht. Auf halber Strecke zu Seite 795 findet man Solomon Karubiners sehr kluge Bemerkung: "Wer so viele Worte macht, hat nie die ganze Wahrheit auf seiner Seite, und manchmal auch nicht die halbe." Nun geht es selbst in einem knapp neunhundertseitigen Roman mit dem bemerkenswerten Titel "Biografie" nicht um Wahrheit, aber die ist der klassischen Bestimmung des Kunstschaffens eben doch miteingeschrieben, und also erwarten wir neben dem Schönen und Guten auch das Wahre: als Wahrhaftiges, und das muss nun wiederum jeder Roman, selbst der dünnste, ja dümmste, sich als Anspruch vorhalten lassen. Wie steht es also mit der Wahrhaftigkeit dieser durch den Romantitel als Lebensbeschreibung ausgewiesenen Handlung?
Maxim Biller ist als Schriftsteller bislang leider mehr durch Skandale ins Gerede gekommen als durch seine Bücher; notorisch ist der Rechtsstreit um seinen 2003 erschienenen Roman "Esra", in dessen offenherzigen Schilderungen sich eine frühere Partnerin und deren Mutter wiedererkannten, weshalb sie vor Gericht ein Verbot des Buchs erstritten. Viel verlorengegangen ist der Literaturgeschichte damit nicht, fortan war sie zumindest um eine Fußnote zur juristisch unzulässigen Vermischung von Realität und Fiktion reicher.
Biller hat für "Biografie", an dem er mehrere Jahre geschrieben hat, die Lehre aus dem "Esra"-Skandal gezogen und sein Personal nur vage an lebende Personen angelehnt. Einzig der amerikanische Schauspieler Jeff Goldblum hat einen unvorteilhaften Klarnamenauftritt als Figur, und er dürfte die Größe haben, diesem Spötteln nicht mit einer Klage zu begegnen. Ansonsten hat Biller die Vorgaben der Urteilsbegründungen in seinem Fall (der bis zum Bundesverfassungsgericht ging) diesmal geradezu buchstäblich befolgt und genügend Verwirrung bei den biographischen Fakten seines Romanensembles gestiftet, damit man zwar den Kitzel der Identifizierung von wirklichen Menschen verspürt, aber doch niemals eine Eins-zu-eins-Identifikation vornehmen kann. Nur ein Beispiel dazu, das auch keine Klage erwarten lässt: Der Ich-Erzähler Karubiner ist wie Biller selbst als Kind russisch-jüdischer Eltern in Prag geboren und im Jahr 1970 mit seiner Familie nach Hamburg gezogen, hat eine als Schriftstellerin aktive Mutter, lebt in Berlin und ist als deutscher Autor vor allem durch Provokationen aufgefallen. Aber Solomon Karubiner ist drei Jahre jünger als sein Autor, und er stellt einmal im Buch fest: "Naturschilderungen sind absolut nicht mein Fall." Da tritt Biller den Gegenbeweis an, und zwar schon fünf Zeilen nach dem Zitat: "Die Wolken aus Silberpapier waren schon lange verschwunden; was eben noch wie die Einstellung aus einem alten tschechischen Zeichentrickfilm aussah, war zur Kulisse aus War of the Worlds geworden. Dort oben hing jetzt eine beschissene schwere, dunkle, undichte, riesige Eisenplatte, die Claus und mir gleich auf den Kopf fallen und uns zusammen mit unserem kleinen roten Tretboot zerquetschen würde." Q.e.d.
Diese Passage ist typisch für Billers Stil im Roman, nicht nur was die sehr häufigen Bezugnahmen auf Filme angeht, sondern auch im Erschaffen von Beschreibungsgenauigkeit durch Sprachflapsigkeit. Die natürlich nicht verwechselt werden darf mit Billers eigener Stimme, denn es ist ja Solomon Karubiner, der hier spricht. Wobei sich der Fokus des Romans auch immer mal wieder auf Noah Forlani verschiebt, über dessen Lebensumstände in den zwei Jahren der eigentlichen Handlung Karubiner kaum etwas weiß, weshalb die Forlani-Kapitel einen auktorialen Erzähler aufbieten, der aber trotzdem nicht anders klingt als das sonstige Ich. Da hat Biller eine große Chance vertan, die Vielschichtigkeit seines Handlungsgerüsts auch durch Registerwechsel der Sprache kenntlich zu machen. Und damit wahrhaftig.
Denn was wir mit "Biografie" bekommen, ist eine große Farce, ein großes Erzählkunststück, leider ohne größeres Stilempfinden, denn was die Billersche Prosa glänzen lässt, sind Anleihen bei Thomas Pynchon (vor allem aus "Die Enden der Parabel, gerade in sexualibus). Und bei Heimito von Doderers späten "Merowingern", zur Idee einer durchgedrehten "totalen Familie" - die bei Biller eine totalitäre ist. Nur dass Biller den Karubiners (und auch den Forlanis, von denen aber zum Handlungszeitpunkt nur noch Noah lebt) eine Vergangenheit verschafft, an die sich Pynchon, oder auch Philip Roth, um ein weiteres unverkennbares Vorbild zu nennen - von Doderer können wir hier schweigen -, dann doch nie derart dezidiert gewagt haben: Sie sind Überlebende der Schoa, im Falle der beiden Freunde "in zweiter Generation", also als Kinder von Überlebenden.
Nichts legitimer, nichts aber auch frivoler, als die vielfältigen Störungen und Verstörungen der Romanfiguren Solomon Karubiner und Noah Forlani auf diese Erfahrung ihrer Eltern zu beziehen (und im Falle der Karubiners kommt noch ein Doppelspiel im sozialistischen Prag mit hinzu). Biller findet dabei seine stärksten Momente - solche großer Ernsthaftigkeit und Verbundenheit zwischen den beiden Schicksalsgenossen - und auch seine schwächsten, in Ausführungen wie denen anlässlich Karubiners Faszination für eine deutsche Blondine, die ihn räsonieren lässt: "Die Zeichen mehren sich! Ich muss weg aus D., nach Israel, Noah hatte recht, ich muss zu meinen Leuten und zur despotischen Ortile" - selbstverständlich eine Brünette -, "sonst mache ich Diaspora-Schmeggege eines Nachts mit einer von diesen Eva-Braun-Enkelinnen aus dem Borchardt oder Grill Royal oder Elstar Club ein riesiges, blondes, passiv-aggressives Kind, das tausend Minderwertigkeitskomplexe haben wird und ein angeborenes Arschgeweih."
Es ist kein Zufall, dass solche Passagen im typischen Ton von Billers Kolumnen für die "Zeit" oder die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" sich besonders dicht in der ersten Hälfte des Buchs finden. Die zweite wird dann ruhiger, ohne dabei weniger abgedreht zu sein - ob die ständige Verwendung von iPhones und iPads zu einem Handlungszeitpunkt, als es beide noch nicht gab, eine Reminiszenz an Martin Mosebachs "Blutbuchenfest" sein soll? Ruhiger vor allem, weil Billers Erzählen nun in die Vergangenheit ausgreift: mit dem Zielpunkt Buczacz, einer galizischen Kleinstadt, aus der die Karubiners wie die Forlanis stammen - und außer ihnen auch der erste jiddische Literaturnobelpreisträger, Samuel J. Agnon (im Buch erwähnt), und der Nazi-Jäger Simon Wiesenthal (im Buch nicht erwähnt). In beider Reaktion auf den Untergang des osteuropäischen Judentums finden sich Muster, die Billers Blick auf die Welt bestimmen, einmal literarischer, einmal politischer Art.
Und so ist denn "Biografie" wie gesagt vor allem große Farce, aber eine, die im Sinne der Geschichtstheorie von Karl Marx die Tragödie voraussetzt. Insofern ist Billers Roman in keinem anderen Kulturkreis als dem deutsch-jüdischen denkbar, und als Ausdruck des Willens, sich von der Last der Geschichte nicht die Lust am Fabulieren nehmen zu lassen, kann man ihn paradigmatisch nennen. Jedoch ist der Anlauf, den das Buch über Hunderte von Seiten nimmt, zu lang, als dass am Schluss, wenn die beiden Biographien in "Biografie" auf im besten Sinne pathetische Weise wieder zusammengeführt werden, noch Kraft genug da wäre für den literarischen Höhenflug, der Maxim Biller selbst vorgeschwebt haben dürfte.
ANDREAS PLATTHAUS
Maxim Biller: "Biografie". Roman.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016. 896 S., geb., 29,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwei Jahre im Leben von zwei jüdischen Freunden - und das ganze Leben ihrer Familien gleich mit: Maxim Billers Romanfarce "Biografie" witzelt und kitzelt die Tragödie dahinter heraus. Doch dem Riesenbuch fehlt etwas Entscheidendes.
Irgendwann hockt Solomon Karubiner auf einem jüdischen Friedhof und denkt: "Bitte, bitte, lieber Gott, den es hoffentlich gibt, ich will gleich wieder die Augen aufmachen, es soll der 15. Dezember 2005 sein, ich bin zu Hause in Berlin und nichts ist passiert." Aber ob es nun Gott nicht gibt oder der sich einfach nicht erweichen lässt von diesem wehleidigen Bürschchen, das ihn da aus dem Heiligen Land anjammert: Es bleibt knapp zwei Jahre später, und einiges ist passiert. Wir sind ja auch schon auf Seite 795 eines insgesamt knapp neunhundertseitigen Romans, dessen eine Hauptfigur Karubiner ist, der auf den 794 Seiten zuvor einen Menschen hat umbringen wollen, zweimal beim Onanieren in der Öffentlichkeit fotografiert und dafür einmal angezeigt wurde, deshalb von Berlin nach Tel Aviv geflohen ist, seinen besten Freund Noah Forlani (die zweite Hauptfigur) im Sudan von Islamisten entführt glaubt, und generell mehr Probleme mit Vater, Mutter und älterer Schwester - schweigen wir von seinen Geliebten! - hat, als es auch eine weniger aufregende Zweijahresspanne verkraften dürfte. Man könnte mit dem Ton, der in diesem Roman vorherrscht, sagen: Solomon Karubiner ist im Arsch.
Wobei der Autor dieses Romans, Maxim Biller, dafür im Zweifel ein jiddisches Wort gefunden hätte: Tuches etwa. Oder eines der anderen, die das menschliche Hinterteil bezeichnen, dem in diesem Buch sehr viel sexuell bedingte Aufmerksamkeit geschenkt wird. Wir lernen auch zahlreiche Bezeichnungen für männliche und weibliche Geschlechtsteile kennen, denen in diesem Buch sehr viel . . ., na, Sie ahnen es schon. Aber wenn Sie nun denken, darauf könnte man den knapp neunhundertseitigen Roman reduzieren, dann liegen Sie falsch.
So falsch, wie Maxim Biller liegt, wenn er glaubt, er als Schriftsteller hätte die Kraftmeierpose nötig, mit der er seine Figuren zu armen Würstchen macht. Auf halber Strecke zu Seite 795 findet man Solomon Karubiners sehr kluge Bemerkung: "Wer so viele Worte macht, hat nie die ganze Wahrheit auf seiner Seite, und manchmal auch nicht die halbe." Nun geht es selbst in einem knapp neunhundertseitigen Roman mit dem bemerkenswerten Titel "Biografie" nicht um Wahrheit, aber die ist der klassischen Bestimmung des Kunstschaffens eben doch miteingeschrieben, und also erwarten wir neben dem Schönen und Guten auch das Wahre: als Wahrhaftiges, und das muss nun wiederum jeder Roman, selbst der dünnste, ja dümmste, sich als Anspruch vorhalten lassen. Wie steht es also mit der Wahrhaftigkeit dieser durch den Romantitel als Lebensbeschreibung ausgewiesenen Handlung?
Maxim Biller ist als Schriftsteller bislang leider mehr durch Skandale ins Gerede gekommen als durch seine Bücher; notorisch ist der Rechtsstreit um seinen 2003 erschienenen Roman "Esra", in dessen offenherzigen Schilderungen sich eine frühere Partnerin und deren Mutter wiedererkannten, weshalb sie vor Gericht ein Verbot des Buchs erstritten. Viel verlorengegangen ist der Literaturgeschichte damit nicht, fortan war sie zumindest um eine Fußnote zur juristisch unzulässigen Vermischung von Realität und Fiktion reicher.
Biller hat für "Biografie", an dem er mehrere Jahre geschrieben hat, die Lehre aus dem "Esra"-Skandal gezogen und sein Personal nur vage an lebende Personen angelehnt. Einzig der amerikanische Schauspieler Jeff Goldblum hat einen unvorteilhaften Klarnamenauftritt als Figur, und er dürfte die Größe haben, diesem Spötteln nicht mit einer Klage zu begegnen. Ansonsten hat Biller die Vorgaben der Urteilsbegründungen in seinem Fall (der bis zum Bundesverfassungsgericht ging) diesmal geradezu buchstäblich befolgt und genügend Verwirrung bei den biographischen Fakten seines Romanensembles gestiftet, damit man zwar den Kitzel der Identifizierung von wirklichen Menschen verspürt, aber doch niemals eine Eins-zu-eins-Identifikation vornehmen kann. Nur ein Beispiel dazu, das auch keine Klage erwarten lässt: Der Ich-Erzähler Karubiner ist wie Biller selbst als Kind russisch-jüdischer Eltern in Prag geboren und im Jahr 1970 mit seiner Familie nach Hamburg gezogen, hat eine als Schriftstellerin aktive Mutter, lebt in Berlin und ist als deutscher Autor vor allem durch Provokationen aufgefallen. Aber Solomon Karubiner ist drei Jahre jünger als sein Autor, und er stellt einmal im Buch fest: "Naturschilderungen sind absolut nicht mein Fall." Da tritt Biller den Gegenbeweis an, und zwar schon fünf Zeilen nach dem Zitat: "Die Wolken aus Silberpapier waren schon lange verschwunden; was eben noch wie die Einstellung aus einem alten tschechischen Zeichentrickfilm aussah, war zur Kulisse aus War of the Worlds geworden. Dort oben hing jetzt eine beschissene schwere, dunkle, undichte, riesige Eisenplatte, die Claus und mir gleich auf den Kopf fallen und uns zusammen mit unserem kleinen roten Tretboot zerquetschen würde." Q.e.d.
Diese Passage ist typisch für Billers Stil im Roman, nicht nur was die sehr häufigen Bezugnahmen auf Filme angeht, sondern auch im Erschaffen von Beschreibungsgenauigkeit durch Sprachflapsigkeit. Die natürlich nicht verwechselt werden darf mit Billers eigener Stimme, denn es ist ja Solomon Karubiner, der hier spricht. Wobei sich der Fokus des Romans auch immer mal wieder auf Noah Forlani verschiebt, über dessen Lebensumstände in den zwei Jahren der eigentlichen Handlung Karubiner kaum etwas weiß, weshalb die Forlani-Kapitel einen auktorialen Erzähler aufbieten, der aber trotzdem nicht anders klingt als das sonstige Ich. Da hat Biller eine große Chance vertan, die Vielschichtigkeit seines Handlungsgerüsts auch durch Registerwechsel der Sprache kenntlich zu machen. Und damit wahrhaftig.
Denn was wir mit "Biografie" bekommen, ist eine große Farce, ein großes Erzählkunststück, leider ohne größeres Stilempfinden, denn was die Billersche Prosa glänzen lässt, sind Anleihen bei Thomas Pynchon (vor allem aus "Die Enden der Parabel, gerade in sexualibus). Und bei Heimito von Doderers späten "Merowingern", zur Idee einer durchgedrehten "totalen Familie" - die bei Biller eine totalitäre ist. Nur dass Biller den Karubiners (und auch den Forlanis, von denen aber zum Handlungszeitpunkt nur noch Noah lebt) eine Vergangenheit verschafft, an die sich Pynchon, oder auch Philip Roth, um ein weiteres unverkennbares Vorbild zu nennen - von Doderer können wir hier schweigen -, dann doch nie derart dezidiert gewagt haben: Sie sind Überlebende der Schoa, im Falle der beiden Freunde "in zweiter Generation", also als Kinder von Überlebenden.
Nichts legitimer, nichts aber auch frivoler, als die vielfältigen Störungen und Verstörungen der Romanfiguren Solomon Karubiner und Noah Forlani auf diese Erfahrung ihrer Eltern zu beziehen (und im Falle der Karubiners kommt noch ein Doppelspiel im sozialistischen Prag mit hinzu). Biller findet dabei seine stärksten Momente - solche großer Ernsthaftigkeit und Verbundenheit zwischen den beiden Schicksalsgenossen - und auch seine schwächsten, in Ausführungen wie denen anlässlich Karubiners Faszination für eine deutsche Blondine, die ihn räsonieren lässt: "Die Zeichen mehren sich! Ich muss weg aus D., nach Israel, Noah hatte recht, ich muss zu meinen Leuten und zur despotischen Ortile" - selbstverständlich eine Brünette -, "sonst mache ich Diaspora-Schmeggege eines Nachts mit einer von diesen Eva-Braun-Enkelinnen aus dem Borchardt oder Grill Royal oder Elstar Club ein riesiges, blondes, passiv-aggressives Kind, das tausend Minderwertigkeitskomplexe haben wird und ein angeborenes Arschgeweih."
Es ist kein Zufall, dass solche Passagen im typischen Ton von Billers Kolumnen für die "Zeit" oder die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" sich besonders dicht in der ersten Hälfte des Buchs finden. Die zweite wird dann ruhiger, ohne dabei weniger abgedreht zu sein - ob die ständige Verwendung von iPhones und iPads zu einem Handlungszeitpunkt, als es beide noch nicht gab, eine Reminiszenz an Martin Mosebachs "Blutbuchenfest" sein soll? Ruhiger vor allem, weil Billers Erzählen nun in die Vergangenheit ausgreift: mit dem Zielpunkt Buczacz, einer galizischen Kleinstadt, aus der die Karubiners wie die Forlanis stammen - und außer ihnen auch der erste jiddische Literaturnobelpreisträger, Samuel J. Agnon (im Buch erwähnt), und der Nazi-Jäger Simon Wiesenthal (im Buch nicht erwähnt). In beider Reaktion auf den Untergang des osteuropäischen Judentums finden sich Muster, die Billers Blick auf die Welt bestimmen, einmal literarischer, einmal politischer Art.
Und so ist denn "Biografie" wie gesagt vor allem große Farce, aber eine, die im Sinne der Geschichtstheorie von Karl Marx die Tragödie voraussetzt. Insofern ist Billers Roman in keinem anderen Kulturkreis als dem deutsch-jüdischen denkbar, und als Ausdruck des Willens, sich von der Last der Geschichte nicht die Lust am Fabulieren nehmen zu lassen, kann man ihn paradigmatisch nennen. Jedoch ist der Anlauf, den das Buch über Hunderte von Seiten nimmt, zu lang, als dass am Schluss, wenn die beiden Biographien in "Biografie" auf im besten Sinne pathetische Weise wieder zusammengeführt werden, noch Kraft genug da wäre für den literarischen Höhenflug, der Maxim Biller selbst vorgeschwebt haben dürfte.
ANDREAS PLATTHAUS
Maxim Biller: "Biografie". Roman.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016. 896 S., geb., 29,99 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rainer Moritz ist enttäuscht von Maxim Biller. Dass der Autor mit Witz erzählen, seitenlang über Potenzstörungen fabulieren kann und Stilvermögen besitzt, bezweifelt er nicht. Das Problem des Romans liegt laut Moritz jedoch darin, dass der Autor sich dessen offenbar weniger sicher ist und daher zu nervender Kraftmeierei neigt. Darüber, so Moritz, tanzen dem Autor leider die Erzählfäden davon. Mehr Struktur, weniger auftrumpfende Metapherngewitter und Pirouetten und das mittels Rückblenden ein ganzes Jahrhundert, das Judentum, den Holocaust, den Stalinismus und allerhand mehr durchmessende Buch, das vordergründig von einem jüdischen Schriftsteller, seinem besten Freund, einem millionenschweren Mäzen, und beider Familien handelt, hätte Moritz durchaus gut gefallen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Biller lässt nichts aus. Schrill, grotesk und sehr böse liefert er eine Zustandsbeschreibung unserer Gesellschaft, die nicht nur unterhält, sondern auch nachdenklich stimmt. [...] Mit Biografie ist Maxim Biller eine explosive Mischung gelungen, temporeich, skurril, sexuell aufgeladen und bei aller Ausgelassenheit zutiefst traurig.« ORF