Albert Salomon (1891-1966), deutsch-jüdischer Soziologie und Herausgeber der Zeitschrift "Die Gesellschaft", war nach seiner Emigration 1935 Professor an der New School for Social Research in New York, wo er in alteuropäischer Tradition eine humanistische Soziologie begründete.
Diese fünfbändige textkritische Edition ist die erste Ausgabe seiner gesammelten Werke.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.12.2008Haltung des Übergangs
Die Geschichte der Rezeption Max Webers ist noch nicht geschrieben. Frühe Verstehensversuche des 1920 verstorbenen Soziologen gehen auf die Nachrufe zurück, die Ernst Troeltsch und Karl Jaspers kurze Zeit nach dessen Tode publizierten. Sie hätten gegensätzlicher nicht sein können: auf der einen Seite der Politiker Weber, dessen wissenschaftliches Schaffen trotz allem "Außenwerk" geblieben sei, auf der anderen Seite ein emphatisches Plädoyer für den vermeintlich einzigen Philosophen seiner Zeit. Spurenelemente dieser Zweiteilung finden sich noch heute zuhauf in der Sekundärliteratur.
In gewisser Weise wiederholt sich die prägende Kraft von Nachrufen auch im Falle Karl Mannheims. Als der im Januar 1947 im Londoner Exil verstarb, war es Leopold von Wiese, der dem früheren Kollegen dem Stempel des unglücklichen Bewusstseins aufdrückte und für diesen Zweck die Herkunft Mannheims kurzerhand vom Budapester Großbürgertum in die Unterklasse verlegte. Noch in Adornos von Ressentiment denn von Lektüre gesteuertem Text zu Mannheim finden sich die Motive von Wieses.
Eine andere Sicht auf den Begründer der Wissenssoziologie hätte sich entwickeln können, wenn Albert Salomons Nekrolog in der Zeitschrift "Social Research" aus dem Todesjahr bekannt geworden wäre. Nicht dass hier der kritische Ton gefehlt hätte, denn Mannheim entgeht nicht dem Vorwurf einer auf die Totalität der Welt zielenden Soziologie. Salomons Rekonstruktion fängt aber neben den Ambivalenzen auch die weiterführenden Überlegungen eines neuartigen "Perspektivismus" (Reinhard Laube) ein, die in den letzten Jahren wiederentdeckt wurden.
Als der 1891 in Berlin geborene Soziologe Albert Salomon 1966 in New York starb, erschien lediglich ein Nachruf seines Kollegen Carl Mayer in der Hauszeitschrift der "New School". In diesem Fall war es die Herkunft, nämlich Deutscher und Jude gewesen zu sein, die das Narrativ bestimmte und die der Trauerredner im Werk nachzeichnete. Doch anders als etwa Norbert Elias war Salomon kein Nachleben beschieden. Das kann sich jetzt grundlegend ändern, denn eine auf fünf Bände angelegte Werkausgabe ("Albert Salomon - Werkausgabe". Band 1: Biographische Materialien und Schriften 1921-1933. Band 2: Schriften 1934-1942. Herausgegeben von Peter Gostmann und Gerhard Wagner. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008. Je 261 S., geb., 39,90 [Euro]) präsentiert in den ersten Lieferungen die Schriften bis 1942.
Was darin sichtbar wird, dürfte alle diejenigen zum Nachdenken bewegen, die es für eine ausgemachte Sache halten, die intellektuellen Kämpfe der Weimarer Republik seien nur durch den Blick auf die Extreme verständlich. Salomon, der mit dem gesamten Ideenlaboratorium namens "Heidelberg" auf vertrautem Fuß stand, von 1926 an als Redakteur der Zeitschrift "Die Gesellschaft" Geburtshelfer von Autoren wie Hannah Arendt, Hajo Holborn und Herbert Marcuse war und der Walter Benjamin den Kontakt zu Carl Schmitt vermittelte, suchte nach einem spezifischen Humanismus. Den Begriff wollte er sehr stets kategorial verstanden wissen. Von der Dissertation bei Alfred Weber zum "Freundschaftskult des 18. Jahrhunderts in Deutschland" bis hin zur Aufsatzsammlung "In Praise of the Enlightenment" (1963) ging es ihm darum, das Human als einziges Kontinuitätsversprechen zu retten. Er machte in der genauen Lektüre der Schriften von Erasmus, Tocqueville, die er zudem herausgab, und Jacob Burckhardt den Humanismus als eine "Haltung des Übergangs, nicht der Vollkommenheit" aus. Die Erfahrung "existentieller Gegenwärtigkeit" rief für ihn jene humanistischen Ideen und Werte in eine zukunftsweisende Kreativität zurück, die in ihrer durch Institutionen dogmatisierten Erscheinungsweise längst eingeschläfert waren.
Es waren nicht zuletzt die Exilerfahrung und später der Holocaust, die Salomon darin bestärkten, in der Soziologie eine Bescheidenheit zu verordnen. Seine drei, in den Vereinigten Staaten intensiv rezipierten Aufsätze zu Weber aus den Jahren 1934 und 1935 führen das exemplarisch vor. Darin werden die Soziologie, Methodologie und die politischen Ideen des Nationalökonomen und Juristen von der Einsicht aus gelesen, dass zwischen den wissenschaftlichen Prinzipien und der Persönlichkeit eine unaufhebbare Wechselbeziehung bestehe. Dass darin auch eine Selbstbeschreibung liegt, ist offensichtlich.
Salomons Werk stellt die ideengeschichtliche Begründung einer Soziologie dar, die den Menschen jedwedes Versprechen aus metaphysischen Annahmen ersparen wollte. Vielmehr stand der gefährdete und seiner Begrenztheit bewusste Mensch im Zentrum seiner Überlegungen. Das war keine verkappte Anthropologie, auch wenn Salomons Begriff der "konkreten Soziologie" diesen Verdacht nahelegte, vielmehr eine nüchterne Sicht auf das Webersche "Kulturmenschentum". Diese Nüchternheit machte es ihm möglich auf die Gebiete der Philosophie und Religion auszugreifen, ohne ihren Sirenenklängen zu erliegen. Nicht zuletzt um den Humanismus zu verstehen und zu verteidigen, analysierte und schrieb Salomon Nachrufe. Nun ist die Lebendigkeit seiner Ideen zu entdecken.
THOMAS MEYER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Geschichte der Rezeption Max Webers ist noch nicht geschrieben. Frühe Verstehensversuche des 1920 verstorbenen Soziologen gehen auf die Nachrufe zurück, die Ernst Troeltsch und Karl Jaspers kurze Zeit nach dessen Tode publizierten. Sie hätten gegensätzlicher nicht sein können: auf der einen Seite der Politiker Weber, dessen wissenschaftliches Schaffen trotz allem "Außenwerk" geblieben sei, auf der anderen Seite ein emphatisches Plädoyer für den vermeintlich einzigen Philosophen seiner Zeit. Spurenelemente dieser Zweiteilung finden sich noch heute zuhauf in der Sekundärliteratur.
In gewisser Weise wiederholt sich die prägende Kraft von Nachrufen auch im Falle Karl Mannheims. Als der im Januar 1947 im Londoner Exil verstarb, war es Leopold von Wiese, der dem früheren Kollegen dem Stempel des unglücklichen Bewusstseins aufdrückte und für diesen Zweck die Herkunft Mannheims kurzerhand vom Budapester Großbürgertum in die Unterklasse verlegte. Noch in Adornos von Ressentiment denn von Lektüre gesteuertem Text zu Mannheim finden sich die Motive von Wieses.
Eine andere Sicht auf den Begründer der Wissenssoziologie hätte sich entwickeln können, wenn Albert Salomons Nekrolog in der Zeitschrift "Social Research" aus dem Todesjahr bekannt geworden wäre. Nicht dass hier der kritische Ton gefehlt hätte, denn Mannheim entgeht nicht dem Vorwurf einer auf die Totalität der Welt zielenden Soziologie. Salomons Rekonstruktion fängt aber neben den Ambivalenzen auch die weiterführenden Überlegungen eines neuartigen "Perspektivismus" (Reinhard Laube) ein, die in den letzten Jahren wiederentdeckt wurden.
Als der 1891 in Berlin geborene Soziologe Albert Salomon 1966 in New York starb, erschien lediglich ein Nachruf seines Kollegen Carl Mayer in der Hauszeitschrift der "New School". In diesem Fall war es die Herkunft, nämlich Deutscher und Jude gewesen zu sein, die das Narrativ bestimmte und die der Trauerredner im Werk nachzeichnete. Doch anders als etwa Norbert Elias war Salomon kein Nachleben beschieden. Das kann sich jetzt grundlegend ändern, denn eine auf fünf Bände angelegte Werkausgabe ("Albert Salomon - Werkausgabe". Band 1: Biographische Materialien und Schriften 1921-1933. Band 2: Schriften 1934-1942. Herausgegeben von Peter Gostmann und Gerhard Wagner. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008. Je 261 S., geb., 39,90 [Euro]) präsentiert in den ersten Lieferungen die Schriften bis 1942.
Was darin sichtbar wird, dürfte alle diejenigen zum Nachdenken bewegen, die es für eine ausgemachte Sache halten, die intellektuellen Kämpfe der Weimarer Republik seien nur durch den Blick auf die Extreme verständlich. Salomon, der mit dem gesamten Ideenlaboratorium namens "Heidelberg" auf vertrautem Fuß stand, von 1926 an als Redakteur der Zeitschrift "Die Gesellschaft" Geburtshelfer von Autoren wie Hannah Arendt, Hajo Holborn und Herbert Marcuse war und der Walter Benjamin den Kontakt zu Carl Schmitt vermittelte, suchte nach einem spezifischen Humanismus. Den Begriff wollte er sehr stets kategorial verstanden wissen. Von der Dissertation bei Alfred Weber zum "Freundschaftskult des 18. Jahrhunderts in Deutschland" bis hin zur Aufsatzsammlung "In Praise of the Enlightenment" (1963) ging es ihm darum, das Human als einziges Kontinuitätsversprechen zu retten. Er machte in der genauen Lektüre der Schriften von Erasmus, Tocqueville, die er zudem herausgab, und Jacob Burckhardt den Humanismus als eine "Haltung des Übergangs, nicht der Vollkommenheit" aus. Die Erfahrung "existentieller Gegenwärtigkeit" rief für ihn jene humanistischen Ideen und Werte in eine zukunftsweisende Kreativität zurück, die in ihrer durch Institutionen dogmatisierten Erscheinungsweise längst eingeschläfert waren.
Es waren nicht zuletzt die Exilerfahrung und später der Holocaust, die Salomon darin bestärkten, in der Soziologie eine Bescheidenheit zu verordnen. Seine drei, in den Vereinigten Staaten intensiv rezipierten Aufsätze zu Weber aus den Jahren 1934 und 1935 führen das exemplarisch vor. Darin werden die Soziologie, Methodologie und die politischen Ideen des Nationalökonomen und Juristen von der Einsicht aus gelesen, dass zwischen den wissenschaftlichen Prinzipien und der Persönlichkeit eine unaufhebbare Wechselbeziehung bestehe. Dass darin auch eine Selbstbeschreibung liegt, ist offensichtlich.
Salomons Werk stellt die ideengeschichtliche Begründung einer Soziologie dar, die den Menschen jedwedes Versprechen aus metaphysischen Annahmen ersparen wollte. Vielmehr stand der gefährdete und seiner Begrenztheit bewusste Mensch im Zentrum seiner Überlegungen. Das war keine verkappte Anthropologie, auch wenn Salomons Begriff der "konkreten Soziologie" diesen Verdacht nahelegte, vielmehr eine nüchterne Sicht auf das Webersche "Kulturmenschentum". Diese Nüchternheit machte es ihm möglich auf die Gebiete der Philosophie und Religion auszugreifen, ohne ihren Sirenenklängen zu erliegen. Nicht zuletzt um den Humanismus zu verstehen und zu verteidigen, analysierte und schrieb Salomon Nachrufe. Nun ist die Lebendigkeit seiner Ideen zu entdecken.
THOMAS MEYER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Über das mit diesen ersten beiden Bänden der Werkausgabe initiierte Nachleben Albert Salomons ist Thomas Meyer hocherfreut. Immerhin ermöglichen ihm die vorliegenden Schriften ein Nachdenken über die intellektuellen Auseinandersetzungen der Weimarer Republik mit anderem Blick als mit dem "auf die Extreme". Salomons Humanismus-Begriff (mit dem gefährdeten Menschen im Zentrum) und seine "ideengeschichtliche Begründung der Soziologie" mit nüchternen Ausgriffen auf Philosophie und Religion lassen Meyer die der Soziologie von Salomon verordnete neue Bescheidenheit erkennen, ebenso, wie die Lebendigkeit seiner Ideen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Mit der Edition der Materialien und Schriften Albert Salomons schließen sie [die Autoren] eine Lücke der Exilforschung und bieten darüber hinaus der aktuellen soziologischen Diskussion eine Fundgrube bislang nicht gehobener Schätze. Mit der auf insgesamt fünf Bände angelegten Werkausgabe werden nahezu sämtliche Schriften Albert Salomons editorisch erschlossen, die er selbst publiziert oder noch zu Lebzeiten für den Druck vorbereitet hat."
Tribüne 02/2009
Tribüne 02/2009