Dieses Lexikon informiert in rund 1500 gut lesbaren Kurzbiographien präzise und faktenreich über die Personen, welche die deutsche Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart nachhaltig geprägt haben. Berücksichtigt wurden Personen aus Politik und Kirche, Wirtschaft und Militär. Die Auswahl geht deutlich über herkömmliche Nachschlagewerke hinaus und schließt auch weniger bekannte Gestalten ein. Literaturangaben unter den Artikeln ermöglichen die gezielte Vertiefung. Ein zuverlässiges Vademekum nicht nur für Historiker, sondern für alle, die sich für deutsche Geschichte interessieren.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.01.2003Mitreden
Deutsche, die Macht haben:
Ein Lexikon
Macht, so definierte es Max Weber, sei die Fähigkeit, anderen den eigenen Willen aufzwingen zu können. Sie kennzeichne das Wesen der Staats-Lenkung: „Wer Politik treibt, erstrebt Macht.”
Die Macht des Autors eines „biographischen Lexikons zur deutschen Geschichte” besteht darin, dass er den Lesern seine Auswahl aufzwingen kann. Er generiert einen Kanon der wichtigsten Deutschen innerhalb von ihm festgelegter Grenzen. Udo Sautter zieht seine Grenzen da, wo die Macht endet. Sein Kompendium „beschränkt sich hauptsächlich auf Personen, die an der Ausübung der Macht teilhatten, diese erstrebten oder ihr nahestanden”. Geographisch schließt es die Schweiz bis 1648 und Österreich bis 1945 ein. Weil Sautter die Macht fest im Blick und Geisteswissenschaftler (mit Ausnahme einiger Historiker), Literaten und Künstler ausgeschlossen hat, besteht der Großteil der 1600 Artikel folgerichtig aus biographischen Angaben zu Politikern (vor allem der Zeitgeschichte), unter anderem zu allen Kabinettsmitgliedern der Bundesrepublik.
So weit, so klar, hätte sich der Autor konsequent an seinen selbst gesteckten Rahmen gehalten, was nicht der Fall ist. So widmet er Carl Jacob Burckhardt einen kurzen Artikel. Da der Schweizer Historiker und Diplomat nachweislich nach 1648 geboren wurde, ist seine Aufnahme in das Lexikon nur mit seinem Aufenthalt in Wien und Danzig oder mit der Wirkung seiner Schriften im deutschen Sprachraum erklärbar. Dann aber ist bleibt zu fragen, warum das Lexikon weder Erasmus von Rotterdam, der von 1514 an in Basel und Freiburg lebte, noch Johannes Calvin, der 1533 nach Basel floh, aufführt, deren Einfluss unbestreitbar ist.
Überhaupt wirkt Sautters Auswahl zuweilen beliebig. So sind ihm die Journalisten Rudolf Augstein, Gerd Bucerius und Franz Burda Artikel wert, nicht aber der Gründer des Stern, Henri Nannen. Und hätte nicht einem am Machtbegriff orientierten Nachschlagewerk eher an den Namen der Bundesbankpräsidenten oder der Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts gelegen sein müssen als an den Namen der RAF-Opfer?
Inhaltlich beschränken sich die Kleinst-Biographien zumeist auf die wichtigsten Lebensdaten und verzichten auf Interpretationen, was bei 440 Seiten für tausend Jahre deutsche Geschichte kaum anders machbar ist. Inwiefern dieser Ansatz heute, wo das Internet gerade mit solchen qualitativ gesicherten Daten-Biographien aufwarten kann, noch sinnvoll ist, bleibt fraglich.
THOMAS THIEMEYER
UDO SAUTTER: Biographisches Lexikon zur deutschen Geschichte. C.H. Beck Verlag, München 2002. 440 Seiten, 16,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Deutsche, die Macht haben:
Ein Lexikon
Macht, so definierte es Max Weber, sei die Fähigkeit, anderen den eigenen Willen aufzwingen zu können. Sie kennzeichne das Wesen der Staats-Lenkung: „Wer Politik treibt, erstrebt Macht.”
Die Macht des Autors eines „biographischen Lexikons zur deutschen Geschichte” besteht darin, dass er den Lesern seine Auswahl aufzwingen kann. Er generiert einen Kanon der wichtigsten Deutschen innerhalb von ihm festgelegter Grenzen. Udo Sautter zieht seine Grenzen da, wo die Macht endet. Sein Kompendium „beschränkt sich hauptsächlich auf Personen, die an der Ausübung der Macht teilhatten, diese erstrebten oder ihr nahestanden”. Geographisch schließt es die Schweiz bis 1648 und Österreich bis 1945 ein. Weil Sautter die Macht fest im Blick und Geisteswissenschaftler (mit Ausnahme einiger Historiker), Literaten und Künstler ausgeschlossen hat, besteht der Großteil der 1600 Artikel folgerichtig aus biographischen Angaben zu Politikern (vor allem der Zeitgeschichte), unter anderem zu allen Kabinettsmitgliedern der Bundesrepublik.
So weit, so klar, hätte sich der Autor konsequent an seinen selbst gesteckten Rahmen gehalten, was nicht der Fall ist. So widmet er Carl Jacob Burckhardt einen kurzen Artikel. Da der Schweizer Historiker und Diplomat nachweislich nach 1648 geboren wurde, ist seine Aufnahme in das Lexikon nur mit seinem Aufenthalt in Wien und Danzig oder mit der Wirkung seiner Schriften im deutschen Sprachraum erklärbar. Dann aber ist bleibt zu fragen, warum das Lexikon weder Erasmus von Rotterdam, der von 1514 an in Basel und Freiburg lebte, noch Johannes Calvin, der 1533 nach Basel floh, aufführt, deren Einfluss unbestreitbar ist.
Überhaupt wirkt Sautters Auswahl zuweilen beliebig. So sind ihm die Journalisten Rudolf Augstein, Gerd Bucerius und Franz Burda Artikel wert, nicht aber der Gründer des Stern, Henri Nannen. Und hätte nicht einem am Machtbegriff orientierten Nachschlagewerk eher an den Namen der Bundesbankpräsidenten oder der Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts gelegen sein müssen als an den Namen der RAF-Opfer?
Inhaltlich beschränken sich die Kleinst-Biographien zumeist auf die wichtigsten Lebensdaten und verzichten auf Interpretationen, was bei 440 Seiten für tausend Jahre deutsche Geschichte kaum anders machbar ist. Inwiefern dieser Ansatz heute, wo das Internet gerade mit solchen qualitativ gesicherten Daten-Biographien aufwarten kann, noch sinnvoll ist, bleibt fraglich.
THOMAS THIEMEYER
UDO SAUTTER: Biographisches Lexikon zur deutschen Geschichte. C.H. Beck Verlag, München 2002. 440 Seiten, 16,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Thomas Thiemeyer ist gar nicht begeistert von diesem Lexikon. Seiner Meinung nach hat es inhaltliche Schwächen und folgt einer Konzeption, die im Zeitalter des Internets überholt scheint. Der Verfasser Udo Sautter hat sich angesichts der Fülle seiner Einträge auf Lebensdaten beschränkt und auf Interpretationen verzichtet - eine nach Meinung des Rezensenten angesichts der heute ohne weiteres verfügbaren Daten fragwürdige Herangehensweise. Außerdem findet Thiemeyer "Sautters Auswahl zuweilen beliebig". Seine Anspruch an sein Lexikon ist es ja, die zu dokumentieren, die Macht haben, und da ist es seiner Ansicht nach zum Beispiel nicht einzusehen, wieso Franz Burda einen Eintrag bekommt und Henri Nannen nicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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