Jeder will gesund leben und dass die Lebensmittel verträglich für die Umwelt sind. »Bio« boomt und spätestens seit auch die großen Lebensmittelketten voll auf Bio setzen, ist aus den paar Biobauern eine ganze Industrie geworden. Höchste Zeit also nachzufragen, ob alles so edel und rein ist, wie die Bio siegel bescheinigen. Maxeiner und Miersch, deren erfolgreiche Umweltbücher seit Jahren den Finger in die Wunde legen, sagen: Machen wir uns nichts vor. Zum Beispiel gibt es keinen Nachweis, dass Biokost gesünder ist als konventionelle Lebensmittel. Und für die Umwelt ist Biolandwirtschaft die schlechteste Alternative: Würden alle Bauern auf »bio« umstellen, wäre dies das Ende der letzten Naturgebiete.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.05.2008Liebe und iss, was du willst
Tischlein-deck-dich: Dirk Maxeiner und Michael Miersch entzaubern den Bio-Mythos
Unverwüstlich ist der Mythos Landromantik: Die junge Magd sitzt auf einem Melkschemel und erleichtert eine ihrer Kühe um ein paar Liter Milch. Nach vollendeter Arbeit gesellt sich das glückliche Tier zurück zu seinen Artgenossen auf die Weide. Die Magd kehrt an den Ofen im strohgedeckten Bauernhaus zurück, in dem es nach frischem Gerstenbrot duftet. Bauer und Knecht kümmern sich derweil um die neuen Geburten im Schweinestall - Mutter Sau liegt erschöpft im Heu, während drei rosige Ferkel ihre neue Heimat erkunden. Draußen mahnt die Bäuerin zur Eile - die Gülle muss noch raus aufs Feld. Solche Phantasmen wollen nur ungern ernüchtert werden.
Biobauern und Biokost genießen trotz vereinzelter Skandalfälle bis heute einen tadellosen Ruf. Doch ist dieser berechtigt?, fragen sich die Autoren Dirk Maxeiner und Michael Miersch. In ihrem Buch "Biokost & Ökokult" nehmen sie die vermeintlich gesunde und umweltfreundliche Alternative zum konventionellen Landbau genauer in Augenschein. Die Frage "Welches Essen ist wirklich gut für uns und unsere Umwelt?" kann nur sehr differenziert und mit viel Fingerspitzengefühl beantwortet werden. Das Thema rund um das richtige Essen und die nachhaltigste Anbaumethode ist schon längst kein Exklusivgebiet von Lebensmittelberatern, Agrarwissenschaftlern und Reformhausgängern mehr - Nahrungsaufnahme ist heute Politik.
Biokost erhebt gemeinhin vier Ansprüche: Sie ist gesünder, umweltfreundlicher, tiergerechter und qualitativ hochwertiger als Nahrung aus dem konventionellen Landbau. Wissenschaftlich bewiesen ist dies in den meisten Fällen nicht, so die Buchautoren, und führen die wichtigsten Fakten gleich zu Anfang eines jeden Kapitels an: "Reste von künstlichen Pestiziden auf Nahrungsmitteln sind gesundheitlich unbedenklich. Derweil sind die Schädlingsbekämpfungsmittel, die Biolandwirte einsetzen, veraltet und unsicher. Schimmelpilze und bakterielle Verseuchung sind die größten Gesundheitsgefahren in Lebensmitteln."
Fast ebenso düster sieht es im Hinblick auf den Umweltschutz aus. Zwar herrsche auf Biobauernhöfen eine größere Artenvielfalt als in konventionellen Betrieben, doch der ökologische Preis sei hoch. Für den gleichen Ertrag müsse mehr Naturland in Agrarflächen umgewandelt werden. Außerdem müsste die Zahl der Nutztiere verfünffacht werden, um den notwendigen Dung zu erzeugen.
Einen Mehrwert hat der Biolandwirt in Sachen Tierschutz zu verbuchen - zumindest in der Regel. Biohöfe halten ihre Tiere zumeist tierfreundlicher. Dennoch kommt es auch hier ganz auf den Betrieb an, so die Autoren. Freilandhaltung sei für die Nutztiere nicht grundsätzlich besser - auf die verhaltensgerechten Strukturen komme es an. Und diese schlügen sich auch auf die Fleischqualität nieder. Tiere, die artgerecht gehalten werden und ausreichend Bewegung bekommen, lagern weniger Wasser in ihrem Muskelgewebe ein - das Ergebnis lässt sich schmecken.
Fachtexte wechseln sich in diesem Buch mit Reportagen und Experteninterviews ab. Im Anhang liefern die Autoren einen Einkaufszettel für den kritischen Verbraucher und einen kleinen Ratgeber für den Medienkonsum, die dem Leser beim Kampf durch den undurchsichtigen Lebensmitteldschungel helfen sollen. Er soll besser abschätzen können, was essbar und was ungenießbar ist.
Während die Ausführungen rund um die Gesundheits- und Umweltaspekte der Biokost sehr kritisch, aber dennoch differenziert betrachtet werden, schlagen die Autoren beim Thema Gentechnik in die Kerbe der blinden Befürworter. Hier hätte das Für und Wider besser beleuchtet werden sollen, anstatt die vermeintlich risikofreie Technologie als eine Alternative zu den herkömmlichen Anbausystem zu promovieren. Ein weiterer Schwachpunkt des Buches: Zu einer umfassenden und fairen Bewertung des Biolandbaus gehört auch ein Blick auf die Länder abseits der Industrienationen - hier sind es nicht nur die ökologischen und gesundheitlichen Faktoren, die über Top oder Flop von "Bio" bestimmen, sondern in erster Linie die sozioökonomischen Aspekte, die für den Kleinbauern im Ökolandbau im Zweifelsfall die Existenz bedeuten.
ANNE BOGDANSKI
Dirk Maxeiner, Michael Miersch: "Biokost & Ökokult". Welches Essen ist wirklich gut für uns und unsere Umwelt. Piper Verlag, München 2008.
237 S., br., 14,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Tischlein-deck-dich: Dirk Maxeiner und Michael Miersch entzaubern den Bio-Mythos
Unverwüstlich ist der Mythos Landromantik: Die junge Magd sitzt auf einem Melkschemel und erleichtert eine ihrer Kühe um ein paar Liter Milch. Nach vollendeter Arbeit gesellt sich das glückliche Tier zurück zu seinen Artgenossen auf die Weide. Die Magd kehrt an den Ofen im strohgedeckten Bauernhaus zurück, in dem es nach frischem Gerstenbrot duftet. Bauer und Knecht kümmern sich derweil um die neuen Geburten im Schweinestall - Mutter Sau liegt erschöpft im Heu, während drei rosige Ferkel ihre neue Heimat erkunden. Draußen mahnt die Bäuerin zur Eile - die Gülle muss noch raus aufs Feld. Solche Phantasmen wollen nur ungern ernüchtert werden.
Biobauern und Biokost genießen trotz vereinzelter Skandalfälle bis heute einen tadellosen Ruf. Doch ist dieser berechtigt?, fragen sich die Autoren Dirk Maxeiner und Michael Miersch. In ihrem Buch "Biokost & Ökokult" nehmen sie die vermeintlich gesunde und umweltfreundliche Alternative zum konventionellen Landbau genauer in Augenschein. Die Frage "Welches Essen ist wirklich gut für uns und unsere Umwelt?" kann nur sehr differenziert und mit viel Fingerspitzengefühl beantwortet werden. Das Thema rund um das richtige Essen und die nachhaltigste Anbaumethode ist schon längst kein Exklusivgebiet von Lebensmittelberatern, Agrarwissenschaftlern und Reformhausgängern mehr - Nahrungsaufnahme ist heute Politik.
Biokost erhebt gemeinhin vier Ansprüche: Sie ist gesünder, umweltfreundlicher, tiergerechter und qualitativ hochwertiger als Nahrung aus dem konventionellen Landbau. Wissenschaftlich bewiesen ist dies in den meisten Fällen nicht, so die Buchautoren, und führen die wichtigsten Fakten gleich zu Anfang eines jeden Kapitels an: "Reste von künstlichen Pestiziden auf Nahrungsmitteln sind gesundheitlich unbedenklich. Derweil sind die Schädlingsbekämpfungsmittel, die Biolandwirte einsetzen, veraltet und unsicher. Schimmelpilze und bakterielle Verseuchung sind die größten Gesundheitsgefahren in Lebensmitteln."
Fast ebenso düster sieht es im Hinblick auf den Umweltschutz aus. Zwar herrsche auf Biobauernhöfen eine größere Artenvielfalt als in konventionellen Betrieben, doch der ökologische Preis sei hoch. Für den gleichen Ertrag müsse mehr Naturland in Agrarflächen umgewandelt werden. Außerdem müsste die Zahl der Nutztiere verfünffacht werden, um den notwendigen Dung zu erzeugen.
Einen Mehrwert hat der Biolandwirt in Sachen Tierschutz zu verbuchen - zumindest in der Regel. Biohöfe halten ihre Tiere zumeist tierfreundlicher. Dennoch kommt es auch hier ganz auf den Betrieb an, so die Autoren. Freilandhaltung sei für die Nutztiere nicht grundsätzlich besser - auf die verhaltensgerechten Strukturen komme es an. Und diese schlügen sich auch auf die Fleischqualität nieder. Tiere, die artgerecht gehalten werden und ausreichend Bewegung bekommen, lagern weniger Wasser in ihrem Muskelgewebe ein - das Ergebnis lässt sich schmecken.
Fachtexte wechseln sich in diesem Buch mit Reportagen und Experteninterviews ab. Im Anhang liefern die Autoren einen Einkaufszettel für den kritischen Verbraucher und einen kleinen Ratgeber für den Medienkonsum, die dem Leser beim Kampf durch den undurchsichtigen Lebensmitteldschungel helfen sollen. Er soll besser abschätzen können, was essbar und was ungenießbar ist.
Während die Ausführungen rund um die Gesundheits- und Umweltaspekte der Biokost sehr kritisch, aber dennoch differenziert betrachtet werden, schlagen die Autoren beim Thema Gentechnik in die Kerbe der blinden Befürworter. Hier hätte das Für und Wider besser beleuchtet werden sollen, anstatt die vermeintlich risikofreie Technologie als eine Alternative zu den herkömmlichen Anbausystem zu promovieren. Ein weiterer Schwachpunkt des Buches: Zu einer umfassenden und fairen Bewertung des Biolandbaus gehört auch ein Blick auf die Länder abseits der Industrienationen - hier sind es nicht nur die ökologischen und gesundheitlichen Faktoren, die über Top oder Flop von "Bio" bestimmen, sondern in erster Linie die sozioökonomischen Aspekte, die für den Kleinbauern im Ökolandbau im Zweifelsfall die Existenz bedeuten.
ANNE BOGDANSKI
Dirk Maxeiner, Michael Miersch: "Biokost & Ökokult". Welches Essen ist wirklich gut für uns und unsere Umwelt. Piper Verlag, München 2008.
237 S., br., 14,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als Wegweiser durch den Lebensmitteldschungel nimmt Rezensentin Anne Bogdanski das Buch gern her. Sie schätzt den kritischen und differenzierenden Blick der beiden Autoren bei der Erörterung wichtiger Daten in Sachen Umwelt- und Tierschutz. Was ihr die Reportagen, Expertengespräche und Fachtexte in Sachen Biolandbau offenbaren, erscheint ihr allerdings eher finster. Schade findet sie, dass der Band die Gentechnik allzu einseitig befürwortet und die sozioökonomischen Aspekte, insbesondere abseits der Industrienationen, zu kurz kommen. Für die Frage, ob Bio oder nicht, seien diese oft entscheidend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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