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Der Band versammelt erstmals in deutscher Übersetzung Ruth Millikans wichtigste Aufsätze zur Sprachphilosophie. Millikan präsentiert darin unter anderem eine neue Konzeption sprachlicher Konventionen, wonach der Sprachgebrauch nicht durch Regeln bestimmt wird und biologische Funktionen das eigentliche Fundament der Kommunikation bilden. Sie arbeitet eine eigene Theorie der Bedeutung von Eigennamen und empirischen Ausdrücken aus, deutet die Phänomene um, die zu Fregeanischen Bedeutungstheorien Anlaß gegeben haben, und legt eine originäre, an die sinnliche Wahrnehmung angelehnte Erklärung dafür…mehr

Produktbeschreibung
Der Band versammelt erstmals in deutscher Übersetzung Ruth Millikans wichtigste Aufsätze zur Sprachphilosophie. Millikan präsentiert darin unter anderem eine neue Konzeption sprachlicher Konventionen, wonach der Sprachgebrauch nicht durch Regeln bestimmt wird und biologische Funktionen das eigentliche Fundament der Kommunikation bilden. Sie arbeitet eine eigene Theorie der Bedeutung von Eigennamen und empirischen Ausdrücken aus, deutet die Phänomene um, die zu Fregeanischen Bedeutungstheorien Anlaß gegeben haben, und legt eine originäre, an die sinnliche Wahrnehmung angelehnte Erklärung dafür vor, wie Hörer sprachliche Informationen in sprachliches Verstehen verwandeln und warum es Kindern umstandslos gelingt, ihre Muttersprache zu erlernen.
Autorenporträt
Millikan, Ruth G.Ruth Garrett Millikan, geboren 1933, ist Board of Trustees Distinguished Professor (Emerita) an der University of Connecticut, USA. Im Suhrkamp Verlag ist von ihr erschienen: Die Vielfalt der Bedeutung. Zeichen, Ziele und ihre Verwandtschaft (stw 1829)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2012

Basteln mit dem Bausatz des Naturalismus
Verschlungene Wege vom Leben zur Bedeutung: Ein Band versammelt sprachphilosophische Aufsätze von Ruth G. Millikan

Unter dem Titel "Biosemantik" sind nun sechs sprachphilosophische Aufsätze der Philosophin Ruth Millikan auf Deutsch erschienen. Vor vier Jahren waren bereits Millikans Nicod-Vorlesungen übersetzt worden ("Die Vielfalt der Bedeutung"), ihr Hauptwerk von 1984 aber, "Language, Thought, and other Biological Categories", liegt bis heute nicht auf Deutsch vor. Das ist schade, denn das Gewicht der späteren Texte hängt an der grundsätzlichen Orientierung, die nur das Hauptwerk durchsichtig entwickelt. Wer lediglich die Aufsätze in "Biosemantik" liest, dem wird zwangsläufig vieles merkwürdig und schief vorkommen.

Als "Language, Thought, and other Biological Categories" erschien, klang der Titel aufregend. Eine gewisse Müdigkeit, ja, Erschöpfung hatte das naturalistische Unternehmen erfasst, die geistige Wirklichkeit des menschlichen Lebens auf Vorgänge zurückzuführen, wie sie von Physik und Chemie beschrieben werden. Dieses Programm war von dem Gedanken beseelt, dass es möglich sein muss, den Menschen als Teil der Natur zu verstehen. Es muss möglich sein, das soll hier heißen: Wenn wir meinen, es sei nicht möglich, liefern wir uns dem Aberglauben an eine übersinnliche Wirklichkeit aus, die einem gebildeten Zeitgenossen nicht angemessen ist.

Nun ist aber für jeden, gebildet oder nicht, offensichtlich, dass schon das Tier durch eine Selbsttätigkeit charakterisiert ist, die es über den Zusammenhang des Nicht-Lebendigen, in dem Stoffe und Körper blind aufeinander einwirken, erhebt. In ebendieser Hinsicht, als selbsttätig, charakterisieren wir ein Tier, wenn wir davon sprechen, dass es etwas wahrnimmt, begehrt oder flieht. Wenn der Mensch schon Natur sein soll, dann doch wenigstens Tier. Da wirkt es wie frische Luft, wenn man hört, dass Denken und Sprache als dem Leben zugehörig verstanden werden sollen - als "biological categories".

Bemerkenswert, wie Ruth Millikan die durch ihren Titel geweckte Erwartung enttäuscht. Das "Bio-" führt in die Irre. Millikan gebraucht zwar Worte, die zur Beschreibung des Lebendigen verwendet werden, wie etwa "Funktion". Dabei sagt sie "Eigenfunktion", um anzuzeigen, dass das ihr eigener Terminus technicus ist, den sie deshalb verwenden könne, wie sie möchte. Was eine Eigenfunktion ist, gibt sie in Begriffen an, die allesamt auf Lebendiges wie auf Nicht-Lebendiges gleichermaßen anwendbar sind. Das bedeutet, dass Millikans Begriff der Eigenfunktion so biologisch ist wie der der schweren Masse. Es ist falsch, ihn als "biological category" zu bezeichnen; denn Millikan definiert ihn gerade so, dass er keine innere Beziehung zum Lebendigen hat.

Es ist deshalb auch zunächst offen, ob ihr neu definierter Begriff der Eigenfunktion auf Lebendiges anwendbar ist; und niemand müsste überrascht sein, wenn sich zeigte, dass er nur den Namen mit dem Begriff teilt, der in der Tat ein Grundbegriff der Biologie ist.

Darin, dass ihre Grundbegriffe keine biologischen Kategorien sind, unterscheidet sich Millikan von Autoren, die in den letzten Jahren Hans Jonas' Schrift "Organismus und Freiheit" wiederentdeckt haben (wie etwa Evan Thompson in "Mind in Life"). Jonas erklärt dort, dass Leben Streben ist und Gerichtetsein und unser Denken und Wollen eine Form dieses Charakters des Lebens. Leben in dieser seiner Bestimmung ist eine eigene Sphäre des Seins, und es ist diese Sphäre, in der wir uns finden müssen, wenn wir uns als Teil der Natur finden sollen.

Das klingt schon besser. Das reduktive Unternehmen nämlich läuft nicht zuletzt deshalb auf Grund, weil es die "Normativität" unserer geistigen Tätigkeit nicht versteht: Wenn wir etwas sagen, verwenden wir unsere Worte richtig oder falsch, wenn wir etwas tun, wählen wir taugliche Mittel oder untaugliche, wir handeln gut oder schlecht. Mit dem Leben nun gibt es Gelingen und Scheitern, gut und schlecht. Das scheint also ein aussichtsreicher Ausgangspunkt zu sein.

Aber die Hoffnung trügt. Denn die "Normativität" des Geistes hat eine eigene Form. Wir verwenden nicht nur Worte, sondern wissen, wie man sie verwendet. Das ist ein elementares Merkmal der menschlichen Sprache, das sie als geistig ausweist. Es zeigt sich in Kindern, keine zwei Jahre alt, die kaum sprechen können und das größte Vergnügen daran haben, Worte falsch zu verwenden, falsch auszusprechen - wobei das Vergnügen darin liegt, dass wir gemeinsam wissen, dass das falsch ist, weshalb wir zusammen darüber lachen. Daran aber, dass unser Tun das Bewusstsein seiner Regelhaftigkeit einschließt, scheitert jede Reduktion des Geistes und seiner Normativität auf die des Lebens.

Anstatt zu versuchen, dem reduktiven Unternehmen neues Leben einzuhauchen, indem wir es auf "Bio" umstellen, tun wir besser daran, das Interesse an einer reduktiven Erklärung der geistigen Vermögen des Menschen - ohne welches es kein Interesse an "Biosemantik" gibt - grundsätzlich zu befragen. Eine solche Erklärung gleicht einer Bastelaufgabe: Bestimmte Materialien sind gegeben, etwa Filz, Uhu, Hölzchen, Faden, und aufgegeben ist, mit ihnen und mit ihnen allein ein Schiff zu bauen. Hier sind als Materialien bestimmte Begriffe erlaubt, etwa "Ereignis" und "Kausalität"; aus diesen und nur aus diesen soll das "Leben" (oder "Wahrnehmen" oder "Denken") zusammengebaut werden. Man sieht nun leicht, dass eine solche reduktive Erklärung das Begehren, das der Philosophie zugrunde liegt, nicht befriedigen kann. Denn Philosophie ist das Verlangen, unbedingt zu verstehen. Und "unbedingt" heißt: nicht durch etwas, das seinerseits unverstanden bleibt. In einer reduktiven Erklärung aber werden die Begriffe, die als Materialien zugelassen sind, wohl verwendet, nicht aber untersucht, also auch nicht verstanden.

Das Verlangen, unbedingt zu verstehen, ist kein anderes als das Verlangen, überhaupt zu verstehen. So liegt die Philosophie jeder Wissenschaft zugrunde und ist in ihr wirksam. Oben kam die Auffassung zur Sprache, dass ein gebildeter Zeitgenosse, der sich nicht auf Geisterbeschwörung einlässt, einfach wissen muss, dass der Mensch als Teil der Natur zu beschreiben ist. Wenn das so ist, hat Bildung in unserer Zeit die Wirkung, den Menschen gegen das Begehren der Philosophie abzustumpfen und damit den Grund jeder Wissenschaft aufzulösen. Aber es ist nicht so. Wir können damit anfangen, dass wir denken. Und dann fragen, was daraus folgt für das, was ist. Das ist die richtige Richtung. "Bio" ist die falsche.

SEBASTIAN RÖDL

Ruth G. Millikan: "Biosemantik". Sprachphilosophische Aufsätze.

Aus dem Amerikanischen von Alex Burri. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 205 S., br., 13,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sebastian Rödl nutzt seine Besprechung von Ruth G. Millikans sprachphilosophischen Aufsätzen dazu, uns die problematische Beziehung von Bio und Semantik zu erläutern. Zunächst erklärt er, dass der Band im Grunde schwer verständlich sei ohne die Lektüre von Millikans Hauptwerk von 1984, das allerdings leider nicht auf Deutsch vorliege, wie er feststellt. Eine Lektüreempfehlung sieht anders aus. Was das Bio betrifft, so erklärt er, Millikans Begriffe seien gerade keine biologischen Kategorien. Der Titel des Buches, meint er, führe in die Irre. Über die enthaltenen Aufsätze jedoch sagt das noch wenig.

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