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Dass es Dinge gibt, über die man in einer Familie nicht redet, ist ganz natürlich, findet Jewel. Oder vielleicht kommt einem das auch nur so vor, wenn man am selben Tag geboren wurde, an dem der ältere Bruder gestorben ist. Wenn man dann auch noch in einer Multikulti-Familie auf dem Land lebt, kann das Leben manchmal eine ganz schöne Herausforderung sein. An einem Tag im Sommer taucht plötzlich John auf und zum ersten Mal in ihrem Leben hat Jewel einen Freund. Als dann aber Jewels Vertrauen missbraucht wird, lernt sie, dass man über manche Dinge nicht schweigen darf.

Produktbeschreibung
Dass es Dinge gibt, über die man in einer Familie nicht redet, ist ganz natürlich, findet Jewel. Oder vielleicht kommt einem das auch nur so vor, wenn man am selben Tag geboren wurde, an dem der ältere Bruder gestorben ist. Wenn man dann auch noch in einer Multikulti-Familie auf dem Land lebt, kann das Leben manchmal eine ganz schöne Herausforderung sein.
An einem Tag im Sommer taucht plötzlich John auf und zum ersten Mal in ihrem Leben hat Jewel einen Freund. Als dann aber Jewels Vertrauen missbraucht wird, lernt sie, dass man über manche Dinge nicht schweigen darf.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.08.2014

Bin ich schuld, dass ihr alle verrückt seid?
Alle schweigen, eine redet: Crystal Chan beschert Jewel den Sommer ihres Lebens

Es war ein blöder Witz, ein Bluff, eine von diesen unbedachten Großspurigkeiten, wie sie eben vorkommen unter Zwölfjährigen, und doch hatte es genug Wucht, um eine ganze Familie aus dem Gleichgewicht zu bringen: Er heiße John, sagt der fremde Junge, der schon in der Eiche sitzt, als Jewel in der Nacht nach ihrem Geburtstag nicht schlafen kann und ein Stück die Straße runter zu ihrem Lieblingsbaum geht, von dem aus sie manchmal in den Sternenhimmel schaut. Er sei, sagt der Junge, den Sommer über zu Besuch bei seinem Onkel auf der Nachbarfarm. Und er ist eigentlich ganz nett.

John. Das war der Name von Jewels Bruder, der sich als Fünfjähriger am Tag ihrer Geburt mit einem blauen Badetuch von der Klippe in der Nähe stürzte, weil er glaubte, dass er fliegen kann. "Bird" hatte ihn der Großvater immer genannt. Seitdem spricht der Großvater nicht mehr, alle glauben, dass er schuld ist am Tod des Jungen, und nicht nur über Jewels Geburtstagen, die zugleich Johns Todestage sind, liegt ein Schatten.

In ihrem ersten Roman "Bird und ich und der Sommer, in dem ich fliegen lernte" erzählt Crystal Chan die Geschichte einer an einem Unglück zerbrochenen Familie, einer Freundschaft, eine Geschichte über Herkunft und Selbstbewusstsein. Jewels Großvater kommt aus Jamaika, und zusammen mit seinem Sohn hält er den Aberglauben seiner Heimat wach: Duppys, zumeist böse Geister, könnten die Menschen verführen, man kann sie anziehen, provozieren, sich aber auch vor ihnen schützen. Es muss ein solcher Duppy gewesen sein, der durch den Spitznamen Bird auf den Jungen aufmerksam wurde und ihn zum Sprung in den Tod verleitete. Jetzt taucht ein Junge gleichen Namens auf, und der Großvater ist überzeugt, dass es wieder ein Duppy ist, der diesmal seine Enkelin in die Irre führen will. Eindringlich schildert Crystal Chan, mit welcher Wut und Verzweiflung der alte Mann gegen den Jungen kämpft. Auf dessen Seite sich Jewel schon geschlagen hat: weil endlich einer wagt, das familiäre Schweigen zu durchbrechen.

Dabei hat der Großvater sogar recht: Der Junge hat seine Enkelin wirklich in die Irre geführt. Dass er in Wirklichkeit Eugene heißt, von seinem Onkel die Geschichte vom kleinen John gehört und als flapsigen Spaß dessen Namen übernommen hatte, kann Jewel ihm lange nicht verzeihen. Dass er dann aber keinen Weg aus dieser Lüge herausfindet, kann man sich bei einem Kind seines Alters gut vorstellen.

Auch Eugene wächst an dieser Freundschaft mit Jewel. Und das Mädchen wendet sich, von ihm ermutigt, gegen die Erstarrung ihrer Familie. Der Großvater, die Eltern, alles gerät in Bewegung. Dass diese Bewegung zunächst ein durchaus bedrohliches Wanken ist, dass sich Jewel lange Zeit missverstanden fühlt und zwischen den wechselseitigen Schuldzuweisungen der Eltern tatsächlich fast zu zerbrechen droht, gehört zu den großen Stärken dieses Buchs. In Jewels Geschichte fallen die Gewissheiten: Alle Familienmitglieder, ihre gemeinsame Geschichte und auch der neu gefundene Freund sind anders, als sie dachte. Sogar von sich selbst ist Jewel immer wieder überrascht. Wenn sie um ihr Recht kämpft, gefragt zu werden oder Dinge gesagt zu bekommen, oder um ihr Recht, geliebt zu werden. Wenn sie selbst darüber staunt, welche Wörter ihr gerade aus dem Mund drängen. Wie stark sie eigentlich ist. Dass sie sich - die große, neue Gewissheit in dieser Geschichte - auf sich selbst verlassen kann.

Man darf dieses merkwürdig harmlos wirkende Buch mit den Blüten und Vögelchen in bunten Sommerfarben auf dem Umschlag nicht unterschätzen: Der Kampf gegen die bösen Geister hat seine Wucht, die durch einen Verratsverdacht gefährdete Freundschaft ihre Dramatik, es geht um Leben und Tod bei Crystral Chan. Atempausen gibt es nur, wenn sich die beiden Kinder an der Klippe treffen oder an einem hohlen Baum im Wald, wenn sie sich davon erzählen, wie es um ihre Familien steht, wie sie sich ihre Zukunft vorstellen, was ihnen wichtig ist: Dann schildert die Autorin kunstvoll und unaufdringlich, wie Jewels durchaus kindliche Rechenart, mit der sie eins und eins zusammenzählt, zu einem herausfordernden Ergebnis führt. Geschickt schlägt sie mit den Berufsphantasien der Kinder und ihren Naturbeobachtungen Saiten an, deren Klang das Buch nicht nur zu einem Erlebnis macht, sondern zu einem Genuss.

FRIDTJOF KÜCHEMANN

Crystal Chan: "Bird und ich und der Sommer, in dem ich fliegen lernte". Aus dem Englischen von Sandra Knuffinke und Jessika Komina. Magellan Verlag, Bamberg 2014. 304 S., geb., 14,95 [Euro]. Ab 11 J.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Von der harmlosen Anmutung des Buches sollte man sich nicht täuschen lassen, baut Rezensent Fridtjof Küchemann falschen Erwartungen vor: "Es geht um Leben und Tod bei Crystal Chan". Tatsächlich erzählt die Autorin eine recht düstere Geschichte über eine Familie, die am Tod des Sohnes zu zerbrechen droht. Erst die Freundschaft der jüngeren Tochter zu einem etwas schrägen Jungen bringt die in Trauer und Verzweiflung erstarrte Familie wieder in Bewegung. Und obwohl die Autorin so viel Traurigkeit und den jamaikanischen Glauben an böse Geister in ihre Geschichte einbindet, verspricht der Rezensent ein sehr schöne Lektüre und echten Genuss.

© Perlentaucher Medien GmbH