Ein Jahr verbrachte der amerikanische Soldat Jonathan Trouern- Trend im Irak. Wann immer er neben seinen Armeeeinsätzen Zeit fand, beobachtete er Vögel - nahe Bagdad, in Mosul, am Tigris und in den Ruinen von Babylon. Er führte Tagebuch über Eulen auf Zementbunkern, Bienenfresser auf Starkstromleitungen, bunt gefiederte Eisvögel und Turmfalken in Schutthaufen. Birding Babylon versammelt seine schönsten Einträge. Ein verblüffendes Buch mit zauberhaften Vogelillustrationen, das uns ein Land im Krieg zeigt, wie wir es nie kennengelernt haben. "Ich hoffe, ich werde eines Tages in den Irak zurückkehren, nur mit Fernglas und Kamera bewaffnet. Vielleicht werde ich mit einem irakischen Freund die Wüste abfahren, die Flusstäler, die Marschen und die Berge, auf der Suche nach den Vögeln, die ich noch nicht gesehen habe. Wir werden darüber sprechen, wie herrlich es ist, ohne Zäune zu leben und dorthin gehen zu können, wo die Vögel sind, anstatt darauf zu warten, dass sie auf unser Gelände flattern. Wie nah oder fern diese Zukunft auch sein mag, ich weiß, die Vögel werden warten." Jonathan Trouern-Trend
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.01.2010Weißohrbülbül
Marcel Beyer liest in Wiesbaden aus "Birding Babylon"
"Ausgewählte Passagen aus Prosa und Lyrik" werde Marcel Beyer lesen. So hatte es das Literaturhaus Villa Clementine in Wiesbaden angekündigt. Aber das tat er nicht. Beyer, in diesem Wintersemester Inhaber der 11. Poetikdozentur der Hochschule Rhein-Main, las zum Abschluss seiner Vortragsreihe aus "Birding Babylon" von Jonathan Trouern-Trend. Der Roman mit dem deutschen Untertitel "Tagebuch eines Soldaten im Irak" entstand aus Blog-Einträgen des Berufssoldaten und Hobby-Ornithologen Trend. Das Vorwort für die deutsche Übersetzung hat Beyer verfasst.
Der gibt zu, als er zum ersten Mal von Trend gehört habe, habe er geglaubt, dass ihn nichts mit diesem Mann verbinde. Ein überzeugter Anhänger des Irak-Einsatzes, ein Soldat sei der Amerikaner. "Ich habe nicht einmal Wehrdienst geleistet", sagt Beyer. Dann aber habe ihn dieser Mann fasziniert, der in voller Einsatzmontur mit Helm, Bleiweste und Waffe die gefährliche Umgebung seines Camps erkundet habe - auf der Suche nach Vögeln.
In seinem gedruckten Internettagebuch beschreibt er dann etwa den Zusammenstoß eines Vogels mit einem Helikopter. Das 40 Zentimeter große Tier durchschlägt die Glasscheibe und bleibt im Innenraum der Flugmaschine liegen. Trend identifiziert es als "Spießflughuhn". Anderntags wartet er ungeduldig auf die Ankunft von Störchen, die das Gebiet, in dem er stationiert ist, auf ihrem Weg nach Süden passieren müssen, oder bestaunt die Lachmöwe "in den verschiedenen Stadien der Mauser". Über den Kriegseinsatz selbst verliert er kaum ein Wort. Trend, Angehöriger einer Sanitätseinheit, schweigt über Elend, Verwundete und Tote. Nur über Formulierungen bringt sich der Krieg in Erinnerung. So beschreibt Trend einen Langohrigel etwa als "stacheliges weißes Luftkissenboot".
Trend habe befürchten müssen, militärische Informationen preiszugeben, und habe deshalb Orte und Berichte über das Kriegsgeschehen unerwähnt gelassen, mutmaßt Beyer. Anlässlich von Sätzen wie "Ich hatte das Glück, hier sein zu dürfen, auf einer Mission, an die ich glaube", befragte Hubert Spiegel, Redakteur dieser Zeitung, den Autor, ob Trend nicht Realitätsverweigerung vorzuwerfen sei. Auch der Kriegsbefürworter Ernst Jünger habe im Kaukasus Käfer gesammelt.
Beyer, der einräumt, niemand, der nur ein Buch über den Irak-Krieg lesen wolle, solle sich für dieses entscheiden, sieht in dem scheinbar weltfremden Vogelkundler eine Simplicissimus-Figur. Trend habe auf diese Art eine Methode gefunden, angesichts des Krieges nicht verrückt zu werden. Das sei "keine Weltflucht", sondern ordne das Kriegsgeschehen "in größere, weitere Zusammenhänge ein". Beyer, der im Kopf ein sogenanntes "Sprachwanderbuch" führt, in dem er ausgefallene Ortsnamen und Dialektausdrücke notiert, war außerdem begeistert von einigen der vorkommenden Vogelnamen. Ein "Weißohrbülbül" könne genauso gut ein Monster sein wie eine Tierbezeichnung.
ANDRÉ WEIKARD
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Marcel Beyer liest in Wiesbaden aus "Birding Babylon"
"Ausgewählte Passagen aus Prosa und Lyrik" werde Marcel Beyer lesen. So hatte es das Literaturhaus Villa Clementine in Wiesbaden angekündigt. Aber das tat er nicht. Beyer, in diesem Wintersemester Inhaber der 11. Poetikdozentur der Hochschule Rhein-Main, las zum Abschluss seiner Vortragsreihe aus "Birding Babylon" von Jonathan Trouern-Trend. Der Roman mit dem deutschen Untertitel "Tagebuch eines Soldaten im Irak" entstand aus Blog-Einträgen des Berufssoldaten und Hobby-Ornithologen Trend. Das Vorwort für die deutsche Übersetzung hat Beyer verfasst.
Der gibt zu, als er zum ersten Mal von Trend gehört habe, habe er geglaubt, dass ihn nichts mit diesem Mann verbinde. Ein überzeugter Anhänger des Irak-Einsatzes, ein Soldat sei der Amerikaner. "Ich habe nicht einmal Wehrdienst geleistet", sagt Beyer. Dann aber habe ihn dieser Mann fasziniert, der in voller Einsatzmontur mit Helm, Bleiweste und Waffe die gefährliche Umgebung seines Camps erkundet habe - auf der Suche nach Vögeln.
In seinem gedruckten Internettagebuch beschreibt er dann etwa den Zusammenstoß eines Vogels mit einem Helikopter. Das 40 Zentimeter große Tier durchschlägt die Glasscheibe und bleibt im Innenraum der Flugmaschine liegen. Trend identifiziert es als "Spießflughuhn". Anderntags wartet er ungeduldig auf die Ankunft von Störchen, die das Gebiet, in dem er stationiert ist, auf ihrem Weg nach Süden passieren müssen, oder bestaunt die Lachmöwe "in den verschiedenen Stadien der Mauser". Über den Kriegseinsatz selbst verliert er kaum ein Wort. Trend, Angehöriger einer Sanitätseinheit, schweigt über Elend, Verwundete und Tote. Nur über Formulierungen bringt sich der Krieg in Erinnerung. So beschreibt Trend einen Langohrigel etwa als "stacheliges weißes Luftkissenboot".
Trend habe befürchten müssen, militärische Informationen preiszugeben, und habe deshalb Orte und Berichte über das Kriegsgeschehen unerwähnt gelassen, mutmaßt Beyer. Anlässlich von Sätzen wie "Ich hatte das Glück, hier sein zu dürfen, auf einer Mission, an die ich glaube", befragte Hubert Spiegel, Redakteur dieser Zeitung, den Autor, ob Trend nicht Realitätsverweigerung vorzuwerfen sei. Auch der Kriegsbefürworter Ernst Jünger habe im Kaukasus Käfer gesammelt.
Beyer, der einräumt, niemand, der nur ein Buch über den Irak-Krieg lesen wolle, solle sich für dieses entscheiden, sieht in dem scheinbar weltfremden Vogelkundler eine Simplicissimus-Figur. Trend habe auf diese Art eine Methode gefunden, angesichts des Krieges nicht verrückt zu werden. Das sei "keine Weltflucht", sondern ordne das Kriegsgeschehen "in größere, weitere Zusammenhänge ein". Beyer, der im Kopf ein sogenanntes "Sprachwanderbuch" führt, in dem er ausgefallene Ortsnamen und Dialektausdrücke notiert, war außerdem begeistert von einigen der vorkommenden Vogelnamen. Ein "Weißohrbülbül" könne genauso gut ein Monster sein wie eine Tierbezeichnung.
ANDRÉ WEIKARD
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