Produktdetails
- Piper Taschenbuch Bd.2904
- Verlag: Piper
- 2000.
- Seitenzahl: 161
- Deutsch
- Abmessung: 16mm x 120mm x 189mm
- Gewicht: 190g
- ISBN-13: 9783492229043
- ISBN-10: 3492229042
- Artikelnr.: 08538153
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.09.1998Im Urschlamm der Hauptstadt
Alte Zeit, neue Zeit: Karin Reschkes Erzählung "Birnbaums Bilder"
Immer mehr hat sich Karin Reschke in ihren Büchern Berlin genähert, dem Ort, wo sie lebt. Sechzehn Jahre ist es her, daß sie Aufmerksamkeit erregte mit dem "Findebuch", dem fiktiven Tagebuch jener Berliner Bürgerin Henriette Vogel, die einst am Wannsee gemeinsam mit Heinrich von Kleist in den Tod und die literarische Unsterblichkeit ging. Der ruhige, verhaltene Ton, das vorsichtige Nachspüren von Gefühlen ist Karin Reschke geblieben, auch wenn bei ihr danach das neue, gegenwärtige Berlin in den Vordergrund trat, in Erzählungen ebenso wie vor ein paar Jahren in dem Roman "Asphaltvenus" (1994), der Kriminalgeschichte um Tosca, die Stadtstreicherin in Dahlemer Museen.
"Birnbaums Bilder" nun, das jüngste von Karin Reschkes Büchern, scheint ganz und gar eine Geschichte des heutigen Berlin zu sein. Denn die Bilder, um die es geht, sind die zahllosen Fotografien, die der an den Rollstuhl gefesselte ehemalige Ingenieur von den gewaltigen Baustellen der neuen Hauptstadt anfertigen läßt, also Bilder von "Urschlamm", Abgründen und den "Betongerippen" am Potsdamer Platz - und das alles nur, um herauszufinden, "was die Vergangenheit und die Stadt heute miteinander verbinde".
So abstrakt und nüchtern, wie es klingt, ist das Resultat dann glücklicherweise nicht. Denn vor allem wird ja doch die Geschichte von der langsamen Annäherung zwischen dem starrköpfigen, kapriziösen gelähmten alten Mann und seiner jungen Fotografin Maruscha erzählt, die ihn pflegt und schließlich heiratet. Oder geht es bei diesem Buch eher um die Geschichte der ein wenig schmerzhaften Trennung zweier Geschwister? Immerhin sollte Maruschas Bruder Josef zuerst Pfleger sein, während sie selbst nur zum Fotografieren und Wirtschaften mitgekommen war, damit sich das Paar genügend Geld verdiene, um nach Arizona zu entfliehen. Aber dann verfällt Josef einer labilen Dame namens Anemone und verschwindet nach Italien.
Dorthin allerdings wird auch die Schwester kommen auf der winterlichen Hochzeitsreise an den Lago Maggiore, wo man Giorgio Palmer, dem einstigen Tunnelbauer und Freund Birnbaums, begegnet und wo die alten Herren dann Erinnerungen austauschen: "Palmer hat dem Berg und seinem Beruf den Rücken gekehrt, wie ich der Stadt den Rücken gekehrt habe, meinem Beruf, unsere Zeit ist vorbei." Nur ist damit die Geschichte noch nicht ganz zu Ende: ein spektakulärer Schluß wird folgen, der beide Freunde in den Tod stürzt, jeden auf seine Weise, bloß daß einer gegen alle Wahrscheinlichkeit überlebt, so daß in Maruschas Garten demnächst eine Palme statt des Birnbaums stehen dürfte.
Im Grunde ist es eine ziemlich diffuse, allenfalls nach einer etwas verwirrenden Parabel schmeckende Geschichte, die Karin Reschke hier aufgeschrieben hat. Wäre dieses Berlin denn nicht ersetzbar durch jede andere große Stadt? Und geht es wirklich um das "Siamesische" dieses Geschwisterpaares, das sich ohne großen Gemütsaufwand voneinander löst? Oder soll vielmehr das Psychogramm eines Mannes entworfen werden, den das Schicksal gelähmt hat, der sich aber dagegen wehrt, wie er sich gegen den eigenen Sohn wehrt, der ihn aufs schnellste beerben möchte? Alles in allem scheint dieses Buch zu zerfallen in eine Anzahl unverbundener Bestandteile und sollte als ausbalanciertes Kunstwerk nicht so recht funktionieren. Dennoch tut es gerade das: man liest diese Erzählung, wenn nicht mit Spannung, so doch mit zunehmender Aufmerksamkeit und Neugier.
Das hängt in erster Linie mit der dichten, genau beobachteten Wirklichkeit zusammen, von der hier erzählt wird, vom Interieur der großen Villa Birnbaums in der Königsallee ebenso wie vom Exterieur der Großbaustelle Berlin. Genau beobachtet sind zudem die Reaktionen und Überreaktionen eines an körperliche Behinderung wie an eine alte Zeit gebundenen Menschen, der sich ihr im doppelten Sinne widersetzt, der Vergangenheit wie dem Vergehen schlechthin. Hinter aller Schrulligkeit und Eigenbrötelei dieses Eingeschlossenen werden tiefe Gefühle für andere spürbar. Seelenbilder also sind es am Ende, die hier nicht fotografiert, sondern mit einem feinen Stift skizziert werden. GERHARD SCHULZ
Karin Reschke: "Birnbaums Bilder". Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 1998. 162 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alte Zeit, neue Zeit: Karin Reschkes Erzählung "Birnbaums Bilder"
Immer mehr hat sich Karin Reschke in ihren Büchern Berlin genähert, dem Ort, wo sie lebt. Sechzehn Jahre ist es her, daß sie Aufmerksamkeit erregte mit dem "Findebuch", dem fiktiven Tagebuch jener Berliner Bürgerin Henriette Vogel, die einst am Wannsee gemeinsam mit Heinrich von Kleist in den Tod und die literarische Unsterblichkeit ging. Der ruhige, verhaltene Ton, das vorsichtige Nachspüren von Gefühlen ist Karin Reschke geblieben, auch wenn bei ihr danach das neue, gegenwärtige Berlin in den Vordergrund trat, in Erzählungen ebenso wie vor ein paar Jahren in dem Roman "Asphaltvenus" (1994), der Kriminalgeschichte um Tosca, die Stadtstreicherin in Dahlemer Museen.
"Birnbaums Bilder" nun, das jüngste von Karin Reschkes Büchern, scheint ganz und gar eine Geschichte des heutigen Berlin zu sein. Denn die Bilder, um die es geht, sind die zahllosen Fotografien, die der an den Rollstuhl gefesselte ehemalige Ingenieur von den gewaltigen Baustellen der neuen Hauptstadt anfertigen läßt, also Bilder von "Urschlamm", Abgründen und den "Betongerippen" am Potsdamer Platz - und das alles nur, um herauszufinden, "was die Vergangenheit und die Stadt heute miteinander verbinde".
So abstrakt und nüchtern, wie es klingt, ist das Resultat dann glücklicherweise nicht. Denn vor allem wird ja doch die Geschichte von der langsamen Annäherung zwischen dem starrköpfigen, kapriziösen gelähmten alten Mann und seiner jungen Fotografin Maruscha erzählt, die ihn pflegt und schließlich heiratet. Oder geht es bei diesem Buch eher um die Geschichte der ein wenig schmerzhaften Trennung zweier Geschwister? Immerhin sollte Maruschas Bruder Josef zuerst Pfleger sein, während sie selbst nur zum Fotografieren und Wirtschaften mitgekommen war, damit sich das Paar genügend Geld verdiene, um nach Arizona zu entfliehen. Aber dann verfällt Josef einer labilen Dame namens Anemone und verschwindet nach Italien.
Dorthin allerdings wird auch die Schwester kommen auf der winterlichen Hochzeitsreise an den Lago Maggiore, wo man Giorgio Palmer, dem einstigen Tunnelbauer und Freund Birnbaums, begegnet und wo die alten Herren dann Erinnerungen austauschen: "Palmer hat dem Berg und seinem Beruf den Rücken gekehrt, wie ich der Stadt den Rücken gekehrt habe, meinem Beruf, unsere Zeit ist vorbei." Nur ist damit die Geschichte noch nicht ganz zu Ende: ein spektakulärer Schluß wird folgen, der beide Freunde in den Tod stürzt, jeden auf seine Weise, bloß daß einer gegen alle Wahrscheinlichkeit überlebt, so daß in Maruschas Garten demnächst eine Palme statt des Birnbaums stehen dürfte.
Im Grunde ist es eine ziemlich diffuse, allenfalls nach einer etwas verwirrenden Parabel schmeckende Geschichte, die Karin Reschke hier aufgeschrieben hat. Wäre dieses Berlin denn nicht ersetzbar durch jede andere große Stadt? Und geht es wirklich um das "Siamesische" dieses Geschwisterpaares, das sich ohne großen Gemütsaufwand voneinander löst? Oder soll vielmehr das Psychogramm eines Mannes entworfen werden, den das Schicksal gelähmt hat, der sich aber dagegen wehrt, wie er sich gegen den eigenen Sohn wehrt, der ihn aufs schnellste beerben möchte? Alles in allem scheint dieses Buch zu zerfallen in eine Anzahl unverbundener Bestandteile und sollte als ausbalanciertes Kunstwerk nicht so recht funktionieren. Dennoch tut es gerade das: man liest diese Erzählung, wenn nicht mit Spannung, so doch mit zunehmender Aufmerksamkeit und Neugier.
Das hängt in erster Linie mit der dichten, genau beobachteten Wirklichkeit zusammen, von der hier erzählt wird, vom Interieur der großen Villa Birnbaums in der Königsallee ebenso wie vom Exterieur der Großbaustelle Berlin. Genau beobachtet sind zudem die Reaktionen und Überreaktionen eines an körperliche Behinderung wie an eine alte Zeit gebundenen Menschen, der sich ihr im doppelten Sinne widersetzt, der Vergangenheit wie dem Vergehen schlechthin. Hinter aller Schrulligkeit und Eigenbrötelei dieses Eingeschlossenen werden tiefe Gefühle für andere spürbar. Seelenbilder also sind es am Ende, die hier nicht fotografiert, sondern mit einem feinen Stift skizziert werden. GERHARD SCHULZ
Karin Reschke: "Birnbaums Bilder". Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 1998. 162 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main