In diesem Reihen-Auftakt präsentiert sich uns diese Welt auf der einen Seite als Vereinigtes Europa, auch NuYu genannt, wo Fortschritt, Harmonie und Fürsorge im Zentrum der von Frauen regierten Gemeinschaft stehen, während die andere Seite, die der in Reservaten lebenden Menschen, unserer Zeit ein
wenig hinterherhinkt, sich der steten Kontrolle entzieht und dafür in Kauf nimmt, auf die technischen…mehrIn diesem Reihen-Auftakt präsentiert sich uns diese Welt auf der einen Seite als Vereinigtes Europa, auch NuYu genannt, wo Fortschritt, Harmonie und Fürsorge im Zentrum der von Frauen regierten Gemeinschaft stehen, während die andere Seite, die der in Reservaten lebenden Menschen, unserer Zeit ein wenig hinterherhinkt, sich der steten Kontrolle entzieht und dafür in Kauf nimmt, auf die technischen und medizinischen Fortschritte NuYus verzichten zu müssen. Doch was sich im ersten Moment recht simpel oder, verglichen mit anderen Dystopien, vielleicht sogar auch etwas langweilig anhören mag, ist es in Wahrheit nicht, denn hinter diesem Grundgerüst steckt noch einiges mehr, als das oberflächlich betrachtete Konstrukt dieser Zukunftsvision zunächst erahnen lässt. So darf in einem solchen Buch natürlich auch die Seite nicht fehlen, die ihre weitläufigen Schatten über die so scheinbar gut strukturierte und friedliche Welt wirft. Stete Kontrolle unter dem Deckmantel der Fürsorge, gezielte Ausrottung der Unerwünschten Bürger durch Viren und Übergriffe, Ausnutzung von Macht, Schüren von Angst, Lügen und Intrigen sind es, die sich im Schutz der Schatten über die hier erschaffene Welt ziehen und das Grundgerüst abrunden.
Highlight dieser Geschichte sind die einzigartigen und mehr als sympathischen Charaktere, denen der Leser auf den rund 380 Seiten über den Weg läuft und die sich mit ihren spritzigen und humorvollen Dialogen zu meinen absoluten Lieblingen gemausert haben. Mit Eindimensionalität und farblosen, scheinbar nur als Spielfiguren eingesetzten Charakteren wird sich hier nicht aufgehalten, nein, dem Leser werden Protagonisten präsentiert, die sich ungeniert ihren Launen und Frotzeleien hingeben, die Ecken und Kanten haben, sich auch mal selbst auf die Schippe nehmen können und eine erfrischende Natürlichkeit ihr Eigen nennen können. So haben wir hier die junge Electi Kyria, die ein stets privilegiertes und wohl behütetes Leben geführt hat, die es gewöhnt ist, in einer Welt zu leben, in der Männer nichts zu sagen und nur eine Rolle als Spaßobjekt oder Handlanger inne haben. Doch Kyrias Leben ändert sich abrupt, als der uncharmante Lümmel Reb in ihr Leben tritt und unmissverständlich klar macht, dass er kein Erbarmen mit Elitezicken hat und er Kannnicht und Willnicht nicht gelten lässt. Für Kyria bedeutet es allerdings eine gewaltige Umstellung, sich von einem Mann etwas sagen zu lassen und dazu auch noch von einem solch ungehobelten Exemplar, was für witzige und erfrischende Wortgefechte zwischen den beiden sorgt. Doch nicht nur der Schlagabtausch zwischen den Hauptcharakteren sorgen für Schmunzler und Lacher, sondern auch Kyrias Beschreibungen ihrer Umgebung. So wird zum Beispiel der bevorstehende Ritt auf einem Pferd oder die Fahrt auf einem Zweirad mit Kindersarg nicht nur zu einem Abenteuer für unsere Helden, sondern reihen sich auch in die Liste der witzigsten Szenen dieser Geschichte ein.
Bei all dem Pfeffer, den die Autorin diesem Buch gegeben hat, vergisst sie jedoch nicht auch die Charaktere mit dem nötigen Ernst zu versorgen. So haben sowohl Kyria als auch Reb neben ihren Unterschieden doch eins gemeinsam: ein Päckchen, welches nur schwer zu schultern ist und tiefe Wunden in ihnen hinterlassen hat. Während Kyria bereits als Kind erfahren musst, dass sie an einem Gendefekt leidet und fortan mit der ständigen Angst lebte, ihre Krankheit könne jeden Moment ausbrechen und ihr Leben fordern, hat Reb auf der anderen Seite schon früh erfahren, was es heißt, ungewollt zu sein, verlassen und verstoßen zu werden, was ihn schlussendlich sowohl hart als auch verschlossen werden ließ. Diese Erfahrungen sind es, die den beiden eine gewisse Tiefe verleihen, sie Dinge hinterfragen und Ziele setzen lässt.