David Bodanis macht die Relativitätstheorie auch für Laien verständlich. Er berichtet von den Vorläufern Einsteins, ihren Forschungen und Entdeckungen, ihren Schicksalen, Eifersüchteleien und Schrulligkeiten. Und er schildert die Folgen, die Einsteins bahnbrechende Erkenntnisse bis heute für die Welt haben. Wissenschaft ohne Berührungsangst. Bildlegende: In einem Interview wurde die Schauspielerin Cameron Diaz einmal gefragt, ob es irgend etwas auf der Welt gäbe, was sie wissen möchte. Ja, sagte sie verlegen, sie wüsste gern, was E = mc2 bedeutet. David Bodanis kam ihrem Wunsch nach und erzählt Miss Diaz (und uns) die berühmteste aller Formeln. "Bis Einstein kam" entschlüsselt die Relativitätstheorie Albert Einsteins und nimmt allen, denen Mathematik und Physik rätselhaft sind, den Minderwertigkeitskomplex.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.2001Ich bin schwer, weil ich so träge bin
Aber Frauen ziehen uns hinan: David Bodanis erklärt Einsteins Einsichten in das Wesen der Masse
Die Gleichung, in der Albert Einstein im Jahre 1905 Energie und Masse verknüpft hat, ist die berühmteste der Welt. In einer Masse m, so lautet die von Einstein in mathematischer Form vorgelegte Einsicht, steckt die Menge an Energie E, die sich ergibt, wenn man die Masse mit dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit multipliziert: E = mc², das bekannte "E-gleich-m-c-Quadrat". Der Buchstabe c kürzt dabei die Geschwindigkeit des Lichts ab, von der Einstein voraussetzte, daß sie konstant ist. Konstanten werden gerne mit c bezeichnet; in diesem Fall paßt es besonders gut, da Geschwindigkeit auf lateinisch "celeritas" heißt. Die Gleichung hat gewaltige Konsequenzen, die zum Beispiel Harald Fritzsch unter dem Titel "Eine Formel verändert die Welt" geschildert hat. Tatsächlich steckt in Einsteins einfacher Gleichung der Schlüssel zu den Explosionen, die mit Atomwaffen ausgelöst werden können.
Die fünf Symbole (E, =, m, c und das Quadratzeichen) haben also eine spannende Geschichte, und Bodanis erzählt sie ganz von vorne, indem er zunächst jedem der "Ahnen" der Gleichung einen langen und wunderbaren Abschnitt widmet. Er erklärt sehr pfiffig, wie Energie, Masse und die anderen das Licht der Wissenschaft erblickt haben, und er würzt seine Darstellung mit vielen historischen Geschichten. Als besondere Dienstleistung des Autors gibt es am Ende des Buches ein Kapitel "Nachgehakt", in dem viele Spuren im Text bis an ihr Ende verfolgt werden. Eine gute Idee, die dem Buch erlaubt, ohne Fußnoten auszukommen.
Wer den deutschen Untertitel liest - "Die abenteuerliche Suche nach dem Geheimnis der Welt" -, denkt und hofft, daß der wissenschaftliche Spaß des lesenden Entdeckens danach weitergehen könnte, aber diese Erwartung wird leider etwas enttäuscht. Bodanis entwickelt in der Mitte des Buches den Ehrgeiz, nicht nur die Physik der Atome, sondern auch die dazugehörige Politik zu erzählen. Natürlich müssen Los Alamos und Hiroshima erwähnt werden, wenn Einsteins Gleichung vorgestellt wird, aber es bleibt unerfindlich, warum ausgerechnet in diesem Rahmen erneut die vielen unklaren Fragen erörtert werden müssen, die sich in Hinblick auf das eher unglückliche und nie zu einem Abschluß gekommene deutsche Kernwaffenprojekt im Zweiten Weltkrieg stellen. Sie bleiben bei Bodanis bestenfalls so unklar wie vorher, weil er sich nicht entscheiden kann: Er möchte auf der einen Seite die große Gefahr beschwören, die aus Deutschland durch den "Uranverein" drohte, der unter der Leitung von Werner Heisenberg versuchte, Kernenergie freizusetzen. Auf der anderen Seite kann Bodanis Heisenberg überhaupt nicht leiden, und so möchte er dem wahrscheinlich fähigsten aller Physiker der damaligen Zeit unterstellen, gar nicht verstanden zu haben, wie man eine Bombe baut.
Die deutsche Bedrohung ist also abwechselnd groß und klein, und man hofft, der Autor finde endlich wieder zu den Physikern zurück, denen er Sympathie entgegenbringt. Wenn er von ihnen - zum Beispiel von Michael Faraday und James Clerk Maxwell - erzählt, läuft er zu Hochform auf, vor allem bei seiner Beschreibung des "Weihnachtsspaziergangs im Schnee", den Lise Meitner mit ihrem Neffen Otto Robert Frisch in Schweden unternommen hat und bei dem im Dezember 1938 zum ersten Mal klar wurde, daß Einsteins Gleichung mit der Lichtgeschwindigkeit bis in das Innere der Atome reicht und erklärt, wie es möglich ist, daß ein Neutron einen Urankern in zwei Hälften spaltet und dabei Energie frei wird. Neben Lise Meitner spielen zwei andere Frauen eine wichtige Rolle in der Geschichte, und zwar Émilie du Châtelet und Cecilia Payne. Es ist nicht anzunehmen, daß diese beiden Namen weithin bekannt sind, und deshalb ist es um so verdienstvoller, daß ihre Beiträge zur Geschichte der Wissenschaft einmal leicht zugänglich werden.
Émilie du Châtelet widmete sich zur Zeit Voltaires intensiv dem Problem der Masse, während Cecilia Payne zu Beginn des 20. Jahrhunderts als "eine Frau, die Fragen stellt" die akademische Männergesellschaft in Cambridge aufwirbelte. Mit ihrer Hartnäckigkeit löste sie Einsteins Gleichung "aus ihrer Erdgebundenheit", wie Bodanis schreibt: Sie zeigte, "daß unsere Sonne und alle anderen Sterne am Himmelsgewölbe mächtige Energiequellen sind, deren Funktion auf der Gleichung E = mc² beruht". Und aufgrund dieser Feststellung läßt sich sagen, daß es Frauen waren - Lise Meitner und Cecilia Payne -, die den Mut aufbrachten, das zu Ende zu führen, was Einstein für die Alltagswelt entdeckt hatte. Die eine fand den Weg nach innen - in das Atom -, und die andere fand den Weg nach außen - in den Kosmos. In beiden Fällen sind die Konsequenzen erstens ungeheuerlich und zweitens bis heute noch keineswegs vollständig erfaßt oder verstanden.
An dieser Stelle könnte die Frage auftauchen, warum Einstein selbst nicht auf die Ideen der beiden Frauen gekommen ist, und die vollständige Antwort darauf ist keineswegs trivial. Einen - vielleicht überraschenden - Aspekt gilt es an dieser Stelle aber deutlich zu machen, nämlich den, daß Einstein seine Gleichung nicht in der Form niedergeschrieben hat, in der sie alle Welt heute zitiert. Als Einstein 1905 in Bern als Angestellter des dortigen Patentamtes genügend Zeit fand, über Physik nachzudenken - er nannte die Schublade seines Stehpultes sein "Büro für theoretische Physik" -, wollte er nicht wissen, wieviel Energie in einer gegebenen Masse steckt. Er wollte vielmehr genau das Umgekehrte wissen, nämlich ob sich die Trägheit eines Körpers mit seinem Energieinhalt ändert, und es ist schade, daß sich Bodanis hierzu nur mit einer sehr kurzen Anmerkung weit hinten im Buch (auf Seite 270) äußert.
Einsteins Problem steckte nicht in der Energie, sondern in der Masse. Was ist das? Woher kommt sie? Und was hat sie mit Energie zu tun? Die Physiker unterscheiden zwei Formen der Masse, die sie mit den Attributen "träge" und "schwer" kennzeichnen. Die Schwere einer Masse verleiht ihr das, was man als Gewicht auf einer Waage messen kann, und die Trägheit ist das, was eine Masse allen Bemühungen entgegenstellt, sie zu beschleunigen. Je schwerer ein Ding oder ein Körper ist, desto mehr Kraft wird benötigt, ihn in Bewegung zu versetzen. Eine der schwierigen Fragen der Physik des 19. Jahrhunderts betraf die genaue Verbindung zwischen der Trägheit und der Schwere. Dies war ein Problem, bis Einstein kam und erklärte, daß beide ein und dasselbe sind. Punkt. Aus diesem Gedanken entwickelte er seine Allgemeine Relativitätstheorie.
Der Weg dorthin führte über die Lösung der oben gestellten Frage, was die Energie, die ein Körper mit sich führt - zum Beispiel als Bewegungsenergie -, mit der Kraft zu tun hat, die man zu seiner weiteren Beschleunigung aufwenden muß. Einstein hatte 1905 bereits das publiziert, was heute "Spezielle Relativitätstheorie" heißt, als ihm auffiel, daß die dabei verwendeten Prinzipien es nahelegten, "daß die Masse direkt ein Maß für die im Körper enthaltene Energie ist", wie er 1905 an einen Freund schrieb; um hinzuzufügen: "Die Überlegung ist lustig und bestechend; aber ob der Herrgott nicht darüber lacht und mich an der Nase herumgeführt hat, das kann ich nicht wissen." Haben wir heute darauf eine Antwort?
ERNST PETER FISCHER.
David Bodanis: "Bis Einstein kam". Die abenteuerliche Suche nach dem Geheimnis der Welt. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 2001. 352 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aber Frauen ziehen uns hinan: David Bodanis erklärt Einsteins Einsichten in das Wesen der Masse
Die Gleichung, in der Albert Einstein im Jahre 1905 Energie und Masse verknüpft hat, ist die berühmteste der Welt. In einer Masse m, so lautet die von Einstein in mathematischer Form vorgelegte Einsicht, steckt die Menge an Energie E, die sich ergibt, wenn man die Masse mit dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit multipliziert: E = mc², das bekannte "E-gleich-m-c-Quadrat". Der Buchstabe c kürzt dabei die Geschwindigkeit des Lichts ab, von der Einstein voraussetzte, daß sie konstant ist. Konstanten werden gerne mit c bezeichnet; in diesem Fall paßt es besonders gut, da Geschwindigkeit auf lateinisch "celeritas" heißt. Die Gleichung hat gewaltige Konsequenzen, die zum Beispiel Harald Fritzsch unter dem Titel "Eine Formel verändert die Welt" geschildert hat. Tatsächlich steckt in Einsteins einfacher Gleichung der Schlüssel zu den Explosionen, die mit Atomwaffen ausgelöst werden können.
Die fünf Symbole (E, =, m, c und das Quadratzeichen) haben also eine spannende Geschichte, und Bodanis erzählt sie ganz von vorne, indem er zunächst jedem der "Ahnen" der Gleichung einen langen und wunderbaren Abschnitt widmet. Er erklärt sehr pfiffig, wie Energie, Masse und die anderen das Licht der Wissenschaft erblickt haben, und er würzt seine Darstellung mit vielen historischen Geschichten. Als besondere Dienstleistung des Autors gibt es am Ende des Buches ein Kapitel "Nachgehakt", in dem viele Spuren im Text bis an ihr Ende verfolgt werden. Eine gute Idee, die dem Buch erlaubt, ohne Fußnoten auszukommen.
Wer den deutschen Untertitel liest - "Die abenteuerliche Suche nach dem Geheimnis der Welt" -, denkt und hofft, daß der wissenschaftliche Spaß des lesenden Entdeckens danach weitergehen könnte, aber diese Erwartung wird leider etwas enttäuscht. Bodanis entwickelt in der Mitte des Buches den Ehrgeiz, nicht nur die Physik der Atome, sondern auch die dazugehörige Politik zu erzählen. Natürlich müssen Los Alamos und Hiroshima erwähnt werden, wenn Einsteins Gleichung vorgestellt wird, aber es bleibt unerfindlich, warum ausgerechnet in diesem Rahmen erneut die vielen unklaren Fragen erörtert werden müssen, die sich in Hinblick auf das eher unglückliche und nie zu einem Abschluß gekommene deutsche Kernwaffenprojekt im Zweiten Weltkrieg stellen. Sie bleiben bei Bodanis bestenfalls so unklar wie vorher, weil er sich nicht entscheiden kann: Er möchte auf der einen Seite die große Gefahr beschwören, die aus Deutschland durch den "Uranverein" drohte, der unter der Leitung von Werner Heisenberg versuchte, Kernenergie freizusetzen. Auf der anderen Seite kann Bodanis Heisenberg überhaupt nicht leiden, und so möchte er dem wahrscheinlich fähigsten aller Physiker der damaligen Zeit unterstellen, gar nicht verstanden zu haben, wie man eine Bombe baut.
Die deutsche Bedrohung ist also abwechselnd groß und klein, und man hofft, der Autor finde endlich wieder zu den Physikern zurück, denen er Sympathie entgegenbringt. Wenn er von ihnen - zum Beispiel von Michael Faraday und James Clerk Maxwell - erzählt, läuft er zu Hochform auf, vor allem bei seiner Beschreibung des "Weihnachtsspaziergangs im Schnee", den Lise Meitner mit ihrem Neffen Otto Robert Frisch in Schweden unternommen hat und bei dem im Dezember 1938 zum ersten Mal klar wurde, daß Einsteins Gleichung mit der Lichtgeschwindigkeit bis in das Innere der Atome reicht und erklärt, wie es möglich ist, daß ein Neutron einen Urankern in zwei Hälften spaltet und dabei Energie frei wird. Neben Lise Meitner spielen zwei andere Frauen eine wichtige Rolle in der Geschichte, und zwar Émilie du Châtelet und Cecilia Payne. Es ist nicht anzunehmen, daß diese beiden Namen weithin bekannt sind, und deshalb ist es um so verdienstvoller, daß ihre Beiträge zur Geschichte der Wissenschaft einmal leicht zugänglich werden.
Émilie du Châtelet widmete sich zur Zeit Voltaires intensiv dem Problem der Masse, während Cecilia Payne zu Beginn des 20. Jahrhunderts als "eine Frau, die Fragen stellt" die akademische Männergesellschaft in Cambridge aufwirbelte. Mit ihrer Hartnäckigkeit löste sie Einsteins Gleichung "aus ihrer Erdgebundenheit", wie Bodanis schreibt: Sie zeigte, "daß unsere Sonne und alle anderen Sterne am Himmelsgewölbe mächtige Energiequellen sind, deren Funktion auf der Gleichung E = mc² beruht". Und aufgrund dieser Feststellung läßt sich sagen, daß es Frauen waren - Lise Meitner und Cecilia Payne -, die den Mut aufbrachten, das zu Ende zu führen, was Einstein für die Alltagswelt entdeckt hatte. Die eine fand den Weg nach innen - in das Atom -, und die andere fand den Weg nach außen - in den Kosmos. In beiden Fällen sind die Konsequenzen erstens ungeheuerlich und zweitens bis heute noch keineswegs vollständig erfaßt oder verstanden.
An dieser Stelle könnte die Frage auftauchen, warum Einstein selbst nicht auf die Ideen der beiden Frauen gekommen ist, und die vollständige Antwort darauf ist keineswegs trivial. Einen - vielleicht überraschenden - Aspekt gilt es an dieser Stelle aber deutlich zu machen, nämlich den, daß Einstein seine Gleichung nicht in der Form niedergeschrieben hat, in der sie alle Welt heute zitiert. Als Einstein 1905 in Bern als Angestellter des dortigen Patentamtes genügend Zeit fand, über Physik nachzudenken - er nannte die Schublade seines Stehpultes sein "Büro für theoretische Physik" -, wollte er nicht wissen, wieviel Energie in einer gegebenen Masse steckt. Er wollte vielmehr genau das Umgekehrte wissen, nämlich ob sich die Trägheit eines Körpers mit seinem Energieinhalt ändert, und es ist schade, daß sich Bodanis hierzu nur mit einer sehr kurzen Anmerkung weit hinten im Buch (auf Seite 270) äußert.
Einsteins Problem steckte nicht in der Energie, sondern in der Masse. Was ist das? Woher kommt sie? Und was hat sie mit Energie zu tun? Die Physiker unterscheiden zwei Formen der Masse, die sie mit den Attributen "träge" und "schwer" kennzeichnen. Die Schwere einer Masse verleiht ihr das, was man als Gewicht auf einer Waage messen kann, und die Trägheit ist das, was eine Masse allen Bemühungen entgegenstellt, sie zu beschleunigen. Je schwerer ein Ding oder ein Körper ist, desto mehr Kraft wird benötigt, ihn in Bewegung zu versetzen. Eine der schwierigen Fragen der Physik des 19. Jahrhunderts betraf die genaue Verbindung zwischen der Trägheit und der Schwere. Dies war ein Problem, bis Einstein kam und erklärte, daß beide ein und dasselbe sind. Punkt. Aus diesem Gedanken entwickelte er seine Allgemeine Relativitätstheorie.
Der Weg dorthin führte über die Lösung der oben gestellten Frage, was die Energie, die ein Körper mit sich führt - zum Beispiel als Bewegungsenergie -, mit der Kraft zu tun hat, die man zu seiner weiteren Beschleunigung aufwenden muß. Einstein hatte 1905 bereits das publiziert, was heute "Spezielle Relativitätstheorie" heißt, als ihm auffiel, daß die dabei verwendeten Prinzipien es nahelegten, "daß die Masse direkt ein Maß für die im Körper enthaltene Energie ist", wie er 1905 an einen Freund schrieb; um hinzuzufügen: "Die Überlegung ist lustig und bestechend; aber ob der Herrgott nicht darüber lacht und mich an der Nase herumgeführt hat, das kann ich nicht wissen." Haben wir heute darauf eine Antwort?
ERNST PETER FISCHER.
David Bodanis: "Bis Einstein kam". Die abenteuerliche Suche nach dem Geheimnis der Welt. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 2001. 352 S., geb., 39,80 DM.
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