Spiel nicht mit dem Feuer, nimm dich in acht vor der Liebe, warnt die Mutter, aber sie sagt nie, warum. Lo, die Tochter, muß es selbst herausfinden. Sie ist ein Wildfang, ein Hippiemädchen ohne Hippieeltern. Als Kind lernt sie Lukas kennen, der doppelt so alt ist wie sie; gemeinsam gehen sie durch dick und dünn. Sie wissen: Wir sind füreinander bestimmt. Es brennt im Dorf, als sie sich begegnen, und es wird wieder brennen, wenn sie sich trennen. Denn sie wird Lukas verlassen, wie sie auch Yoel verlassen wird und all die anderen Männer, denen sie in der Welt begegnet und eine Weile folgt. In Stockholm, Krakau, Budapest, New York. Sie weiß, daß sie Lukas, ihre große Liebe, verraten hat. Und macht sich auf die Suche nach ihm.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.03.2012Ein Sommer ohne Ende
Anne Swärd erzählt von der ersten großen Liebe
Man stelle sich vor, Shakespeares Julia wache auf, sehe den toten Romeo neben sich liegen und denke: "Wie schrecklich. Ich werde jeden Tag an ihn denken." Dann stünde sie auf, verließe die Gruft und stolperte allein durchs weitere Leben.
Sicher hätte man den beiden kein Denkmal gebaut, wenn das harte Los nur Romeo beschieden gewesen wäre. Das zeigt, dass die meisten Liebesgeschichten erst durch ihr Ende Bedeutung erhalten. Dabei gibt es zwei Hauptmotive: die Variante von Philemon und Baucis, märchenhaft verkürzt zu "und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende". Und eben die von Romeo und Julia: Am Ende sind alle tot. Unbefriedigend ist es dagegen für den Leser, wenn eine Hälfte des Liebespaars übrigbleibt. Da man sich gern dem Glauben hingeben möchte, es gebe für diese beiden Menschen nur den jeweils anderen im Leben, wirkt der Überlebende bestenfalls wie ein Eremit, schlimmstenfalls wie der abgetrennte Schwanz einer Eidechse, der noch ein wenig zuckt. Anne Swärds Heldin Lo jedenfalls zuckt definitiv noch. Reichlich wahllos steigt sie mit Zufallsbekanntschaften ins Bett und fragt sich dabei stets, was eigentlich aus ihrer Jugendliebe Lukas wurde.
Da diese jüngere Zeitebene wenig Handlung aufweist, beschäftigt sich Swärd in "Bis zum letzten Atemzug" hauptsächlich mit der Jugend von Lo: Ihre Familie ist aus dem Norden nach Südschweden gezogen, fühlt sich dort aber nicht ganz zu Hause. Lo ist ein wildes Kind, weshalb Eltern und Großeltern sie am liebsten rund um die Uhr bewachen würden. Ihre Mutter warnt sie vor allem vor der Liebe, die ihr gefährlicher erscheint als fremde Hunde und der Badesee. Aber Lo fühlt sich von der Gefahr angezogen. Und von Lukas, der ein Getreidefeld in Brand gesteckt und damit das Dorf in Aufruhr versetzt hat. Er wirkt düster und misstrauisch, ist doppelt so alt wie die sieben Jahre alte Lo und stammt aus Ungarn. Er ist der große Unbekannte.
Das Kind und der Jugendliche freunden sich an. Aber es ist mehr als eine Freundschaft, von der Anne Swärd erzählt: Es ist eine Liebesgeschichte, der durch den Altersunterschied enge Grenzen gesteckt sind. Sie endet abrupt. Kaum ist Lo alt genug für Lukas, verlässt sie die Stadt. Ihr erwachsenes Ich ist ein Jäger und Sammler, heimatlos, haltlos. Hin und wieder kehrt sie in ihre Heimat zurück und erwägt, Lukas zu suchen.
In dieser Zwischenlage hängt der Roman recht lange in der Luft. Die Autorin füllt die Leere mit einer dauerhaften Sommeratmosphäre - stets flirrt die trockene Hitze, es riecht nach Getreide, die Sonne brennt vom Himmel. Das passt hervorragend zur Handlung, weil die Kindheitserinnerungen der meisten Menschen sich so anfühlen: Die wunderbar heißen Sommertage merken Kinder sich wohl lieber als die faden, verregneten Herbstnachmittage. Lo bildet da keine Ausnahme. Sie wird eigentlich nur noch zusammengehalten von der Erinnerung an diesen einen Sommer und der Idee, Lukas wiederzufinden. Gleiches trifft für das Buch zu. Wie wird das Wiedersehen zwischen den beiden wohl sein? Diese Frage kann einen Leser schon mal über dreihundert Seiten bei der Stange halten. Und so zeichnet dieses Buch ein schönes Porträt der ersten großen Liebe - eine sonnengelbe Geschichte, die kein Ende gefunden hat.
JULIA BÄHR
Anne Swärd: "Bis zum letzten Atemzug". Roman.
Aus dem Schwedischen von Sabine Neumann. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 345 S., br., 14,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Anne Swärd erzählt von der ersten großen Liebe
Man stelle sich vor, Shakespeares Julia wache auf, sehe den toten Romeo neben sich liegen und denke: "Wie schrecklich. Ich werde jeden Tag an ihn denken." Dann stünde sie auf, verließe die Gruft und stolperte allein durchs weitere Leben.
Sicher hätte man den beiden kein Denkmal gebaut, wenn das harte Los nur Romeo beschieden gewesen wäre. Das zeigt, dass die meisten Liebesgeschichten erst durch ihr Ende Bedeutung erhalten. Dabei gibt es zwei Hauptmotive: die Variante von Philemon und Baucis, märchenhaft verkürzt zu "und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende". Und eben die von Romeo und Julia: Am Ende sind alle tot. Unbefriedigend ist es dagegen für den Leser, wenn eine Hälfte des Liebespaars übrigbleibt. Da man sich gern dem Glauben hingeben möchte, es gebe für diese beiden Menschen nur den jeweils anderen im Leben, wirkt der Überlebende bestenfalls wie ein Eremit, schlimmstenfalls wie der abgetrennte Schwanz einer Eidechse, der noch ein wenig zuckt. Anne Swärds Heldin Lo jedenfalls zuckt definitiv noch. Reichlich wahllos steigt sie mit Zufallsbekanntschaften ins Bett und fragt sich dabei stets, was eigentlich aus ihrer Jugendliebe Lukas wurde.
Da diese jüngere Zeitebene wenig Handlung aufweist, beschäftigt sich Swärd in "Bis zum letzten Atemzug" hauptsächlich mit der Jugend von Lo: Ihre Familie ist aus dem Norden nach Südschweden gezogen, fühlt sich dort aber nicht ganz zu Hause. Lo ist ein wildes Kind, weshalb Eltern und Großeltern sie am liebsten rund um die Uhr bewachen würden. Ihre Mutter warnt sie vor allem vor der Liebe, die ihr gefährlicher erscheint als fremde Hunde und der Badesee. Aber Lo fühlt sich von der Gefahr angezogen. Und von Lukas, der ein Getreidefeld in Brand gesteckt und damit das Dorf in Aufruhr versetzt hat. Er wirkt düster und misstrauisch, ist doppelt so alt wie die sieben Jahre alte Lo und stammt aus Ungarn. Er ist der große Unbekannte.
Das Kind und der Jugendliche freunden sich an. Aber es ist mehr als eine Freundschaft, von der Anne Swärd erzählt: Es ist eine Liebesgeschichte, der durch den Altersunterschied enge Grenzen gesteckt sind. Sie endet abrupt. Kaum ist Lo alt genug für Lukas, verlässt sie die Stadt. Ihr erwachsenes Ich ist ein Jäger und Sammler, heimatlos, haltlos. Hin und wieder kehrt sie in ihre Heimat zurück und erwägt, Lukas zu suchen.
In dieser Zwischenlage hängt der Roman recht lange in der Luft. Die Autorin füllt die Leere mit einer dauerhaften Sommeratmosphäre - stets flirrt die trockene Hitze, es riecht nach Getreide, die Sonne brennt vom Himmel. Das passt hervorragend zur Handlung, weil die Kindheitserinnerungen der meisten Menschen sich so anfühlen: Die wunderbar heißen Sommertage merken Kinder sich wohl lieber als die faden, verregneten Herbstnachmittage. Lo bildet da keine Ausnahme. Sie wird eigentlich nur noch zusammengehalten von der Erinnerung an diesen einen Sommer und der Idee, Lukas wiederzufinden. Gleiches trifft für das Buch zu. Wie wird das Wiedersehen zwischen den beiden wohl sein? Diese Frage kann einen Leser schon mal über dreihundert Seiten bei der Stange halten. Und so zeichnet dieses Buch ein schönes Porträt der ersten großen Liebe - eine sonnengelbe Geschichte, die kein Ende gefunden hat.
JULIA BÄHR
Anne Swärd: "Bis zum letzten Atemzug". Roman.
Aus dem Schwedischen von Sabine Neumann. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 345 S., br., 14,95 [Euro].
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