Die beiden Folgebände des Werkes erscheinen 2001.
- "(...) zum Einen eine wissenschaftliche Leistung, die gar nicht hoch genug anerkannt werden kann. Zum Zweiten rückt die Quellensammlung aber auch endlich mit m.E, unwiderlegbaren empirischen Gründen das bisher positive Urteil über Bismarcks Frankreichkrieg endlich zurecht (...). Wenn es in den letzten Jahren überhaupt eine Urkundenzusammenstellung gegeben hat, die für die Analyse der deutschen Geschichte nicht nur des 19. Jh. von grundlegender Bedeutung ist, dann ist es die Quellensammlung von Becker."
Hans-Ulrich Wehler
- " On est en présence d'un véritable monument d' érudition, mais en même temps on y progresse, jour après jour, page après page, comme dans l'intrigue d'un roman palpitant (...). J'ai en tout cas la conviction: la publication du recueil de M.Becker sera un évènement scientifique."
Jean Stengers, Präsident des Comité National Belge des Sciences Historiques
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
- "(...) zum Einen eine wissenschaftliche Leistung, die gar nicht hoch genug anerkannt werden kann. Zum Zweiten rückt die Quellensammlung aber auch endlich mit m.E, unwiderlegbaren empirischen Gründen das bisher positive Urteil über Bismarcks Frankreichkrieg endlich zurecht (...). Wenn es in den letzten Jahren überhaupt eine Urkundenzusammenstellung gegeben hat, die für die Analyse der deutschen Geschichte nicht nur des 19. Jh. von grundlegender Bedeutung ist, dann ist es die Quellensammlung von Becker."
Hans-Ulrich Wehler
- " On est en présence d'un véritable monument d' érudition, mais en même temps on y progresse, jour après jour, page après page, comme dans l'intrigue d'un roman palpitant (...). J'ai en tout cas la conviction: la publication du recueil de M.Becker sera un évènement scientifique."
Jean Stengers, Präsident des Comité National Belge des Sciences Historiques
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.12.2003Widersacher dienen der Sache
Josef Becker bleibt dabei: Bismarck ist der Dämon der Deutschen
Daß Quelleneditionen die Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln sein können, ist nicht erst seit den großen Aktenpublikationen zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges bekannt. Auch die Vorgeschichte des Krieges 1870/71 hat immer wieder größte Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Allerdings verhinderte das Auswärtige Amt in Berlin über siebzig Jahre lang den Zugang zu den Dokumenten, die sich mit der Hohenzollern-Kandidatur auf dem verwaisten spanischen Thron Ende der 1860er Jahre auseinandersetzten, und bot damit immer wieder Anlaß für Spekulationen und Mutmaßungen. War der Kriegsausbruch im Juli 1870 vielleicht doch nicht eine so klare Angelegenheit, wie es sowohl die deutschen Politiker als auch die deutschen Historiker immer wieder dargestellt hatten? Hatte die Kriegsschuld vielleicht gar nicht bei Napoleon III. gelegen? Welche Rolle hatte der für seine außenpolitische Meisterschaft bekannte Otto von Bismarck gespielt?
Erst mit der totalen Niederlage des Jahres 1945 öffneten sich die Archive. Doch die authentische Dokumentation der Thronkandidatur von Erbprinz Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen - dem süddeutsch-katholischen Zweig des preußischen Herrscherhauses entstammend - blieb auch nach der Veröffentlichung nun zugänglicher Geheimakten im Jahre 1957 noch immer ein Desiderat, weil alle Dokumente vom Bearbeiter, einem in Großbritannien lebenden französischen Historiker, ins Englische übertragen worden waren. Für jeden, der sich jemals in die fein ziselierte und nuancenreiche Sprache der europäischen Kabinettsdiplomatie vertieft hat, war klar, daß diese Art des Umgangs mit Quellen nicht das letzte Wort gewesen sein konnte.
Seit mehr als dreißig Jahren beschäftigt sich Josef Becker mit der Hohenzollern-Kandidatur. Der mittlerweile emeritierte Augsburger Geschichtsprofessor ist zweifelsohne der beste Detailkenner dieses komplizierten Gegenstandes. Die auf drei Bände angelegte Dokumentation spannt einen Bogen vom Februar 1867 bis in das Jahr 1932; die bislang vorliegenden zwei Bände können für sich beanspruchen, alle relevanten Quellen zu dem Thema bis zum 12. Juli 1870 zusammengeführt zu haben. Dies zumal, da während der langjährigen Recherchen die Zahl der herangezogenen Bestände in einer Vielzahl von in- und ausländischen Archiven ständig angewachsen ist. Mithin ruht unser Wissen über die Hohenzollern-Kandidatur auf einem festen Fundament in den Quellen.
Wäre der Versuch des Hohenzollern-Prinzen, den Thron Karls V. zu besteigen, lediglich eine dynastische Episode, so könnten sich die Historiker nun beruhigt zurücklehnen: ein weiteres Steinchen eingefügt in das große Mosaik, das gemeinhin Geschichte genannt wird. Doch Becker ist nicht nur Herausgeber der Bände, sondern auch - und das in erster Linie - einer der Hauptkombattanten auf dem Nebenkriegsschauplatz Kriegsschuldfrage 1870/71 und - weit darüber hinaus reichend - auf dem historiographischen main theatre deutsche Nationalgeschichte.
In seiner Einführung, die zweiundvierzig Seiten umfaßt, offenbart Becker nämlich die eigentliche Stoßrichtung seiner wissenschaftlichen Kärrnerarbeit. Der Herausgeber will nachweisen, daß Bismarck ursächlich verantwortlich war für den Kriegsausbruch im Juli 1870, weil der Kanzler des Norddeutschen Bundes mit großer Weitsicht die Frage der Hohenzollern-Kandidatur spätestens seit dem Frühjahr 1869 aktiv betrieben habe, um Frankreich in die Position des Angreifers zu manövrieren. Zentral in Beckers Argumentation ist Bismarcks sogenannte Diversionsdepesche vom 9. März 1869, in der er den Gesandten am Zarenhof, Prinz Reuß, von seiner Gedankenführung hinsichtlich der offenen Möglichkeiten bei einer "Komplikation der europäischen Verhältnisse" in Kenntnis setzt. Charakteristischerweise vermied Bismarck jegliche Festlegung. In seinen Überlegungen, die - wie die neuere Forschung nicht müde wird zu betonen - stets mehrgleisig liefen, tauchte "selbst Spanien" auf, um als mögliches Ablenkungsmanöver bei passender Gelegenheit eingesetzt zu werden.
Aus diesem Dokument jedoch auf die planmäßige Herbeiführung dieses "Krisenszenarios" zu schließen, verkennt den Charakter der Außenpolitik Bismarcks. Es ist vielmehr ein weiterer Beleg für das überragende außenpolitische Talent des Reichsgründers, dem es im Gegensatz zu seinen Gegenspielern gelang, das gesamte Tableau der europäischen Politik in immer neuen Konstellationen zu durchdenken. Die grundsätzliche Offenheit der Geschichte und die Optionsvielfalt der Bismarckschen Überlegungen haben nicht nur seine zeitgenössischen Kontrahenten verwirrt, sondern auch bis heute viele rückschauende Beobachter.
An Beckers weitreichender These, die er seit Beginn der 1970er Jahre immer wieder vorgebracht hat, ist früh massive Kritik geübt worden. Vor allem Eberhard Kolb hat darauf hingewiesen, daß in Beckers Argumentation die französischen Aktivitäten völlig unterbelichtet blieben. Kolb machte zudem auf ein grundsätzliches Faktum aufmerksam: Frankreich unter Napoleon III. beanspruchte den ersten Platz auf dem europäischen Kontinent. Dieses Selbstverständnis machte den Aufstieg Preußens und des Norddeutschen Bundes für die Grande Nation nicht nur zu einer machtpolitischen Herausforderung, sondern zu einer existentiellen Bedrohung des nationalen Selbstbildes.
Daß Becker in seiner Einführung nur mit dürren Worten auf die erwägenswerten Argumente seines wissenschaftlichen Widersachers eingeht, ist ein Ärgernis. Überhaupt setzt sich der Herausgeber mit ihm widersprechenden Deutungen nur äußerst ungern auseinander. In seiner Argumentation benötigte Bismarck den Krieg mit Frankreich, um die deutsche Frage aus der Lethargie der Jahre 1868, 1869 und 1870 zu reißen. Dieser Aspekt wurde nach Ansicht Beckers noch verstärkt durch die innenpolitischen Schwierigkeiten Bismarcks innerhalb des Norddeutschen Bundes, wo die Beratungen über den Militäretat anstanden. Der Krieg also als Flucht nach vorn, als Ableitung von innerem Druck nach außen.
Dieser holzschnittartigen Sichtweise, die in der deutschen Geschichtswissenschaft eine lange Tradition hat, ist wiederholt zurückgewiesen worden. Nicht nur, daß eine Vielzahl von Historikern auf das Eigengewicht außenpolitischer Erwägungen verwiesen hat. Auch der Analyse der innenpolitischen Konstellation im Norddeutschen Bund ist bereits mehrfach widersprochen worden. So hat zum Beispiel Lothar Gall schlüssig dargelegt, daß Bismarck in den Jahren zwischen Königgrätz und Sedan keineswegs unter immensem Druck gestanden habe. Im Gegensatz zu der Auffassung der Nationalliberalen habe der Norddeutsche Bund für den Kanzler durchaus "etwas Definitives" dargestellt. Doch von diesen, seinen Ansätzen diametral entgegengesetzten Interpretationsweisen erfährt der Leser in Beckers Einführung nichts.
Überhaupt scheint bei Becker die fundamentale Abneigung gegen Bismarck und die kleindeutsche Reichsgründung tief verwurzelt. Bismarck wird in dieser Sichtweise zum "Dämon der Deutschen" (Johannes Willms), der für allerlei Fehlentwicklungen bis zum heutigen Tage verantwortlich gemacht werden kann. Doch in der Geschichtswissenschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten sowohl eine abgewogenere Sichtweise auf den ersten deutschen Reichskanzler als auch eine deutlich differenziertere Bewertung des Deutschen Kaiserreichs durchgesetzt.
Keines der 821 Dokumente in den beiden ersten Bänden belegt eindeutig die weitreichende These Beckers vom "provozierten ,Defensiv'-Krieg". Wenn der dritte Band nicht noch größte Überraschungen bereithalten sollte, dann hat der Herausgeber hier einen mutigen Beitrag zur Widerlegung seiner eigenen Argumentation geleistet.
HARALD BIERMANN
Josef Becker (Hrsg.): "Bismarcks spanische ,Diversion' 1870 und der preußisch-deutsche Reichsgründungskrieg". Quellen zur Vor- und Nachgeschichte der Hohenzollern-Kandidatur für den Thron in Madrid 1866-1932. Band I: Spätjahr 1866-4. April 1870. Band II: 5. April 1870-12. Juli 1870. Schöningh Verlag, Paderborn 2003. 538 und 633 S., geb., 137,- [Euro].
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Josef Becker bleibt dabei: Bismarck ist der Dämon der Deutschen
Daß Quelleneditionen die Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln sein können, ist nicht erst seit den großen Aktenpublikationen zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges bekannt. Auch die Vorgeschichte des Krieges 1870/71 hat immer wieder größte Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Allerdings verhinderte das Auswärtige Amt in Berlin über siebzig Jahre lang den Zugang zu den Dokumenten, die sich mit der Hohenzollern-Kandidatur auf dem verwaisten spanischen Thron Ende der 1860er Jahre auseinandersetzten, und bot damit immer wieder Anlaß für Spekulationen und Mutmaßungen. War der Kriegsausbruch im Juli 1870 vielleicht doch nicht eine so klare Angelegenheit, wie es sowohl die deutschen Politiker als auch die deutschen Historiker immer wieder dargestellt hatten? Hatte die Kriegsschuld vielleicht gar nicht bei Napoleon III. gelegen? Welche Rolle hatte der für seine außenpolitische Meisterschaft bekannte Otto von Bismarck gespielt?
Erst mit der totalen Niederlage des Jahres 1945 öffneten sich die Archive. Doch die authentische Dokumentation der Thronkandidatur von Erbprinz Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen - dem süddeutsch-katholischen Zweig des preußischen Herrscherhauses entstammend - blieb auch nach der Veröffentlichung nun zugänglicher Geheimakten im Jahre 1957 noch immer ein Desiderat, weil alle Dokumente vom Bearbeiter, einem in Großbritannien lebenden französischen Historiker, ins Englische übertragen worden waren. Für jeden, der sich jemals in die fein ziselierte und nuancenreiche Sprache der europäischen Kabinettsdiplomatie vertieft hat, war klar, daß diese Art des Umgangs mit Quellen nicht das letzte Wort gewesen sein konnte.
Seit mehr als dreißig Jahren beschäftigt sich Josef Becker mit der Hohenzollern-Kandidatur. Der mittlerweile emeritierte Augsburger Geschichtsprofessor ist zweifelsohne der beste Detailkenner dieses komplizierten Gegenstandes. Die auf drei Bände angelegte Dokumentation spannt einen Bogen vom Februar 1867 bis in das Jahr 1932; die bislang vorliegenden zwei Bände können für sich beanspruchen, alle relevanten Quellen zu dem Thema bis zum 12. Juli 1870 zusammengeführt zu haben. Dies zumal, da während der langjährigen Recherchen die Zahl der herangezogenen Bestände in einer Vielzahl von in- und ausländischen Archiven ständig angewachsen ist. Mithin ruht unser Wissen über die Hohenzollern-Kandidatur auf einem festen Fundament in den Quellen.
Wäre der Versuch des Hohenzollern-Prinzen, den Thron Karls V. zu besteigen, lediglich eine dynastische Episode, so könnten sich die Historiker nun beruhigt zurücklehnen: ein weiteres Steinchen eingefügt in das große Mosaik, das gemeinhin Geschichte genannt wird. Doch Becker ist nicht nur Herausgeber der Bände, sondern auch - und das in erster Linie - einer der Hauptkombattanten auf dem Nebenkriegsschauplatz Kriegsschuldfrage 1870/71 und - weit darüber hinaus reichend - auf dem historiographischen main theatre deutsche Nationalgeschichte.
In seiner Einführung, die zweiundvierzig Seiten umfaßt, offenbart Becker nämlich die eigentliche Stoßrichtung seiner wissenschaftlichen Kärrnerarbeit. Der Herausgeber will nachweisen, daß Bismarck ursächlich verantwortlich war für den Kriegsausbruch im Juli 1870, weil der Kanzler des Norddeutschen Bundes mit großer Weitsicht die Frage der Hohenzollern-Kandidatur spätestens seit dem Frühjahr 1869 aktiv betrieben habe, um Frankreich in die Position des Angreifers zu manövrieren. Zentral in Beckers Argumentation ist Bismarcks sogenannte Diversionsdepesche vom 9. März 1869, in der er den Gesandten am Zarenhof, Prinz Reuß, von seiner Gedankenführung hinsichtlich der offenen Möglichkeiten bei einer "Komplikation der europäischen Verhältnisse" in Kenntnis setzt. Charakteristischerweise vermied Bismarck jegliche Festlegung. In seinen Überlegungen, die - wie die neuere Forschung nicht müde wird zu betonen - stets mehrgleisig liefen, tauchte "selbst Spanien" auf, um als mögliches Ablenkungsmanöver bei passender Gelegenheit eingesetzt zu werden.
Aus diesem Dokument jedoch auf die planmäßige Herbeiführung dieses "Krisenszenarios" zu schließen, verkennt den Charakter der Außenpolitik Bismarcks. Es ist vielmehr ein weiterer Beleg für das überragende außenpolitische Talent des Reichsgründers, dem es im Gegensatz zu seinen Gegenspielern gelang, das gesamte Tableau der europäischen Politik in immer neuen Konstellationen zu durchdenken. Die grundsätzliche Offenheit der Geschichte und die Optionsvielfalt der Bismarckschen Überlegungen haben nicht nur seine zeitgenössischen Kontrahenten verwirrt, sondern auch bis heute viele rückschauende Beobachter.
An Beckers weitreichender These, die er seit Beginn der 1970er Jahre immer wieder vorgebracht hat, ist früh massive Kritik geübt worden. Vor allem Eberhard Kolb hat darauf hingewiesen, daß in Beckers Argumentation die französischen Aktivitäten völlig unterbelichtet blieben. Kolb machte zudem auf ein grundsätzliches Faktum aufmerksam: Frankreich unter Napoleon III. beanspruchte den ersten Platz auf dem europäischen Kontinent. Dieses Selbstverständnis machte den Aufstieg Preußens und des Norddeutschen Bundes für die Grande Nation nicht nur zu einer machtpolitischen Herausforderung, sondern zu einer existentiellen Bedrohung des nationalen Selbstbildes.
Daß Becker in seiner Einführung nur mit dürren Worten auf die erwägenswerten Argumente seines wissenschaftlichen Widersachers eingeht, ist ein Ärgernis. Überhaupt setzt sich der Herausgeber mit ihm widersprechenden Deutungen nur äußerst ungern auseinander. In seiner Argumentation benötigte Bismarck den Krieg mit Frankreich, um die deutsche Frage aus der Lethargie der Jahre 1868, 1869 und 1870 zu reißen. Dieser Aspekt wurde nach Ansicht Beckers noch verstärkt durch die innenpolitischen Schwierigkeiten Bismarcks innerhalb des Norddeutschen Bundes, wo die Beratungen über den Militäretat anstanden. Der Krieg also als Flucht nach vorn, als Ableitung von innerem Druck nach außen.
Dieser holzschnittartigen Sichtweise, die in der deutschen Geschichtswissenschaft eine lange Tradition hat, ist wiederholt zurückgewiesen worden. Nicht nur, daß eine Vielzahl von Historikern auf das Eigengewicht außenpolitischer Erwägungen verwiesen hat. Auch der Analyse der innenpolitischen Konstellation im Norddeutschen Bund ist bereits mehrfach widersprochen worden. So hat zum Beispiel Lothar Gall schlüssig dargelegt, daß Bismarck in den Jahren zwischen Königgrätz und Sedan keineswegs unter immensem Druck gestanden habe. Im Gegensatz zu der Auffassung der Nationalliberalen habe der Norddeutsche Bund für den Kanzler durchaus "etwas Definitives" dargestellt. Doch von diesen, seinen Ansätzen diametral entgegengesetzten Interpretationsweisen erfährt der Leser in Beckers Einführung nichts.
Überhaupt scheint bei Becker die fundamentale Abneigung gegen Bismarck und die kleindeutsche Reichsgründung tief verwurzelt. Bismarck wird in dieser Sichtweise zum "Dämon der Deutschen" (Johannes Willms), der für allerlei Fehlentwicklungen bis zum heutigen Tage verantwortlich gemacht werden kann. Doch in der Geschichtswissenschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten sowohl eine abgewogenere Sichtweise auf den ersten deutschen Reichskanzler als auch eine deutlich differenziertere Bewertung des Deutschen Kaiserreichs durchgesetzt.
Keines der 821 Dokumente in den beiden ersten Bänden belegt eindeutig die weitreichende These Beckers vom "provozierten ,Defensiv'-Krieg". Wenn der dritte Band nicht noch größte Überraschungen bereithalten sollte, dann hat der Herausgeber hier einen mutigen Beitrag zur Widerlegung seiner eigenen Argumentation geleistet.
HARALD BIERMANN
Josef Becker (Hrsg.): "Bismarcks spanische ,Diversion' 1870 und der preußisch-deutsche Reichsgründungskrieg". Quellen zur Vor- und Nachgeschichte der Hohenzollern-Kandidatur für den Thron in Madrid 1866-1932. Band I: Spätjahr 1866-4. April 1870. Band II: 5. April 1870-12. Juli 1870. Schöningh Verlag, Paderborn 2003. 538 und 633 S., geb., 137,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Mit einiger Begeisterung begrüßt der hier rezensierende Historiker Hans-Ulrich Wehler diese "voluminöse Dokumentensammlung" über den deutsch-französischen Krieg von 1870/71. Er fand darin endlich zweifelsfrei den Anteil Bismarcks am Zustandekommen dieses folgenreichen Konflikts belegt, der Frankreich in die Rolle des Aggressors getrieben habe. Wehler feiert außerdem die "asketische Arbeit" des Historikers Josef Becker und seiner akribischen Archiv- und Quellenrecherche samt seiner daraus erfolgten Rekonstruktion verschiedener Entscheidungsverläufe. Beeindruckt notiert der Rezensent auch die Fülle fruchtbar gemachter Zeitzeugenberichte aus dem innersten Machtbereich Bismarcks und des diplomatischen Umfelds. Im Grunde lässt diese Dokumentation für Wehler keine Fragen zu diesem Konflikt mehr offen, da sie auch noch der zählebigsten Legende über die Schuldverhältnisse aus seiner Sicht endgültig den Garaus gemacht hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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