David Sedaris ist wirklich zu beneiden. Seit dreißig Jahren hat er eine literarische Quelle, die nie versiegt: Seine eigene Familie. Sie ist fast so etwas wie ein Modell für den amerikanischen Individualismus, mit sehr ausgeprägten Charakteren, sehr ausgeprägten Meinungen und der bemerkenswerten
Fähigkeit, an Krisen nicht zu zerbrechen, egal wie schlimm sie sind. David und die Seinen sind…mehrDavid Sedaris ist wirklich zu beneiden. Seit dreißig Jahren hat er eine literarische Quelle, die nie versiegt: Seine eigene Familie. Sie ist fast so etwas wie ein Modell für den amerikanischen Individualismus, mit sehr ausgeprägten Charakteren, sehr ausgeprägten Meinungen und der bemerkenswerten Fähigkeit, an Krisen nicht zu zerbrechen, egal wie schlimm sie sind. David und die Seinen sind Stehaufmännchen (und -weibchen) wie sie im Buche stehen, was auch dieses Mal wieder von Vorteil ist, denn Florence steht vor der Tür und reißt gleich das halbe Haus mit. Ein Hurrikan dieses Namens zerstörte 2018 das geliebte Familiendomizil an der Küste von North Carolina und dann kam auch noch Corona. Natürlich verarbeitet David selbst die Seuche komisch-literarisch, sei es mit einer Anleitung zum Hamsterkauf oder mit Tipps, wie man die Zeit in seinen eigenen vier Wänden totschlägt, wenn man gewöhnlich auf Lesereisen unermüdlich um die Welt jettet und das auch noch gerne tut. Manchmal habe ich den Eindruck, die Sedaris besitzen auf jedem Kontinent selbstgenutzte Immobilien, außer in der Antarktis. Aber ich bin sicher, da findet sich auch noch ein gemütliches Fleckchen.
Richtig glücklich macht mich an David Sedaris‘ Büchern seine rundherum positive Lebenseinstellung und der Optimismus, den er ausstrahlt. Ich kenne ihn nicht persönlich, aber ich glaube sein Geheimrezept gefunden zu haben. Nein, er verrät es in seiner „Rede vor Hochschulabsolventen“ ohne ein Geheimnis daraus zu machen: Sei gegenüber jedermann freundlich! Er ist wahrscheinlich der einzige Schriftsteller von Rang, der sämtliche Fanpost persönlich beantwortet und sich bei jedem Veranstalter mit einem Brief bedankt. Hat er das nötig? Nein, aber vielleicht kommt der Tag, an dem er es nötig haben wird und dann hängen bei Tausenden seiner Freunde Briefe von ihm hinter Glas gerahmt an der Wand. Außerdem ist das sein Naturell. So schafft man es vom drogenabhängigen Raumpfleger zum internationalen Bestsellerautor. Nun ja, Talent gehört leider auch noch dazu, sonst würde ich morgen damit anfangen, Dankesbriefe zu schreiben. Außerdem bin ich kein Raumpfleger.
Schon in „Calypso“ war eine gewisse Altersmilde erkennbar geworden, die sich in „Bitte lächeln“ fortsetzt, ohne dass ich sagen könnte, dass mir die detaillierten Schilderungen von Davids jugendlichen Ausschweifungen besonders fehlen. Das war manchmal schon etwas heftig - eine Szene in einem Darkroom will mir bis heute nicht aus dem Kopf - aber es war zumindest ehrlich und lustig. Jetzt, mit über 60, stellt David allerdings fest, dass die Verfallszeit langsam abläuft, selbst wenn sein Vater 96 wurde und die Gene ihm vielleicht gnädig sein werden. Amy bekommt graue Haare und David verzichtet neuerdings auf ein Portraitfoto auf dem Buchumschlag. Dennoch bietet ihm das Leben noch genügend Anregung, so dass mir zumindest für das nächste Buch noch nicht bange ist. Sedaris hat seinen unverwechselbaren Tonfall behalten, diese Mischung aus absurd komischen Assoziationen, ein bisschen Boshaftigkeit und einer leisen Melancholie, die er wie niemand anders zu dosieren weiß: „Der einzige Nachteil ist, dass Corona in den USA 900 000 Tote gefordert hat und ich mir keinen davon aussuchen durfte“. Genau das meine ich. Ganz der Alte.
(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)