"Das Mikrophon ist jetzt an, Herr von Bülow. Wussten Sie, dass so ein Gerät bis zu zwölf Stunden aufnehmen kann?" - Loriot: "Dann halte ich jetzt einfach den Mund." Auch in diesem Interview mit dem etwas unglücklichen Einstieg sagte Loriot dann doch noch etwas, und sogar etwas mehr. Die besten Gespräche von Loriot sind nun zum ersten Mal in einem Buch versammelt. Ganz gleich, wie die Fragen lauten, ob ernst oder unfreiwillig komisch, enigmatisch oder klar - immer antwortet Loriot in seiner unnachahmlichen Art und Weise. Dabei verrät er vieles über seine Kindheit, seine Karriere, sein Leben und Werk und macht sich Gedanken über Humor (auch über den deutschen), über Preußen, Wagner, Möpse, die Ehe, Politik und Religion, Liebe und Tod und andere 'gefragte' Themen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.10.2011Und es ist doch abendfüllend
Dies ist das letzte Buch, an dem Loriot mitgewirkt hat: In den siebzehn Gesprächen, die es versammelt, zeigt sich, dass Vicco von Bülow eben doch nicht nur nach akribischer Vorarbeit witzig war - sondern ebenso im schnellen Schlagabtausch.
Man sollte älteren Herren, und seien sie noch so liebens- und vertrauenswürdig, nicht unbedingt immer glauben. Selbst dann nicht, wenn sie, wie Loriot es in einem Interview im Jahre 1973 tat, sich selbst bescheinigen, "sehr verlässlich" zu sein. Knapp dreißig Jahre darauf gab derselbe Loriot dem "SZ-Magazin" ein Interview, welches, wie er versicherte, sein letztes sein würde: "Es ist nicht abendfüllend, über sich selbst zu reden. Außerdem ist noch viel anderes zu tun." Das Gespräch war ein würdiger, melancholisch-heiterer medialer Schlussakt einer großen Karriere, eines jener Interviews, bei denen man sich als Journalist ärgern darf, es nicht selbst geführt zu haben. Zumal es das letzte sein sollte: Auf Loriots Wort konnte und musste man sich ja verlassen.
Hätte man es doch nicht getan! Schon im darauffolgenden Jahr meldete Loriot sich wieder zu Wort, ausgerechnet im "Darmstädter Echo". Und weil Vicco von Bülow Humorist war, darf man getrost unterstellen, dass er selbst sie als Running Gag betrachtet hat, die letzten und allerletzten Interviews, die er im Laufe der Jahre immer mal gab, bis hin zum vermutlich wirklich allerallerletzten 2009 im "Stern". Und natürlich war es immer wieder ein Grund zur Freude, wenn Loriot etwas von sich hören ließ - wie es nun auch einer ist, einen Band in den Händen zu halten, der 17 Gespräche mit Loriot versammelt; wobei es strenggenommen 15 Gespräche und zwei Fragebögen sind.
Auch wenn die Interviews zum Teil leicht gekürzt wurden, bleiben vereinzelte Wiederholungen nicht aus, was den Reiz für Loriot-Verehrer durchaus noch erhöht - lässt sich doch prüfen, ob der Meister über die Zeit seine Ansichten möglicherweise revidiert hat. 1973 etwa ist Loriot ein Optimist (mit Ausrufezeichen); was die "Erziehbarkeit der Menschen" anbetrifft, aber ein Pessimist. 1986 ist er "im Kleinen Pessimist", "im Großen Optimist", 1988 schließlich: Realist. Und alles in allem doch jemand, der sich treu bleibt: ein "Ordnungsmensch" (1973), der die Ordnung liebt, "weil es ungeheuer reizvoll ist, sie zu unterlaufen" (1986); ein konzentrierter Humorarbeiter, der bei der Arbeit den Intellekt der Intuition vorzieht (1988) und seine berühmte Penibilität tiefstapelnd mit dem mangelnden Talent erklärt, perfekt zu schreiben: "Dieses Unvermögen zwingt mich zur Genauigkeit."
Natürlich wandelt sich auch die Haltung, mit der Interviewer Loriot gegenübertreten. Den Reporter, der 1968 noch Kritik an den "entsetzlichen Knollennasen" übt, entwaffnet deren Schöpfer galant mit einem kleinen Exkurs: "Die Nase war bei den ersten Menschen dieser Art spitz. Und nur durch das viele Zeichnen im Laufe der zwanzig Jahre ist die Nase wie ein Stein im Gebirgsbach durch Jahrmillionen abgeschliffen und rund geworden. Das ist keine Absicht. Das ist eine natürliche Erscheinung, die gewachsen ist." 2002 scheint Loriot längst unangreifbar; die jungen Interviewer wissen längst alles über sein Werk und wagen nur zarteste Provokation in der Hoffnung auf eine Pointe. Sie wird prompt erfüllt: "War Wendelin schwul?" - "Ach nein, er sprach nur so nasal, weil er einen Rüssel hatte."
Das Interview-Buch ist noch ein Wunsch von Loriot selbst gewesen; nach seinem Tod hat Diogenes den Band einige Wochen früher herausgebracht als geplant. Mit ausgewählt hat die Interviews der Verleger Daniel Keel, der inzwischen auch gestorben ist, womit das Büchlein ein wenig zum Vermächtnis beider geworden ist. Wehmut ist ohnehin nicht fern in einem Band, in dem ein alternder Künstler auf sein kürzer werdendes Leben blickt. 1998 etwa sprach Loriot mit dem Regisseur August Everding auch über den Tod - was sich heute noch einmal anders liest, wenn man weiß, dass Everding, der schon lange schwer krank war, nur wenige Monate später starb.
Hochkomisch ist das Buch trotzdem - und damit eine Widerlegung Vicco von Bülows, der eben doch nicht nur nach akribischer Vorarbeit, sondern auch im schnellen Schlagabtausch seinen Witz demonstrierte. Zudem bietet es seltene Einblicke ins Bülowsche Familienleben. Am stärksten geprägt hat ihn offenbar sein Vater, auf den er in fast allen Gesprächen Bezug nimmt. Was seine Arbeit und die damit verbundene häufige Abwesenheit betraf, so trugen diese "nicht gerade zum häuslichen Frieden bei", räumt Loriot ein; es sei auf Kosten seiner Kinder gegangen. "Ein bisschen betreten" habe er einmal aber auch seine Schwiegermutter gemacht - mit jener Sendung, "in der ich als ältlicher Firmenchef meine ebenso ältliche Sekretärin zu verführen versuche. Das war ihr doch für mich peinlich." Abendfüllend? Vielleicht nicht für Loriot selbst, für den Leser aber unbedingt.
JÖRG THOMANN
Loriot: "Bitte sagen Sie jetzt nichts". Gespräche.
Diogenes-Verlag, Zürich 2011. 256 Seiten, geb., 21,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dies ist das letzte Buch, an dem Loriot mitgewirkt hat: In den siebzehn Gesprächen, die es versammelt, zeigt sich, dass Vicco von Bülow eben doch nicht nur nach akribischer Vorarbeit witzig war - sondern ebenso im schnellen Schlagabtausch.
Man sollte älteren Herren, und seien sie noch so liebens- und vertrauenswürdig, nicht unbedingt immer glauben. Selbst dann nicht, wenn sie, wie Loriot es in einem Interview im Jahre 1973 tat, sich selbst bescheinigen, "sehr verlässlich" zu sein. Knapp dreißig Jahre darauf gab derselbe Loriot dem "SZ-Magazin" ein Interview, welches, wie er versicherte, sein letztes sein würde: "Es ist nicht abendfüllend, über sich selbst zu reden. Außerdem ist noch viel anderes zu tun." Das Gespräch war ein würdiger, melancholisch-heiterer medialer Schlussakt einer großen Karriere, eines jener Interviews, bei denen man sich als Journalist ärgern darf, es nicht selbst geführt zu haben. Zumal es das letzte sein sollte: Auf Loriots Wort konnte und musste man sich ja verlassen.
Hätte man es doch nicht getan! Schon im darauffolgenden Jahr meldete Loriot sich wieder zu Wort, ausgerechnet im "Darmstädter Echo". Und weil Vicco von Bülow Humorist war, darf man getrost unterstellen, dass er selbst sie als Running Gag betrachtet hat, die letzten und allerletzten Interviews, die er im Laufe der Jahre immer mal gab, bis hin zum vermutlich wirklich allerallerletzten 2009 im "Stern". Und natürlich war es immer wieder ein Grund zur Freude, wenn Loriot etwas von sich hören ließ - wie es nun auch einer ist, einen Band in den Händen zu halten, der 17 Gespräche mit Loriot versammelt; wobei es strenggenommen 15 Gespräche und zwei Fragebögen sind.
Auch wenn die Interviews zum Teil leicht gekürzt wurden, bleiben vereinzelte Wiederholungen nicht aus, was den Reiz für Loriot-Verehrer durchaus noch erhöht - lässt sich doch prüfen, ob der Meister über die Zeit seine Ansichten möglicherweise revidiert hat. 1973 etwa ist Loriot ein Optimist (mit Ausrufezeichen); was die "Erziehbarkeit der Menschen" anbetrifft, aber ein Pessimist. 1986 ist er "im Kleinen Pessimist", "im Großen Optimist", 1988 schließlich: Realist. Und alles in allem doch jemand, der sich treu bleibt: ein "Ordnungsmensch" (1973), der die Ordnung liebt, "weil es ungeheuer reizvoll ist, sie zu unterlaufen" (1986); ein konzentrierter Humorarbeiter, der bei der Arbeit den Intellekt der Intuition vorzieht (1988) und seine berühmte Penibilität tiefstapelnd mit dem mangelnden Talent erklärt, perfekt zu schreiben: "Dieses Unvermögen zwingt mich zur Genauigkeit."
Natürlich wandelt sich auch die Haltung, mit der Interviewer Loriot gegenübertreten. Den Reporter, der 1968 noch Kritik an den "entsetzlichen Knollennasen" übt, entwaffnet deren Schöpfer galant mit einem kleinen Exkurs: "Die Nase war bei den ersten Menschen dieser Art spitz. Und nur durch das viele Zeichnen im Laufe der zwanzig Jahre ist die Nase wie ein Stein im Gebirgsbach durch Jahrmillionen abgeschliffen und rund geworden. Das ist keine Absicht. Das ist eine natürliche Erscheinung, die gewachsen ist." 2002 scheint Loriot längst unangreifbar; die jungen Interviewer wissen längst alles über sein Werk und wagen nur zarteste Provokation in der Hoffnung auf eine Pointe. Sie wird prompt erfüllt: "War Wendelin schwul?" - "Ach nein, er sprach nur so nasal, weil er einen Rüssel hatte."
Das Interview-Buch ist noch ein Wunsch von Loriot selbst gewesen; nach seinem Tod hat Diogenes den Band einige Wochen früher herausgebracht als geplant. Mit ausgewählt hat die Interviews der Verleger Daniel Keel, der inzwischen auch gestorben ist, womit das Büchlein ein wenig zum Vermächtnis beider geworden ist. Wehmut ist ohnehin nicht fern in einem Band, in dem ein alternder Künstler auf sein kürzer werdendes Leben blickt. 1998 etwa sprach Loriot mit dem Regisseur August Everding auch über den Tod - was sich heute noch einmal anders liest, wenn man weiß, dass Everding, der schon lange schwer krank war, nur wenige Monate später starb.
Hochkomisch ist das Buch trotzdem - und damit eine Widerlegung Vicco von Bülows, der eben doch nicht nur nach akribischer Vorarbeit, sondern auch im schnellen Schlagabtausch seinen Witz demonstrierte. Zudem bietet es seltene Einblicke ins Bülowsche Familienleben. Am stärksten geprägt hat ihn offenbar sein Vater, auf den er in fast allen Gesprächen Bezug nimmt. Was seine Arbeit und die damit verbundene häufige Abwesenheit betraf, so trugen diese "nicht gerade zum häuslichen Frieden bei", räumt Loriot ein; es sei auf Kosten seiner Kinder gegangen. "Ein bisschen betreten" habe er einmal aber auch seine Schwiegermutter gemacht - mit jener Sendung, "in der ich als ältlicher Firmenchef meine ebenso ältliche Sekretärin zu verführen versuche. Das war ihr doch für mich peinlich." Abendfüllend? Vielleicht nicht für Loriot selbst, für den Leser aber unbedingt.
JÖRG THOMANN
Loriot: "Bitte sagen Sie jetzt nichts". Gespräche.
Diogenes-Verlag, Zürich 2011. 256 Seiten, geb., 21,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Heiterkeit und Melancholie sind die vorherrschenden Gefühlslagen, in die diese gesammelten Loriot-Interviews den Renzensenten Jörg Thomann versetzt haben. Wenn der älter werdende Humorist sein sich verkürzendes Leben betrachte, sei "Wehmut" vorprogrammiert. "Hochkomisch" aber findet Thomann die Gespräche dennoch; beispielsweise, weil Vicco von Bülow ein ums andere Mal, als eine Art Running Gag, sein letztes Interview gegeben habe. Auch widerlegten der spontane Witz des Künstlers - etwa, wenn er seine berühmten Knollnasen als natürlichen Erosionsprozessen unterworfene Spitznasen beschreibt - dessen Behauptung, nur mittels penibler Vorbereitung gut sein zu können, so Thomann. Und noch in einem weiteren Punkt meldet der Rezensent Widerspruch an: Entgegen Loriots eigener Ansicht hält Thomann es sehr wohl für "abendfüllend", wenn jener über sich selbst rede. Zumal auch eine Menge über die Privatperson zu erfahren sei, die sich hinter dieser "großen Karriere" verborgen habe.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Loriot ist der Größte. Wenn nicht der Einzige.« Benjamin Henrichs / Die Zeit Die Zeit