"Du würdest unter dem zerbrechen, was ich über dich weiß, kleines Mädchen." Das sind die letzten Worte der Großmutter Linda Hammericks, und es bleibt ihr überlassen, herauszufinden, was damit gemeint war. Linda, Mitte der Siebziger Jahre in Boiling Springs, North Carolina, aufgewachsen und heute in New York lebend, hat eine Gabe, die sie vom Rest der Familie unterscheidet. Sie kann Wörter "schmecken", und an diese besonderen Wahrnehmungen heften sich zugleich ihre Erinnerungen. Aber ihre frühe Kindheit liegt im Dunkeln, geblieben ist ihr nur ein bitterer Geschmack im Mund, den sie keinem bestimmten Wort zuordnen kann.
Schließlich begibt sie sich als erwachsene Frau zurück in den Süden auf die Suche nach dem Geheimnis ihrer Herkunft. Herzzerreißend und klug, gefühlvoll und sarkastisch zugleich, zeichnet sie die Mitglieder der Familie, ihre Jugendfreundin Kelly und ihre erste Liebe Wade, vor allem aber die alles überragende Figur des Großonkels Baby Harper. Nach ihrem erfolgreichen und preisgekrönten Debütroman "Das Buch vom Salz" legt Monique Truong mit ihrem zweiten Roman eine dichte und spannende, geheimnisvolle und intelligente Familiengeschichte vor, die auch davon erzählt, was Anderssein bedeutet und zu welchen Opfern Eltern für ihre Kinder fähig sind.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Schließlich begibt sie sich als erwachsene Frau zurück in den Süden auf die Suche nach dem Geheimnis ihrer Herkunft. Herzzerreißend und klug, gefühlvoll und sarkastisch zugleich, zeichnet sie die Mitglieder der Familie, ihre Jugendfreundin Kelly und ihre erste Liebe Wade, vor allem aber die alles überragende Figur des Großonkels Baby Harper. Nach ihrem erfolgreichen und preisgekrönten Debütroman "Das Buch vom Salz" legt Monique Truong mit ihrem zweiten Roman eine dichte und spannende, geheimnisvolle und intelligente Familiengeschichte vor, die auch davon erzählt, was Anderssein bedeutet und zu welchen Opfern Eltern für ihre Kinder fähig sind.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.07.2010Das Leben ist ein vielgängiges Menü
Wie schmeckt die Wunde der Identität? Die in Saigon geborene Amerikanerin Monique Truong erzählt von einer zweiten Geburt und von der Gabe und dem Fluch, Worte als Sinneserfahrungen wahrzunehmen.
Wie erzählt man sein Leben? Wie interessiert man Fremde, die Leser dafür? Man kann ein paar Fakten wie Spielkarten auf den Tisch legen: Namen, Wohnorte, Abschlüsse. Es würde schnell Langeweile aufkommen, denn Literatur entsteht im Raum zwischen diesen Fakten. Monique Truong, 1968 in Saigon geboren, ist mit sechs Jahren in die Vereinigten Staaten gekommen - wie Linda, die Erzählerin in ihrem zweiten Roman "Bitter im Mund". Einen Absatz lang ist auch Linda versucht, uns und sich selbst mit biographischen Fakten abzuspeisen. Aber eher so, als probiere sie ihre Fingerfertigkeit, als warte sie nur darauf, dass eine Schleuse sich öffne, um alle diese Fakten aus ihrem starren Korsett zu lösen, damit sich schmackhafte, greifbare Erinnerungen in die Zwischenräume setzen. Die Geschichte der Linda Hammerick, die mit sechs Jahren neue Eltern bekommt und fortan statt "Linh-Dao" Linda gerufen wird, ist die Geschichte eines Bruchs, eines persönlichen Traumas. Sie ist aber auch Teil der Wunde, die zwischen Vietnam und Amerika klafft.
Lindas erste Selbstbeschreibung fällt in das Jahr 1975. Amerikanische Truppen verlassen ihre Geburtsstadt Saigon. Kommunistische Streitkräfte übernehmen die Macht. Linda selbst liest davon später nur im Lexikon. An die leiblichen Eltern fehlt ihr jegliche Erinnerung. Vom alten Leben bleibt ihr nur ein bitterer Geschmack im Mund. Über Nacht hat man die Wände dieser Ich-Erzählerin ausgetauscht.
Von all diesem schweigt der Roman aber zunächst. Monique Truong, die lange als Anwältin einer namhaften New Yorker Kanzlei praktizierte, ordnet Lindas Erinnerungen präzise um dieses Schweigen herum. Sie folgt einer Psychogrammatik, die nach einem berückend schlichten Prinzip funktioniert: Für das, was folgt, muss erst einmal ein Kokon gebildet werden, sonst kann es nicht erzählt werden. Und so führt uns die Erzählerin zu Beginn des Romans in die Innenwelt der siebenjährigen Linda, in ein heftiges, kindliches Liebesgefühl, ausgelöst durch das Tanzen mit ihrem neuen Großonkel in der fremden Stadt. Er mag sie, weil sie ein stilles Kind ist - wie er selbst eines war; ein Foto zeigt ihn als kleinen Jungen, die Arme an den Körper gepresst. "Wir waren kompakt, wir machten uns stets kleiner. Wir mochten beide Musik, sie war ein Fluss, an dem wir uns entkleideten, in den wir hineinsprangen und in dem wir mit den Armen ruderten." Diese unschuldig bleibende Beziehung zum Großonkel bildet über lange Strecken des Romans einen Schutzraum. Ihm wird sie später anvertrauen, dass sie als Elfjährige vergewaltigt wurde; mit ihm teilt sie das Gefühl, anders zu sein - und einsam.
Diese erste Tanzszene liefert zugleich das poetische Besteck, mit dem die Erzählerin zu Werke schreiten wird. Wirklichkeit ist ihr kein Faden, der sich chronologisch abschreiten lässt, sondern in erster Linie sinnliche Erfahrung: Twisten, tanzen, sich zuzwinkern; Haut, die nach dem Auftreffen der Plattennadel auf die Rille plötzlich dünn wird und fast platzt; ein Lichtschein, der sich im Körper ausbreitet und anwächst wie ein Feuerwerk. Die Welt ist in Gerüchen, Farben, Bildern kodiert; sie ist die offene Fliege, die dem ausgelassen tanzenden Großonkel um den Kragen baumelt - "kleine, gleichschenklige Dreiecke nach der Mode der damaligen Zeit". Die Rekonstruktion dieser "zweiten Geburt" Linh-Daos als Linda Hammerick ist kein schwerfälliger Akt, sondern die Ernte eines reichen Quells vorstellbarer Details, ein "vielgängiges Menü". Wie sonst sollte man die Erzählung eines Leben, dessen Wurzeln gekappt sind, in Gang bringen?
Monique Truong schreibt in eisklaren Sätzen, welche die Eigenart besitzen, unvermutet aufzublühen, während man noch ihrem trockenen Gehalt nachsinnt. "Ich liebte meine Mutter im Alter von sieben bis elf" heißt solch ein dogmatischer Satz, der wie eine Mauer steht. Dahinter türmen sich Beschreibungen von entrückter Schönheit, und es liegt auch an der Übersetzungsleistung Peter Torbergs, dass sie wirken wie von aller Erdenschwere befreit. "Bitter im Mund" erzählt nicht nur vom Anderssein, sondern implantiert dieses Gefühl in kecke, originelle Bilder.
Sie sprengen sogar das Provinzielle des Ortes, in dem diese Geschichte spielt: Boiling Springs, ein kleines amerikanisches Nirgendwo in North Carolina, wo die Mädchen Pop-Idole aus dem einzig verfügbaren Hochglanzmagazin anhimmeln und wo man sich "vom Kindergarten bis ins Grab piesackte". Scharfen Beobachtungen folgen spitze Figurenbeschreibungen, etwa über pubertierende Jungs nach dem "Wachstumssprint": "Sie ruderten mit ihren dürren Armen und mageren Beinen herum wie Tiefseekopffüßler. Die Köpfe wirkten viel zu klein und unproportioniert im Vergleich zu ihren neuen, großen Körpern. Keiner von ihnen war schön."
Truong kreuzt den unmittelbaren Blick der Heranwachsenden mit Wissen und Humor der Älteren. Dazu montiert sie manchmal Quellen oder Legenden, wie man sie beispielsweise aus der Schule über das Land erfährt. Und so gelingt es ihr, die Erfahrungen dieses asiatisch aussehenden Mädchens mit dem Süden Amerikas, mit dem großen, falschen Mythos, begreiflich zu machen: als Reaktion auf Ablehnung und Anerkennung; auf eine historische Vergangenheit, in die sich Linda unfreiwillig hineingestellt sieht; auf die Bilder, welche die Einwohner von ihr haben, bevor sie überhaupt spricht. Spitznamen für sie sind schon vor ihr da. Und wer die nicht benutzt, schaut durch sie hindurch. Unter Gleichaltrigen ist sie höchstens Vertraute, "nie Heldin, Liebesobjekt, Drache oder Hexe". Ältere plagt bei ihrem Anblick das schlechte Gewissen. "Ich" zu sein unter diesen Umständen ist plötzlich keine persönliche Angelegenheit mehr. Auch davon erzählt der Roman.
Monique Truong hat ihre Figur außerdem mit einer besonderen Eigenschaft ausgestattet: Linda schmeckt Worte. "Ma", die neue Mutter, assoziiert sie mit Schokoladenmilch. Der Vorname des ersten Jungen, für den sie sich interessiert, spült Orangeneis in ihren Gaumen. Und wenn jemand sagt, er sei "enttäuscht", imaginiert sie leicht verbrannten Toast.
Schon Monique Truongs sehr gelobter erster Roman "Das Buch vom Salz" (2004) über den vietnamesischen Koch von Gertrude Stein und Alice B. Toklas regte beim Lesen die Sinne an. Jetzt macht die Autorin das Speiserepertoire zum Stigma einer mehrfach geforderten Persönlichkeit. Lindas außerordentliche Fähigkeit, Synästhesie genannt, lässt sich schwer teilen und schon gar nicht synchron abbilden ("Thomasorangenlimonade hat sie geliebtnestea."). Es bleibt sparsam eingesetzt und greifbares Bild für Lindas Not, sich abzugrenzen. "Eingänge" der Worte können überreizt sein. Später gelingt ihr sogar - mit Wissen um ihre Eigenart - eine Annäherung an die Adoptivmutter. Es beschreibt noch einmal auf einer anderen Ebene ihr besonderes Verhältnis zur Welt, in der eine zweite Welt versteckt ist, und darin vielleicht eine dritte und mehr.
Die Reproduktion von Welten, Identitäten, Familien, Erinnerungen, Sprachen bringt diesen Roman in Schwingung. Lindas Leben wird, während es sich vor uns ausbreitet, mehr und mehr zur Fallstudie. Verschiedene Menschen halten verschiedene Schlüssel dazu in der Hand. Manche lassen sie nur kurz metallisch aufblitzen und schweigen dann. Andere reden und reden, aber Linda erfährt trotzdem nichts. Aber es ist nicht Arbeit, sondern ein großes Lesevergnügen, sich zur Wurzel vorzutasten.
ANJA HIRSCH
Monique Truong: "Bitter im Mund". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Peter Torberg. Verlag C.H. Beck, München 2010. 328 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie schmeckt die Wunde der Identität? Die in Saigon geborene Amerikanerin Monique Truong erzählt von einer zweiten Geburt und von der Gabe und dem Fluch, Worte als Sinneserfahrungen wahrzunehmen.
Wie erzählt man sein Leben? Wie interessiert man Fremde, die Leser dafür? Man kann ein paar Fakten wie Spielkarten auf den Tisch legen: Namen, Wohnorte, Abschlüsse. Es würde schnell Langeweile aufkommen, denn Literatur entsteht im Raum zwischen diesen Fakten. Monique Truong, 1968 in Saigon geboren, ist mit sechs Jahren in die Vereinigten Staaten gekommen - wie Linda, die Erzählerin in ihrem zweiten Roman "Bitter im Mund". Einen Absatz lang ist auch Linda versucht, uns und sich selbst mit biographischen Fakten abzuspeisen. Aber eher so, als probiere sie ihre Fingerfertigkeit, als warte sie nur darauf, dass eine Schleuse sich öffne, um alle diese Fakten aus ihrem starren Korsett zu lösen, damit sich schmackhafte, greifbare Erinnerungen in die Zwischenräume setzen. Die Geschichte der Linda Hammerick, die mit sechs Jahren neue Eltern bekommt und fortan statt "Linh-Dao" Linda gerufen wird, ist die Geschichte eines Bruchs, eines persönlichen Traumas. Sie ist aber auch Teil der Wunde, die zwischen Vietnam und Amerika klafft.
Lindas erste Selbstbeschreibung fällt in das Jahr 1975. Amerikanische Truppen verlassen ihre Geburtsstadt Saigon. Kommunistische Streitkräfte übernehmen die Macht. Linda selbst liest davon später nur im Lexikon. An die leiblichen Eltern fehlt ihr jegliche Erinnerung. Vom alten Leben bleibt ihr nur ein bitterer Geschmack im Mund. Über Nacht hat man die Wände dieser Ich-Erzählerin ausgetauscht.
Von all diesem schweigt der Roman aber zunächst. Monique Truong, die lange als Anwältin einer namhaften New Yorker Kanzlei praktizierte, ordnet Lindas Erinnerungen präzise um dieses Schweigen herum. Sie folgt einer Psychogrammatik, die nach einem berückend schlichten Prinzip funktioniert: Für das, was folgt, muss erst einmal ein Kokon gebildet werden, sonst kann es nicht erzählt werden. Und so führt uns die Erzählerin zu Beginn des Romans in die Innenwelt der siebenjährigen Linda, in ein heftiges, kindliches Liebesgefühl, ausgelöst durch das Tanzen mit ihrem neuen Großonkel in der fremden Stadt. Er mag sie, weil sie ein stilles Kind ist - wie er selbst eines war; ein Foto zeigt ihn als kleinen Jungen, die Arme an den Körper gepresst. "Wir waren kompakt, wir machten uns stets kleiner. Wir mochten beide Musik, sie war ein Fluss, an dem wir uns entkleideten, in den wir hineinsprangen und in dem wir mit den Armen ruderten." Diese unschuldig bleibende Beziehung zum Großonkel bildet über lange Strecken des Romans einen Schutzraum. Ihm wird sie später anvertrauen, dass sie als Elfjährige vergewaltigt wurde; mit ihm teilt sie das Gefühl, anders zu sein - und einsam.
Diese erste Tanzszene liefert zugleich das poetische Besteck, mit dem die Erzählerin zu Werke schreiten wird. Wirklichkeit ist ihr kein Faden, der sich chronologisch abschreiten lässt, sondern in erster Linie sinnliche Erfahrung: Twisten, tanzen, sich zuzwinkern; Haut, die nach dem Auftreffen der Plattennadel auf die Rille plötzlich dünn wird und fast platzt; ein Lichtschein, der sich im Körper ausbreitet und anwächst wie ein Feuerwerk. Die Welt ist in Gerüchen, Farben, Bildern kodiert; sie ist die offene Fliege, die dem ausgelassen tanzenden Großonkel um den Kragen baumelt - "kleine, gleichschenklige Dreiecke nach der Mode der damaligen Zeit". Die Rekonstruktion dieser "zweiten Geburt" Linh-Daos als Linda Hammerick ist kein schwerfälliger Akt, sondern die Ernte eines reichen Quells vorstellbarer Details, ein "vielgängiges Menü". Wie sonst sollte man die Erzählung eines Leben, dessen Wurzeln gekappt sind, in Gang bringen?
Monique Truong schreibt in eisklaren Sätzen, welche die Eigenart besitzen, unvermutet aufzublühen, während man noch ihrem trockenen Gehalt nachsinnt. "Ich liebte meine Mutter im Alter von sieben bis elf" heißt solch ein dogmatischer Satz, der wie eine Mauer steht. Dahinter türmen sich Beschreibungen von entrückter Schönheit, und es liegt auch an der Übersetzungsleistung Peter Torbergs, dass sie wirken wie von aller Erdenschwere befreit. "Bitter im Mund" erzählt nicht nur vom Anderssein, sondern implantiert dieses Gefühl in kecke, originelle Bilder.
Sie sprengen sogar das Provinzielle des Ortes, in dem diese Geschichte spielt: Boiling Springs, ein kleines amerikanisches Nirgendwo in North Carolina, wo die Mädchen Pop-Idole aus dem einzig verfügbaren Hochglanzmagazin anhimmeln und wo man sich "vom Kindergarten bis ins Grab piesackte". Scharfen Beobachtungen folgen spitze Figurenbeschreibungen, etwa über pubertierende Jungs nach dem "Wachstumssprint": "Sie ruderten mit ihren dürren Armen und mageren Beinen herum wie Tiefseekopffüßler. Die Köpfe wirkten viel zu klein und unproportioniert im Vergleich zu ihren neuen, großen Körpern. Keiner von ihnen war schön."
Truong kreuzt den unmittelbaren Blick der Heranwachsenden mit Wissen und Humor der Älteren. Dazu montiert sie manchmal Quellen oder Legenden, wie man sie beispielsweise aus der Schule über das Land erfährt. Und so gelingt es ihr, die Erfahrungen dieses asiatisch aussehenden Mädchens mit dem Süden Amerikas, mit dem großen, falschen Mythos, begreiflich zu machen: als Reaktion auf Ablehnung und Anerkennung; auf eine historische Vergangenheit, in die sich Linda unfreiwillig hineingestellt sieht; auf die Bilder, welche die Einwohner von ihr haben, bevor sie überhaupt spricht. Spitznamen für sie sind schon vor ihr da. Und wer die nicht benutzt, schaut durch sie hindurch. Unter Gleichaltrigen ist sie höchstens Vertraute, "nie Heldin, Liebesobjekt, Drache oder Hexe". Ältere plagt bei ihrem Anblick das schlechte Gewissen. "Ich" zu sein unter diesen Umständen ist plötzlich keine persönliche Angelegenheit mehr. Auch davon erzählt der Roman.
Monique Truong hat ihre Figur außerdem mit einer besonderen Eigenschaft ausgestattet: Linda schmeckt Worte. "Ma", die neue Mutter, assoziiert sie mit Schokoladenmilch. Der Vorname des ersten Jungen, für den sie sich interessiert, spült Orangeneis in ihren Gaumen. Und wenn jemand sagt, er sei "enttäuscht", imaginiert sie leicht verbrannten Toast.
Schon Monique Truongs sehr gelobter erster Roman "Das Buch vom Salz" (2004) über den vietnamesischen Koch von Gertrude Stein und Alice B. Toklas regte beim Lesen die Sinne an. Jetzt macht die Autorin das Speiserepertoire zum Stigma einer mehrfach geforderten Persönlichkeit. Lindas außerordentliche Fähigkeit, Synästhesie genannt, lässt sich schwer teilen und schon gar nicht synchron abbilden ("Thomasorangenlimonade hat sie geliebtnestea."). Es bleibt sparsam eingesetzt und greifbares Bild für Lindas Not, sich abzugrenzen. "Eingänge" der Worte können überreizt sein. Später gelingt ihr sogar - mit Wissen um ihre Eigenart - eine Annäherung an die Adoptivmutter. Es beschreibt noch einmal auf einer anderen Ebene ihr besonderes Verhältnis zur Welt, in der eine zweite Welt versteckt ist, und darin vielleicht eine dritte und mehr.
Die Reproduktion von Welten, Identitäten, Familien, Erinnerungen, Sprachen bringt diesen Roman in Schwingung. Lindas Leben wird, während es sich vor uns ausbreitet, mehr und mehr zur Fallstudie. Verschiedene Menschen halten verschiedene Schlüssel dazu in der Hand. Manche lassen sie nur kurz metallisch aufblitzen und schweigen dann. Andere reden und reden, aber Linda erfährt trotzdem nichts. Aber es ist nicht Arbeit, sondern ein großes Lesevergnügen, sich zur Wurzel vorzutasten.
ANJA HIRSCH
Monique Truong: "Bitter im Mund". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Peter Torberg. Verlag C.H. Beck, München 2010. 328 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Monique Truong hat ihren neuen Roman "Bitter im Mund" gut geplant, findet Joseph Hanimann, doch an vielen Stellen laufe er leider ins Leere. So sei in dieser Familiengeschichte die Synästhesie der Ich-Erzählerin Linda zwar eine interessante Metapher für ihre Doppelherkunft (Linda wird in Saigon geboren, wächst aber in den amerikanischen Südstaaten auf). Doch letztendlich "wirbelt und gurgelt das Thema" zwischen zu vielen Nebenhandlungen vor sich hin, bedauert der Rezesent, und auch die um Lesefluss bemühte Übersetzung Peter Torbergs ändere nichts daran, dass es dem Buch an Spannungsdramaturgie fehle.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH