Eine ungewöhnliche Geschwisterbeziehung steht im Zentrum dieses gefeierten Romans der griechischen Autorin Ersi Sotiropoulos.
Lia, eine junge Frau um die dreißig, liegt schwerkrank im Krankenhaus. Sie leidet unter dem rücksichtslosen Krankenpfleger Sotiris und bittet ihren Bruder Sid, an ihm Rache zu nehmen. Es gelingt Sid, sich in das Leben des Krankenpflegers einzuschleichen, und die beiden Männer verbringen gemeinsam einige Zeit in Sotiris' Heimatdorf. Dort kommt alles anders als geplant: statt seine Schwester zu rächen, vereitelt Sid im letzten Moment einen Mordplan des Krankenpflegers.
Lia, eine junge Frau um die dreißig, liegt schwerkrank im Krankenhaus. Sie leidet unter dem rücksichtslosen Krankenpfleger Sotiris und bittet ihren Bruder Sid, an ihm Rache zu nehmen. Es gelingt Sid, sich in das Leben des Krankenpflegers einzuschleichen, und die beiden Männer verbringen gemeinsam einige Zeit in Sotiris' Heimatdorf. Dort kommt alles anders als geplant: statt seine Schwester zu rächen, vereitelt Sid im letzten Moment einen Mordplan des Krankenpflegers.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.02.2002Sieche Griechen
Ersi Sotiropoulos serviert Passionsfrüchte und junges Gemüse
Athen, du hast es auch nicht besser: Sid, der sich nach der Galionsfigur des Punk als "Isidoros Vicious" gibt, ist ohne Übergang vom Kind zum Mann mittleren Alters vorgerückt. Arbeitslos hockt er in seinem Junggesellenappartement und träumt davon, ein amerikanischer Held zu sein, denn dann wüßte er, was zu tun ist. Einstweilen vertreibt sich Sid die Zeit damit, einen etwas öden Beo zu besitzen, der "Hallo Maria" sagen kann, und langweilige Vorabendserien auf dem Fernsehbildschirm zum Gegenstand kleiner Spuckwettbewerbe zu machen: "Wenn ich den gelben Blazer treffe, stehe ich auf und hole ein Bier."
Freigiebigkeit mit seinen Körperflüssigkeiten ist ein durchgängiger Zug dieses sonst eher passiven Punkers; als Junge spuckte er in die Fischsuppe seiner Eltern, als Fünfjähriger pinkelte er vom obersten Stock des Hauses auf eine Prozession. "Sein Humor dringt durch Mark und Bein", kommentiert Sids ältere Schwester Lia, die sterbenskrank in einem Athener Hospital liegt. Beim Leser ist diese Wirkung nicht garantiert. Sid, der sich als Möchtegern und Angeber durchs Leben schlägt, ist also eigentlich ein Abgeber: Seinen Beo, einen chinesischen Telefonverkäufer, der dem Romanpersonal wie dem Leser das ganze Buch hindurch mit unerwünschten Anrufen auf die Nerven fällt, sowie seine nach dem vielleicht nicht mehr ganz so elektrisierenden Santana-Song als "Black Magic" eingeführte Kurzzeitgeliebte jedenfalls tritt er im Verlauf der Geschichte an Sotiris, den dumpfen, teiggesichtigen Krankenpfleger seiner Schwester, ab.
Dabei sollte er sich eigentlich nur in Sotiris' Leben einschleichen, um ihn dann für seine tatsächliche oder eingebildete Mißhandlung der Bettlägerigen zu bestrafen. Wozu es schon deshalb nicht kommt, weil der Sid erst einmal zum Komplizen bei der Ermordung des Mädchens Nina machen möchte, die ihn im heimatlichen Dorf als onanierenden Spanner im Gebüsch ertappt hat und der befürchteten Schande wegen aus dem Weg geräumt werden soll.
Es ist ein eigenartiges Gebräu, das Ersi Sotiropoulos in ihrem vierten, in Griechenland mit viel Lob und den beiden wichtigsten Literaturpreisen des Landes bedachten Roman anrührt, mit dem nun erstmals ein Buch der 1953 geborenen Lyrikerin und Erzählerin ins Deutsche übersetzt wurde. Seine durchdringende Geschmacksnote bildet ein zäher Sirup des emotionalen Fatalismus; ein passives Weitertapern zeichnet zumindest alle erwachsenen Hauptfiguren aus.
Angelegt ist das Buch zwar als eine Geschwistergeschichte, in deren Mittelpunkt Sids und Lias schwieriges gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis steht. Wenn Sid die Schwester im Krankenhaus besucht, wenn die beiden miteinander telefonieren, machen sie sich wechselseitig zu Darstellern in ihren widersprüchlichen Kindheitserinnerungen. Doch wird ihre Beziehung nicht wirklich ausgeleuchtet; gleichwertig stehen die aus ihrer jeweiligen Innenperspektive gegebenen Figuren nebeneinander. Ersi Sotiropoulos läßt so lauter subjektive Welten mittlerer Reichweite entstehen, ohne wirkliche Verdichtung oder Entfaltung. Das ist schade, denn das Buch enthält durchaus reizvolle Bilder, um das diffuse Gefühl des Eingeschlossenseins atmosphärisch zu vermitteln. Auch die Krankheit, an der Lia sterben wird, ist ein gelungener Kunstgriff: Der gänzlich erfundene Virus Hcnvmb putscht das Immunsystem im Kampf gegen den vermeintlichen Eindringling so auf, daß es die inneren Organe zerstört - eine angemessene Metapher für die Welt, die hier beschrieben wird: Es ist eigentlich nichts, aber du gehst kaputt daran. "Da uns niemand liebt, sind die Krankenhäuser für uns geradezu ideal", befindet Lia.
So liest sich "Bittere Orangen" wie ein spöttisch-mitfühlender Abgesang auf eine Generation der Schlaffen (mit dem Schnulzentitel der ansonsten gut lesbaren deutschen Fassung sind die Früchte des Pomeranzenbaums gemeint, die als ein etwas ausgetretenes Symbol im Roman herumliegen). Nur den Zornigen, den sentenzenlos Verzweifelten, mithin den Jüngsten scheint die Kraft gegeben, ihre Welt aus eigener Kraft im Gleichgewicht zu halten. Gegen die sich selbst überflüssig Gewordenen kommen allenfalls die Zwölfjährigen an. Das Mädchen Nina schreibt, um der Welt der Scheintoten zu entfliehen. Schreibend, behauptet der Roman, gelingt ihr die Flucht, während die triste Bagage um Sid in einem letzten Bild verpufft.
MICHAEL ADRIAN
Ersi Sotiropoulos: "Bittere Orangen". Roman. Aus dem Neugriechischen übersetzt von Doris Wille. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2001. 197 S., br., 14,50.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ersi Sotiropoulos serviert Passionsfrüchte und junges Gemüse
Athen, du hast es auch nicht besser: Sid, der sich nach der Galionsfigur des Punk als "Isidoros Vicious" gibt, ist ohne Übergang vom Kind zum Mann mittleren Alters vorgerückt. Arbeitslos hockt er in seinem Junggesellenappartement und träumt davon, ein amerikanischer Held zu sein, denn dann wüßte er, was zu tun ist. Einstweilen vertreibt sich Sid die Zeit damit, einen etwas öden Beo zu besitzen, der "Hallo Maria" sagen kann, und langweilige Vorabendserien auf dem Fernsehbildschirm zum Gegenstand kleiner Spuckwettbewerbe zu machen: "Wenn ich den gelben Blazer treffe, stehe ich auf und hole ein Bier."
Freigiebigkeit mit seinen Körperflüssigkeiten ist ein durchgängiger Zug dieses sonst eher passiven Punkers; als Junge spuckte er in die Fischsuppe seiner Eltern, als Fünfjähriger pinkelte er vom obersten Stock des Hauses auf eine Prozession. "Sein Humor dringt durch Mark und Bein", kommentiert Sids ältere Schwester Lia, die sterbenskrank in einem Athener Hospital liegt. Beim Leser ist diese Wirkung nicht garantiert. Sid, der sich als Möchtegern und Angeber durchs Leben schlägt, ist also eigentlich ein Abgeber: Seinen Beo, einen chinesischen Telefonverkäufer, der dem Romanpersonal wie dem Leser das ganze Buch hindurch mit unerwünschten Anrufen auf die Nerven fällt, sowie seine nach dem vielleicht nicht mehr ganz so elektrisierenden Santana-Song als "Black Magic" eingeführte Kurzzeitgeliebte jedenfalls tritt er im Verlauf der Geschichte an Sotiris, den dumpfen, teiggesichtigen Krankenpfleger seiner Schwester, ab.
Dabei sollte er sich eigentlich nur in Sotiris' Leben einschleichen, um ihn dann für seine tatsächliche oder eingebildete Mißhandlung der Bettlägerigen zu bestrafen. Wozu es schon deshalb nicht kommt, weil der Sid erst einmal zum Komplizen bei der Ermordung des Mädchens Nina machen möchte, die ihn im heimatlichen Dorf als onanierenden Spanner im Gebüsch ertappt hat und der befürchteten Schande wegen aus dem Weg geräumt werden soll.
Es ist ein eigenartiges Gebräu, das Ersi Sotiropoulos in ihrem vierten, in Griechenland mit viel Lob und den beiden wichtigsten Literaturpreisen des Landes bedachten Roman anrührt, mit dem nun erstmals ein Buch der 1953 geborenen Lyrikerin und Erzählerin ins Deutsche übersetzt wurde. Seine durchdringende Geschmacksnote bildet ein zäher Sirup des emotionalen Fatalismus; ein passives Weitertapern zeichnet zumindest alle erwachsenen Hauptfiguren aus.
Angelegt ist das Buch zwar als eine Geschwistergeschichte, in deren Mittelpunkt Sids und Lias schwieriges gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis steht. Wenn Sid die Schwester im Krankenhaus besucht, wenn die beiden miteinander telefonieren, machen sie sich wechselseitig zu Darstellern in ihren widersprüchlichen Kindheitserinnerungen. Doch wird ihre Beziehung nicht wirklich ausgeleuchtet; gleichwertig stehen die aus ihrer jeweiligen Innenperspektive gegebenen Figuren nebeneinander. Ersi Sotiropoulos läßt so lauter subjektive Welten mittlerer Reichweite entstehen, ohne wirkliche Verdichtung oder Entfaltung. Das ist schade, denn das Buch enthält durchaus reizvolle Bilder, um das diffuse Gefühl des Eingeschlossenseins atmosphärisch zu vermitteln. Auch die Krankheit, an der Lia sterben wird, ist ein gelungener Kunstgriff: Der gänzlich erfundene Virus Hcnvmb putscht das Immunsystem im Kampf gegen den vermeintlichen Eindringling so auf, daß es die inneren Organe zerstört - eine angemessene Metapher für die Welt, die hier beschrieben wird: Es ist eigentlich nichts, aber du gehst kaputt daran. "Da uns niemand liebt, sind die Krankenhäuser für uns geradezu ideal", befindet Lia.
So liest sich "Bittere Orangen" wie ein spöttisch-mitfühlender Abgesang auf eine Generation der Schlaffen (mit dem Schnulzentitel der ansonsten gut lesbaren deutschen Fassung sind die Früchte des Pomeranzenbaums gemeint, die als ein etwas ausgetretenes Symbol im Roman herumliegen). Nur den Zornigen, den sentenzenlos Verzweifelten, mithin den Jüngsten scheint die Kraft gegeben, ihre Welt aus eigener Kraft im Gleichgewicht zu halten. Gegen die sich selbst überflüssig Gewordenen kommen allenfalls die Zwölfjährigen an. Das Mädchen Nina schreibt, um der Welt der Scheintoten zu entfliehen. Schreibend, behauptet der Roman, gelingt ihr die Flucht, während die triste Bagage um Sid in einem letzten Bild verpufft.
MICHAEL ADRIAN
Ersi Sotiropoulos: "Bittere Orangen". Roman. Aus dem Neugriechischen übersetzt von Doris Wille. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2001. 197 S., br., 14,50
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Voller Vielfalt des Lebens und der Perspektiven, voller Liebe und Subtilität, voller Charme und Einfallsreichtum, aber eben auch voller drastischer Deftigkeit." Main-Echo
"Ein meisterhafter Text, licht und durchsichtig und doch voller Rätsel, sonderbar heiter und doch voller bedrohlicher, frischer Bilder."Elmar Krekeler in 'Focus Literatur-Tipp'
"Einer der schönsten Texte griechischer Prosa des letzten Jahrzehnts." Vangelis Hatzivasileiou in 'Elevtherotypia'
"Eine Vergötterung des Unheiligen und des Widersinnigen, die von der Schriftstellerin wie gewöhnlich mit heißhungriger Lust vorgenommen wird... " Alexis Siras in 'Elevtherotypia'
"Feinsinniger Sarkasmus, Helden, die ihre Orientierung beständig verlieren und wiederfinden sowie ein dämonisches Schicksal, das großzügig Glück und Unglück unter seinen Privilegierten und seinen Opfern verteilt. Vergnügliche Stunden mit 'Bittere Orangen' von Ersi Sotiropoulos." Vangelis Chatsivasiliou in 'Kyriakatiki Elevtherotypia' Ersi Sotiropoulos: Bittere Orangen
"Die Geschichte ist durchzogen von beißend schwarzem Humor, einem feinen Sinn für das Absurde. Ersi Sotiropoulos geht mit der Absurdität so vertraut um wie mit einem alten Freund. ... Das Buch ist eine meisterhafte schwarze Komödie" Kay Cicellis
"Ein meisterhafter Text, licht und durchsichtig und doch voller Rätsel, sonderbar heiter und doch voller bedrohlicher, frischer Bilder."Elmar Krekeler in 'Focus Literatur-Tipp'
"Einer der schönsten Texte griechischer Prosa des letzten Jahrzehnts." Vangelis Hatzivasileiou in 'Elevtherotypia'
"Eine Vergötterung des Unheiligen und des Widersinnigen, die von der Schriftstellerin wie gewöhnlich mit heißhungriger Lust vorgenommen wird... " Alexis Siras in 'Elevtherotypia'
"Feinsinniger Sarkasmus, Helden, die ihre Orientierung beständig verlieren und wiederfinden sowie ein dämonisches Schicksal, das großzügig Glück und Unglück unter seinen Privilegierten und seinen Opfern verteilt. Vergnügliche Stunden mit 'Bittere Orangen' von Ersi Sotiropoulos." Vangelis Chatsivasiliou in 'Kyriakatiki Elevtherotypia' Ersi Sotiropoulos: Bittere Orangen
"Die Geschichte ist durchzogen von beißend schwarzem Humor, einem feinen Sinn für das Absurde. Ersi Sotiropoulos geht mit der Absurdität so vertraut um wie mit einem alten Freund. ... Das Buch ist eine meisterhafte schwarze Komödie" Kay Cicellis
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Stefan Maus ist von dem Roman der griechischen Schriftstellerin Ersi Sotiropoulos hellauf begeistert. Die spannungsreichen Passagen erinnern ihn an Patricia Highsmith, die Landschaftsbeschreibungen gar an Albert Camus. "Verhedderung ist hier Programm", erklärt der Rezensent: Alles, was sich die "symmetrisch aufgestellten" Figuren vorstellten, trete so nicht ein, sondern ganz anders. Die kuriose Mischung aus "schwarzem Humor, blues-bläulicher Traurigkeit und neongrell erleuchteter Erbarmungslosigkeit" verspricht äußerstes Lesevergnügen, verkündet der Rezensent. Trotz aller Absurdität sei dieser in "trockenem und lakonischem Stil" geschriebene Roman um eine "Handvoll unglücklicher Kauze" voller Wehmut, Melancholie und Gewalt. Der Rezensent jedenfalls hat dieses Plot- und Stilkonglomerat offensichtlich sehr genossen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH