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Produktdetails
  • Die Graue Reihe Bd.32
  • Verlag: Die Graue Edition
  • Seitenzahl: 316
  • Deutsch
  • Abmessung: 235mm
  • Gewicht: 678g
  • ISBN-13: 9783906336329
  • ISBN-10: 3906336328
  • Artikelnr.: 09731972

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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.10.2001

Braunes Glas, weißes Glas
Gutes Gewissen erwächst in Deutschland aus der Mülltrennung
JÜRGEN DAHL: Bitteres Lachen im grünen Bereich. Essays und Glossen eines Skeptikers, Die graue Edition,Reutlingen 2001. 316 Seiten, 34 DM.
Wem die ganze Richtung nicht passt, wer genug hat von Werbepausen, Cholesterinspiegelsenkern, Wachstumsprozenten, Antiraucherkampagnen, neuen Computerbetriebssystemen, Apothekerzeitschriften und Achtzehnzylindern, kurz: von dem, was unsere Zivilisation ausmacht, der hat in Jürgen Dahl einen, der ihm in Worte fasst, woran er leidet. Dieser glänzende Essayist, ein wahrer Meister der deutschen Sprache, ist wenig bekannt, weil er sich auf das unbeliebte Verbreiten von unangenehmen Wahrheiten verlegt hat. Er nennt sich selbst einen Spielverderber, und das Spiel heißt „Wir machen immer so weiter”.
Mit einem „sardonischen Lächeln” begleitet Dahl unsere Versuche, aus den verschiedensten Miseren herauszukommen – ohne Änderung der Lebensweise. Dabei wird es immer schwerer, im „grünen Bereich” zu bleiben. Dahl sieht überall das Entropieprinzip wirken: Wir reparieren, aber die Reparatur verursacht grössere Schäden. Die sind weit verteilt und deshalb schwer erkennbar. Volkstümlich gesprochen: Der Kittel spannt, und, vorn geflickt, reißt er am Rücken auf.
Mit schneidender – heute sagt man: ätzender – Logik beweist Dahl, dass zum Beispiel das sogenannte Gesundheitswesen zusammenbrechen muss, wenn das Ziel medizinischer Bemühungen das ewige Leben ohne Rücksicht auf die Kosten seiner Erhaltung ist. Deshalb, meint er, sollten Krankenkassen sich glücklich preisen für jeden starken Raucher, der sich, jedenfalls statistisch, verabschiedet, bevor er teuer wird. Nun ist das Gesundheitswesen ein besonders langweiliges Thema, aber es wird hier nur als Beispiel erwähnt; niemand sollte sich dadurch abschrecken lassen, er brächte sich nur um das Vergnügen an den anderen Themen. Zum Beispiel, wenn Dahl aus Fachzeitschriften von Hühnerzüchtern herausarbeitet, wie im Vereinsbetrieb der Geflügelrassebewussten ganz unschuldig der allgemeine Rassismus ausgebrütet wird. Oder wenn er sich bei der Lektüre von Waffenjournalen Gedanken über den geistigen und seelischen Haushalt von Waffenfreunden macht. Oder wie ihm die Kleinfeuerungsanlagenverordnung zum Gleichnis für eine allgegenwärtige Nötigung wird.
Da belehrt der Bezirksschornsteinfegermeister über alles, was einer mit seinem Kachelofen nicht darf, während täglich Millionen Tonnen Öl verbrannt werden und die Atmosphäre mit tausend Giften nicht mehr fertig wird. Da trennen wir fleißig Folien, Becher, Blister, braunes, grünes und weißes Glas, während der Verbleib der strahlenden Abfälle aus den Atomkraftwerken ungeklärt ist. Da empfiehlt man uns, gesundheitsfördernde Spaziergänge zu unternehmen, nur sind die Straßen beim Gang ums Eck laut und verstunken. Zynische Nötigungen nennt Dahl alle die guten Ratschläge zum Wohlverhalten en detail, damit die Braven beschäftigt sind und guten Gewissens en gros so weitermachen wie bisher.
Das alles kommt überhaupt nicht soziologisch-intellektuell oder simpel- nörglerisch daher, sondern nur pointiert, unbestechlich, klarsichtig, bildkräftig, allgemein verständlich. Und oft sehr witzig.
Erleuchtung garantiert
Der Leser wird ermessen, was es für einen solchen Geist bedeutet, wenn eine auf Vernunft und Liebe gegründete Lebensgemeinschaft zerfällt, weil ein Partner, von einem philippinischen Wanderprediger „erleuchtet”, in die Esoterik abdriftet und buchstäblich in Finsternis versinkt. Dann wird das gemeinsame Haus von anderen Erleuchteten besetzt, für den Unerleuchteten unbewohnbar, und wenn die Verblödung vollendet ist, entschwindet der finanziell gestärkte Guru in der Limousine. Die Beschreibung einer solchen Tragödie gehört zum Eindrucksvollsten in dieser Sammlung von Meisterstücken der Aufklärung in, so Dahl, Zeiten der „Vorherrschaft der Bescheuerten auf allen Lebensgebieten.
CHRISTIAN SCHÜTZE
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Christian Schütze hat Dahls Essays und Glossen über den Widerspruch, in dem das Subjekt lebt, ohne es zu merken, mit Vergnügen gelesen. Der Autor sei "wenig bekannt, weil er sich auf das unbeliebte Verbreiten von unangenehmen Wahrheiten verlegt hat". Mit Sprachwitz decke er den Rassismus des Hühnerzüchters auf, den Aberwitz unseres betriebslinden Gesundheitswesens und all die vielen Nötigungen zum Wohlverhalten (Joggen an bleiverseuchten Straßen, Mülltrennung angesichts strahlender Atomabfälle etc.), die im Grunde nur Beschäftigungstherapien seien. Dahls Texte: eine "Sammlung von Meisterstücken der Aufklärung", lobt Schütze.

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