Eine Ode an den Untergang Amerikas
Der weltweit gefeierte und preisgekrönte amerikanische Songwriter und Sänger Simone Felice ("The Felice Brothers", "The Duke & the King") legt mit "Black Jesus" einen beeindruckenden Debütroman vor - eine düster-sentimentale Liebesgeschichte, die in einem Amerika spielt, das sich am Abgrund befindet. Zwei einsame, verlorene Seelen tun sich in einem dem Tode geweihten Ort zusammen, um dem Schicksal die Stirn zu bieten. "Black Jesus" ist eine ergreifende Hymne an die Vergessenen und Gescheiterten.
Der weltweit gefeierte und preisgekrönte amerikanische Songwriter und Sänger Simone Felice ("The Felice Brothers", "The Duke & the King") legt mit "Black Jesus" einen beeindruckenden Debütroman vor - eine düster-sentimentale Liebesgeschichte, die in einem Amerika spielt, das sich am Abgrund befindet. Zwei einsame, verlorene Seelen tun sich in einem dem Tode geweihten Ort zusammen, um dem Schicksal die Stirn zu bieten. "Black Jesus" ist eine ergreifende Hymne an die Vergessenen und Gescheiterten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.07.2012Zwei gegen Amerika
Mit seiner Sonnenbrille im Gesicht sitzt Lionel White grinsend mitten im Trödel, der den Flohmarkt seiner Mutter füllt. Die Whites wohnen in Gay Paris, einem Kaff in den Catskill-Bergen des Bundesstaats New York, wohin Lionel als Veteran zurückgekehrt ist - ein ehemaliger Marine, gerade mal neunzehn Jahre alt. Die Brille trägt er, seit er bei einem Anschlag im Irak erblindete, das Grinsen bringen die Pillen, die ihn ruhigstellen. Seine Kameraden nannten ihn "Black Jesus". So heißt auch der erste Roman des Songwriters Simone Felice, 1976 in den Catskills geboren, der mit seinen Brüdern in der famosen Folk-Band The Felice Brothers spielte, dann seine eigene Gruppe The Duke & The King hatte und jüngst ein Solodebüt veröffentlichte. Wie seine Hauptfigur ist Felice ein Überlebender. Im britischen "Guardian" beschrieb er, wie er zweimal fast starb: als Kind an einer Hirnblutung, als Erwachsener an einem Herzfehler. In "Black Jesus" erzählt Felice von der Rettung des Lionel White; eine Stripperin namens Gloria wird Lionel der Lethargie und dem Schaukelstuhl entreißen. Geschichten vom kleinen Glück der Gebeutelten können in Kitsch und Klischee kippen. Felice ist davor nicht ganz gefeit. Doch zwischen derber Figurenrede und mal lyrischem, mal lakonischem Erzählton kriegt er die Kurve, weil sein verweisreicher Roman über White-Trash-Romantik hinausgeht. In Störmomenten blitzen Missbrauch, Mord und Medienwahn auf. Dazu baut Felice amerikanische Mythen ein (Rip Van Winkle, Captain Ahab, den Marlboro-Mann oder das Autokino), aber gegen den Weg nach Westen, den mächtigsten und männlichsten Mythos überhaupt, setzt er Glorias Flucht nach Osten und gegen Lionels Lethargie die Bereitschaft, sich vom Leben überraschen zu lassen: "Wenn wir schon jede Szene aus dem Film kennen würden - warum sollten wir dann noch sitzen bleiben, um ihn uns bis zum Ende anzuschauen?" (Simone Felice: "Black Jesus". Roman. Aus dem Amerikanischen von Bernd Gockel. Wilhelm Heyne Verlag, München 2012. 207 S., geb., 14, 99 [Euro].) grae
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit seiner Sonnenbrille im Gesicht sitzt Lionel White grinsend mitten im Trödel, der den Flohmarkt seiner Mutter füllt. Die Whites wohnen in Gay Paris, einem Kaff in den Catskill-Bergen des Bundesstaats New York, wohin Lionel als Veteran zurückgekehrt ist - ein ehemaliger Marine, gerade mal neunzehn Jahre alt. Die Brille trägt er, seit er bei einem Anschlag im Irak erblindete, das Grinsen bringen die Pillen, die ihn ruhigstellen. Seine Kameraden nannten ihn "Black Jesus". So heißt auch der erste Roman des Songwriters Simone Felice, 1976 in den Catskills geboren, der mit seinen Brüdern in der famosen Folk-Band The Felice Brothers spielte, dann seine eigene Gruppe The Duke & The King hatte und jüngst ein Solodebüt veröffentlichte. Wie seine Hauptfigur ist Felice ein Überlebender. Im britischen "Guardian" beschrieb er, wie er zweimal fast starb: als Kind an einer Hirnblutung, als Erwachsener an einem Herzfehler. In "Black Jesus" erzählt Felice von der Rettung des Lionel White; eine Stripperin namens Gloria wird Lionel der Lethargie und dem Schaukelstuhl entreißen. Geschichten vom kleinen Glück der Gebeutelten können in Kitsch und Klischee kippen. Felice ist davor nicht ganz gefeit. Doch zwischen derber Figurenrede und mal lyrischem, mal lakonischem Erzählton kriegt er die Kurve, weil sein verweisreicher Roman über White-Trash-Romantik hinausgeht. In Störmomenten blitzen Missbrauch, Mord und Medienwahn auf. Dazu baut Felice amerikanische Mythen ein (Rip Van Winkle, Captain Ahab, den Marlboro-Mann oder das Autokino), aber gegen den Weg nach Westen, den mächtigsten und männlichsten Mythos überhaupt, setzt er Glorias Flucht nach Osten und gegen Lionels Lethargie die Bereitschaft, sich vom Leben überraschen zu lassen: "Wenn wir schon jede Szene aus dem Film kennen würden - warum sollten wir dann noch sitzen bleiben, um ihn uns bis zum Ende anzuschauen?" (Simone Felice: "Black Jesus". Roman. Aus dem Amerikanischen von Bernd Gockel. Wilhelm Heyne Verlag, München 2012. 207 S., geb., 14, 99 [Euro].) grae
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