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Dorthin flüchtet sie sich, geht ihrer Malerei nach, hier besuchen sie Männer, die ihre Liebhaber werden möchten. Um dieses Gartenhäuschen wirbelt das laute Leben der Zwanziger Jahre, mit feingeistigen Abendgelagen, lärmenden Nachtclubs. Eine Handvoll Schlaftabletten wandert in einem unheimlichen Reigen durch diese bessere Gesellschaft, legt selbstmörderische Seelen frei. Und als man Blanche am Ende ihre Zuflucht, ihren Traumort, ihre Trutzburg rauben will, nimmt sie sich, ausgeliefert den Anmaßungen der Wirklichkeit, selbst das Leben. Paul Kornfelds "Blanche oder das Atelier im Garten" ist ein…mehr

Produktbeschreibung
Dorthin flüchtet sie sich, geht ihrer Malerei nach, hier besuchen sie Männer, die ihre Liebhaber werden möchten. Um dieses Gartenhäuschen wirbelt das laute Leben der Zwanziger Jahre, mit feingeistigen Abendgelagen, lärmenden Nachtclubs. Eine Handvoll Schlaftabletten wandert in einem unheimlichen Reigen durch diese bessere Gesellschaft, legt selbstmörderische Seelen frei. Und als man Blanche am Ende ihre Zuflucht, ihren Traumort, ihre Trutzburg rauben will, nimmt sie sich, ausgeliefert den Anmaßungen der Wirklichkeit, selbst das Leben. Paul Kornfelds "Blanche oder das Atelier im Garten" ist ein großer, wieder zu entdeckender Roman des vergangenen Jahrhunderts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998

Engel in allen Ecken
Paul Kornfelds Roman "Blanche oder Das Atelier im Garten" / Von Thomas Hettche

Ein Roman wird wiederentdeckt, der Anfang der dreißiger Jahre, so heißt es, von Ernst Rowohlt persönlich in Auftrag gegeben wurde. Da war sein Autor, der vor allem durch seine expressionistischen Theaterstücke bekannte Paul Kornfeld, Jahrgang 1889, bereits in seine Geburtsstadt Prag emigriert, wo er 1941 von den Nazis verhaftet wurde. Ein Jahr später starb er im Vernichtungslager Lodz. Der Roman, an dem er die letzten Jahre seines Lebens gearbeitet hatte, galt als verschollen, bis er Mitte der fünfziger Jahre auftauchte und endlich seinen Verleger erreichte. "Blanche oder Das Atelier im Garten" erschien 1957 im Rowohlt Verlag.

Der Inhalt ist schnell erzählt. Blanche, die etwas schwere und schwermütige Tochter eines wohlhabenden Anwalts, mietet sich unrechtmäßig in ein kleines Gartenhaus ein, das sie sich aufwendig und liebevoll zum Atelier ihres künstlerischen Dilettierens, vor allem zum stillen Refugium eines anderen Lebens umbaut, das vorrangig in ihrer Phantasie stattfindet. Um dieses Gartenhaus gruppiert der Roman seine großstädtische Personage, bei deren Beschreibung die Handlung dem Amoklauf eines Röhrchens Veronal folgt, das mit seiner Verlockung zum Freitod in der lebensmüden Boheme von Hand zu Hand geht. Als das Schlafmittel schließlich zu Blanche gelangt und diese just vom Besitzer des Gartenhauses aus ihrem Idyll vertrieben wird, begeht sie Selbstmord.

Ein großer Erfolg war dem Roman nicht beschieden. Gleichwohl hat der Frankfurter Schöffling Verlag eine Neuausgabe veranstaltet, die ein euphorisches Echo findet. Die Begeisterung für eine Erzählung, die etwa einen Vergewaltigungsversuch im Ton einer Trotzköpfchen-Idylle instrumentiert, "mit Biegungen, Windungen, Drehungen aller Glieder, mit Sichnähern und Sichentfernen, mit Gewalt, mit Listen und Kniffen, mit Keuchen, Fauchen und wütenden Lauten", ist allerdings erstaunlich. Zumal die Heldin nur obsiegt, weil sie über einen "kräftig und großzügig gestalteten Körper" verfügt. Zuhauf finden sich in diesem Roman Reflexionen wie die, "daß es nichts Herrlicheres und Überwältigenderes gibt als den Bogen, der sich vom ersten quäkenden Greinen des Säuglings, vom ersten Aufschrei des nackten Lebens zum gemessenen Wort des Weisen wölbt".

Im Laufe der Lektüre muß man feststellen, daß weder Kornfelds Aperçus - "Er schwamm munter im trüben Gewässer des Daseins, doch er selbst schien zu glauben, daß er eine Forelle im Gebirgsbach sei" - noch seine Beschreibungen - jemand spricht "klagenden Tones, mit einem leisen, kaum merkbaren Zittern in der Stimme, das an das Zittern der an Wimpern hängenden Tränen erinnerte" - sich sonderlich darum bemühen, Kitsch und Pathos zu vermeiden: "Sie wußte nicht, ob ihr in der kleinen Villa der Vorstadt der Atem der Tragödie, der Hauch des Todes oder nur der Verwesungsgeruch einer Liebe entgegenwehen würde."

Als der Roman 1957 erschien, ging Günter Blöcker in dieser Zeitung vorsichtig auf Distanz und schrieb von "erzählerischer Schönschrift" und der "gereinigten, keimfreien Wirklichkeit", die der Autor "mit so liebevoller Vorsicht und so zarter Nachdrücklichkeit entstofflicht" habe, daß am Ende nur "die Melodie der reinen, unbedingten Seelen" bestehenbleibe. Er bezog sich auf einen Essay Kornfelds, in dem dieser gefordert hatte: "Überlassen wir's dem Alltag, Charakter zu haben, und seien wir in größeren Stunden nichts als Seele. Denn es ist die Seele des Himmels, der Charakter aber allzu irdisch."

Das Unvermögen Kornfelds, mit dieser Ästhetik die Moderne in den Blick zu bekommen, die ihm doch vor Augen stand, ist so eklatant, daß der Roman an vielen Stellen unfreiwillige Komik entfaltet: "In der Mitte der Zimmers saß behäbig der Engel der Eintracht, in einer Ecke stand mit geröteten Wangen der Engel der Zärtlichkeit, in einer anderen stampfte schon der wilde Engel der Liebe, denn durch den Raum flog und flattert seit einiger Zeit der ungeduldige Engel des Kusses."

Als Zentrum der Erzählbewegung und geheime Spur einer Handlung, die die Alltagswelt vom Geschehen so substrahiert, daß lediglich große Gesten blieben, stiftet die "Seele" eine Einheit der Figuren, die nur eine vorgebliche sein kann und sich als ideologische erweist. Typen, wie Kornfeld sie vorführt - der so gutmütige wie herzkranke Vater, die gelangweilt-reiche Gutsherrin, der Modeschriftsteller, die melancholische Lebensmüde -, bevölkern heute die daily soaps des Fernsehens. Dort herrschen Tragik, Trost und, zu Recht, auch Seele. Die Faszination aber, die von literarischen Menschenentwürfen ausgehen kann, stellt sich weit jenseits solcher fiktionaler Standardisierungen ein. Und das keineswegs erst heute. Zur selben Zeit, als Paul Kornfeld in Prag über "Seele" reflektierte, schrieb Robert Musil in Wien von deren "gleitender Logik" und ließ seinen Helden Ulrich "den heiligen Weg" daraufhin untersuchen, "ob man wohl auch mit einem Kraftwagen auf ihm fahren könnte".

Seele ist nicht zufällig ein Schlüsselbegriff, der sich vielfältig in Kornfelds Roman und im "Mann ohne Eigenschaften", und zwar dort explizit als Forderung nach einem "Generalsekretariat der Genauigkeit und Seele", findet. Es ist der zentrale Begriff einer Zeit, in der die Literatur um Möglichkeiten der Abbildung rasant veränderter Wirklichkeit rang und sich - unter anderem mit Musil - fragte, wie die Welt "in dem gespannten Verhältnis von Literatur und Wirklichkeit, Gleichnis und Wahrheit dargestellt" werden könne. Derlei steht am Horizont auch von Kornfelds Erzählen, und sagen läßt sich, daß er diesen Horizont seiner Zeit nicht im mindesten ausmißt.

Da, wo der Erzähler selbstvergessen fabulierend aus den Augen verliert, was er fixieren will - seine Zeit -, befindet sich die Einlaßstelle des Kitsches. Gerade als Seelensucher macht Kornfeld sich mit seinen Figuren gemein, gibt jede kritische Distanz zu deren Melancholie auf und steht so auf der Seite der Ideologie, die letztlich sie wie ihn selbst umfaßt hält. Nicht zufällig nahm Klaus Mann die Diskreditierung des Begriffes der Seele durch den Faschismus vorweg und warnte bereits 1932 in einem unter Pseudonym aufgeführten Theaterstück: "Der Triumph des Anti-Geist - ich sehe ihn vollkommen werden, da die Vernunft immer wieder zu vornehm sein wird, sich zur Wehr zu setzen. Und er wird sich auf die Seele berufen, der Anti-Geist! Aber die Seele, die er meint, ist unrein, wir werden sie blutbefleckt sehen."

Die persönliche Tragik Kornfelds ist sicherlich, daß er das nicht hat sehen können. Aus einer Kritik aber, die heute diese Seelensuche und die Selbstvergessenheit von Kornfelds Roman emphatisch wiederaufnimmt, spricht wohl nur eine bestimmte Sehnsucht nach dem Kitsch, der uns umfange und tröste. "Das Buch, ich bin sicher, wird endgültig in seiner Bedeutung erkannt werden, und Blanche wird sich zu jenen gesellen, die wir lieben", schreibt Peter Härtling über "Blanche oder Das Atelier im Garten" und zählt auf: "Zu Theodor Fontanes Effi, zu Robert Musils Agathe, zu Joseph Roths Mendel, zu Thomas Manns Hanno - und und und." Zumindest Ulrich, Agathes Bruder, hätte sich eine solche gefühlige Vereinnahmung seiner Familie wohl verbeten.

Paul Kornfeld: "Blanche oder Das Atelier im Garten". Roman. Verlag Schöffling & Co, Frankfurt am Main 1998. 669 S., geb., 48,- DM.

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"Die deutsche Literatur ist um einen großen Roman aus den dreißiger Jahren reicher, einen Roman, der Vergleiche mit Robert Musil, Thomas Mann (...) nicht zu scheuen braucht." (Hellmuth Karasek, Tagesspiegel) "Es ist ein brillant geschriebenes Buch mit einer beeindruckenden Intensität." (Marcel Reich-Ranicki, Literarisches Quartett)