Ein Mann steht unter Mordverdacht: Unförmig und abgerissen ist er, dieser Polza Manzini, der im Polizei-verhör freimütig seine Geschichte erzählt. Eine Geschichte der Verwahrlosung. Jahrelang ist er über Land gezogen, nachdem er sein bürgerliches Leben über Bord geworfen hatte, um das zu suchen, was er den Blast nennt einen Moment der Erleuchtung, der ihn in Grenzregionen des Verstandes führt. Die Sehnsucht nach dem nächsten Blast scheint Polza zu allem zu befähigen Auch dazu, einen Menschen zu töten?
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Erdung findet der Rezensent in dieser Graphic Novel vor allem in den visuell überzeugenden ganz und gar nicht lieblichen Naturbildern. Ein Ex-Gastrokritiker, der als Clochard umherzieht und die Untiefen der Existenz und der Moral auslotet - für Christoph Haas ist das als Idee für eine Geschichte ein bisschen dünne. Die von Manu Larcenet offensichtlich gewollte Reduktion aufs Wesentliche, nämlich die Erfahrung von Entgrenzung und Tod, gereicht laut Haas nicht zu mehr Wucht, sondern zu einer Unverbindlichkeit, die durch die der Dreibändigkeit des Vorhabens geschuldeten Redundanzen auch nicht besser wird, meint er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.07.2015Der Eule sichtlich nahe
Manu Larcenet hat seinen „Blast“ vollendet. Im vierten Band der großartigen, verstörenden Comic-Serie werden wir hin- und
hergerissen von Momenten eruptiver Gewalt und traurigster Meditation. Immer in der Hoffnung, dass die Buddhisten sich irren
VON FRITZ GÖTTLER
Ruhiggestellt sind die Menschen in dieser Geschichte. Von sich selber ruhiggestellt, sie haben den Rückzug angetreten aus der Gesellschaft, die sie abstößt mit ihren windigen Werten und Regeln. Sind aus den Anstalten entlassen, in die man sie steckte, unter der strikten Bedingung, dass sie ihre tägliche Dosis an Medikamenten nehmen – was sie natürlich nicht tun. Lieber leiden sie weiter, Tag für Tag und Nacht für Nacht, bleiben unberechenbar, sogar sich selbst.
„Hütet euch vor dem geschriebenen Wort“, das ist die Parole dieser Outlaws, „hinter seiner Erhabenheit steckt doch immer nur die Wahrheit desjenigen, der den Stift führt.“
Manu Larcenets „Blast“ ist ein Meisterstück der modernen Melancholie, schwärzer kann ein Comicbuch nicht sein. Mit dem vierten Band neigt sich das Schicksal des Polza Mancini nun seinem Ende zu, und er hat – das dürfte nun wirklich kein Spoiler mehr sein – kaum eine Chance zu überleben. Die Geschichte eines fetten Serienmörders, so hat Manu Larcenet seinem Verleger Dargaud sein Projekt einst beschrieben, auf tausend Seiten. Larcenet kann sich so was locker leisten, nach der Reihe erfolgreicher Comicbände, die er seit 1994 schuf und von denen einige auch auf Deutsch erschienen sind (bei Reprodukt), „An vorderster Front“, wo wundersame apokryphe Abenteuer erzählt werden von Robin Hood, Vincent van Gogh und Sigmund Freud, oder „Rückkehr aufs Land“ oder „Der alltägliche Kampf“.
Eine lange Geschichte geht zu Ende, eine Geschichte der Müdigkeit, an der auch der Leser teilnehmen durfte, jene allmähliche Erschöpfung, die aus der Tiefe der Bilder heraufsteigt, sie zum Verharren bringt. Polza ist ein Einzelgänger, auf der Suche nach einer Bleibe, immer mit dem Wissen, dass er nicht lange bleiben wird. Er dringt in leere Häuser ein, übernachtet dort, immer wieder aber zieht es ihn in die Natur hinaus, in die Wälder und an die Kanäle. Sanft und lächerlich ist diese Figur, mit ihrem kugelrunden Kopf, den kleinen, meist ungläubigen Augen, der Pinocchionase, von eruptiven (farbigen) „Blasts“ erschüttert und von ihnen träumend. Einer, dem Gewalt angetan wird und der anderen Gewalt antut. Er fühlt sich der Eule sichtlich nahe, ihren meditativen Momenten, aber auch wenn sie sich blitzschnell hochschwingt und eine Maus schlägt.
Manu Larcenet ist ein Einzelgänger, er hat sich schon in der Kindheit ins Zeichnen zurückgezogen – zeichnen, sagt er, das bedeutet, seine Zeit anderswo verbringen. Ein Kind der Pariser Banlieues und des Punk der Achtziger. Keine feste Bleibe, der Gewalt auf den Straßen ausgesetzt, eine politische Jugend, durchaus mit Momenten der linken Militanz. Das alles hat ihn diesen verstörenden Rhythmus gelehrt, der in „Blast“ vibriert von Aggression und Innerlichkeit. Die Rapa-Nui-Figuren markieren Polzas Weg, die mysteriösen Götterstatuen der Osterinsel.
Polza Mancini lebt in seinem eigenen persönlichen Anderswo, und zwei Kriminalbeamte versuchen in einem mehrbändigen Verhör, ihn daraus herauszulocken. Im vierten Band – mit dem Titel „Hoffentlich irren sich die Buddhisten“ – geht es nun um die Zeit, die Polza auf dem Hof von Roland verbringt, einem einstigen Anstalts-Mitinsassen, und seiner Tochter Carole. Eine Dreiecksgeschichte der finstersten Art, die auf den Tod hinausläuft, quälend langsam. Kunst, sagt Manu Lascenet, „das ist hundertmal die gleiche Bewegung machen und hundertmal auf ein jeweils anderes Ergebnis warten. Mir wurde klar, dass Freud so den Wahnsinn definiert hat . . .“
Manu Larcenet zeichnet seine Geschichten auf große einzelne Blätter, DIN A4 oder DIN A3, erst auf seinem Computer montiert er die Einzelbilder dann zusammen – wie man ein Gemälde in einen Rahmen steckt. So filigran sind diese Bilder, dass man in sie hineinlauschen kann, in die knarzende Borke eines Baumstamms, das schabende Gefieder eines Raben, die knisternden Falten eines Funky-Schokoriegels – man fühlt sich geborgen und auf der Hut wie in den japanischen Holzschnitten von Hokusai.
Es passiert nicht viel in den Geschichten von Manu Larcenet. Die Menschen schauen und hören zu. Sie versuchen, das Abwarten zu lernen. In der Tiefe, im eigenen Innern ist alles leer. „Schminke“, heißt es einmal in einem Moment der Zweisamkeit von Carole und Polza, „ist nicht dazu da, das Gesicht zu verbergen, sondern um seine Geheimnisse zu offenbaren.“
Manu Larcenet: Blast. Band 4: Hoffentlich irren sich die Buddhisten. Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock. Reprodukt Verlag, Berlin 2015. 208 Seiten, 29 Euro.
Eine Müdigkeit steigt aus
der Tiefe der Bilder,
eine angenehme Erschöpfung
Hundertmal die gleiche
Bewegung machen, auf ein
jeweils anderes Ergebnis wartend
Farbige Eruptionsstöße erschüttern die schwarzweiße Existenz der Menschen in den „Blast“-Bänden von Manu Larcenet.
Foto: Reprodukt
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Manu Larcenet hat seinen „Blast“ vollendet. Im vierten Band der großartigen, verstörenden Comic-Serie werden wir hin- und
hergerissen von Momenten eruptiver Gewalt und traurigster Meditation. Immer in der Hoffnung, dass die Buddhisten sich irren
VON FRITZ GÖTTLER
Ruhiggestellt sind die Menschen in dieser Geschichte. Von sich selber ruhiggestellt, sie haben den Rückzug angetreten aus der Gesellschaft, die sie abstößt mit ihren windigen Werten und Regeln. Sind aus den Anstalten entlassen, in die man sie steckte, unter der strikten Bedingung, dass sie ihre tägliche Dosis an Medikamenten nehmen – was sie natürlich nicht tun. Lieber leiden sie weiter, Tag für Tag und Nacht für Nacht, bleiben unberechenbar, sogar sich selbst.
„Hütet euch vor dem geschriebenen Wort“, das ist die Parole dieser Outlaws, „hinter seiner Erhabenheit steckt doch immer nur die Wahrheit desjenigen, der den Stift führt.“
Manu Larcenets „Blast“ ist ein Meisterstück der modernen Melancholie, schwärzer kann ein Comicbuch nicht sein. Mit dem vierten Band neigt sich das Schicksal des Polza Mancini nun seinem Ende zu, und er hat – das dürfte nun wirklich kein Spoiler mehr sein – kaum eine Chance zu überleben. Die Geschichte eines fetten Serienmörders, so hat Manu Larcenet seinem Verleger Dargaud sein Projekt einst beschrieben, auf tausend Seiten. Larcenet kann sich so was locker leisten, nach der Reihe erfolgreicher Comicbände, die er seit 1994 schuf und von denen einige auch auf Deutsch erschienen sind (bei Reprodukt), „An vorderster Front“, wo wundersame apokryphe Abenteuer erzählt werden von Robin Hood, Vincent van Gogh und Sigmund Freud, oder „Rückkehr aufs Land“ oder „Der alltägliche Kampf“.
Eine lange Geschichte geht zu Ende, eine Geschichte der Müdigkeit, an der auch der Leser teilnehmen durfte, jene allmähliche Erschöpfung, die aus der Tiefe der Bilder heraufsteigt, sie zum Verharren bringt. Polza ist ein Einzelgänger, auf der Suche nach einer Bleibe, immer mit dem Wissen, dass er nicht lange bleiben wird. Er dringt in leere Häuser ein, übernachtet dort, immer wieder aber zieht es ihn in die Natur hinaus, in die Wälder und an die Kanäle. Sanft und lächerlich ist diese Figur, mit ihrem kugelrunden Kopf, den kleinen, meist ungläubigen Augen, der Pinocchionase, von eruptiven (farbigen) „Blasts“ erschüttert und von ihnen träumend. Einer, dem Gewalt angetan wird und der anderen Gewalt antut. Er fühlt sich der Eule sichtlich nahe, ihren meditativen Momenten, aber auch wenn sie sich blitzschnell hochschwingt und eine Maus schlägt.
Manu Larcenet ist ein Einzelgänger, er hat sich schon in der Kindheit ins Zeichnen zurückgezogen – zeichnen, sagt er, das bedeutet, seine Zeit anderswo verbringen. Ein Kind der Pariser Banlieues und des Punk der Achtziger. Keine feste Bleibe, der Gewalt auf den Straßen ausgesetzt, eine politische Jugend, durchaus mit Momenten der linken Militanz. Das alles hat ihn diesen verstörenden Rhythmus gelehrt, der in „Blast“ vibriert von Aggression und Innerlichkeit. Die Rapa-Nui-Figuren markieren Polzas Weg, die mysteriösen Götterstatuen der Osterinsel.
Polza Mancini lebt in seinem eigenen persönlichen Anderswo, und zwei Kriminalbeamte versuchen in einem mehrbändigen Verhör, ihn daraus herauszulocken. Im vierten Band – mit dem Titel „Hoffentlich irren sich die Buddhisten“ – geht es nun um die Zeit, die Polza auf dem Hof von Roland verbringt, einem einstigen Anstalts-Mitinsassen, und seiner Tochter Carole. Eine Dreiecksgeschichte der finstersten Art, die auf den Tod hinausläuft, quälend langsam. Kunst, sagt Manu Lascenet, „das ist hundertmal die gleiche Bewegung machen und hundertmal auf ein jeweils anderes Ergebnis warten. Mir wurde klar, dass Freud so den Wahnsinn definiert hat . . .“
Manu Larcenet zeichnet seine Geschichten auf große einzelne Blätter, DIN A4 oder DIN A3, erst auf seinem Computer montiert er die Einzelbilder dann zusammen – wie man ein Gemälde in einen Rahmen steckt. So filigran sind diese Bilder, dass man in sie hineinlauschen kann, in die knarzende Borke eines Baumstamms, das schabende Gefieder eines Raben, die knisternden Falten eines Funky-Schokoriegels – man fühlt sich geborgen und auf der Hut wie in den japanischen Holzschnitten von Hokusai.
Es passiert nicht viel in den Geschichten von Manu Larcenet. Die Menschen schauen und hören zu. Sie versuchen, das Abwarten zu lernen. In der Tiefe, im eigenen Innern ist alles leer. „Schminke“, heißt es einmal in einem Moment der Zweisamkeit von Carole und Polza, „ist nicht dazu da, das Gesicht zu verbergen, sondern um seine Geheimnisse zu offenbaren.“
Manu Larcenet: Blast. Band 4: Hoffentlich irren sich die Buddhisten. Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock. Reprodukt Verlag, Berlin 2015. 208 Seiten, 29 Euro.
Eine Müdigkeit steigt aus
der Tiefe der Bilder,
eine angenehme Erschöpfung
Hundertmal die gleiche
Bewegung machen, auf ein
jeweils anderes Ergebnis wartend
Farbige Eruptionsstöße erschüttern die schwarzweiße Existenz der Menschen in den „Blast“-Bänden von Manu Larcenet.
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»Blast ist ein Horrorcomic, aber ohne jeden billigen Schockeffekt. Im Film nennt man so etwas Psycho-thriller, im Comic sollte sich dafür die Bezeichnung Blast einbürgern.« - Andreas Platthaus, FAZ