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Eine Kindheit in Medellín, der verläßlich chaotischen Stadt, in der Fernando Vallejo in den vierziger Jahren des fast schon betrauerten vergangenen Jahrhunderts aufwächst. Leichen schwimmen schon damals in den Flüssen, doch noch ist Kindheit ein Zelt blauer Tage. Eine Idylle hat Fernando Vallejo dennoch nicht zu erzählen. Zu wach, zu empfindlich reagiert das Kind auf die Stumpfheit seiner Mitwelt, auf gedankenlose Rede und falsche Töne, zu ausgeprägt ist sein Widerspruchsgeist. Blaue Tage ist das Porträt des Künstlers als garstiges Kind und liebessehnsüchtiges Wesen.Fernando Vallejo ist der…mehr

Produktbeschreibung
Eine Kindheit in Medellín, der verläßlich chaotischen Stadt, in der Fernando Vallejo in den vierziger Jahren des fast schon betrauerten vergangenen Jahrhunderts aufwächst. Leichen schwimmen schon damals in den Flüssen, doch noch ist Kindheit ein Zelt blauer Tage. Eine Idylle hat Fernando Vallejo dennoch nicht zu erzählen. Zu wach, zu empfindlich reagiert das Kind auf die Stumpfheit seiner Mitwelt, auf gedankenlose Rede und falsche Töne, zu ausgeprägt ist sein Widerspruchsgeist. Blaue Tage ist das Porträt des Künstlers als garstiges Kind und liebessehnsüchtiges Wesen.Fernando Vallejo ist der brillanteste Stilist Lateinamerikas, ein Radikalsubjektivist und Großtyrann der literarisch geschliffenen Polemik. Für seinen Roman Der Abgrund nahm er 2003 den Literaturpreis Rómulo Gallegos mit der Geste allumfassender Misanthropie entgegen (und stiftete die Preissumme Medellíns Heimen für aufgelesene Straßenhunde). Fernando Vallejos Kunst ist es, Überempfindlichkeit, Verzweiflung und Sehnsucht in die Drastik und auch Komik des Erzählens davon zu überführen. Blaue Tage ist das Paradox einer Schimpfkanonade als Trostbuch.
Autorenporträt
Fernando Vallejo, 1942 in Medellín geboren, Schriftsteller, Regisseur und Drehbuchautor, lebt seit vielen Jahren in Mexiko. Für El desbarrancadero (Der Abgrund) erhielt er 2003 den höchsten lateinamerikanischen Literaturpreis, den Premio Rómulo Gallegos.

Elke Wehr, geboren 1946 in Bautzen und verstorben 2008 in Berlin, studierte Romanistik in Paris und Heidelberg. Zunächst konzentrierte sie sich auf Italienisch und Französisch, später legte sie ihren Schwerpunkt auf das Spanische. Seit den 1970er Jahren übersetzte sie spanische und lateinamerikanische Prosa ins Deutsche. Elke Wehr lebte in Madrid und Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.01.2009

Papageien im Rausch

Fernando Vallejo erkundet in seinem autobiographischen Frühwerk die verlorene Welt seiner Kindheit in der Drogenmetropole Medellín.

Weltweit berühmt wurde Fernando Vallejo Ende der neunziger Jahre mit seinem Roman "Die Madonna der Mörder". In ein schwindelerregendes Inferno von barocker Finsternis entführte er den Leser, in eine Hauptstadt des Schmerzes, Weltzentrale der Kokabarone, voll von Schmutz, Gewalt, Auftragskillern und ungezügelten Passionen - und zugleich seine Heimat: das kolumbianische Medellín, das Vallejo bereits Jahrzehnte zuvor für unbewohnbar erklärt und gegen das mexikanische Exil eingetauscht hatte. "Eine Leiche auf jeder Seite, eine Gotteslästerung in jedem Absatz", bemerkte die Kritik bestürzt wie fasziniert.

Nichts gemein mit dieser Vorhölle hat scheinbar jenes Medellín, das Vallejo ein Jahrzehnt zuvor 1985 in seinem ersten größeren literarischen Werk entwarf, nachdem er sich zunächst als Biologe, Filmemacher und Grammatiker einen Namen gemacht hatte. In seinen Kindheitserinnerungen "Blaue Tage" erscheint das Medellín der vierziger Jahre als Ort bukolischer Heiterkeit. Als ein verschrobenes Provinznest, durchzogen von aus dem Gebirge herabstürzenden Stadtbächen, die Namen wie "La Loca", "Die Irre" tragen - und vom Klatsch einer Nachbarschaft, die argwöhnisch das Leben jedes Einzelnen zu durchleuchten sucht. Eine behütete und doch spitzbübische Kinderkulisse, wo Papageien heimlich die Früchte aus der Bowle picken und betrunken Schweinereien krähen. Politik findet hier auf den Fensterläden statt. Wer die seinen blau anstreicht, ist konservativ, wer rot, ist liberal. Attribute, die keine individuelle Überzeugung widerspiegeln, sondern erblich übertragbar und regional festgelegt sind.

Entsprechend unterschiedlichen Gesetzen folgt Vallejos Poetik. Diktiert wird sie nicht von Leichen und Lästerung, sondern von Luftballons. So lautet das formulierte Credo des Autors: "Dies Buch hat keinen anderen Zweck als den, die Geschichte des einzigen Ballons zu erzählen, den ich in meinen Leben unter den Tausenden abfing, die am Himmel flimmerten, meine Sternstunde, meine große Heldentat." Hintergrund ist die Tradition der kolumbianischen Provinz Antioquia und ihrer Hauptstadt Medellín, am Heiligabend selbstgebaute Heißluftgebilde in die Lüfte steigen zu lassen, die beim Herabsinken von den Kindern abgeschossen werden. Zu den am Himmel erspähten Flugobjekten gehört auch Vallejos eigene Großmutter. Denn nachts treibt sie, eine Art antizipierte García-Márquez-Parodie, als Hexe auf ihrem Besen in den Lüften ihr Unwesen.

Dennoch trügt dieses Paradies, das ironisch die Versatzstücke des Magischen Realismus in sich versammelt. Mit "Bumm! Bumm! Bumm!" bricht schon der erste Satz des Buchs herein wie ein brutaler Kriegscomic. Von Anfang an sind Leid und Gewalt in der scheinbaren Idylle angelegt. Spürbar werden sie für den Erzähler bereits in zartem Alter, etwa durch die vom Leibhaftigen persönlich in der Kunst des Sadismus geschulten Salesianermönche, die ihn unterrichten; oder durch das folgenreiche Attentat an Jorge Eliécer Gaitán 1948, Ausgangspunkt eines jahrzehntelangen Bürgerkriegs, das sich dem damals fünfjährigen Autor finster in die Erinnerung schreibt. Latent gewaltsam erscheinen selbst die Weihnachtsballons, die, wenn das sie antreibende Öllämpchen schwach wird, wie "Bomben über Antioquia hageln". In grotesker Überspitzung, die an den gleichaltrigen Kubaner Reinaldo Arenas erinnert, artet die Stille Nacht zum Gemetzel aus, in dem die ballonjagenden Kinder sich mit Messern zu Tode stechen.

Tiefer Pessimismus spricht noch aus Vallejos zartesten Erinnerungen. Das Schicksal seiner zum Gewaltmoloch entartenden Heimatstadt wird für ihn zur Allegorie des eigenen Lebens: "Ich war ein weinerliches Kind und Medellín eine kleine Stadt; wir sind gemeinsam groß geworden, gemeinsam verdorben, das Leben hat uns ruiniert." Zum Selbstmitleid mischt sich eine eigenartig reaktionäre Verbitterung, die in der Faulheit der kolumbianischen Arbeiter und den Exzessen des Arbeitnehmerschutzes die Schuld für den Niedergang des Landes sucht. Zugleich ist sie Ausdruck einer generalisierten Misanthropie. Bereits an der ungewöhnlichen Erzählsituation lässt sie sich ablesen. Das Buch richtet sich immer wieder an eine dem Bericht lauschende "Hexe", Stellvertreterin der besenreitenden Großmutter und ihrer die Phantasie des Kindes durchspukenden Gespielinnen. Allerdings ist "Hexe" nun der Name einer weißen dänischen Dogge: und sie überhäuft der Autor mit Liebe und Leckereien.

Nicht nur der Sarkasmus des Erzählers lässt "Blaue Tage" aus dem Genre der Autobiographie ausbrechen. Jenseits jedes Dokumentationsanspruchs ist es in seiner kunstvollen Verschränkung von Fiktion, realer Erinnerung und bizarrer Hyperbel ein hochliterarisches Werk von stilistischer Brillanz. Dass Vallejos Sprache in ihrem unverwechselbaren Rhythmus und ihren überraschenden Wortfindungen auch in deutscher Sprache strahlt, ist das Verdienst der unlängst verstorbenen Übersetzerin Elke Wehr; "Blaue Tage" sind ihr literarisches Vermächtnis.

FLORIAN BORCHMEYER

Fernando Vallejo: "Blaue Tage". Eine Kindheit in Medellín. Aus dem Spanischen übersetzt von Elke Wehr. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 222 S., geb., 22,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Fernando Vallejo, der mit seinem morbiden und brutalen Roman "Die Madonna der Mörder" notorische Berühmtheit errang, lässt in seinem autobiografischen Roman "Blaue Tage" von 1985 seine kolumbianische Heimatstadt Medellin in wesentlich sanfterem Licht aufscheinen, stellt Florian Borchmeyer fest. Doch auch wenn der kolumbianische Autor, der seit langem im mexikanischen Exil lebt, das Medellin der 40er Jahre, in dem er seine Kindheit verbrachte, als provinzielle Kleinstadt mit anekdotischen Skurrilitäten ausschmückt, sie erscheint auch hier alles andere als idyllisch, betont Borchmeyer. Die mit Motiven des Magischen Realismus kunstvoll durchsetzten Erinnerungen sind von leidvollen Erfahrungen, wie den sadistischen Mönchen, die das Kind Vallejo unterrichteten, oder dem Ausbruch des Bürgerkriegs durchzogen. So grundiert ein Ton von "tiefem Pessimismus" den autobiografischen Roman, aus dem immer wieder allgemeine "Misanthropie" und eine seltsame "reaktionäre Verbitterung" hervorscheint, wie der Rezensent bemerkt. Das aber soll keineswegs als Kritik an diesem Roman verstanden werden, den Borchmeyer im Gegenteil als stilistisch virtuos und wegen seiner glänzenden Verknüpfung von Fiktion und Wirklichkeit begeistert preist.

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