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Parallel zu seinem erzählerischen Werk meldet sich Jorge Semprun unbequem und beharrlich immer wieder mit seinen Reden zu Wort. In diesem Buch werden, zum großen Teil erstmals in deutscher Sprache, seine wichtigsten vorgelegt angefangen von der Römerberg-Rede 1986 (in der er die Einheit Deutschlands vorwegnahm) bis zur Rede zum Jahrestag der Befreiung von Auschwitz am 27. Januar 2003 im Deutschen Bundestag. All die großen Themen Sempruns klingen an: Erinnerung, Trauerarbeit, die zwei Totalitarismen, aber auch die aus seiner geographischen Lage und seiner historischen Erfahrung resultierende besondere Aufgabe Deutschlands in einem erweiterten Europa.…mehr

Produktbeschreibung
Parallel zu seinem erzählerischen Werk meldet sich Jorge Semprun unbequem und beharrlich immer wieder mit seinen Reden zu Wort. In diesem Buch werden, zum großen Teil erstmals in deutscher Sprache, seine wichtigsten vorgelegt angefangen von der Römerberg-Rede 1986 (in der er die Einheit Deutschlands vorwegnahm) bis zur Rede zum Jahrestag der Befreiung von Auschwitz am 27. Januar 2003 im Deutschen Bundestag. All die großen Themen Sempruns klingen an: Erinnerung, Trauerarbeit, die zwei Totalitarismen, aber auch die aus seiner geographischen Lage und seiner historischen Erfahrung resultierende besondere Aufgabe Deutschlands in einem erweiterten Europa.
Autorenporträt
Jorge Semprún, geboren am 10.12.1923 in Madrid als eines von sieben Kindern des linksliberalen Juraprofessors José Maria Semprun. Seine früh verstorbene Mutter, Susana Maura, war die Schwester des ersten Innenministers der spanischen Republik, Miguel Maura. Aufgrund des spanischen Bürgerkriegs zog José Maria Semprun im September 1936 mit seiner zweiten Frau und den Kindern nach Paris. Dort, an der Sorbonne, studierte Jorge Semprun nach der Rückkehr von einem längeren Aufenthalt in Den Haag Philosophie und schloss sich 1941 unter dem Decknamen 'Gérard' der kommunistischen Résistance an ('Francs-Tireurs et Partisans'). 1943 wurde Jorge Seprun von der Gestapo festgenommen und ins Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Nach der Befreiung am 12. April 1945 wählte er erneut Paris als seinen Wohnort. Als Mitglied der spanischen Exil-KP begann er 1953, den Widerstand gegen das Franco-Regime zu koordinieren, und von 1957-62 wirkte er am Aufbau einer kommunistischen Untergrundorganisation in Spanien mit. Wegen seiner Kritik am Stalinismus schloss die Kommunistische Partei ihn 1964 aus. Zu diesem Zeitpunkt hatte Jorge Semprun bereits zu schreiben begonnen. Der spanische Ministerpräsident Felipe Gonzales Marquez ernannte ihn 1988 zum Kultusminister, aber schon nach drei Jahren zog Jorge Semprun sich wieder aus der Politik zurück. 1994 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. 2011 verstarb Jorge Semprún.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2004

Zwischen Theorie und Tat
Jorge Semprúns Essays über Deutschland und die Deutschen

Drei Jahre vor dem Fall der Berliner Mauer sagte der spanische Schriftsteller Jorge Semprún bei den Römerberggesprächen in Frankfurt: "Die Wiedervereinigung Deutschlands muß Ergebnis eines entscheidenden Fortschritts der Demokratie in Europa sein. In allen Europas - dem westlichen, dem südlichen, dem östlichen. Vor allem in Mitteleuropa." Viel eher als Entspannung und Abrüstung könne die Demokratisierung die Wiedervereinigung zum Ergebnis haben. Die Geschichte gab Semprúns gewagter Vorhersage recht.

Aber nicht nur deswegen lohnt es sich, die Rede Semprúns von 1986 zu lesen. Bis dahin hatte der Schriftsteller und Politiker noch nicht öffentlich in Deutschland gesprochen. Im Oktober 1983, als sein Roman "Was für ein schöner Sonntag" auf deutsch erschien, war er zum ersten Mal überhaupt in die Bundesrepublik Deutschland eingeladen worden. Die Deutschen hatten lange Zeit kaum Notiz genommen von diesem Mann, der, obwohl von der Gestapo nach Buchenwald deportiert, nie Aversionen gegenüber Deutschland und den Deutschen gezeigt hatte, sich vielmehr als einer der wichtigen Fürsprecher und Vermittler deutscher Literatur und Philosophie sowohl in Frankreich wie in Spanien hervorgetan hatte. Später wurde Semprún dann häufig als Redner nach Deutschland eingeladen, so 1991 als Laudator zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an György Konrád und fünf Jahre später in der gleichen Funktion bei der Preisverleihung an Mario Vargas Llosa. Semprún selbst hatte den Friedenspreis 1994 in der Paulskirche überreicht bekommen.

Vor einem Jahr hielt Jorge Semprún vor dem Bundestag die Rede zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Zwischen dem Römerbergvortrag und der Rede im Bundestag stehen andere Ansprachen, in denen es um Deutschland und die Deutschen geht - um Buchenwald und die Kristallnacht ebenso wie um Kant oder Husserl. Michi Strausfeld hat die Vorträge gesammelt und die meisten davon - einige davon waren bereits in dieser Zeitung erstmals auf deutsch erschienen - in ein klares und trotz der manchmal komplexen Thematik leicht eingängiges Deutsch übersetzt.

In den über zweihundert Seiten Redetext ist kein einziger überflüssiger Satz zu finden. Semprún setzt sich scharfsinnig und mit großer Präzision mit den totalitären Ideologien, wie dem Faschismus und dem Stalinismus, auseinander; er zeigt aber auch die Irrtümer und Fehlentwicklungen innerhalb der Sozialdemokratie und des liberalen Kapitalismus auf. Bei seiner Ideologiekritik kommt Semprún seine genaue Kenntnis der deutschen Philosophie zugute, auf die sich ja fast alle modernen politischen Ideologien berufen. Semprún bewundert den analytischen Teil im Werk von Karl Marx; die Grundrisse der "Kritik der Politischen Ökonomie" nennt er ein erstaunliches, bemerkenswertes, in einigen Aspekten sogar geniales Werk. An die Prophetien von Marx hat Semprún nie geglaubt, nicht einmal, als er Mitglied der Kommunistischen Partei war. Wenige Autoren haben so überzeugend die Pervertierung der Marxschen Theorien vom Scheitern des Leninismus hinweg bis zum stalinistischen Gewaltregime dargestellt.

Jorge Semprún hat eine Zeitlang kommunistischen Organisationen angehört und ihre Arbeit aktiv, wenn auch zunehmend kritischer begleitet. Wie Marx hatte er in seinen jungen Jahren den demokratischen Weg zum Kommunismus für möglich gehalten. Es gibt wahrscheinlich wenige Autoren, die sich so intensiv wie Semprún theoretisch mit den großen politischen Bewegungen unserer Zeit beschäftigt und gleichzeitig für deren Ziele in höchst gefährlichen Situationen gekämpft haben. Mehrere Jahre war er der Verantwortliche einer Widerstandsorganisation gegen die Rechtsdiktatur des Generals Franco im spanischen Untergrund. Er hat diese gefährliche Mission überlebt; sein Nachfolger Julián Grimau hatte weniger Glück. Er wurde nach einigen Wochen in Madrid verhaftet, von der politischen Polizei Francos gefoltert, in einem Schauprozeß von einem Militärgericht zu Tode verurteilt und hingerichtet. In der französischen Résistance gegen die Deutschen und dann im KZ Buchenwald hatte Semprún sein Leben im Kampf gegen eine andere faschistische Diktatur riskiert.

Später hat er sich dann in vielen Publikationen kritisch mit den kommunistischen Diktaturen, ihren Verirrungen und Verstößen gegen Freiheit und Menschenwürde auseinandergesetzt. Semprún hat sich oft selbst gefragt, ob er nun eigentlich ein Mann der Tat oder ein die Tat analysierender Intellektueller sei. Fasziniert ihn die Aktion an sich - ist sie so vielleicht doch vorwiegend ein Abenteuer -, oder benutzt er die Aktion, ja das eigene Leben, um sich selbst politische Theorien zu beweisen oder zu widerlegen?

Jorge Semprún hat seine Bücher auf französisch, seiner Schul- und Studiensprache, und auf spanisch geschrieben. Mit Blick auf Deutschland liegt nun ein Buch von ihm ausschließlich in deutscher Sprache vor; die Redetexte wurden zwar übersetzt, doch auf deutsch von dem Autor vorgetragen. Semprún hat eine bis in die frühe Kindheit reichende Beziehung zur deutschen Sprache, zu den Dichtern und Philosophen Deutschlands. "Der kehligen primitiven Sprache der SS-Leute in Buchenwald, die sich auf wenige unflätige Beschimpfungen und Drohungen beschränkte", schreibt er, "setzte ich innerlich in meinem Gedächtnis augenblicklich die Musik der deutschen Sprache entgegen, ihre komplexe, schillernde Genauigkeit." Dem Suhrkamp Verlag ist zu danken, daß er diesen, an die Deutschen gerichteten Band eines großen ausländischen Autors herausgebracht hat. Vielleicht lernt der Verlag ja irgendwann noch einmal, Semprúns Namen richtig - nämlich mit einem Betonungsakzent auf der letzten Silbe - zu schreiben. Daß die Franzosen grundsätzlich oder aus Bequemlichkeit keinen Akzent auf ausländische Namen setzen, so auch nicht auf den Semprúns, sollte für einen großen deutschen Verlag kein Beispiel sein.

WALTER HAUBRICH

Jorge Semprún: "Blick auf Deutschland". Aus dem Spanischen und Französischen übersetzt von Michi Strausfeld u. a. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 227 S., br., 10,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Walter Haubrich zeigt sich von diesem Band mit Vorträgen, die der spanische Schriftsteller und Politiker zu verschiedenen Anlässen seit 1986 über Deutschland und die Deutschen gehalten hat, sehr eingenommen. In diesem Band ist "kein einziger überflüssiger Satz" enthalten, lobt der Rezensent begeistert. Er preist den Scharfsinn und die "große Präzision", mit der sich Jorge Semprun mit den Ideologien des 20. Jahrhunderts auseinandersetzt und meint, kaum ein anderer habe sich derart "intensiv" mit den "großen politischen Bewegungen" befasst. Der Autor hat gegen das faschistische Regime unter Franco und in der französischen Resistance gegen die Deutschen gekämpft und war Häftling des KZ Buchenwald, informiert der Rezensent. Dennoch habe er seit seiner Kindheit eine enge Beziehung zur deutschen Sprache, betont Haubrich. Die Vorträge sind allerdings alle auf französisch oder spanisch gehalten worden und bis auf wenige Ausnahmen, die bereits in Übersetzung vorlagen, von Michi Strausfeld und anderen trotz zum Teil sehr "komplexer" Thematik in ein "leicht eingängiges Deutsch" übersetzt worden, wie Haubrich angetan bemerkt.

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