Ein Mann, dessen Herz sich nicht umstimmen lässt. Eine Liebe, die von Paris über St. Petersburg bis ans Ende der Welt führt.
Brodie Moncur hat das absolute Gehör und gilt als Genie unter den Klavierstimmern. Als er in Paris dem grandiosen Pianisten John Kilbarron begegnet, nimmt sein Leben eine dramatische Wendung. Rasch zeigt sich, dass Brodies Künste unverzichtbar für Kilbarron sind. Gemeinsam feiern sie Triumphe in ganz Europa, führen in St. Petersburg ein luxuriöses Leben, das Brodie, aufgewachsen in einem schottischen Dorf als Sohn eines tyrannischen Pfarrers, sich nie hätte erträumen lassen. Und doch ist das alles für Brodie unwichtig. Denn der wahre Grund, weshalb er in die Dienste des genialen, aber unberechenbaren Pianisten eingetreten ist, ist dessen Geliebte, die russische Sopranistin Lika.
Brodie weiß, dass diese Liebe unmöglich ist, und setzt doch alles für sie aufs Spiel - auch sein eigenes Leben. Denn der Klavierstimmer, der mit wenigen Handgriffen über Erfolg oder Misserfolg eines Konzerts, ja einer Pianistenkarriere entscheiden kann, folgt seinem Herzen, das sich nicht umstimmen lässt.
Brodie Moncur hat das absolute Gehör und gilt als Genie unter den Klavierstimmern. Als er in Paris dem grandiosen Pianisten John Kilbarron begegnet, nimmt sein Leben eine dramatische Wendung. Rasch zeigt sich, dass Brodies Künste unverzichtbar für Kilbarron sind. Gemeinsam feiern sie Triumphe in ganz Europa, führen in St. Petersburg ein luxuriöses Leben, das Brodie, aufgewachsen in einem schottischen Dorf als Sohn eines tyrannischen Pfarrers, sich nie hätte erträumen lassen. Und doch ist das alles für Brodie unwichtig. Denn der wahre Grund, weshalb er in die Dienste des genialen, aber unberechenbaren Pianisten eingetreten ist, ist dessen Geliebte, die russische Sopranistin Lika.
Brodie weiß, dass diese Liebe unmöglich ist, und setzt doch alles für sie aufs Spiel - auch sein eigenes Leben. Denn der Klavierstimmer, der mit wenigen Handgriffen über Erfolg oder Misserfolg eines Konzerts, ja einer Pianistenkarriere entscheiden kann, folgt seinem Herzen, das sich nicht umstimmen lässt.
Eine dünne Schicht Honig
Kulissen des Fin de Siècle, Sitten von heute: William Boyds „Blinde Liebe“
Alte Sachen verkaufen sich gut, vor allem wenn sie von der Jahrhundertwende stammen. Das weiß der schottische Autor William Boyd, der nach dem internationalen Bestseller „Die Fotografin“ (2015) seinen nächsten Roman „Blinde Liebe“ ums Fin de siècle spielen lässt. Dass es ein großer Liebesroman im Stile der russischen Romane des 19. Jahrhunderts sein soll, macht der Autor durch das Motto deutlich, das von Olga Knipper-Tschechowa, Anton Tschechows Frau, stammt. Sie erzählt da von einer Idee, die der Schriftsteller in seinem letzen Lebensjahr gehabt habe und nicht mehr umsetzen konnte: ein Theaterstück an, in dem es um eine unsterbliche Liebe hätte gehen sollen. Die spürt jetzt Boyds Protagonist, der schottische Klavierstimmer Brodie Moncur.
Im Paris des ausgehenden Jahrhunderts verliebt er sich in Lika Blum, die russische Frau eines Klaviervirtuosen, dem er die Konzertflügel stimmt. Keine unwichtige Aufgabe, ohne gestimmtes Klavier kein gelungenes Konzert. Außerdem wird der alternde Virtuose langsam aber sicher handlahm und seine Kunst hängt von einigen Tricks ab, mit denen Brodie den Anschlag der Klaviertasten so leicht macht, „als ob Sie mit den Fingern durch Seifenschaum fahren“. Der Virtuose ist also abhängig von einem Mann, durch den ihm die Hörner aufgesetzt werden.
Diese Figurenkonstellation ist so perfekt gestimmt wie Brodies Pianos. Als Teil der Entourage des Pianisten reist Brodie, der aus einem Priesterhaushalt und eher kleinen Verhältnissen stammt, durch halb Europa und macht in St. Petersburg Station. Der Roman bietet, was man von einem Jahrhundertwendeschmöker erwarten darf: Geheime Briefe, Treffen in billigen Hotels, Lungensanatorien in Nizza, Rendezvous unter Bäumen im Sommer auf der Datscha, Kutschpferde auf Kopfsteinpflaster. Brodie strebt allerdings eher zur Moderne hin, wo er kann, tauscht er die Pferdehufe gegen einen Motor.
Und Brodies Geliebte Lika besitzt zwar keinen Spitz wie Tschechows „Dame mit dem Hündchen“, dafür aber einen Jack Russell – die Hunderasse hat Boyd gewissermaßen dem 21. Jahrhundert angepasst. Solch leise Aktualisierungen finden sich im gesamten Roman: Die Art, wie Brodie seine Zigaretten anzündet, wie er denkt oder seine Entscheidungen trifft, wirkt eher aus dem heutigen Alltag gegriffen als aus dem der Jahrhundertwende.
Bevor Brodie als privater Klavierstimmer anheuert, arbeitet er bei einem schottischen Pianohersteller. Der Betrieb hat keinen großen Namen, aber das Produkt ist Weltklasse, ohne dass die Welt etwas davon mitbekäme. Brodie verdoppelt den Absatz, indem er einen international gefeierten Virtuosen dafür bezahlt, nur noch auf einem Flügel aus seinem Hause zu konzertieren: Likas Mann. Wenn heute jemand ein Markenprodukt in der Öffentlichkeit benutzt, fragt man sich unweigerlich, wie viel die Firma dafür zahlt; im fin de siècle wäre diese Verkaufsstrategie neu gewesen.
Als die heimlichen Liebenden Lika und Brodie schließlich in der Nähe von St. Petersburg in einer Pension absteigen, suchen sie vergeblich nach einer Poststation, von der aus sie Telegramme schreiben können, die ihnen ein Alibi verschaffen. Als hätte man heute ein Rendezvous in einem Hotel auf dem Land, aber keinen Empfang, um dem Partner mitzuteilen, dass man nach erfolgtem Geschäftstermin gut angekommen sei – und zwar allein. Auch die Sprache der Verliebten wirkt zeitgenössisch, zum Abschied drückt Lika ihrem Brodie ein Zettelchen in die Hand, als würde sie eine SMS hinterherschicken. Sie schreibt in einem Russisch, das nicht direkt übersetzt wird, und sprachlich ziemlich vulgär ist. Tschechows Dame mit Hündchen würde erröten. Grundsätzlich sind solche Aktualisierungen wünschenswert, die Bearbeitung historischer Stoffen dient dazu, einen neuen Blick auf die Geschichte zu werfen. Und wer weiß, vielleicht waren die Liebenden des 19. Jahrhunderts mit Sexting weiter als man denkt.
Schaut man sich allerdings die Sexszenen im Roman an, bekommt man eher den Eindruck, dass Boyd in der Bravo gespickt hat: Ein „Riesengerät wie ein Hockeyschläger“ und der „dichte blonde Stechginster an ihrer Scham“ wirken noch poetisch gegen Formulierungen wie „(Er) umschloss die Brustwarze mit dem Mund und stimulierte sie mit der Zunge“.
So liest sich die Jahrhundertwende-Staffage vielleicht zeitgenössischer, ein neuer Aspekt der Vergangenheit kommt dabei nicht heraus. Boyds Frauenfiguren sind Heilige oder Hure, und damit weniger facettenreich als ihre Vorbilder. Ein Spitz und ein Jack Russell haben in etwa die gleiche Augenhöhe, die Dame mit Hündchen und Lika Blum nicht.
Handwerklich ist der Roman dagegen so sauber erzählt, wie Brodie seine Konzertflügel stimmt: Die Töne sind richtig, die Spannung ist ausgewogen, keine Seite reißt. Leider lässt sich aber auch der Effekt von Brodies Tricks als Klavierstimmer auf Boyds Roman übertragen: Seine Sprache liest sich leicht wie der Tastenanschlag der präparierten Pianos, ist aber so wenig gehaltvoll wie Seifenschaum.
Als ein Kunde sich einmal über die frisch geputzten Tasten eines Konzertflügels beschwert – er habe einen alten Flügel bestellt – bestreicht Brodie die Tasten mit einer Honiglösung, um das Gefühl von Abgegriffenheit zu simulieren. Boyds Roman ist erzählerisch perfekt gearbeitet, klebt aber vor Klischees und ist so auf alt gemacht, als wäre die Geschichte mit verdünntem Honig bestrichen worden.
TILLMANN SEVERIN
William Boyd: Blinde Liebe. Roman. Aus dem Englischen von Ulrike Thiesmeier. Kampa Verlag, Zürich 2019. 512 Seiten, 24 Euro.
Vielleicht waren die Liebenden
des 19. Jahrhunderts mit
Sexting weiter, als man denkt
Der schottische Autor William Boyd, 1952 in Accra, Ghana, geboren.
Foto: dpa
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Kulissen des Fin de Siècle, Sitten von heute: William Boyds „Blinde Liebe“
Alte Sachen verkaufen sich gut, vor allem wenn sie von der Jahrhundertwende stammen. Das weiß der schottische Autor William Boyd, der nach dem internationalen Bestseller „Die Fotografin“ (2015) seinen nächsten Roman „Blinde Liebe“ ums Fin de siècle spielen lässt. Dass es ein großer Liebesroman im Stile der russischen Romane des 19. Jahrhunderts sein soll, macht der Autor durch das Motto deutlich, das von Olga Knipper-Tschechowa, Anton Tschechows Frau, stammt. Sie erzählt da von einer Idee, die der Schriftsteller in seinem letzen Lebensjahr gehabt habe und nicht mehr umsetzen konnte: ein Theaterstück an, in dem es um eine unsterbliche Liebe hätte gehen sollen. Die spürt jetzt Boyds Protagonist, der schottische Klavierstimmer Brodie Moncur.
Im Paris des ausgehenden Jahrhunderts verliebt er sich in Lika Blum, die russische Frau eines Klaviervirtuosen, dem er die Konzertflügel stimmt. Keine unwichtige Aufgabe, ohne gestimmtes Klavier kein gelungenes Konzert. Außerdem wird der alternde Virtuose langsam aber sicher handlahm und seine Kunst hängt von einigen Tricks ab, mit denen Brodie den Anschlag der Klaviertasten so leicht macht, „als ob Sie mit den Fingern durch Seifenschaum fahren“. Der Virtuose ist also abhängig von einem Mann, durch den ihm die Hörner aufgesetzt werden.
Diese Figurenkonstellation ist so perfekt gestimmt wie Brodies Pianos. Als Teil der Entourage des Pianisten reist Brodie, der aus einem Priesterhaushalt und eher kleinen Verhältnissen stammt, durch halb Europa und macht in St. Petersburg Station. Der Roman bietet, was man von einem Jahrhundertwendeschmöker erwarten darf: Geheime Briefe, Treffen in billigen Hotels, Lungensanatorien in Nizza, Rendezvous unter Bäumen im Sommer auf der Datscha, Kutschpferde auf Kopfsteinpflaster. Brodie strebt allerdings eher zur Moderne hin, wo er kann, tauscht er die Pferdehufe gegen einen Motor.
Und Brodies Geliebte Lika besitzt zwar keinen Spitz wie Tschechows „Dame mit dem Hündchen“, dafür aber einen Jack Russell – die Hunderasse hat Boyd gewissermaßen dem 21. Jahrhundert angepasst. Solch leise Aktualisierungen finden sich im gesamten Roman: Die Art, wie Brodie seine Zigaretten anzündet, wie er denkt oder seine Entscheidungen trifft, wirkt eher aus dem heutigen Alltag gegriffen als aus dem der Jahrhundertwende.
Bevor Brodie als privater Klavierstimmer anheuert, arbeitet er bei einem schottischen Pianohersteller. Der Betrieb hat keinen großen Namen, aber das Produkt ist Weltklasse, ohne dass die Welt etwas davon mitbekäme. Brodie verdoppelt den Absatz, indem er einen international gefeierten Virtuosen dafür bezahlt, nur noch auf einem Flügel aus seinem Hause zu konzertieren: Likas Mann. Wenn heute jemand ein Markenprodukt in der Öffentlichkeit benutzt, fragt man sich unweigerlich, wie viel die Firma dafür zahlt; im fin de siècle wäre diese Verkaufsstrategie neu gewesen.
Als die heimlichen Liebenden Lika und Brodie schließlich in der Nähe von St. Petersburg in einer Pension absteigen, suchen sie vergeblich nach einer Poststation, von der aus sie Telegramme schreiben können, die ihnen ein Alibi verschaffen. Als hätte man heute ein Rendezvous in einem Hotel auf dem Land, aber keinen Empfang, um dem Partner mitzuteilen, dass man nach erfolgtem Geschäftstermin gut angekommen sei – und zwar allein. Auch die Sprache der Verliebten wirkt zeitgenössisch, zum Abschied drückt Lika ihrem Brodie ein Zettelchen in die Hand, als würde sie eine SMS hinterherschicken. Sie schreibt in einem Russisch, das nicht direkt übersetzt wird, und sprachlich ziemlich vulgär ist. Tschechows Dame mit Hündchen würde erröten. Grundsätzlich sind solche Aktualisierungen wünschenswert, die Bearbeitung historischer Stoffen dient dazu, einen neuen Blick auf die Geschichte zu werfen. Und wer weiß, vielleicht waren die Liebenden des 19. Jahrhunderts mit Sexting weiter als man denkt.
Schaut man sich allerdings die Sexszenen im Roman an, bekommt man eher den Eindruck, dass Boyd in der Bravo gespickt hat: Ein „Riesengerät wie ein Hockeyschläger“ und der „dichte blonde Stechginster an ihrer Scham“ wirken noch poetisch gegen Formulierungen wie „(Er) umschloss die Brustwarze mit dem Mund und stimulierte sie mit der Zunge“.
So liest sich die Jahrhundertwende-Staffage vielleicht zeitgenössischer, ein neuer Aspekt der Vergangenheit kommt dabei nicht heraus. Boyds Frauenfiguren sind Heilige oder Hure, und damit weniger facettenreich als ihre Vorbilder. Ein Spitz und ein Jack Russell haben in etwa die gleiche Augenhöhe, die Dame mit Hündchen und Lika Blum nicht.
Handwerklich ist der Roman dagegen so sauber erzählt, wie Brodie seine Konzertflügel stimmt: Die Töne sind richtig, die Spannung ist ausgewogen, keine Seite reißt. Leider lässt sich aber auch der Effekt von Brodies Tricks als Klavierstimmer auf Boyds Roman übertragen: Seine Sprache liest sich leicht wie der Tastenanschlag der präparierten Pianos, ist aber so wenig gehaltvoll wie Seifenschaum.
Als ein Kunde sich einmal über die frisch geputzten Tasten eines Konzertflügels beschwert – er habe einen alten Flügel bestellt – bestreicht Brodie die Tasten mit einer Honiglösung, um das Gefühl von Abgegriffenheit zu simulieren. Boyds Roman ist erzählerisch perfekt gearbeitet, klebt aber vor Klischees und ist so auf alt gemacht, als wäre die Geschichte mit verdünntem Honig bestrichen worden.
TILLMANN SEVERIN
William Boyd: Blinde Liebe. Roman. Aus dem Englischen von Ulrike Thiesmeier. Kampa Verlag, Zürich 2019. 512 Seiten, 24 Euro.
Vielleicht waren die Liebenden
des 19. Jahrhunderts mit
Sexting weiter, als man denkt
Der schottische Autor William Boyd, 1952 in Accra, Ghana, geboren.
Foto: dpa
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de